Was für einen Unterschied einige Wochen doch machen können – von der Crypto-Manie und Bitcoin zu 20’000 USD ganz schnell und sehr tief ins Tal der Tränen! Es war wie aus dem Bilderbuch: ein zuletzt vertikaler Anstieg und Millionen neuer Käufer bei Preisen, die sich schon im letzten Jahr verzehn- und verzwanzigfacht hatten. Es musste einfach so kommen – ein Crash auf Raten. Plötzlich ist es auch in den Finanz- und Massenmedien ganz ruhig um Bitcoin & Co geworden …
Wo sind jetzt die Experten, die noch vor kurzem Bitcoin-Preisziele von 50’000 USD, 200’000 USD und sogar 1 Mio. USD ausgegeben haben? War es das wert – Millionen von unbedarften Kleinanlegern in das Ponzi-System zu locken, um selbst besser verkaufen zu können und einmal in der Fachpresse als Prophet der „Neuen Zeit“ zitiert zu werden? Oder handelt es sich um ein Phänomen der Massenpsychose, bei der das Grosshirn des Einzelnen ausgeschaltet und dessen Funktionen in einer quasi religiösen Crypto-Inbrunst vom Limbischen System, dem Saurierteil des Gehirns, übernommen werden?
Dimon-Prognose erfüllt sich
Bezeichnend ist jedenfalls, dass diejenigen, die explizit vor der Crypto-Spekulationsblase gewarnt haben, wie der CEO von JP Morgan, Jamie Dimon, einer beispiellosen öffentlichen Häme, Spott und Anfeindungen ausgesetzt waren. Und, in der Tat, die negative Dimon-Prognose sah ziemlich dämlich aus, solange der vertikale Preisanstieg Ende 2017 anhielt. Doch Dimon ist nicht CEO der grössten kapitalmarktrelevanten Bank der Welt, weil er nett ist und sein Fähnchen in den Wind hält, sondern, weil er ein Stratege ist, der auch vom Ende her denken kann. Und weil er einen Wissensvorsprung hat und sogar die Zukunft von Blockchain und Crypto-Technologie entscheidend mitprägt. Er ist immer noch CEO, aber die Crypto-Akteure weinen, klagen oder verdrängen, denn viele haben noch gar nicht realisiert, dass nach Verlusten von 70% in weniger als vier Wochen die Zukunft nun nicht mehr ist, was sie zu sein schien.
EY: 10% der Tokenerträge verschwunden!
Ebenfalls bezeichnend ist die hohe Anzahl von Schwindlern und Betrügern im Umfeld der Crypto-Currencies und der darauf basierenden ICOs. In einer gründlichen im Januar veröffentlichten Untersuchung kommt Ernst & Young (EY) u.a. zu der Erkenntnis, dass 10% der Erträge aus Token Sales (ICOs) gestohlen wurden. Insgesamt beziffert EY die via Token Sales eingeworbenen Mittel auf bislang 4 Mrd. USD – wovon 400 Mio. USD wahrscheinlich uneinbringliche Verluste durch kriminelle Aktivitäten darstellen. Das ist inakzeptabel. Vielsagend ist auch, wie sich die ICO-Euphorie Monat für Monat zum Ende des Jahres 2017 hin reduziert.
Regierungen und Regulatoren wachen auf
Und so erklärt sich auch die plötzlich hektische und auch laute Aktivität aufseiten der Regierungen mit dem nun ins öffentliche Bewusstsein getretenen Schutz des (Klein-)Anlegers und des Finanzsystems. China, Südkorea, Russland, Indien – die Liste der Länder, die Crypto-Exchanges, Crypto-Currencies und ICOs streng reglementieren oder verbieten, wird länger. Sogar Japan, das Hochtechnologieland schlechthin, hat nach dem Diebstahl von 530 Mio. USD in Crypto-Currencies vom Handelsplatz Coincheck durchgegriffen und den physischen Ort, an dem virtuelle Werte gehandelt werden, inspiziert. Coincheck hat sich auch sehr schnell bereit erklärt, die geschädigten 260’000 Kunden mit 400 Mio. USD zu entschädigen.
Blaupause für regulatorischen Crack-Down
Der Ex-CEO einer mittlerweile geschlossenen chinesischen Crypto-Exchange listet genau auf, wie die chinesische Regierung den Markt praktisch geschlossen hat: strikte Regulierung oder Verbot der Crypto-Handelsplätze, Verbot von ICOs, Nachweis der Herkunft der Gelder, dazu Beschränkung der Transfersummen und Besteuerung. Und das ist jetzt sozusagen die Blaupause für die Regierungen in aller Welt. Um die bisherige Lethargie auf Gesetzgebungsebene zu überwinden, sind zwischenzeitlich täglich Stimmen von Zentralbankern zu hören.
BIZ über Bitcoin: Spekulationsblase, Ponzi-Schema, Umweltdesaster!
