Etwas mehr als ein Jahr ist Veit Dengler nun CEO bei der NZZ-Mediengruppe. Anfangs war seine Handschrift wenig zu spüren. Doch jetzt marschiert der Österreicher unter der Führung des ebenfalls erst im April 2013 ins Amt gewählten VR-Präsidenten Etienne Jornod mit kräftigen Schritten und unbeirrbar vorwärts. Der Umbau des Traditionshauses ist in vollem Gange. Seit Ende Oktober vergeht kaum eine Woche, in der aus der Falkenstrasse keine Vollzugsmeldung in die Öffentlichkeit flattert. Die vor zwei Wochen bekannt gegebene Schliessung der eigenen Druckerei in Schlieren zeigt, mit welcher Entschlossenheit der Wandel hin zum digitalen Medienhaus umgesetzt werden soll. Untermauert wird diese Entschlossenheit auch mit dem in dieser Woche publizierten Rücktritt von Chefredaktor Markus Spillmann. Offenbar ist Spillmann für Jornod und Dengler nicht der richtige Mann, der die NZZ Redaktion auch in Zukunft auf der Reise ins digitale Zeitalter begleiten kann. Die offizielle Begründung der NZZ für den Weggang Spillmanns lautet, dass man „die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen wolle, um den laufenden Transformationsprozess weiterhin erfolgreich und im geplant hohen Tempo voranzutreiben“. Nachdem die Aktien der AG für die Neue Zürcher Zeitung aufgrund der Schliessungsankündigung der Druckerei einen Kurssprung um 6% auf 6150 CHF machten, ist der Kurs auf OTC-X nun wieder etwas zurückgekommen. Er notierte am 12. Dezember nur noch bei 5’995 CHF. Der Hoffnung auf eine rasche Ergebnisverbesserung durch das Aus für die Druckerei ist ein wenig die Ernüchterung gefolgt, dass die NZZ-Mediengruppe noch einen langen und beschwerlichen Weg zu gehen hat, um auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückzukehren.
Doch wie soll die NZZ-Mediengruppe in Zukunft aussehen? Liest man die zahlreichen Medienmitteilungen der letzten Wochen, so wird langsam klar, wo das Duo Jornod/Dengler die NZZ-Mediengruppe gerne hinsteuern möchte. Im Mittelpunkt steht das Traditionsblatt „Neue Zürcher Zeitung“ mit seiner langen Historie und der über die Landesgrenzen hinaus strahlenden Marke. Hier investiert das Blatt in die Steigerung der inhaltlichen Qualität, die kanalübergreifende Erstellung der Inhalte sowie mit nzz.at ins deutschsprachige Ausland. Die Österreicher sollen künftig für 119 EUR ein Jahr lang die digitale Ausgabe lesen dürfen. Ob diese Strategie aufgeht, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Geht sie auf, soll auch der deutsche Markt bearbeitet werden. Angesichts der grossen Konkurrenz im Netz und der anderen nationalen und internationalen Qualitätsmedien im deutschsprachigen Raum sicherlich ein mutiges Unterfangen. Allerdings kann sich die Schweizer NZZ schon heute damit schmücken, dass sie mit ihren Produkten „Neue Zürcher Zeitung“ und „NZZ am Sonntag“ mehr als 16’600 Digitalabonnenten zählen kann. Dies ist im Vergleich zu anderen Medienhäusern Spitze. Im Printbereich verliert das Traditionsblatt hingegen über 24’000 Leser, wie die Zahlen der WEMF zeigen. Auch im Anzeigengeschäft harzt es. Den kommerziellen Erfolg will das Flaggschiff der NZZ-Mediengruppe ab Anfang 2015 in eigener Regie sicherstellen. Nach dem Auslaufen der Verträge mit der inzwischen verkauften Publicitas übernimmt die eigens gegründete Tochtergesellschaft NZZ Media Solutions AG das Vermarktungsgeschäft. Zahlreiche neue Leute wurden in Redaktion und Verlag eingestellt, um dem Traditionsblatt den Weg in die digitale Zukunft zu ebnen. Die Zeiten des dauernden Personalabbaus sind jedenfalls (vorerst) vorbei.
