Es kam völlig überraschend aus dem Blauen! Am 30. Januar kündigten Amazon, Warren Buffetts Holding Berkshire Hathaway und JP Morgan ein neues Gemeinschaftsunternehmen an, um die eskalierenden Gesundheitskosten in den USA zumindest für ihre Unternehmen und Angestellten in den Griff zu bekommen. Die Auswirkungen waren gravierend. Sofort verloren die etablierten amerikanischen Healthcare Player viele Mrd. USD an Marktkapitalisierung.
Die Korrektur am Aktienmarkt nach dem am 26. Januar errichten All-Time High hat die Anleger allerdings zwischenzeitlich mehr beschäftigt. Doch wer langfristig erfolgreich investieren will, kommt nicht darum herum, sich unabhängig vom Tagesgeschehen und kurzfristigen Trading-Aktivitäten mit der Wachstumsindustrie schlechthin, Healthcare, zu beschäftigen und sich auch Gedanken darüber zu machen, was es wohl bedeuten mag, wenn sich drei Strategen aus unterschiedlichen Industrien zu einer zuvor schwer vorstellbaren Kooperation zusammenfinden.
Schockwelle im Healthcare-Sektor ohne Vorwarnung
Am Anfang war nur wenig bekannt. Die Schockwelle ereilte die Healthcare Platzhirsche an der Börse ohne jede Vorwarnung. Viele Investoren handelten nach dem Motto „Sell now, ask questions later“. Das jedenfalls war die schmerzhafte Lektion, nachdem Amazon im Juni 2017 die Übernahme der Biomarkt-Kette Whole Foods überraschend angekündigt hatte. Die Aktie der Einzelhandelskette Kroger beispielsweise verlor schnell um über 25% und kämpft trotz der monatelangen Hausse an der Wall Street bis jetzt darum, den Kursverlust wieder wettzumachen.
Ähnlich, mit Kursverlusten bis zu 8%, sah es auch Ende Januar unmittelbar nach der Bekanntgabe der Kooperation aus. Betroffen waren Distributoren, Krankenversicherungen, Pharmacy-Benefit Manager und sogar Pharmahersteller. Doch am härtesten traf es die Pharmacy-Benefit-Manager wie CVS Health, deren Aktie seit 29. Januar um rund 15% verlor, entsprechend 12 Mrd. USD Market Cap.
Das Statement der drei
Erst nach dem ersten Effekt wurde das gemeinsame Statement vom 30. Januar genauer gelesen. Dort hiess es, dass das neue Gemeinschaftsunternehmen von Amazon, Berkshire und JP Morgan im frühen Planungsstadium sei und es das Ziel ist, die Zufriedenheit der amerikanischen Angestellten und ihrer Familien zu erhöhen sowie die Kosten für die Unternehmen zu senken. Weiterhin soll das unabhängige Gemeinschaftsunternehmen „frei von gewinnorientierten Anreizen und Beschränkungen sein“.
In seiner unnachahmlichen Art lässt sich Warren Buffett in der Pressemitteilung so zitieren: „Die sich aufblähenden Kosten der Gesundheitsversorgung wirken
auf die amerikanische Wirtschaft wie ein hungriger Bandwurm. Unsere Gruppe hat keine Antworten für das Problem. Aber wir akzeptieren es auch nicht als unvermeidbar.“
Jeff Bezos wird in all seiner Ambiguität deutlicher: „Das Healthcare System ist komplex, und wir stellen uns der Herausforderung mit offenen Augen für das Ausmass der Schwierigkeiten. … Erfolg wird talentierte Experten, den Forschergeist eines Pioniers und eine langfristige Orientierung benötigen.“
Jamie Dimon, CEO von JP Morgan, sorgte bei seinen Kunden aus der Wirtschaft vielleicht unbeabsichtigt für Verwirrung mit seiner Aussage: „Unsere drei Unternehmen haben aussergewöhnliche Ressourcen, und unsere
Zielsetzung ist, Lösungen hervorzubringen, die zum Vorteil unserer amerikanischen Angestellten, ihrer Familien und, potenziell, aller Amerikaner sind.“
Beschwerden und Beschwichtigungen
Es war vor allem der Passus „aller Amerikaner“, der die Unruhe in der Industrie auslöste und dann dazu führte, dass sich zahlreiche Healthcare-Bankkunden auf höchster Management-Ebene bei JP Morgan und auch Dimon direkt beschwerten sowie ihrer Sorge über neue Konkurrenz Ausdruck verliehen. Intern gab es bei JP Morgan ebenfalls Klärungsbedarf, denn das florierende Healthcare M&A-Team befürchtete, die äusserst lukrativen Beratungsmandate der Industrie zu verlieren. Dimon beruhigte alle persönlich und stellte klar, dass die Initiative nur die Angestellten der drei Partnerunternehmen bedienen soll und keinen Wettbewerb für die Healthcare-Unternehmen darstellt.
