Energie Electrique du Simplon SA (E.E.S.): gutes 1. Semester und „Rendite-Kick“ durch OTC

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Manche Aktien zeigen ihre gut versteckten Reize erst, wenn sie das grelle Scheinwerferlicht der Börse verlassen haben und in „tiefere Gefilde“ hinabgestiegen sind. Ein solcher vordergründiger Abstieg kann mitunter aber auch ein Aufstieg sein – zumindest bei den Aktienkursen über einen längeren Betrachtungszeitraum. Was zunächst paradox klingen mag, ist zumindest im Fall der Energie Electricite du Simplon SA (EES) mit Sitz Lausanne in den letzten Jahren zur Realität geworden. Der Fall der EES ist, wenn man mit der niedrigeren Liquidität des Segments leben kann, auch ein Lehrbeispiel für das Perlentauchen in tieferen und wenig frequentierten Gewässern, die bisweilen – mit einem längerfristigen Anlagehorizont – besonders attraktiv sein können, weil das Meer noch nicht von einer industriellen Fangflotte bis auf die letzte Perle abgefischt ist. Der OTC-Sektor hat an manchen Stellen auch heute noch Manufakturcharakter und verlangt „Handarbeit“ in der Analyse.

Am 7. August 2006 unterbreitete die Energie Ouest Suisse (EOS) als grösste Aktionärin (ca. 80%) und die mit ihr in gemeinsamer Absprache handelnden EnAlpin AG (Tochter der EnBW AG), die EW Brig Naters AG sowie die atel AG (heute Alpiq-Gruppe) ein Übernahmeangebot zu CHF 630 an die Streubesitzaktionäre der EES. Die Voranmeldung des Übernahmeangebots im Juni 2006 hatte noch auf CHF 614 CHF als voraussichtlichen Übernahmepreis gelautet. Zum Zeitpunkt des Übernahmeangebots waren 89,852% des EES-Grundkapitals im Besitz der Erwerbergruppe und diese zielte mit ihrem Angebot darauf, die für die Kraftloserklärung nach Artikel 33 BEHG notwendige Schwelle von 98% zu überspringen und die freien Aktionäre so zwangsweise abzufinden. In jedem Fall war nach Vollzug des Angebots eine Dekotierung der Aktien vorgesehen (Angebotsprospekt, Seite 9).

Das Erwerbsangebot zu CHF 630, das auch inhaltlich trotz vorliegender „Fairness Opinion“ umstritten war, führte jedoch nicht zum gewünschten Erfolg. Lediglich 1,228 % des Grundkapitals nahmen die Offerte an, so dass der Anteil der Erwerbergruppe im November 2006 bei „nur“ 91,08% gelegen hatte. Die Kraftloserklärung der Aktien im Anschluss an das Übernahmeangebot war damit juristisch nicht möglich.

Bis zum 28. Dezember 2006 war die Energie Electrique du Simplon S.A. noch an der Schweizer Börse SIX im Segment Local Caps vertreten. Dann folgte die Dekotierung und die echte „Nicht-Handelbarkeit“ der Aktien, ehe die EES-Aktien im weiteren Zeitablauf (Juni 2009) in den OTC-Handel der Berner Kantonalbank aufgenommen wurden. Aktuell ist EES im Top 50-Index der grosskapitalisierten OTC-Werte vertreten.

Interessant ist die Entwicklung der Dividende nach Dekotierung, ist diese doch gegenüber der früheren SIX-Zeit – als ein alter, in keiner Hinsicht marktkonformer Vertrag das Ausschüttungsniveau praktisch auf 6,5% vom Nominal von CHF 50, entsprechend CHf 3.25, fixierte – deutlich angehoben worden.

2007 im Jahr 1 nach Dekotierung wurden für das Geschäftsjahr 2006 letztmals CHF 3.25 ausgeschüttet. Doch bereits in den Folgejahren – nach der SIX-Zeit – erhöhten sich die Ausschüttungen deutlich:

Bruttodividende

2008 (GJ 2007)        CHF 13.00

2009 (GJ 2008)        CHF 18.00

2010 (GJ 2009)        CHF 55.50

2011 (GJ 2010)        CHF 29.50

2012 (GJ 2011)        CHF 47.50

2013 (GJ 2012)        CHF 45.00

Innerhalb von nur 6 Jahren sind praktisch CHF 208.50 (brutto) oder 33% der ursprünglich angebotenen Abfindung an Dividenden an die EES-Aktionäre zurückgeflossen, was als ein weiteres Indiz dafür gesehen werden kann, dass die ursprünglich angebotene Abfindung zu CHF 630 angesichts der Ertragsmöglichkeiten der Gesellschaft und auch der Substanz der Gesellschaft nicht wirklich „angemessen“ gewesen sein konnte.