Zuletzt hat jetzt auch die Basler BIZ als übergeordnete Instanz ausgesprochen deutliche Worte gefunden. Der General Manager Agustin Carstens sagt, dass Crypto-Currencies wie der Bitcoin: „eine Kombination aus Spekulationsblase, Ponzi-Schema und Umweltdesaster geworden sind“. Die Zentralbanken müssten zur Abwehr der Risiken bereit sein zu intervenieren! Deutlicher geht es nicht.
Blockchain-Revolution – nicht kurzfristig!
Aber auch die Zwischentöne bei Carstens verdienen Aufmerksamkeit: Zentralbankexperimente würden zeigen, dass die Technologie hinter Bitcoin (d.h. Blockchain) sehr teuer in der Anwendung und auch langsamer und deutlich weniger effizient im Betrieb sei als konventionelle Zahlungs- und Settlement-Systeme! Daraus lässt sich schliessen, dass dem ganzen Blockchain-Hype zum Trotz kurz- und mittelfristig keine breiten industriellen Anwendungsinitiativen zu erwarten sind, insbesondere nicht in der Finanzindustrie. Und Bitcoin ist soweit die einzige wirkliche Anwendung der Blockchain-Technologie, 10 Jahre nach ihrer Invention. Trotz der vielen Vergleiche mit dem Siegeszug des World Wide Web ist es nicht schwer zu sehen, warum der Vergleich hinkt. Damals lagen mit HTML etc. praktisch vom Start weg universelle akzeptierte Protokolle vor, was bei Blockchain eben genau nicht der Fall ist.
US-Senatoren in Sorge
Am Dienstag, 6. Februar, gab es in den USA eine Senatsanhörung, zu der Vertreter von CFTC und SEC, den Aufsichtsbehörden für Wertpapier- und Futures-Börsen, geladen waren. Die Senatoren sind beunruhigt über die Möglichkeiten der Manipulation bei den Crypto-Currencies und verlangen strengere Kontrollen. Gleichzeitig scheint es aber auch einen breiten Konsens darüber zu geben, dass die Amerikaner das Recht haben, Crypto-Currencies und Token zu besitzen und nutzen. Was sich aus den Antworten herauslesen lässt, ist, dass ein politischer Ansatz gesucht wird, der „verantwortliche Innovation“ im Crypto-Universum fördert.
Totgesagte leben länger
Das Ende von Bitcoin & Co steht nicht an. Die erste und älteste Cyber-Währung hat schon zahlreiche Krisen überstanden und bislang stets neue Hochs erreicht. Totgesagte leben länger! Und obwohl nicht sicher ist, dass die aktuelle Trendwende von unter 6’000 USD auf nahe 8’000 USD je Bitcoin nachhaltig sein wird: Nach einem Preisrückgang um 70% ist definitiv der grösste Teil der Korrektur gelaufen. Vorsicht ist dennoch angebracht, denn auch nach 70% Korrektur kann es unabhängig vom Einstiegspreis immer noch zu weiteren 70% Verlust kommen, und dann nochmals.
Millennials und Bitcoin – eine emotionale Beziehung
Dagegen spricht, dass insbesondere die Millennials eine starke emotionale Beziehung zu Bitcoin entwickelt haben. Untersuchungen zeigen, dass es tiefe Spuren hinterlassen hat, was die Kinder und Jugendlichen nach der Finanzkrise 2008 erlebt haben: Entlassung der Eltern, Verlust des Lebensstandards, Räumung, zerbrochene Familien usw. In der Erinnerung machen die nun Erwachsenen die Börse, die Banken und das Finanzsystem dafür verantwortlich und haben deshalb meist ein gestörtes Verhältnis zu Aktien und herkömmlichen Anlageformen. Der Bitcoin dagegen ist unbelastet, da er erst 2009 entstand und im Bild der Millennials einen Anti-Wert ausserhalb des etablierten Systems repräsentiert. Das ist durchaus nachvollziehbar und ist auch nicht so verschieden von historischen Erfahrungen nach der Wall Street Baisse 1929, die zur Weltwirtschaftskrise führte oder den prägenden Erfahrungen mit der deutschen Hyperinflation, die heute noch in die deutsche DNA eingebrannt ist.
Computing Power + Energie = Geld?
Eine Frage, die bisher kaum erörtert oder gesehen wird, betrifft den Zusammenhang von Geld und Arbeit. Egal, ob Edelmetallmünzen in der Antike oder später Papiergeld: Immer gab es einen Zusammenhang von Arbeitsinput und Wert oder Kaufkraft. So kauft eine Unze Gold heute wie vor 1000 oder 2000 Jahren ca. 350 Brotlaibe. Bei den Crypto-Currencies gibt es das nicht. Der Wert wird aus Computing Power und Energie hergestellt – Menschen und deren Arbeitsleistung spielen keine Rolle mehr. Das ist ein schwerer Konflikt, der das soziale Gewebe, so ungerecht es auch scheinen mag, mit Blick auf Fairness und Chancengleichheit völlig ad absurdum und zum Zerreissen führt – und das resultiert in sozialen Konflikten. Das kann nicht im Interesse der Staaten sein, die vor allem steuerzahlende und zufriedene Bürger wollen.