Baustelle zwei ist das Geschäft mit den Regionalmedien, allen voran dem St. Galler Tagblatt und der Neuen Luzerner Zeitung. Der frühere CEO Polo Stäheli hatte die Weichen für eine Annäherung der eigenständigen Verlagsunternehmen gestellt und durch die Bildung zentraler Bereiche in der Verwaltung Synergien in Millionenhöhe erzielt. Die Redaktionen liess er unangetastet. Auch die Führung wurde bis vor kurzem durch zwei CEOs der regionalen Medienhäuser sichergestellt, die beide Einsatz in der Gruppenleitung der NZZ-Mediengruppe nahmen. In diesem Jahr konnte die NZZ-Mediengruppe für 53 Mio. CHF die restlichen 25% der Anteile an der Freie Presse Holding (FPH), über welche die Beteiligungen an der St. Galler Tagblatt AG und der LZ Medien Holding AG gehalten werden, von der Publigroupe übernehmen. Nun hält die AG für die Neue Zürcher Zeitung rund 93% an der St. Galler Tagblatt AG sowie über 90% an der LZ Medien Holding AG. Quasi über Nacht wurde Daniel Ehrat, der Geschäftsführer der St. Galler Tagblatt Medien AG, freigestellt. Seither werden auch die Regionalmedien mit Jürg Weber nur noch von einer Person gesteuert. Künftig sollen die regionalen Medienhäuser auch im redaktionellen Bereich stärker zusammenarbeiten. Sämtliche TV-Aktivitäten der regionalen Medienhäuser wurden direkt beim Chef Dengler angesiedelt.
Übrig geblieben sind noch das Druckgeschäft, die Fachzeitschriften, Beteiligungen im elektronischen Bereich und dem Veranstaltungsgeschäft. Auch diese „übrigen Geschäfte“ werden derzeit neu geordnet. Das Coupongeschäft mit „Zentraldeal“ und „Ostdeal“ wurde inzwischen an die Plattform „DeinDeal“ von Ringier verkauft. Auch die Beteiligung am Werbenetzwerk AdWebster ging an den Gründer zurück. Damit dünnt die NZZ-Mediengruppe ihre Beteiligungen im digitalen Bereich weiter aus. Es verblieben nur noch einige Beteiligungen wie beispielsweise an der Wirtschaftsauskunftsplattform moneyhouse.ch oder der Private-Finance-Plattform quontis. Die Fachzeitschriften, die bisher bei der LZ Medien (u.a. Pack Aktuell, Schweizer Optiker) und der St. Galler Tagblatt AG (u.a. Textilwirtschaft) angesiedelt waren, finden ihre neue Heimat in der NZZ Fachmedien AG. Nachdem das „Aus“ für den Druckereistandort Schlieren beschlossen wurde, stellt sich auch die Frage, welche Rolle das übrige Druckgeschäft künftig noch spielen wird. In der Summe werden diese zahlreichen Einzelschritte zum Jahresende ein neues Bild der NZZ-Mediengruppe ergeben. Dies hatten Jornod und Dengler bereits an der letzten Generalversammlung angekündigt (siehe auch Blog-Beitrag vom 28. April 2014). Dass der Umbau so rasch und in dieser Konsequenz vorangetrieben wird, hat viele Beobachter überrascht.
