Anhand einiger bekannter Zitate zum Thema wird schnell klar, dass Luxus für jeden etwas anderes bedeutet. Der wohl berühmteste Ausspruch stammt von Oscar Wilde, der sagte: „Ich kann auf alles verzichten, nur nicht auf Luxus.“ Das zeigt auch die Vielschichtigkeit dessen, was Luxus wirklich ausmacht. „Heiraten ist eine Pflicht, einen Liebhaber nehmen ein Luxus“, schreibt Simone de Beauvoir in „Das andere Geschlecht“. Oder: „Republiken enden durch Luxus, Monarchien durch Armut“, so schreibt Charles de Montesqieu in „Vom Geist der Gesetze“. Und schliesslich, um den Kreis zu schliessen: „Was nützen uns die Künste ohne den Luxus, welcher sie nährt?“, so Jean-Jacques Rousseau.
Luxus ist nicht gleich Luxus
Schon der Terminus mit seiner Etymologie zeigt die ganze Doppelbödigkeit des Verhältnisses zwischen Mensch und Luxus auf. Die erste Bedeutung des lateinischen Wortes „luxus“ ist „Verschwendung“, weiterhin „üppige Fruchtbarkeit“. Die Wortwurzel ist identisch mit der von „luxuria“, was gemeinhin mit „Wollust“, einer der sieben Todsünden in der Bibel, zu übersetzen ist. Die erweiterte Bedeutung von Luxus ist demnach das Übermass an Ressourcen, auch an knappen, mit denen verschwenderisch oder über das in einer Gesellschaft als akzeptabel oder sinnvoll erachtete Mass hinaus umgegangen wird. Über Jahrtausende hinweg war Luxus allein Sache der Herrscher, ihres Hofstaats und ihrer Günstlinge, später auch des Klerus und der Händler. Für den Bauern, Soldaten oder Handwerker waren Luxusgüter über Jahrtausende nur in Ausnahmefällen, z.B. bei Kriegsbeutezügen oder Benennung als Hoflieferant in vielleicht verfügbarer Nähe. Und auch heute ist beisipielsweise fliessendes Wasser oder gar ein Bad immer noch ein Luxus für mehr als die Hälfte der Menschheit. Noch vor 50 Jahren waren Apfelsinen oder Pampelmusen ein rarer Luxus, den die weitaus meisten Europäer in oder nördlich der Alpen allenfalls an Weihnachten zu schmecken bekamen.
Auf Spurensuche
Die historische Spurensuche für die Ursachen des zwiespältigen Verhältnisses der abendländischen Kultur zum Luxus führt über die Christianisierung der bekanntermassen verschwenderischen Römer zur Zeit ihres Untergangs weiter zurück in der Geschichte. Nach heutigem archäologischen Wissensstand haben die Könige von Ninive, rund 2’300 Jahre v. Chr. gegründet und spätere Hauptstadt des assyrischen Reiches, um 690 v. Chr. die ersten grösseren Aquädukte in der Geschichte der Menschheit konstruiert. Erste Aquädukte hatte schon Ramses II in Ägypten bauen lassen, doch nicht in einer den Assyrern ebenbürtigen Ingenieursleistung. Über mehr als 48 km führte das Meisterwerk der frühen Bau- und Bewässerungskunst reichlich Wasser aus den Bergen im Norden an Ninive heran und überwand dabei auch beträchtliche Steigungen, was allein durch den richtigen Wasserdruck bewerkstelligt wurde. König Sanherib bewässerte und begrünte die Stadt, die von Blüten- und Blumendüften beherrscht wurde: ein Vorläufer der berühmten Hängenden Gärten von Babylon.
… bei den Assyrern …
Die Assyrer und insbesondere der babylonische Vielvölkerstaat mit all seinen frühen Religionen, Sprachen, Sitten und Gebräuchen, dem astronomischen Wissen, seiner Pracht und kulturellen Blüte musste zwangsläufig das Gegenbild zu der sich eben erhebenden monotheistischen Weltsicht der im babylonischen Exil befindlichen jüdischen Stämme sein. Dort entstanden die wesentlichen Teile des Alten Testaments der Bibel. Polygame Praktiken, rituelle Tempelprostitution, blanke Brüste und Fruchtbarkeitskulte mussten den aus der ägyptischen Sklaverei geflohenen und um ihre Identität fürchtenden Hebräern zutiefst zuwider sein. Das Christentum übernahm die gegen Prachtentwicklung und prätentiöses Verhalten gerichtete Grundhaltung und verbrannte im Wahn während der Inquisition einen Drittel aller Frauen in Europa. Davor wurde mit den Kreuzzügen der erste „Heilige Krieg“ der Geschichte ausgelöst. In Amerika wurde mit gesegneten Kanonen und Schwertern fast die gesamte Urbevölkerung hingemetzelt, die Kulturgüter der Maya, der Azteken und Inka wurden verbrannt oder eingeschmolzen.
… und Aristoteles
Alexander der Grosse starb übrigens in Babylon, das er nach allen Kriegszügen bis hin nach Zentralasien und Indien glücklich wieder erreicht hatte und als seine neue Heimat ansah, das Zentrum seines Reiches. Er schätzte das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichsten Völker, welches kulturelle Blüte erst ermöglicht, und hat diese Philosophie für sich und das Abendland übernommen. Die frühzeitliche Brutalität, alle Gegner nach dem Sieg zu töten, zu versklaven und verschleppen hat Alexander unter dem Einfluss seines Lehrers und Erziehers Aristoteles beendet. Dessen „Nikomachische Ethik“ könnte viele der heutigen Probleme in einem anderen und erweiterten Rahmen erfassen helfen, das Werk entstand ca. 330 v. Chr. Das Beispiel Aristoteles und Alexander zeigt auch, warum im Terminus „Orientierung“ der „Orient“ steckt. Dort, in Mesopotamien, ist ja bekanntlich auch von den Sumerern um 3 400 v. Chr. die erste Keilschrift entwickelt worden, aus Zahlen, die für den Handel unverzichtbar geworden waren. Schliesslich war um 1 750 v. Chr. daraus dann die Stele des Hammurapi geworden, das erste vollständig erhaltene Gesetzeswerk der menschlichen Zivilisation, dessen Gegenstand hauptsächlich Fragen des Eigentums sind. Das Gilgamesch Epos gilt als erste literarische Leistung des Menschen. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass auch die Bibel bis zur Entdeckung der Buchdruckerkunst, und auch darüber hinaus, ein Luxusartikel war, den sich ausserhalb des Klerus nur Fürsten und Könige leisten konnten.
Im nächsten Teil erfahren Sie, wie Luxusgüter und Fernhandel den Weg für unsere moderne Marktwirtschaft bereiteten.
Mit dem neuen Format „Im Kontext“ beabsichtigen wir von schweizeraktien.net, in periodischen Artikel-Serien den gewohnten analytischen Blick auf das Micro-Level von einzelnen Aktien und Branchen durch einen breiteren und tieferen Kontext zu ergänzen, hin zu einem „Grossen Bild“. Dieses soll unseren Lesern in eher prosaischer Form und lebendig, bisweilen auch vergnüglich, wirtschaftliche, gesellschaftliche und historische Zusammenhänge vermitteln und Anregungen für die eigene Analyse der behandelten Sujets und Anlagethemen bieten, die oftmals im hektischen Tagesgeschäft in den Hintergrund gedrängt werden, aber für die fundierte Meinungsbildung „Im Kontext“ unabdingbar sind.
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