Seit über 20 Jahren ist Eugen Perger in verschiedenen Positionen im Schweizer Anlage-Universum aktiv. Seit Mitte 2015 deckt er als Senior Equity Analyst für die unabhängige Research Boutique Research Partners die börsenkotierten Energie- und Versorger-Aktien ab. Mit seinem breiten und tiefen Hintergrund auch in den Rohstoff-Märkten, in der Zyklusforschung und in der Private Equity Industrie verschafft der Ökonom im Interview interessante Einblicke und Ausblicke zu den Energiemärkten und nimmt dezidiert auch zu Wind- und Wasserkraft, dem Ölpreis und Veränderungen bei Angebot und Nachfrage Stellung.
Herr Perger, fangen wir doch mit einer Top-Down Betrachtung an. Die Energie-Aktien haben nun nach langer Talfahrt und Bodenbildung scheinbar das Schlimmste hinter sich. Wo sehen Sie den SIX Utilities Index, der BKW, Romande Energie usw. enthält, in zwei bis drei Jahren, und warum?
Die Energiemärkte finden allmählich zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Das zeigt sich vor allem beim Ölpreis, der richtungsweisend für die ganze Branche ist. Zudem greifen die Massnahmen zur Kostenreduktion, der Aufbau des Dienstleistungsgeschäfts kommt voran, und nicht selten werden auch Investitionen zum Erhalt und Ausbau klassischer Grosskraftwerke eben aufgeschoben. Ein markantes Beispiel hierfür ist der gegenwärtig auf Eis gelegte Ausbau der Kraftwerke rund um den Grimselpass, auch als Grimsel 3 bekannt. Die Kurse der Kotierten dürften bis 2018 zumindest moderat höher stehen. Gegenwärtig empfehlen wir bei Research Partners die Aktien der Romande Energie und der BKW zum Kauf. Trotz bereits fortgeschrittener Kurserholung sehen wir bei diesen beiden Titeln weiteres Kurspotenzial. Ein Grund hierfür ist in beiden Fällen das Vorhandensein eines eigenen Stromnetzes zur Feinverteilung an den Endkunden. Die deutsch-schweizerische Energiedienst und Alpiq bewerten wir mit einem Hold Rating, das heisst, wir rechnen mit einer weiteren Kurserholung, aufgrund unserer Berechnungen jedoch nur noch in einem geringeren Ausmass.
Höhere Kurse sehen Sie vor allem, weil dann der Ölpreis Ihrer Ansicht nach höher sein wird, obwohl ja im Moment die Lager noch übervoll sind?
Zunächst muss man sehen, dass die Lager nur in den USA voll sind, in anderen Teilen der Welt, auch China, ist die Lagerhaltung gar nicht so beeindruckend. China befasst sich immer noch mit dem Aufbau seiner strategischen Ölreserven, was angesichts der rund 25 Millionen jährlich neu zugelassener Kraftfahrzeuge und des dynamisch wachsenden Luftverkehrs ja auch verständlich ist – Pekings neulich eröffneter Stadtflughafen ist mit 90 Millionen Passagieren pro Jahr der zweitgrösste weltweit, aber bereits wieder zu klein geworden.
Ein weiterer Aspekt ist, das einige auch recht grosse Länder, die als Förderländer bekannt sind, wie Indonesien und Brasilien, inzwischen durch Industrialisierung und Fortschritt nicht nur das selbstgeförderte Öl konsumieren sondern sogar Nettoimporteure von Öl sind. Auch die beiden Ölriesen Russland und Saudi-Arabien verbrauchen selber beachtliche Ölmengen, so dass die Grösse „Förderung minus Eigenverbrauch“ konstant ist und in Zukunft gar abnehmend sein könnte.
Schliesslich werden auch zahlreiche grosse produzierende Ölfelder im Lauf der kommenden Jahre erschöpft sein. So sind die Felder im westsibirischen Becken in einer späten Phase ihres Lebenszyklus, was recht hohe Investitionen zur Aufrechterhaltung des aktuellen Produktionsniveaus bedeutet. Ob diese in Russland tatsächlich getätigt werden, bleibt abzuwarten. Auch im Iran und im Irak konnte die Produktion bisher zwar zügig ausgeweitet werden, noch weitere Produktionssteigerungen würden aber sehr viel grössere Investitionen bedeuten.
Bis wann genau rechnen Sie mit einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Rohölmarkt? Und welche konkreten Einflussfaktoren sehen Sie – wie z.B. OPEC und Russland?
Ich denke, dass der Marktausgleich am Ölmarkt innerhalb weniger Monate eintreten wird. Wichtiger Akteur ist Saudi-Arabien, das ist der Swing Producer, welcher als einziger Anbieter die Produktion noch relativ frei hoch- oder wieder hinunterfahren kann. In der Regel erreicht die saudische Produktion im Spätsommer ihr saisonales Maximum, da dann der Eigenverbrauch infolge der enormen Hitze am Golf maximal ist. Die meisten Produzenten sind an ihren Fördergrenzen, auch in Russland kann wegen der überalterten Infrastruktur kaum noch mehr gefördert werden, und der tiefe Ölpreis hat wichtige Investitionen in Förderung und Exploration hinausgezögert. So gilt der Spruch, dass der grösste Feind des tiefen Ölpreises der tiefe Ölpreis selbst ist.
