Macro Perspective: Warum sich die Bankenlandschaft rapide ändert

Aktien-Absturz der Deutsche Bank und Fusionsgespräche mit Commerzbank; Fusion Société Générale-UniCredito

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„So finden wir, dass die Eitelkeit frühzeitig genötigt ist, sich zu verstecken, zu verkleiden, dass sie Umwege machen muss, wie auch ihr Träger immer von bangen Zweifeln erfüllt ist, ob er siegreich durchdringen werde, um so viel Glanz und Triumph zu erringen, als zur Befriedigung seiner Eitelkeit nötig scheint.“ Alfred Adler, 1870-1937, Begründer der Individualpsychologie.

Fast forward. Mehrere Generationen nach Josef Ackermann an der Spitze der Institution Deutsche Bank ist nicht viel geblieben von der bis zur Finanzkrise von 2008/2009 mächtigen Investmentbank. Der Ehrgeiz war immer gross, zu den internationalen Top-Tier-Banken zu zählen – und dafür war auch jedes Mittel recht. Den Schaden, den die Eitelkeiten verursachten, tragen die Aktionäre. Mit einer Market Cap von erneut unter 20 Mrd. Euro ist nun abermals das Tief von 2016 erreicht.

Kursverlauf der Aktie der Deutschen Bank. Quelle: six-swiss-exchange.com

An dem tiefen Abstieg der Deutschen Bank im globalen Ranking der Big Banks sind vor allem strategische Fehler der aufeinanderfolgenden Management-Teams, aber auch der, über weite Strecken inaktive, Aufsichtsrat verantwortlich. Andere Banken haben auch ihre Probleme mit Fehlern der Vergangenheit, die aus der lange Zeit vorherrschenden „Unkultur“ im Banking entsprungen sind, konnten aber durch Korrekturen und Aufräumarbeiten das Schlimmste vermeiden oder zumindest dem Anschein nach das Ausmass reduzieren. Es ist eben doch nicht so einfach, Jüngere wie Jain und Fitschen oder Aussenseiter wie Cryan an die Spitze zu berufen und dann eine „wundersame Verwandlung“ zu erwarten. Denn die Kultur, oder Unkultur, bei Institutionen wie Deutsche Bank, die so etwas wie nationale Finanzheiligtümer sind, ist tief verwurzelt. Man macht Dinge eben auf eine ganz bestimmte Art, und daran ändern neu berufene Gremien oder Governance-Fachleute nicht ohne Weiteres etwas. Denn die Macht, Veränderungen durchzusetzen, liegt bei den Money-Makern im Management. Bis sie im Fall des Scheiterns ersetzt werden.

Grösse statt Profitabilität

Es geht auch bei dieser und den weiteren hypothetischen Bankfusionen immer noch um Grösse, nicht unbedingt um Profitabilität. Es mutet schon seltsam an, dass die Deutsche Bank nun sogar Fusionsverhandlungen mit der durch Steuergelder geretteten Commerzbank führt. Die war immer abgeschlagen hinter dem deutschen Primus Deutsche Bank und, solange es sie gab, Dresdner Bank. Schon in den 1980er Jahren war die Commerzbank immer wieder ein Zielobjekt für Übernahmespekulationen, die sich jedoch nicht bewahrheiten sollten. Denn die Commerzbank war immer gewinnschwächer, hatte ein weniger bedeutendes Kapitalmarktgeschäft und schien nicht sonderlich attraktiv, nicht einmal für ausländische Banken, die angeblich einen Einstieg in den „lukrativen“ deutschen Markt suchten.

Investmentbank + Mittelstandsbank = ?

Während die Deutsche Bank ihre internationale Präsenz vor allem im Finanzzentrum London und in den USA ausbaute und sich in den League Tables (M&A Advisory, Bond Underwriting, Privatization etc.) oft durch Zukäufe nach vorne boxte und letztlich sogar einen prestigeträchtigen Sitz im Kreis der fünf „Gold Price Fixing Banks“ erwarb (kurz vor der Auflösung der illustren Gesellschaft wegen der Preismanipulationen), expandierte die Commerzbank in weniger schillernde Geschäftsbereiche wie etwa Schiffsfinanzierung. Das war traditionell ein Geschäft der Landesbanken in den Bundesländern mit Meereszugang, also Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein. Durch die grosszügigen Abschreibungsmöglichkeiten für Investoren wurde der Schiffbau bzw. dessen Finanzierung und Refinanzierung auch für die Commerzbank ein zeitweilig bedeutender Einnahmebringer. Allerdings produzierte der Markt durch die steuerlichen Fehlanreize ein Überangebot mit zahlreichen Pleiten bei den involvierten Werften. Auch bei der Verbriefung von US-amerikanischen „Sub-Prime“-Hypotheken war die Commerzbank als Abnehmer eine grosse Nummer und musste in der Folge durch eine Staatsbeteiligung vor dem Untergang gerettet werden.

