Alles, was es braucht, um eine Übernahmewelle auszulösen, sind willige und solvente Käufer, die oftmals von strategischen Zielsetzungen geleitet sind. Ein anschauliches Beispiel aus dem Jahr 2016 ist die nun nahezu vollständige Konzentration im Bereich Saatgut und Agrochemie – ein Milliardengeschäft. Mit der erfolgten Übernahme der Schweizer Syngenta durch ChemChina und der kurz danach angekündigten Übernahme von Monsanto durch Bayer gibt es nun ein Oligopol, in dessen Händen die Nahrungsmittelversorgung und -sicherheit von weiten Teilen der Welt liegt. Je geringer die Anzahl der Player ist, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass es intensiven Wettbewerb über den Preis gibt. Manche Transaktionen werden daher auch von den zuständigen Behörden wie Monopolkommissionen oder dem Justizministerium verboten, wie etwa im Fall Halliburton und Baker-Hughes, deren geplante Fusion eine wettbewerbswidrige Stellung im Ölservicebereich zur Folge gehabt hätte.
Chinesische Käufer treiben Übernahmeprämien
Aus Anlegersicht sind aber weniger die Käufer als vielmehr die Zielunternehmen interessant. Im Regelfall muss eine nennenswerte Prämie an die Aktionäre des Zielunternehmens gezahlt werden, damit diese sich von ihren Anteilen trennen. Im langjährigen Durchschnitt beträgt die Prämie 33%, in Einzelfällen sehr viel mehr, in manchen Phasen auch weniger wie 2016 mit „nur“ 25% durchschnittlicher Prämie. Treten neue Käuferkreise auf den Plan, wie zuletzt die Chinesen, kann schnell eine beachtliche Dynamik entstehen, indem viel Kapital wenige als attraktiv eingeschätzte Ziele jagt. So lag 2016 das Volumen der chinesischen grenzüberschreitenden Transaktionen mit 135 Mrd. USD schon zur Jahresmitte höher als im Vorjahr 2015 mit insgesamt 111.5 Mrd. USD. Allerdings waren allein 48 Mrd. USD auf die Syngenta-Übernahme entfallen, die grösste jemals von einem chinesischen Unternehmen im Ausland getätigte Übernahme, die ja auch prompt Bayer veranlasste, Monsanto ins Visier zu nehmen.
Expertise bei Übernahmen
Die Aktien der Käufer fallen meistens, weil sie zu viel bezahlen, den Schuldenberg erhöhen und die versprochenen Synergien und Kosteneinsparungen zu oft nicht so schnell oder im beabsichtigten Ausmass eintreten. Im positiven Fall gelingt die Integration, und das vergrösserte Unternehmen steigert die Gewinne schnell und nachhaltig. Dann gewinnt auch die Aktie wieder. Manche Unternehmen wie etwa Nestlé können auch eine lange Geschichte erfolgreich integrierter übernommener Unternehmen vorweisen. Wer diese Kunst beherrscht, wird weniger Zweifel bei den institutionellen Investoren auslösen, was den Aktienkurs oben hält. Nicht selten sind Aktien neben einer Barkomponente und der Schuldenübernahme Teil des Übernahmepreises.
Food-Bereich kommt aufs Radar
Den Startschuss für die Ingangsetzung einer neuen Runde im M&A-Spekulationskarussell im Food-Bereich setzte kurioserweise die Schweizer Publikation „Bilanz“, die Mitte Dezember 2016 über die lange erwarteten, auf Veranlassung von Warren Buffett und Jorge Lemann, dem zweitreichsten Schweizer, Übernahmegespräche von Kraft-Heinz mit Mondelez berichtete. Auch Bloomberg und weitere Fachinformationsdienste beziehen sich in ihrer Berichterstattung darauf, wohingegen die betroffenen Unternehmen keine Kommentare abgeben. Die Mondelez-Aktie zog um rund 5% an, die Börsenbewertung des Herstellers von „Oreo“, dem bekanntesten Cookie der USA, zog auf rund 70 Mrd. USD an. Inzwischen berichteten zahlreiche namhafte Publikationen, dass es nur unfundierte Gerüchte seien, doch die Marktteilnehmer sind davon nicht überzeugt. Der Aktienkurs von Mondelez hält sich oben.
