Macro Perspective: Nach dem Trump-Spuk – Macron oder die Nemesis

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Macron – das (einzige) Licht der Vernunft im dunklen Zeitalter. Quelle: gala.fr
Emmanuel Macron – das (einzige) Licht der Vernunft im dunklen Zeitalter. Quelle: gala.fr

„Die Hetzmasse bildet sich im Hinblick auf ein rasch erreichbares Ziel. Es ist ihr bekannt und genau bezeichnet, es ist auch nah. Sie ist aufs Töten aus, und sie weiss, wen sie töten will.“ Elias Canetti, 1905-1994, Philosoph, Literatur Nobelpreisträger, aus „Masse und Macht“

Auch wenn es nur nach einem weiteren Rücktritt aussieht, das Ausscheiden von National Security Advisor Michael Flynn am 13. Februar, nach kaum drei Wochen im Amt, trifft die Trump-Administration bis ins Mark. Der Ex-General Flynn war der Architekt der neuen Russland-Beziehungen und stolperte schon jetzt über Lügen. Doch erst, als die Story über gesetzeswidrige Absprachen mit den Russen in der Washington Post publiziert wurde, feuerte Trump den General! Die amerikanische Öffentlichkeit und die Medien sind erbost. Das russophobe alte Establishment ist wieder im Aufwind. Wichtige Kongressmitglieder und das mächtige House Intelligence Committee fordern eine Untersuchung. Jetzt geht es um den Kopf von Trump selbst.

Unberechenbarkeit kann von Vorteil sein – im Krieg und in der Liebe. Mit Sicherheit aber nicht an der Spitze der Supermacht USA, der tragenden Säule der Weltordnung nach 1945. Doch Trump ist schon nach wenigen Wochen zum grössten Unsicherheitsfaktor der Welt geworden, zur „Axt im Walde“. Dies betrifft nicht nur die NATO, welche gemäss Trump zuerst „obsolet“ war, dann aber wieder auf „die feste Unterstützung Amerikas zählen kann“. Die Verunsicherung betrifft in erster Linie die USA selbst. Haben der Präsident und seine Berater vor der Vereidigung gegen den Logan Act verstossen? Dieser verbietet Privatpersonen kategorisch Absprachen mit fremden Regierungen, wie sie jetzt scheinbar doch getroffen worden sind.

Die vierte Gewalt wird aktiv!

Die Medien, allen voran die Washington Post und die New York Times, haben den Stein ins Rollen gebracht, wie es aussieht mit Hilfe von FBI und NSA. Diese vier Adressen nimmt Trump am 15. Februar in seinen Tweets ins Visier: „Der wirkliche Skandal ist, dass klassifizierte Informationen durch die Intelligence wie Süssigkeiten verteilt werden.“ Und weiter: „Informationen werden illegal an die scheiternde Washington Post und New York Times von der Intelligence Gemeinde gegeben. Wie in Russland.“

Geheimdienste trauen Trump nicht

Am 16. Februar schiessen die Ermittlungsbehörden über das Wall Street Journal zurück. Sie würden „sensible Informationen“ wegen Bedenken über mögliche Informationslecks vom Präsidenten fernhalten. Vor allem sind die Dienste über die offenen Fragen zu möglichen Verbindungen zwischen dem Trump-Umfeld und Russland besorgt. Insbesondere zögern die Agenturen, Einblicke in „Quellen und Methoden“ der Informationsbeschaffung zu gewähren. Damit hat sich bewahrheitet, was bereits in der „TrumPutin“-Macro Perspective im November vermutet wurde: „Schwer vorstellbar, dass das amerikanische Militär und die allmächtigen Geheimdienste damit einverstanden sind, dass amerikanische Interessen und Einflusssphären nun den Russen überlassen werden sollen.“

Informationslecks in der Kritik

Ebenfalls am 16. Februar fordern in einem offenen Brief an die Medien zwei republikanische Mitglieder des House Oversight and Government Reform Committees das Department of Justice auf, eine Untersuchung zu möglichen Informationslecks bei den Ermittlungsbehörden sowie den davon gesetzlich getrennten Nachrichtendiensten durchzuführen.