Vor dem Hintergrund der ausgeweiteten Dividenden angesichts eines auch im Bilanzausweis deutlich verbesserten Geschäftsgangs seit Dekotierung und Aufnahme in den OTC-Aktienhandel erstaunt es nicht, dass die Aktien mittlerweile weit oberhalb der einstigen Abfindungen notieren. Zuletzt wurde die EES-Aktie bei CHF 1’700 und damit fast beim Dreifachen des ursprünglichen Abfindungspreises des Jahres 2006 gehandelt. Seither haben sich allerdings auch die Ausschüttungen vervielfacht, so dass die zwischenzeitliche Wertentwicklung nicht zufällig oder lediglich das Ergebnis der tiefen Liquidität („Liebhaberpreise“) gewesen ist.

Auch die Aktionärsstruktur hat sich seit Dekotierung durch Zukäufe weiter verändert. Ausweislich des 2012-EES-Geschäftsberichts (Seite 10) stellte sich diese zum 31. Dezember 2012 wie folgt dar:

Alpiq Suisse SA (Alpiq)                           80.00%

EnAlpin AG     (EnBW)                            10.79%

EW Brig Naters AG                                   3.06%

Walliser Kraftwerke AG (FMV)                  2.68%

Alpiq AG                                                    1.90%

Streubesitz / Privataktionäre                1.57% (2’512 Aktien)

Das Grundkapital ist in 160’000 Aktien à 50 CHF nominal eingeteilt.

Das am 30. Juni 2013 beendete 1. Halbjahr 2013 verlief für EES erfreulich. Die Eigenproduktion der drei EES-Kraftwerke Gondo, Gabi und Tannuwald im Simplon-Gebiet – übrigens ausschliesslich Wasserkraft – erhöhte sich in den ersten 6 Monaten 2013 gegenüber dem 1. Halbjahr 2012 um 3% auf 114.2 GWh und sogar um 8% gegenüber dem langjährigen Mittel von 105.7 GWh (vgl. Graphik). Nach dem in diesen Tagen veröffentlichten Aktionärsbrief erhöhte sich das EBIT dank eines konsequenten Kostenmanagements mit rückläufigen Material- und Instandhaltungsaufwendungen um gut 15% auf CHF 4.4 Mio. Der Gewinn vor Steuern kletterte um 16.2% auf CHF 4.1 Mio. Unter Berücksichtigung der Steuern von CHF 0.95 Mio. (23%) verbleibt zum 30. Juni 2013 ein Reingewinn von etwa CHF 3.2 Mio.  (+19%) in den Büchern der EES, entsprechend etwa CHF 20 pro Aktie (Vorjahr CHF 16.70). Die Gestehungskosten in der Produktion als Mass für die betriebliche Effizienz der Kraftwerke reduzierten sich zum 30. Juni 2013 um knapp 11% auf CHF 0.05 (5 Rappen).

Da das Geschäft der EES saisonal bedingt im 3. und 4. Quartal stärker ausfällt als im 1. Halbjahr (vgl. Graphik zur Produktion), spricht manches dafür, dass das Gesamtergebnis des Vorjahres 2012 (CHF 7.2 Mio. oder CHF 45.00 pro Aktie) in diesem Jahr übertroffen werden kann und auch die Ausschüttung für 2013 wieder mindestens das Niveau von CHF 45.00 erreichen wird, wenn diese nicht sogar höher ausfällt und wieder in Richtung CHF 50 tendiert. Auf Basis der zuletzt gezahlten Kurse läge die Rendite dann im Bereich um 3%. Allerdings muss auch festgehalten werden, dass die EES und ihre wenigen freien Aktionäre zumindest in den letzten 2 Jahren von einem „Aktionärspartnervertrag“ in der Tendenz eher profitierten, da sie den erzeugten Strom aufgrund eines zum Jahresbeginn 2011 geschlossenen 3-Jahres-Vertrages bis Ende 2013 zu einem Preis noch oberhalb des in den letzten Jahren deutlich rückläufigen Strom-Preises (CH-Swissix Spot an der EEX) an die Aktionärspartner verkaufen konnten bzw. noch können. Allerdings gab es auch turbulente Marktphasen mit hohen Nachfragespitzen, die den Spot-Strompreis extrem in die Höhe trieben und den Einkauf bei EES für die Aktionärspartner sehr vorteilhaft erschienen liess, da sie den flexiblen Spitzenstrom aus den Walliser Kraftwerken „punktgenau“ mit entsprechend hohen Aufschlägen weiterverkaufen konnten, ohne dass die EES hierfür aufgrund des fixen Vertrages entsprechend kompensiert worden wäre. In den Jahren vor 2011 lag der Vorteil der „Aktionärspartnerverträge“ und den so fixierten Stromlieferungen auf Seiten der Aktionärspartner, die den von EES vergleichsweise günstig eingekauften Strom teurer mit Aufschlägen weiterverkaufen konnten. Insofern ist ein solcher Vertrag aus Aktionärssicht auf längere Zeit ein Geben und ein Nehmen. Langfristig wünschenswerter – und auch fairer – als ein „Aktionärsvertrag“, der die Verkaufspreise von der Marktpreisentwicklung abkoppelt, wäre die reine „Marktwertbetrachtung“. Nachteilig wäre lediglich eine fehlende „Planungssicherheit“ für die Beteiligten. Der für die Periode 2011-2013 vereinbarte Kontraktpreis zur Stromlieferung lautete auf CHF 81.43 je MWh. Tagesaktuell (15.10.2013) liegt der Swissix Day Base (Spot) bei etwa 52 Euro oder CHF 64.00 je MWh, der Swissix Day Peak (Spot) bei etwa 61 Euro oder CHF 75.50 je MWh.