Zu beachten ist, dass hier zusammengefügt werden würde, was zuvor schon ein Unternehmen war. Im Zuge des Demergers von Phillip Morris erwarb Heinz die Kraft-Nahrungsmittel-Sparte. Mondelez (Toblerone, Milka) ist ein weiterer Demerger von Phillip Morris, der bereits einige Sparten veräussert hat. Weitere US-Nahrungsmittelunternehmen, die als Übernahmekandidaten gehandelt werden, sind Hershey Foods, Pinnacle Foods, Campbell Soup und McCormick & Co.
Nestlé ist Trendsetter
Die Schweiz hat mit Nestlé einen der Giganten im Nahrungsmittelsektor zu bieten, der nicht nur die Mittel und die Expertise zur aktiven Konsolidierung des Sektors auf globaler Ebene aufweisen kann, sondern selbst Trends setzt und schon ganze Branchen wachgeküsst hat, wie etwa den Mineralwassersektor, der vor Jahrzehnten noch ganz fragmentiert und verschlafen war. Konfrontiert mit grössenbedingten Grenzen des Wachstums in den angestammten Bereichen, sind höhere Zuwachsraten also nur durch Akquisitionen und Innovationen möglich. Ein Schwerpunkt ist „Health-Food“ inklusive „Functional Food“, eine Verbindung von Notwendigkeit mit Erfordernissen der Gesundheit. Ob Senioren, Allergiker, Übergewichtige oder Mangelernährte: Spezifische Nahrung kann gezielt das Wohlbefinden und die Lebensqualität signifikant verbessern. Das ist ein Wachstumsmarkt, denn Unverträglichkeiten, Allergien, Adipositas und sonstige ernährungsbedingte Krankheiten steigen in nahezu allen G20-Ländern exponentiell.
Schokolade ist Hotspot
Dazu kommen mit Barry Callebaut und Lindt zwei weitere mittelgrosse Player aus der Schweiz, die ihre schon gute Positionierung durch Akquisitionen noch ausbauen könnten. Auch hier sind Mittel und Expertise ausreichend vorhanden. Gerade der Schokoladenmarkt ist „in“, denn es hat sich herumgesprochen, dass hochwertige Schokolade entscheidend zur Gesundheit beitragen kann, u.a., indem sie den Herzschutz durch Phenole steigert. Der Pro-Kopf Verbrauch zieht nicht nur in den klassischen Schokoladekonsummärkten wie Italien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz an, sondern auch in den zahlreichen Ländern wie China und Indien, die nun eine kaufkräftige Mittelklasse aufweisen. Man sollte nicht vergessen, dass Schokolade bei den meso-amerikanischen Hochkulturen ein „heiliges“ Getränk war, das nur den Göttern selbst und den Priestern und Herrschern vorbehalten war. Die ersten Schokoladenausschänke in Europa waren dagegen eine luxuriöse Extravaganz, die nur den Aristokraten und Kaufleuten zugänglich waren.
Zwar könnten Lindt und Barry Callebaut auch selbst Ziele von Übernahmeversuchen werden, doch ist fraglich, ob die Kernaktionäre auch verkaufswillig wären. Wahrscheinlicher ist, dass die Schweizer Player selbst aktiv werden, solange die Preise noch nicht durch Spekulanten in die Höhe getrieben wurden. Auch ausländische Player könnten in der Schweiz zur Abrundung ihrer internationalen Aktivitäten fündig werden. Wer könnte ein attraktives Ziel sein?
Targets an der SIX
Nach Ausschluss aller als wenig attraktiv scheinenden Segmente wie Brauereien oder Gesellschaften, die mehrheitlich im Besitz von Verbänden und Genossenschaften sind, stechen unter den an der SIX kotierten Werten vor allem zwei Titel heraus: Hochdorf und Hügli.