Das Flynn-Domino in Nah-Ost

Im Nahen Osten wird die Entlassung Flynns die grössten Auswirkungen haben. Dort haben sich die geopolitischen Realitäten während der letzten Monate dynamisch und dramatisch verändert. Der wichtigste Faktor war die Annäherung Trump-Putin, die im wesentlichen von Flynn betrieben worden war. Der Deal war, dass die Supermächte USA und Russland gemeinsam die fundamentalistische Terrorplage „vom Angesicht der Erde tilgen“, wie sich Trump ausdrückte. Hierzu wurde eine breite Allianz mit Saudi-Arabien, der Türkei, Ägypten und Jordanien gebildet, allesamt im sunnitischen Lager. Die Israel-Politik ist ein weiteres Desaster. Beim aktuellen Treffen mit Präsident Netanyahu hat Trump Jahrzehnte amerikanischer Politik beider Parteien mit einem Satz ausradiert. Im Yemen verläuft eine weitere Front. Der, mit amerikanischen Waffen von Saudi-Arabien und Söldnern, geführte Vernichtungskrieg gegen die Houthis zeigt alle Züge eines Völkermords, der jedoch in den Massenmedien weitgehend ignoriert wird. Die Intendanten und Verleger trifft durch ihre gefällige Selbstzensur die gleiche Mitschuld wie vor hundert Jahren beim Genozid an den Armeniern.

Russlands doppeltes Spiel mit dem Iran

Der letzte Akt von Ex-Präsident Obama war, die Erfolge seiner Politik der Normalisierung mit dem Iran durch diverse Massnahmen zu befestigen, denn Trump hatte schon im Vorfeld angekündigt, den Iran-Deal von Obama rückgängig zu machen. Mit der Annäherung zwischen Russland und den USA wurde die Allianz Russland-Iran-Assad-Hisbollah, die in den Vormonaten immerhin erstmals nennenswerte Erfolge zur Beendigung der ausufernden Kriegssituation in Syrien und Irak erzielte, für Trump und Flynn zum Angelpunkt. Die Amerikaner forderten als Voraussetzung für das gemeinsame Vorgehen, dass der Iran und seine Verbündeten durch Russland in eine marginale Position ohne wirkliche Bedeutung geschoben werden, was dann durch entsprechende Schritte durch das russische Oberkommando auch erfolgte.

Michael Flynn. Quelle: vox.com
Michael Flynn. Quelle: vox.com

Köpfe rollen

Diese und andere Absprachen sollen zwischen dem Russland-Freund Flynn und dem russischen Botschafter in Washington getroffen worden sein. Doch von Vize-Präsident Price danach befragt, log Flynn, was nun zur Entlassung führte. Schon Obama hatte Flynn als Chef einer Sicherheitsinstitution entlassen. Es ist und dürfte vorläufig wohl unklar bleiben, welche Rolle Präsident Trump konkret in der Flynn-Affäre gespielt hat. Belogener, Lügner, beides? Schwer vorstellbar, dass der Machtpolitiker Trump bei Schritten und Absprachen von solcher Tragweite nicht informiert oder sogar der Auftraggeber war. Jetzt wird es zu dem Flynn-Skandal wohl eine Untersuchung geben. Was wusste Obama von den Kontakten zwischen Flynn und dem russischen Botschafter? Und wie agierten FBI und Geheimdienste in der Angelegenheit?

Untersuchungen von Kongress und Senat

Damit sind all die kritischen Punkte, die Trump und sein irgendwie seltsames Verhältnis zu Russland betreffen, wieder ganz oben auf der Agenda. Dass die Wahlen beeinflusst worden sind, dass es Absprachen gegeben habe, dass es um Geschäftinteressen geht etc. So will der Abgeordnete Adam Schiff, der Top-Demokrat im achtköpfigen Intelligence Committee, ganz genau wissen, wer, wann, wie oft und wie, ob verschlüsselt oder nicht, Kontakt zu Russen hatte. Die New York Times berichtete über zahlreiche Kontakte. Auch der Senat will eine eigene Untersuchung auf den Weg bringen. Das ist schon eine ganze Reihe von Untersuchungen.

Deutsche Bank und Trump – eine delikate Beziehung

Die Deutsche Bank, so wurde bekannt, ist einer der grösseren Kreditgeber an Trump und sein Umfeld. Eine Untersuchung der Bank, ob die Kredite durch Garantien aus Russland gedeckt waren, kommt zu dem Ergebnis, dass alles einwandfrei war. Doch nach den zahlreichen Rechtsbrüchen und Strafzahlungen ist die Glaubwürdigkeit nicht mehr sehr hoch. Nun soll eine externe Prüfung der Frage nachgehen. 2008 hatten sich Trump und die Deutsche Bank bereits wechselseitig verklagt, was einen höchst bizarren Verlauf nahm.