Das neue Führungsduo hat damit bisher geliefert, was es versprochen hat. Damit könnte Veit Dengler zum Ende dieses Jahres an Etienne Jornod rapportieren: „Erste richtungsweisende Massnahmen zum Umbau der alten Tante erfolgreich exekutiert“. Auch wenn die Schritte für das Traditionshaus ungewöhnlich sind, so brechen sie mit der alten Ära der „alten Tante“. Die „alte Tante“ soll zu einer „jungen Frau“ aufgehübscht werden. Doch wird dieser Jungbrunnen funktionieren? Es sind viele Faktoren, darunter auch die viel beschworene publizistische Qualität, die darüber entscheiden werden. Doch noch viel wichtiger ist die Antwort auf die Frage: Wie wird die NZZ-Mediengruppe in Zukunft ihr Geld verdienen? Die im Laufe dieses Jahres eingeleiteten Massnahmen haben zwar eine Optimierung der Aufwandseite zur Folge, stellen zugleich auch massive Investitionen in die Zukunft dar. Umsatzwachstum dürfte vorerst noch keines resultieren. Dengler und Jornod werden in den kommenden Monaten die Antworten auf die Frage liefern müssen, wie sie die NZZ-Mediengruppe wieder auf den Wachstumskurs führen möchten. Mit organischem Wachstum dürfte dieser Weg noch lange dauern. Und Zukäufe? Da sich die NZZ entschieden hat, nicht in Digitale Geschäfte abseits der Publizistik zu diversifizieren, sondern auf die eigene Qualitätspublizistik zu setzen, ist die Auswahl möglicher Übernahmeziele nicht sehr gross. Andere Verlage, wie die deutsche F.A.Z., haben selber zu kämpfen. Titel wie das deutsche Wirtschaftsmagazin Brand Eins, das offenbar zum Verkauf steht, würden zwar zur Qualitätspublizistik passen, sind aber noch sehr printlastig. Für das Kerngeschäft „Neue Zürcher Zeitung“ ist daher das Wachstum aus eigener Kraft die einzige Option.
Im Bereich der Regionalmedien könnte sich ein Schulterschluss mit der Tamedia-Gruppe abzeichnen, die als Partner den Druck der NZZ und NZZ am Sonntag ab Mitte 2015 übernehmen wird. Sie verfügt heute schon über ein beachtliches Portfolio an Regionalzeitungen, zu denen neben dem Flaggschiff Tagesanzeiger u.a. auch die Berner Zeitung/ Der Bund, Der Landbote und die Zürichsee Zeitung gehören. Eine Alternative wäre ein Schulterschluss mit der Basler Zeitung, um so eine dritte Kraft im Schweizer Regionalzeitungsgeschäft zu etablieren. Dazu könnten die Gerüchte passen, dass Markus Somm eines Tages die Chefredaktion des Zürcher Traditionsblattes übernimmt. Einem Engagement von Somm würde die eher geringe digitale Expertise ebenso wie der fehlende Auslandsfokus widersprechen, der für eine „NZZ“ mit internationaler Ausrichtung sicherlich notwendig wäre. Mit einer Doppelspitze Markus Somm und einer international erfahrenen Person mit Digitaler Expertise, wie dem derzeitige FAZ-Online-Chef Mathias Müller von Blumencron oder dem kürzlich abgetretenen Spiegel-Chefredaktor Wolfgang Büchner, könnte dieser Schulterschluss hingegen gelingen. Über die Spillmann-Nachfolge wird derzeit viel spekuliert. Sofern die NZZ-Mediengruppe auch im kommenden Jahr mit derselben Geschwindigkeit wie in diesem Jahr voran schreitet, dürfte die Schweizer Medienlandschaft in 2015 nochmals kräftig durchgewirbelt werden.