Hochdorf auf dem Weg zum internationalen Premium-Anbieter
Hochdorf wächst seit geraumer Zeit in forschem Tempo und erreicht dies durch Konzentration auf die Kernkompetenzen: Babynahrung aus Milchingredienzen und pflanzlichen Ölen, Senioren-Nahrung, dazu Schokolade und eine weltweite Präsenz. Die Marke, die etablierten Distributionskanäle bis hin in afrikanische Dörfer sowie die profitable Entwicklung haben aus dem 1895 gegründeten Spezialisten ein hoch angesehenes Unternehmen werden lassen, das an der Börse nun mit 444 Mio. CHF bewertet wird. 79 von 100 Säuglingen kommen in Asien und Afrika zur Welt, was die Hochdorf-Strategie in einem Satz untermauert. Der Börsengang an die SIX war 2011 erfolgt, 2016 hat sich der Kurs fast verdoppelt. Doch die Bewertungskennziffern zeigen keine krasse Überbewertung an. Das Kurs/Umsatz-Verhältnis liegt bei 0,82x, das historische Kurs/Gewinn-Verhältnis bei 26x. Die eben erfolgte Übernahme von Pharmalys mit den bekannten Marken „Swisslac“ und „Primalac“ mit 40 Abnehmerländern, darunter China, forciert die Transformation des Unternehmens, dessen Ziel es ist, bis 2020 ein internationaler Premium-Anbieter zu sein. Bedenkt man, dass Hochdorf so langfristig hohe Zuwachsraten erzielen wird, dürfte das Unternehmen bereits auf diversen Target-Listen zu finden sein. Die Prämie könnte signifikant ausfallen, da Marken und privilegierter Zugang zu den Märkten eine strategische Prämie erfordern. 62% der Aktien befinden sich in Streubesitz, die bekannten Pakete bewegen sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich.
Hügli – durch Fokussierung auf Reformkost zum Erfolg
Eine weitere typisch Schweizer Erfolgsgeschichte ist Hügli. Als der jetzige 64,2%-Aktionär Alexander Stoffel 1956 die Geschicke des Familienunternehmens zu leiten begann, lag der Jahresumsatz bei 1 Mio. CHF. Zuletzt belief er sich auf 378 Mio. CHF. Die konsequente Ausrichtung auf natürliche Zutaten für die Trockenmischprodukte der Marken Erntedank, Cenovis, Eden und granoVita für Reformhäuser, Vegetarier und Veganer hat Trends vorweggenommen, denen heute viele Branchenvertreter hinterherlaufen. Ein industrie-logisch denkender Käufer könnte Know-how, Marken und Distributionskanäle von Hügli für eigene Produktlinien nutzen, damit Skaleneffekte erzielen und umgekehrt die Hügli-Marken über die eigenen Distributionsschienen in Ländern vermarkten, in denen Hügli bisher nicht präsent ist. Die Fokussierung auf unverfälschte Bestandteile und Reformkost sowie Vegetarier und Veganer könnte in einem grösseren Unternehmen mehr Kunden finden und so von den Trends ausserhalb der zunehmend gesättigten Kernmärkte von Hügli profitieren. Für solche Argumente könnte der Hauptaktionär zugänglich sein, vorausgesetzt, der Preis stimmt. Aktuell wird Hügli mit einem Kurs/Umsatz-Verhältnis von 0,57x und einem historischen Kurs/Gewinn-Verhältnis von 15x bewertet, bestimmt keine Überbewertung.