Noch ein Kopf

Auch am 16. Februar zog der von Trump nominierte Arbeitsminister Andrew Puzder seine Kandidatur zurück. Der Widerstand der Arbeiter und Gewerkschaften begann gleich am Tag der kontroversen Nominierung. Puzder war bekannt für Sexismus, Rassismus, das Aushebeln der Arbeiterrechte usw. – eine Zumutung für die Gesellschaft. Die folgende Pressekonferenz war ebenfalls bizarr und von höchst irregulären Attacken gegen die Medienvertreter gekennzeichnet. Immer noch ist die Hälfte der Kabinettsposten nicht besetzt oder durch den Kongress bestätigt. Das gab es noch nie. Doch Trumps „Alternative Fakten“ sind, dass, wie er bei der Pressekonferenz am 16. Februar sagte, die „Regierung wie eine feingetunte Maschine funktioniert.“

Gates vs. Trump

Zu der Puzder-Affäre passt, dass Trump sofort nach Amtsantritt das „global gag rule“ in Kraft gesetzt hat. Damit werden Finanzierungen und Zuschüsse an NGOs in Entwicklungsländern gestoppt, die im Rahmen von Beratung zu Familienplanung und Frauengesundheit Abtreibungen durchführen oder medizinisch betreuen. Die Bill&Melinda-Gates-Stiftung hat die Gesundheit von Kindern in Entwicklungsländern zum Ziel und bringt jetzt ihre Sorge über die Konsequenzen für Millionen Frauen und Kinder in einem Progress Report an den grossen Stifter Warren Buffett zum Ausdruck. Das Ganze ist ein Politikum.

Frauen vs. Trump

Die Frauen haben von Anfang an verstanden, dass es Zeit ist, für den Erhalt der mühsam errungenen Rechte gegen revisionistische Tendenzen zu kämpfen. Am 21. Januar marschierten über eine halbe Million in Washington und 5 Millionen weltweit. Es waren zahlenmässig die grössten Protestdemonstrationen in den USA seit den Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen in den 60er- und 70er- Jahren. Die Organisatorinnen nutzen das Momentum und planen nun einen eintägigen Streik am 8. März, um zu zeigen, wie ein Tag ohne Frauen aussehen wird. Davon inspiriert planen Immigrantenorganisationen einen „Tag ohne Immigranten“, um mit diesem Streik zu zeigen, was dann nicht funktioniert.

Millennials vs. Trump

Was bisher kaum erwähnt wurde, aber wahr ist, ist, dass Trump mit 70 Jahren der älteste amerikanische Präsident der Geschichte zum Zeitpunkt seines Amtsantritts ist. Das erklärt auch seine Geisteshaltung, die Leugnung des durch den Menschen verursachten Klimawandels, die Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass Studenten mehr als 1’400 Mrd. USD Schulden haben und damit eine schlechte Ausgangsbasis, dass er hauptsächlich von alten Wählern gewählt wurde u.v.m. Doch mehr als jede Generation vor ihnen sind die Millennials (18-35) weitgehend liberal, Hautfarbe und sexuelle Orientierung sind für sie kaum ein Thema, die Erderwärmung und Umweltverschmutzung aber schon. Laut einer aktuellen Umfrage favorisieren nur 19% fossile Energieträger gegenüber erneuerbaren Energien. Sie waren die grössten Fans von Bernie Sanders, dem sozialistischen Kandidaten der Demokraten. Sie wollen einen Wandel, aber in die andere Richtung. Mehr gleiche Chancen, mehr sharing-economy, mehr Klimaschutz. Die Millennials könnten schon bei der nächsten Wahl den politischen Generationenkonflikt, der bislang kaum thematisiert wurde, für sich entscheiden.

Die ausstehenden Kredite an Studenten sind über die letzten Jahre stark gewachsen. Quelle: fred.stlouisfed.org
Die ausstehenden Kredite an Studenten sind über die letzten Jahre stark gewachsen. Quelle: fred.stlouisfed.org

Russlands geschwächte Wirtschaft

In Russland war Trump die Person, über die im Januar am meisten geschrieben und gesprochen wurde, wie auch im Westen, könnte man sagen. Der Unterschied ist, dass in Russland seit Jahren niemand jemals zu solcher Prominenz aufgestiegen ist und den üblichen Rangersten Putin überflügelte. Grosse Hoffnungen auf eine Normalisierung der Beziehungen und damit neuen Wohlstand kamen darin zum Ausdruck, denn das Leben für den normalen Russen ist schwierig geworden. Subventionen und Transferleistungen sind gekürzt, die Wirtschaft kämpft, und die Nachfrage schwächelt. Die Wechselbäder haben jetzt jedoch zu einer differenzierteren Betrachtung geführt.