Keine Frage: An der Falkenstrasse wird derzeit „Tabula rasa“ gemacht. Rechtzeitig vor dem Jahresende hat die Unternehmensleitung alle richtungsweisenden Schritte für die Zukunft kommuniziert. Ob sie diese auch so umsetzen kann, ist zwar – wie im Falle der Druckerei Schlieren, wo sich derzeit Widerstand formiert, – noch offen. Dennoch dürften die im laufenden Jahr durchgeführten Massnahmen negative Effekte auf Bilanz- und Erfolgsrechnung haben. Da allein im Kerngeschäft weiterhin mit rückläufigen Umsätzen zu rechnen ist, werden die Investitionen in den Ausbau der Publizistik in der Schweiz und Österreich die Jahresrechnung zusätzlich belasten. Hinzu kommen die Wertberichtigungen auf die Druckerei in Schlieren in Höhe von 55 Mio. CHF sowie 2.5 Mio. CHF Schliessungskosten. Auch wenn positive Effekte aus der Übernahme der 25% der „Freie Presse Holding“ sowie die erstmalige Konsolidierung von moneyhouse die negativen Effekte ausgleichen dürften, so müssen die Aktionäre der AG für die Neue Zürcher Zeitung für das Geschäftsjahr 2014 wohl mit einem Konzernverlust in Millionenhöhe rechnen. Obwohl das operative Ergebnis (EBITDA) weiterhin positiv sein sollte, da es sich bei den Wertberichtungen vor allen Dingen um Buchverluste handelt, dürfte der Verwaltungsrat den Aktionären diesen Verlust als Investition in die Zukunft verkaufen und die Anteilseigner abermals um ihren Obulus in Form eines Dividendenverzichts bitten. Allein schon die Schliessung der Druckerei lässt ihm keine Wahl. Denn wie könnte der Verwaltungsrat 125 Leute auf die Strasse stellen und den Aktionären dennoch eine Dividende zahlen? Wir rechnen jedenfalls mit einem Dividendenausfall, der sich auch in 2015 noch fortsetzen könnte.
Zwar ist es zu erwarten, dass das Jahresergebnis 2015 aufgrund der wegfallenden Kosten für die Druckerei sowie einem zu erwartenden Verkaufsertrag für das Areal in Schlieren wieder deutlich positiv ausfällt. Bis sich jedoch klar abzeichnet, woher künftig die Erlöse kommen sollen, bleibt das Investment in eine NZZ-Aktie vor allen Dingen wegen der bisher nur schwer erkennbaren Perspektiven mit Risiken behaftet. Kurse um 6’000 CHF auf der Plattform OTC-X der Berner Kantonalbank (BEKB) wirken zwar, gemessen am Kurs/Buchwert-Verhältnis von 0.6, optisch günstig. Zudem liegen noch etwa 200 Mio. CHF (oder 5’000 CHF je Aktie) in der Kasse (per Ende Juni waren es 243 Mio. CHF; allerdings muss hier der Kaufpreis von 53 Mio. CHF für die FPH noch abgezogen werden), was dem Management einen grossen Handlungsspielraum verleiht. Allerdings muss das Management in den nächsten zwei bis drei Jahren zeigen, ob es in der Lage ist, diesen Handlungsspielraum ebenfalls erfolgreich zum Vorteil auch der Aktionäre zu nutzen. Erst dann dürfte –Übernahmespekulationen einmal ausgeschlossen – der Aktienkurs wieder an Fahrt gewinnen.
Transparenzhinweis: der Autor ist Aktionär der AG für die NZZ.
Der Rücktritt von Chefredaktor Markus Spillmann lässt die Schweizer Medienzunft in die Tasten greifen, um mögliche Ursachen und Hintergründe aufzudecken bzw. Szenerien zu entwickeln, wie es bei der NZZ weiter gehen wird. Eine interessante Sammlung sämtlicher Beiträge hat die Online-Publikation Medienspiegel.ch zusammengestellt. Sie wird laufend ergänzt: http://www.medienspiegel.ch/archives/007591.html.
fände übernahme Spekulationen nicht falsch. wäre eine gute premium Ergänzung für tamedia. nzz wird Journalismus sicher nicht mehr neu erfinden und auch nicht neu definieren. vor 250 jahren war das eine ganz andere Ausgangslage für das blatt. heute nur noch renommierte hülle – Inhalt? und zwar Inhalt mit alleinstellungsmerkmal? ziemlich Fehlanzeige, oder ?