Der Schreck sitzt noch allen in den Gliedern. Vor einer Woche gab die Schweizerische Nationalbank SNB den Euro-Mindestkurs auf. Der Wert des Franken zu Euro und Dollar hat sich sofort rasant erhöht. Die Steigerungen liegen bei rund 15 Prozent. Jetzt hat die Exportindustrie Angst, der Tourismus hat Angst, und Politiker haben Angst. Umsatzeinbrüche und Gewinnzerfall in der Schweiz und steigende Arbeitslosigkeit scheinen unabwendbar. Was soll jetzt werden? Wie geht es mit der Schweizerischen Wirtschaft mit dem starken Franken weiter? Die Unsicherheit hat den SMI bereits um 15 Prozent nach unten weggedrückt. Die auf OTC-X gehandelten Aktien haben sich trotz der neuen Situation bisher hingegen gut gehalten.
schweizeraktien.net hat in diesem Umfeld zum Thema „starker Franken“ Finanzchefs von mehr als 100 Unternehmen aus den Branchen Industrie, Tourismus, Handel und Finanzen befragt. Wie werden die Folgen auf Umsatz und Gewinn aussehen? Gibt es am Ende vielleicht sogar Profiteure und Chancen?
Nur fast die Hälfte erwartet negative Folgen…
Das überraschende Ergebnis der Umfrage: Die Mehrheit der Befragten – nämlich 58 Prozent – rechnet mit keinen oder nur geringen Auswirkungen durch den starken Franken auf das eigene Geschäft. Konkret sehen 16 Prozent keine, 42 Prozent der Befragten nur geringe Auswirkungen des starken Frankens auf Umsatz und Gewinn. 42 Prozent der von schweizeraktien.net befragten Unternehmen erwarten aber negative Folgen. Konkret: 29 Prozent – knapp jeder Dritte – sieht grosse Auswirkungen auf Umsatz und Gewinn, 13 Prozent befürchten sogar sehr grosse Folgen.
Schaut man etwas genauer hin, zeigt sich, dass die Folgen für die Industrieunternehmen wohl am stärksten sein werden. 63% der befragten CFOs aus diesen Branchen rechnen mit „grossen“ Auswirkungen auf die Umsatz- und Gewinnsituation. Bei den Tourismusunternehmen sind es 40%, die ebenfalls mit „grossen“ negativen Auswirkungen rechnen. Allerdings klafft gerade in dieser Branche eine deutliche Lücke bei den Antworten. Tourismusbetriebe im Berner Oberland und der Innerschweiz, deren Gäste aus der Schweiz und sehr stark aus Übersee kommen, rechnen nur mit „geringen“ Auswirkungen. Andere Betriebe, die stark von den Gästen aus dem Euroland abhängig sind, erwarten „grosse“ oder sogar „sehr grosse“ Auswirkungen.
… und fast die Hälfte profitiert im Einkauf
Immerhin sind 72 Prozent der befragten Firmen stark in der Euro- und Dollarregion aktiv. Dennoch halten sich die negativen Auswirkungen des starken Frankens vor allem deshalb in Grenzen, weil viele Unternehmen auch im Währungsraum Euro und Dollar produzieren. 83 Prozent der Befragten gaben an, dort zu fertigen. Da die Kosten für die Produktion dann aber in Euro oder Dollar anfallen, spielt der starke Franken bei der Herstellung keine Rolle. Die Konkurrenzfähigkeit und damit das Umsatzniveau dürfte weniger gefährdet sein. Lediglich die in Franken in der heimischen Bilanz fakturierten Auslandszahlen dürften unter Druck geraten. Denn ein Gewinn auf Euro-Basis von 10,0 Millionen Euro entspricht in Franken nun nicht mehr 12,0 Millionen, sondern nur noch 10,0 Millionen Franken.
Der starke Franken hat aber nicht nur Verlierer. Es gibt auch Vorteile. 42 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass sie im Einkauf vom starken Franken profitieren werden. Das heisst: Die aus dem Euro- oder Dollarraum bezogenen Rohstoffe, Waren oder Dienste werden in Franken billiger, die gefertigten Produkte können günstiger hergestellt und dann möglicherweise auch zu einem günstigeren Preis verkauft werden. Das wiederum ist gut für die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere gegenüber Firmen aus den Euro-Ländern, die beispielsweise für Öl oder andere Rohstoffe, die in Dollar abgerechnet werden, wegen des schwachen Euro-Dollar-Kurses jetzt viel mehr bezahlen müssen.
Während 55 Prozent aller befragten Unternehmen keinen positiven Einfluss aus der starken Währung erwarten, rechnen allerdings sogar 87 Prozent der Befragten im Industriesektor mit Vorteilen im Einkauf. Dabei gehen insgesamt 59 Prozent der Befragten davon aus, das das Wechselkursverhältnis Franken/Euro jetzt stabil bleiben wird, 38 Prozent rechnen dagegen mit einer weiteren Aufwertung des Frankens. Die meisten Betriebe hatten sich in der Vergangenheit fest auf einen Wechselkurs von 1.20 CHF eingestellt und auch damit kalkuliert. Für die Zukunft rechnet die Hälfte aller Befragten mit einem Wechselkurs von 1 CHF. 39 Prozent der Finanzchefs sehen den Wechselkurs zwischen 1.05 und 1.10 CHF. Nur 8 Prozent erwarten, dass der Euro künftig nur noch 0.90 Rappen wert sein wird.
Die Reaktionen
Interessant sind auch die geplanten Reaktionen der Unternehmen auf den starken Franken. Genannt werden hier unter anderem: Steigerung der Effizienz in den Prozessen, Ausbau der Produktion im Ausland, Steigerung der Qualität, aber auch Preisnachlässe für Euro-Kunden. Abgesehen vom letzten Punkt werden Schweizer Unternehmen dadurch noch fitter im internationalen Wettbewerb. Die Konkurrenz in Euroland verlässt sich dagegen auf die Unterstützung durch die EZB via Wechselkurs. Allerdings dürfte das vor wenigen Tagen von EZB-Chef Mario Draghi beschlossene Ankaufprogramm von Staatsanleihen im Volumen von 1,1 Billionen Euro bis September 2016 oft wichtige Reformen der Euroländer und der Unternehmen der Union verhindern. Damit stellt sich schlussendlich die Frage, ob die Rechnung der EZB trotz des schwachen Euros auf Dauer aufgehen oder am Ende gar zum Nachteil wird.
Wir werden in den kommenden Tagen die Folgen bei einzelnen Firmen, deren Aktien ausserbörslich gehandelt werden, genauer untersuchen.