Der neue Stromliefervertrag mit den Aktionärspartnern für die Zeit ab 2013 ist nach Aussagen im Halbjahresbericht 1-2013 aktuell noch „in Verhandlung“. Realistischerweise ist wohl davon auszugehen, dass der neue „Partnerpreis“ aufgrund der zwischenzeitlichen Marktentwicklungen unterhalb des bisherigen Tarifs von CHF 81.43/MWh liegen wird, doch lassen sich zur Höhe und auch zu allen anderen Konditionen wie etwa Vertragslaufzeit etc. heute keine verlässlichen und seriösen Aussagen machen. Dies könnte operative Einbussen für EES bedeuten, doch gibt es seitens der Gesellschaft auch Überlegungen, die Speichermöglichkeiten für den im Sommer erzeugten Strom künftig für den Winter zu verbessern, so dass hier gegebenenfalls Potentiale liegen, die dämpfend auf einen etwaigen Rückgang in den Lieferverträgen wirken. Auch sollen die Kosten weiterhin im Fokus stehen und entsprechend tief bleiben. Auch eine (langfristige) Ausweitung der Produktion könnte – gerade bei wieder anziehenden Notierungen in den Strompreisen – zusätzliches Ertragspotential bergen.

Mit der sehr günstigen und flexiblen Strom-Produktion aus Wasserkraft im Simplon-Gebiet wäre EES „eigentlich“ ein exzellentes Hebel-Produkt auf die Strompreisentwicklung, doch schneiden die bestehenden und neu zu verhandelnden „Aktionärspartnerschaftsverträge“ mit den Grossaktionären die Kleinaktionäre von einer normalen operativen Geschäftstätigkeit unter Marktbedingungen ab. Insofern sind diese „Aktionärsverträge“ aus Sicht der freien Aktionäre, die zusätzlich zur Dividende kein Strombezugsrecht haben, ein sensibles Thema. Die Aktie wird so zumindest in Teilbereichen zur gut verzinsten Obligation – mit allen Vor- und Nachteilen. Der Geschäftsgang ist aktuell – und wohl auch in nächster Zukunft – in erheblichem Umfang von den unter Ausschluss der freien Aktionäre vereinbarten Stromlieferkonditionen unter den industriellen Partnern abhängig, was entsprechende Risiken impliziert. In einem Umfeld (stark) steigender Strompreise, das aktuell noch nicht erkennbar ist, würden die Aktionäre – wie vor einigen Jahren gegeben – mit „tief“ dotierten Aktionärslieferverträgen erheblich ausgebremst. Ohne eine solche „Strompreisbremse“ hätte EES als „Pure Play“ im Bereich der Wasserkraft insbesondere in einem Szenario wieder steigender Strompreise bei weitgehend konstanten, im vorliegenden Fall sehr niedrigen Gestehungskosten aus Wasserkraft dagegen weiteres Wertsteigerungspotential. (Potentielle) Anleger, die zur Vorsicht neigen, sind in dieser Gemengelage vor einer etwaigen Investition in EES-Aktien gut beraten, die Details des neuen Stromliefervertrages ab 2014 mit den Aktionärspartnern aus der Stromwirtschaft abzuwarten. Erst danach sieht man operativ für die nähere Zukunft etwas klarer. Ziemlich sicher erscheint aus heutiger Sicht nur, dass die EES-Aktie den Preis des vormaligen SWX-Abfindungsangebots von CHF 630 im OTC-Handel nicht mehr erreichen wird. EES ist auch – als Blaupause für andere, strukturell vergleichbare Fälle – ein Lehrbeispiel dafür, dass es sich für „mutige“ Anleger im Einzelfall rechnen kann, eine vorliegende, häufig interesseninduzierte „Fairness Opinion“ in einer Übernahmesituation zu ignorieren, ein Abfindungsangebot abzulehnen und notfalls sehenden Auges in das „Abenteuer Nicht-Notiz“ zu laufen. Der innere Wert eines Unternehmens wird nicht per se schlechter, nur weil dieses nicht mehr an einer Börse kotiert ist. Im Einzelfall verändert sich lediglich die Handelsliquidität, auch wenn eine möglichst hohe Liquidität für einzelne Anlegerkreise ein Wert an sich ist. Angesichts der durch weitere Veränderungen im Aktionariat erreichten, mittlerweile tiefen Liquidität ist die Aktie heute eine „OTC-Spezialität“.

Thorsten Grimm, Grisonia Consult GmbH, 14. Oktober 2013, info@grisonia.ch

Transparenzhinweis: Der Grisonia Consult GmbH nahestehende Personen sind Aktionäre der EES.

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