Targets im ausserbörslichen Bereich
Auch im OTC-X Markt der Berner Kantonalbank (BEKB) sind bei genauer Analyse zwei Perlen zu entdecken, die das „gewisse Etwas“ haben: Patiswiss und Thurella. Die Bewertungen sind überschaubar. Die Gesellschaften sind in ihren Bereichen innovativ und haben jeweils Trends mitgeprägt, die heute allgemein als attraktiv und wachstumsträchtig eingestuft werden. Zudem hat der OTC-X gerade im vergangenen Jahr eine unerwartet hohe Anzahl an Unternehmenstransaktionen, grossen Paketkäufen und Kapitalerhöhungen erlebt. Die Aufmerksamkeit für den ausserbörslichen Aktienmarkt hat jedenfalls beträchtlich zugenommen, was über kurz oder lang auch zur Entdeckung weiterer Perlen führen wird.
Patiswiss – Qualität als Konzept
Patiswiss ist aus der Einkaufsgenossenschaft der Confiseure entstanden und ist vielleicht kein Haushaltsname, da keine eigenen Markenprodukte hergestellt werden. Der Charme liegt im privilegierten Zugang zu Bäckern und Confiseuren sowie Gewerbe und Industrie. Diese werden mit Krokant, Couverturen, Mandelmassen etc. beliefert. Patiswiss ist Vorreiter bei der Verwendung frischer und hochwertiger Rohstoffe und verzichtet seit langem ganz auf die Verwendung von Palmöl zum Schutz der Regenwälder. Solche Qualitätsmerkmale werden von den Konsumenten gesucht. Wachstumspotenziale liegen in Generalimportvereinbarungen für Premiumprodukte wie die österreichische Darbo Marmelade und in der Steigerung der bescheidenen Exportquote von 4.6%. Mit einem Unternehmenswert von gerade 10.3 Mio. CHF ist Patiswiss für Barry Callebaud oder andere Käufer nicht mehr als ein Appetithappen, der jedoch die eigenen Aktivitäten mit wichtigen Bindegliedern versehen kann, so dass eine Akquisition sehr schnell echten Mehrwert bringt. Dabei wird dann auch ein wirklich guter Preis den Käufer nicht überfordern. Es wird ein strategischer Preis sein, wenn es denn zu einem Angebot kommen sollte.
Thurella – mit „Biotta“ der Newcomer unter den Marken
Mit der Marke „Biotta“ hat Thurella eine beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben. Fast 30% aller Schweizer kennen die Marke, was für einen relativen Newcomer eine herausragende Marketingstrategie bescheinigt. Mit Smoothies und diversen natürlichen Trendgetränken hat Thurella den Zeitgeist früh und richtig erfasst, was sich in hoher Bekanntheit und einer wachsenden Fangemeinde manifestierte. Nachhaltiges Wachstum lässt sich angesichts des kleinen Heimatmarktes nur im Export erzielen. Für einen der grossen Getränkekonzerne ist Thurella ein Innovationstreiber, der über die weitverzweigten Distributionsnetze und mit der Marketing-Power eines Multis ganz andere Expansionsmöglichkeiten hätte. Aktuell ist Thurella mit 48.5 Mio. CHF bewertet. Das KGV liegt mit 18x unterhalb des roten Bereichs.
Fazit
Vieles weist auf eine Belebung des internationalen M&A-Marktes hin. Eine der bevorzugten Branchen könnte Nahrungsmittel und Getränke sein. Die richtigen Zielgesellschaften müssen für die Käufer, die grossen internationalen Konzerne, echten Mehrwert bringen, also Innovationen, neue Produkte, Distributionsnetze und vor allem Wachstumspotenziale. Zudem sollten die Zielgesellschaften trendy sein, Marken gebildet haben und in Bereichen aktiv sein, die mit der strategischen Ausrichtung der Käufer übereinstimmen. Das Gute an Hochdorf, Hügli, Patiswiss und Thurella ist, dass die Aktien eine gute Anlage in profitable und wachsende Unternehmen darstellen und somit wenig spekulativ sind. Sollte es zu Übernahmeaktivitäten kommen, oder auch nur zu Gerüchten, so würde sich der erwartete Kursgewinn einfach nur sehr viel schneller einstellen. 2017 könnte sich die Übernahmearena bei Food & Beverage jedenfalls schnell beleben, das liegt in der Luft.