Mitte Januar 2016 werden die ersten Regionalbanken ihrer Geschäftsabschlüsse für das Jahr 2015 publizieren. Zum ersten Mal müssen diese nach den neuen Rechnungslegungsvorschriften für Banken – kurz RVB FINMA – vorgelegt werden. Obwohl es keine bahnbrechenden Änderungen gegenüber den bisherigen Regelungen gibt, wird es zu einigen Anpassungen in der Bilanz und Erfolgsrechnung kommen. So müssen künftig Wertberichtigungen und Verluste aus dem Zinsengeschäft direkt mit dem Zinserfolg verrechnet werden. Die Position Bruttogewinn fällt weg. Zudem ist jede Bank verpflichtet, einen Halbjahresabschluss vorzulegen. Warum die neuen Rechnungslegungsvorschriften für Banken eingeführt wurden, welches die wichtigsten Änderungen sind und wie sich diese auf die Jahresabschlüsse insbesondere der Regionalbanken auswirken, dazu hat schweizeraktien.net den Banken- und Finanzexperten Dr. Thomas Vettiger vom Beratungsunternehmen IFBC befragt.
Herr Vettiger, was waren die Gründe für die Einführung der neuen Vorschriften?
Die neuen Rechnungslegungsvorschriften für Banken (RVB) sind eine Folge der Einführung der neuen Rechnungslegungsvorschriften im OR. Mit der RVB wird eine Annäherung an internationale Rechnungslegungsstandards und damit eine Verbesserung der Transparenz erreicht.
Wie stark sind davon die kleineren Banken, insbesondere Regionalbanken, betroffen?
Die Regionalbanken sind von den neuen Rechnungslegungsvorschriften aufgrund ihres weniger komplexen Geschäftsmodells verhältnismässig weniger stark betroffen als andere Bankengruppen. Für die einzelne Regionalbank stellt die Implementierung der RVB aber dennoch einen wesentlichen Initialaufwand dar. Einmal eingeführt, gehen wir bezüglich der RVB indessen nicht von substanziell höherem Aufwand für die Regionalbanken aus.
Welches sind die wichtigsten Änderungen im Vergleich zu den früheren Vorschriften?
Für die Regionalbanken erachten wir die folgenden Änderungen als die wichtigsten:
- Die Gliederung der Erfolgsrechnung und dabei insbesondere die Berücksichtigung der Wertberichtigungen und Verluste aus dem Zinsengeschäft im Zinserfolg.
- Der Ausweis der Wertberichtigungen auf der Aktivseite bzw. der Netto-Ausweis der einzelnen Vermögenspositionen.
- Die strikte Einzelwertberichtigung von Beteiligungen, Sachanlagen und immateriellen Werten anstelle pauschaler Wertberichtigungen.
- Die neuen Vorschriften zur Konsolidierung wesentlicher branchenfremder Beteiligungen.
- Der Wegfall der Pflicht zur Erstellung einer Geldflussrechnung beim statutarischen Einzelabschluss mit «zuverlässiger Darstellung».
- Die umfangreicheren Anforderungen an den neuen Anhang.
- Die Rapportierung wesentlicher Ereignisse nach dem Bilanzstichtag.
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Die auch für kleinere Regionalbanken geltende Pflicht zur Erstellung eines Halbjahresabschlusses.
Die Erstellung eines Halbjahresabschlusses ist künftig zwingend. Wie haben dies die Regionalbanken bisher gehalten?
Die grösseren Regionalbanken mussten schon bisher einen Halbjahresabschluss publizieren. Die Pflicht zur Veröffentlichung eines Halbjahresabschlusses stellt somit nur für einen kleineren Kreis von Banken eine neue Anforderung dar.
Was bedeuten die Prinzipien der «zuverlässigen Darstellung» und des «True-and-fair view» im Gegensatz zu den bisherigen Regeln? Werden so stille Reserven sichtbar gemacht?