Vielfach wird damit gerechnet, dass ein anziehender Ölpreis einen erneuten Boom bei den amerikanischen Schieferölproduzenten (shale oil) auslösen würde. Ich bin da etwas skeptischer und würde behaupten, dass die Kredite und Investments nicht mehr so reichlich fliessen werden wie während dem letzten Boom.
Kommen wir wieder auf die Schweiz zurück. Es fällt auf, dass eigentlich alle Versorger und Netzbetreiber inzwischen zunehmend im Dienstleistungsbereich aktiv sind und teilweise sogar ein nennenswertes Geschäft aufgebaut haben. Müssten hier nicht die Margen kollabieren, wenn so viel Wettbewerb entbrennt?
In der Konsequenz ja, aber das wird noch dauern. Es ist richtig, dass fast alle Wettbewerber sehr aktiv sind im Auf- und Ausbau des Dienstleistungsbereichs. Noch gibt es aber viele Möglichkeiten, und das Nachfragewachstum ist beachtlich. Die Wettbewerber konzentrieren sich vorerst noch auf die Kernkompetenzen, vor allem innerhalb ihres angestammten geografischen Einzugsgebietes. Für Romande Energie betrifft dies die frankophone Schweiz rund um den Genfer- bis zum Neuenburgersee. Es dürfte aber früher oder später zu Überlappungen kommen.
Auch ist es denkbar, dass die Stromkonzerne sich bei der Übernahme interessanter Dienstleistungsfirmen zunehmend gegenseitig überbieten, etwa bei Offerten für Solaranlagen-Spezialisten oder bei Experten im Bereich der Smart Grid-Technologien. Das würde dann negative Konsequenzen für die Rentabilität mit sich bringen. Gegenwärtig sind wir aber wie gesagt noch nicht so weit.
Damit sind wir bei der Energieeffizienz, die auch laut Energiestrategie 2050 eine kardinale Rolle bei der Energiewende spielen soll. Vielfach bestehen ja die Beratungsaktivitäten darin, Gebäude, Heizung, Lüftung etc. zu optimieren, koppeln, modernisieren. Welches Potenzial sehen Sie für Einsparungen des Energieverbrauchs?
Da sind schon viele sinnvolle Technologien verfügbar, und ich denke, dass die Energieeffizienz weiter gesteigert werden kann und auch wird. Viele industrielle Konsumenten sind heute bereits Prosumer, also Stromkonsumenten und -produzenten zugleich. Man denke etwa an die Solarpanele auf dem Dach der Industriehallen. Viel Potenzial hat auch die Wärmerückgewinnung aus dem warmen Abwasser von Grossküchen, Hotels und dergleichen. Weitere Stichworte sind Smart Grids, Kraft-Wärme-Kopplung, Wärmepumpen usw. Man sollte auch sehen, dass es seine Zeit dauern kann, bis beispielsweise eine PV-Anlage nach der Installation dann an der KUV partizipiert. Zuerst muss für die kostendeckende Einspeisevergütung ein Antrag gestellt werden, dessen Bearbeitung durchaus seine Zeit dauern kann.
Anders gefragt, viele Prognosen gehen von einer Steigerung des Energieverbrauchs in der Schweiz bis 2035 und 2050 aus. Als Gründe werden grössere Wohnräume, mehr elektrische Geräte und die Vernetzung genannt. Wird Ihrer Erachtens der Energieverbrauch per Saldo steigen oder fallen?
Schon seit einigen Jahren ist der primäre Energieverbrauch in der Schweiz leicht rückläufig, absolut und auch auf Pro-Kopf Basis. Das wird sich fortsetzen. Ich sehe technische Effizienzgewinne als die Haupttreiber, man denke etwa an Gebäudeisolation oder den Ersatz der alten Glühbirne durch effizientere Leuchtkörper. Zudem wandern immer noch energieintensive Betriebe aus der Schweiz ab, etwa aus den Bereichen Papier- oder Glasverarbeitung.
Umgekehrt nimmt die Anzahl der Freizeitparks oder Sportanlagen weiter zu, allerdings dürfte sich die dadurch begründete Mehrnachfrage nach Energie und elektrischem Strom doch in Grenzen halten.
Weiter zunehmen dürfte die Nachfrage nach Flugzeugtreibstoff, da junge Leute heute häufiges Reisen, auch nach Übersee, als selbstverständlich betrachten, ganz im Gegensatz zu unserer Elterngeneration. Die Bereitschaft, zum Schutze der Umwelt im düsteren November auf die Reise in die Karibik oder auf die Malediven zu verzichten, dürfte minim sein, trotz gegenteiliger Beteuerungen. Viele Airlines erneuern und bauen ihre Luftflotten aus. Generell ist der Verkehr ein starker Nachfragefaktor, wobei grosse Autos weiter sehr beliebt sind –aber auch die werden ja tendenziell effizienter und sparsamer. Und obwohl die Schweiz ja nicht zuletzt durch Zuwanderung eine weiterhin wachsende Bevölkerungsanzahl aufweist, denke ich, dass der Energieverbrauch in 20 oder 30 Jahren etwas, aber nicht markant niedriger als heute sein wird.
Teil II des ausführlichen Interviews mit Eugen Perger wird am 7. November erscheinen. Freuen Sie sich u.a. auf Einschätzungen und Stellungnahmen zum Energiemix und der Energiestrategie 2050, zu Wind- und Wasserkraft und worauf Investoren besonders Acht geben sollten.