Es geht um Milliarden USD
Worum geht es hier? Wie viele Angestellte haben die drei Initianten? Und welche Summen kommen da zusammen? Noch ist ja nichts Konkretes bekannt; das Gemeinschaftsunternehmen ist bislang in der Planungsphase und hat noch nicht einmal einen Namen. Was bei JP Morgan noch relativ einfach zu kalkulieren ist, wird bei Amazon wegen Zeit- und Leiharbeitern, Entlassungen auf der einen Seite und massiven Neueinstellungen auf der anderen schon schwierig zu berechnen, aber bei der Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway ist es noch eine Stufe schwieriger. Nimmt man die Mehrheitsbeteiligungen und die operativen Gesellschaften, die bis zu 100% von Berkshire gehalten werden, so kommt man bei den drei Partnern überschlägig auf rund eine Million Mitarbeitende – sowie deren mitversicherte Familien. Selbst wenn man Abschläge vornimmt und z.B. nur das Viertel der Bestverdiener berücksichtigt, so handelt es sich dann um ca. 20’000 USD p.a. pro Kopf, von denen die Angestellten einen Drittel zahlen. Auf Basis dieser zum jetzigen Zeitpunkt zweifellos fragwürdigen Kalkulation errechnen sich jährliche Gesamtkosten von 5 Mrd. USD, wovon zwei Drittel auf die Unternehmen entfallen. Sollten alle Angestellten einbezogen werden, so wären es wohl insgesamt mindestens 12 Mrd. USD p.a., vielleicht auch 15 Mrd. USD, ohne zukünftige Inflation.
Komplementäre Expertisen
Wer kann was in der Initiative? Buffett ist seit jeher ein Versicherungsunternehmer mit einer glücklichen Hand. Doch seine Expertise liegt im Wesentlichen darin, das Prämienaufkommen, das er „Free Float“ nennt, so zu investieren, dass die erzielten Renditen die möglichen bzw. zu erwartenden Schadensregulierungssummen, wenn und bis sie dann zur Auszahlung anfallen, weit übertreffen. Free Float deshalb, weil die Versicherungsnehmer bei Autoversicherungen (Geico), Rückversicherungen (Berkshire) usw. keine Rendite erhalten und das Geld also ohne Kapitalkosten für Berkshire zum Investieren zur Verfügung stellen – um für die Sicherheit im Schadensfall abgesichert zu sein. Zweifellos ist Buffett sparsam wie ein Schotte oder Schwabe. Bekanntermassen lädt er Investmentbanker, die ihn in Omaha besuchen, höchstens auf einen Hamburger oder eine Coke ein, doch der Part des Cost-Cuttings in industriellen Dimensionen bei dem neuen Gemeinschaftsunternehmen fällt den Experten auf dem Gebiet, Jeff Bezos und Amazon, zu. Und JP Morgan kann all das an Expertise und Know-how einbringen, was die beiden anderen Partner nicht vermögen. Eine runde Sache!
Glaubwürdige Philanthropen
Wird es bei der nicht profitorientierten Initiative nur für die eigenen Angestellten bleiben? Zunächst bestimmt ja. Dimon würde seine Unternehmenskunden nicht belügen. Mehr oder weniger sind alle drei Strategen durchaus streitbar und nehmen auch oft kein Blatt vor den Mund, wenn es um kritische Punkte und Entwicklungen geht. Alle drei sind auf ihre jeweilige Weise auch Philanthropen, was allerdings nicht im Vordergrund beim Tagesgeschäft steht. So hat Buffett mit Bill Gates eine Initiative mit Namen „Giving Pledge“ gestartet, bei der die Superreichen wie er und Gates sich verpflichten, mindestens 50% ihres Vermögens vor und nach ihrem Ableben für wohltätige Zwecke zu spenden. Buffett hat 99% seines Vermögens zugesagt und sich inzwischen von über 50% seiner Berkshire Aktien getrennt. Die Motive, wie in der Pressemitteilung erläutert, sind ehrlich und zielen auf eine Verbesserung der Gesundheitskostenstrukturen in den USA ab, zunächst bei den eigenen drei Unternehmen und zum Nutzen der Angestellten und ihrer Familien.
Doch was kommt dann danach, vorausgesetzt, es gelingt den drei Partnern, nicht nur weitere Kostensteigerungen zu vermeiden, sondern sogar die Kosten zu senken? Und wird das erst in 10 Jahren relevant werden oder sehr viel früher, bedenkt man in welchem Tempo Amazon in letzter Zeit die verschiedensten Märkte aufrollt?
Diesen spannenden Fragen und weiteren relevanten Aspekten geht Teil II dieser Untersuchung nach.