Für Institute, welche nicht börsenkotiert sind, stellt das «Prinzip der zuverlässigen Darstellung» eine Minimalanforderung dar. Diese hat zum Ziel, einem Dritten ein zuverlässiges Urteil über die wirtschaftliche Lage der Bank zu ermöglichen. Die Bildung stiller Reserven ist im Einzelabschluss aber nach wie vor erlaubt. Börsenkotierte Banken müssen ihren Abschluss dagegen nach dem Prinzip «True-and-fair view» erstellen, wonach die Bildung stiller Reserven nicht erlaubt ist. Es besteht aber – unter Einhaltung strenger Voraussetzungen – die Möglichkeit, «Reserven für allgemeine Bankrisiken» zu bilden. Diesen steht nicht immer ein wirklich messbares Risiko gegenüber, womit es sich bei diesen Positionen im weiteren Sinne um stille Reserven handeln könnte.
Welchen Effekt auf die Bewertung der Aktientitel von Regionalbanken, insbesondere die ausserbörslich gehandelten Papiere, werden die neuen RVB haben?
Die Informationslage zu ausserbörslich gehandelten Titeln ist vielfach eingeschränkt. Mehr Informationen und eine höhere Transparenz sollten sich deshalb insbesondere bei diesen Titeln positiv auf die Qualität der Preisfindung auswirken. Das heisst, dass die Marktteilnehmer besser informiert Entscheidungen treffen können.
Sind die neuen RVB für den Aktionär von Regionalbank-Titeln rein finanziell betrachtet eher vor- oder nachteilig?
Ob die RVB für den Aktionär finanziell betrachtet vor- oder nachteilig sind, ist schwierig generell zu beurteilen. Misst ein Aktionär den aufgrund der RVB zusätzlich zur Verfügung stehenden Informationen einen höheren Wert zu, als Aufbereitung und Publikation dieser Informationen bankintern an Kosten verursachen, erscheinen die RVB vorteilig. Im umgekehrten Fall erscheinen sie aus finanzieller Sicht eher nachteilig. Wir sind jedoch der Ansicht, dass beispielsweise der Ausweis der Wertberichtigungen und Verluste aus dem Zinsengeschäft im Zinserfolg ökonomisch richtig und dementsprechend zu begrüssen ist. Auch gehen wir davon aus, dass die Aktionäre der kleineren Regionalbanken die höhere Transparenz in Form eines Halbjahresberichtes positiv werten. Demgegenüber ist die Beibehaltung der «Reserven für allgemeine Bankrisiken» aus unserer Sicht der Transparenz nicht zuträglich und entspricht eigentlich einer gewissen «Bevormundung» des Aktionärs in Bezug auf die Gewinnverwendung.
Wie sieht es mit der Vergleichbarkeit der Zahlen gegenüber den Vorjahren aus?
Die Einführung der RVB wird die Vergleichbarkeit mit Vorjahreszahlen für einzelne Finanzkennzahlen zwischenzeitlich, d.h. in der Übergangsphase beeinflussen.
Welche Kennzahlen werden künftig bei der Analyse von Regionalbank-Aktien massgebend sein? Erfolgspositionen wie der Bruttogewinn sind ja in der neuen Gliederung der Erfolgsrechnung nicht mehr enthalten.
Die neue Gliederung ermöglicht beispielsweise eine umfassendere Beurteilung des Zinsengeschäfts dank der ökonomisch richtigen Netto-Betrachtung von Erfolg, Wertberichtigungen und Verlusten aus dem Zinsengeschäft. Anstelle des Bruttogewinns wird wohl neu die Position «Geschäftserfolg», das bisherige Zwischenergebnis, im Fokus stehen. Diese Kennzahl berücksichtigt im Vergleich zum Bruttogewinn auch die Wertberichtigungen und Verluste aus dem Zinsengeschäft, da diese bereits im Zinserfolg enthalten sind, sowie die weiteren Abschreibungen, Wertberichtigungen, Rückstellungen und Verluste. Wir erachten es als begrüssenswert, dass damit eine Kennzahl in den Vordergrund rückt, welche sämtliche ordentlichen Aspekte der Geschäftstätigkeit der Bank berücksichtigt. Allerdings dürfte der Geschäftserfolg höhere Volatilitäten aufweisen als bisher der Bruttogewinn.