Social Bots manipulieren Wahlen

Das globale Geschehen muss im Zusammenhang gesehen werden, denn jetzt ist Frankreich mit der nächsten anstehenden Richtungswahl im Zentrum. Wie schon bei Trump tragen die Medien ganz erheblich mit ihrem Priming – die immer gleichen Bilder von Flüchtlingen, Terror und Gewalt – zum Aufstieg der nationalen Sozialisten, wie sich Marine Le Pen selbst bezeichnet, bei. So war es auch Anfang der 30er-Jahre in Deutschland. Was jedoch neu ist, ist die beträchtliche finanzielle Unterstützung für die extreme Rechte durch Russland. Und was noch neuer ist, ist, dass die Hasstiraden, Mordaufforderungen und Hetzpropaganda in den sogenannten sozialen Netzwerken wie Facebook zum grossen Teil gar nicht von Menschen stammen, sondern von sogenannten Social Bots – intelligenten Robotern. Das fanden Forschungen diverser Universitäten heraus. Und am verblüffendsten ist, dass mehr als die Hälfte der Social Bots, die in Deutschland hyperaktiv sind, in den USA stehen und dieselben sind, die auch Trumps Wahlkampf digital ausfochten.

Geert Wilders und Marine Le Pen. Quelle: krone.at
Marine Le Pen und Geert Wilders. Quelle: krone.at

Macron – das (einzige) Licht der Vernunft im dunklen Zeitalter

In Frankreich nehmen die Hackerattacken und Verleumdungskampagnen gegen Emmanuel Macron, den unabhängigen Präsidentschaftskandidaten, dramatisch zu, weil er jeden Tag Prozentpunkte bei den Umfragen gewinnt. Macron, 39 Jahre alt, ist Philosoph und Investmentbanker und weist mehr Intelligenz auf als alle Wettbewerber zusammen. Nachdem der Kandidat der Konservativen, Fillion, über Skandale gestolpert ist, hat Macron beste Chancen, in die zweite und entscheidende Runde der Wahlen zu kommen. Sein Auftreten ist frisch, unverbraucht und unverkrampft. Mit seiner sympathischen Art erreicht er die Franzosen und konterkariert das Elite-Image, das seine Gegner gerne überbetonen. Und er ist bekennender Europäer und Demokrat. Für die Internationale der Autokraten ist Macron eine Existenzbedrohung, weil er Charisma hat, eine politische Vision und ein geschickter Stratege ist. Fällt Frankreich an Le Pen, kommt der Frexit und damit unwiderruflich das Ende der EU. Das will Putin, denn es ist einfacher, mit einem fragmentierten Europa zurechtzukommen und dieses zu dominieren als mit einem Euro-Block. Daher die Unterstützung für Nationalisten und Populisten wie Orban, Le Pen, Wilders. Strategisch klug – aus russischer Sicht!

Macron oder die Nemesis

Macron ist die Antithese hierzu – die offene Gesellschaft mit liberalen Werten, dennoch sozial verantwortlich und mit Sinn fürs Ökonomische. Er kann den Franzosen klar machen, dass Le Pen keine Alternative sein kann, denn die Rechtsextremen haben keinerlei tragfähiges Wirtschaftskonzept und würden Frankreich schnell in die völlige ökonomische Bedeutungslosigkeit stürzen. Eine neue Nemesis für Europa.

Die Wahlen in Frankreich stellen einen vorläufigen Höhepunkt im Spannungsbogen der geopolitischen Ereignisse dar. Zu beachten ist die Cyber-Komponente – Hacking, Desinformation, Social Bots. Und wie diese unregulierten Aktivitäten gezielt für antidemokratische Umtriebe eingesetzt werden. Das ist Angela Merkel, die dieses Jahr im Herbst zum vierten Mal Kanzlerin werden will, klar. Der Domino-Effekt einer Präsidentin Le Pen hätte weitreichende Auswirkungen auf Europa und die ganze Welt. Angesichts der hohen Bewertungen an den Aktienmärkten sind diese extrem anfällig für Verwerfungen. Da Psychologie und Liquidität schon (künstlich) seit langem dauerhaft auf positiv gestellt sind, kann die Gegenbewegung der beiden Faktoren nur negativ sein. Vorsicht ist angebracht.

Canetti sagt: „Es gehört zu der Fluchtmasse, dass alles flieht, alles wird mitgezogen. Die Gefahr, von der man bedroht wird, ist für alle dieselbe. … Solange man beisammen ist, empfindet man die Gefahr als verteilt. Es besteht die uralte Vorstellung, dass die Gefahr an einer Stelle zupacken wird. Während der Feind einen ergreift, können die anderen indessen alle entkommen. … ist es undenkbar, dass die Gefahr alle zugleich attackiert. Unter so vielen nimmt keiner an, dass er das Opfer ist.“

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