Hochmut und Fall

Die Deutsche Bank lehnte hochmütig seinerzeit das angebotene staatliche Kapital ab, das sie nicht brauchen würde, was sich im Nachhinein als Fehler erwiesen hat. Der Hauptgrund für die Ablehnung war, dass sich die profitorientierte Top-Tier-Bank nicht durch staatliche Aufseher ins Geschäft reden und durch Reglemente behindern lassen wollte. Heute, einige tausend angestrengte juristische Prozesse weiter, ist klar, dass die Deutsche Bank so weiter machen wollte wie zuvor. Anstatt wie die amerikanischen Grossbanken oder auch UBS die Eigenkapitalausstattung deutlich zu verbessern, um auf stärkeren Beinen zu stehen, wurde weiterhin mit allen Mitteln an der Grösse festgehalten. Die seit der Finanzkrise vom Management der Deutsche Bank gehörten Beteuerungen haben sich aus heutiger Sicht als nicht viel mehr als das Streuen von Sand in die Augen der Aussenwelt erwiesen.

Aufsichtsrat beaufsichtigt Desaster

Sollte es zu der Fusion von Deutsche Bank und Commerzbank kommen, ist kaum zu erwarten, dass zwei Kranke zusammen einen Gesunden ergeben. Denn an der Kultur hat sich gemessen am Geschäftsgebaren und der Aussendarstellung gar nichts geändert. Wollte die Deutsche Bank wirkliche Änderungen vollziehen, so müsste der Aufsichtsrat, der das gesamte Desaster langfristig „beaufsichtigt“ hat, geschlossen zurücktreten. Stattdessen werden in einer Salamitaktik tausende von Angestellten freigesetzt, ein Bauernopfer, mit dem die Kapitalmarktakteure beruhigt und bei der Stange gehalten werden sollen. Eine echte Zukunftsvision oder einen glaubwürdigen Plan für die Transformation hat die Deutsche Bank bisher nicht geliefert.

Vertrauensdefizit der grossen Banken

Die Commerzbank dagegen hat trotz oder gerade wegen der staatlichen Unterstützungsgelder weiterhin ihr grosses Rad gedreht und beispielsweise unsinnige Werbung finanziert, anstatt schnell wieder eine unabhängige Privatbank zu werden. Was sollte aus dieser Fusion resultieren, wenn nicht eine Fortsetzung der Politik der Eitelkeiten? Ein Verständnis für die Motive und Bedürfnisse der masslos enttäuschten Aktionäre ist jedenfalls nicht zu erkennen. Und so ist auch fast 10 Jahre nach der Finanzkrise das Vertrauen der Konsumenten in die beiden Banken im Besonderen, aber auch allgemein in grosse und systemrelevante Banken, nicht zurückgekehrt, sondern vielmehr verspielt.

Noch eine Fusion: UniCredit und Société Générale

Kursverlauf der Société Générale Aktie. Quelle: six-swiss-exchange.com

Nicht so viel anders liegt der Fall bei der italienischen UniCredito, die nicht unwesentlich aus der ehemaligen Hypo-Vereinsbank besteht, sowie der französischen Société Générale. Wenn auch die Details anders gelagert sind, so sind doch auch Frankreich und Italien von Overbanking gekennzeichnet. In beiden Ländern ist der Bankenmarkt historisch begründet stark von einer staatlichen Lenkungspolitik geprägt. Die Probleme in der Bankenindustrie, vor allem in Europa, waren immer wieder Gegenstand der Macro Perspective, so im Juni 2015 und im Februar 2016, und insbesondere die Deutsche Bank und die italienischen Banken wurden mehrfach als potenzielle Krisenherde ausgemacht.

Probleme im italienischen Bankensektor

Kursverlauf der Aktie von Unicredit. Quelle: six-swiss-exchange.com

Die italienischen Banken sind vielfach unterkapitalisiert, und da der Staat mit über 130% des BSP verschuldet ist, kann er den Banken kaum direkt unter die Arme greifen. Das Problem der notleidenden Kredite wird daher aufgeschoben und hängt wie eine dunkle Wolke über dem Finanzsektor. Zwar sind nicht alle Banken in Italien gleichermassen stark davon betroffen, doch es gibt auch noch andere Belastungen. So sind nicht wenige italienische Banken stark in Osteuropa engagiert, und auch dort treten immer wieder Stresssymptome auf.

Türkei-Krise mit Rückkoppelungseffekt

Kurs der Türkischen Lira in Euro. Quelle: themoneyconverter.com

Was weniger bekannt ist, ist das hohe Kreditengagement italienischer Banken in der Türkei. Auch vor der Krise dort war in der Macro Perspective mehrfach gewarnt worden, so im August 2016 und im April 2017 im Zusammenhang mit der zunehmend totalitären und irren Politik des geltungssüchtigen Präsidenten Erdogan. Inzwischen hat sich die wirtschaftliche Krise am Bosporus dramatisch zugespitzt. Allein seit Jahresbeginn hat die türkische Lira gegen Euro, USD und CHF um 20% bis 25% an Wert eingebüsst. Die Inflation ist in den letzten Monaten in den zweistelligen prozentualen Bereich geschossen, und ein Ende der hausgemachten Krise ist nicht in Sicht. Am 24. Juni sind nun vorgezogene Wahlen angesetzt, wovon sich Erdogan weitere Stimmengewinne und eine Konsolidierung seiner Machtposition erhofft. Gleichzeitig ist aber die von ihm betriebene Entmachtung der Zentralbank und die Einmischung in die Geld- und Zinspolitik der Hauptgrund für die aus dem Ruder laufende Krise. Erdogans Ankündigungen, mehr Einfluss auf die Zinspolitik zu nehmen, haben dem ehemaligen Musterland Türkei einen dramatischen Absturz beschert. Da sämtliche Oppositionsparteien und -politiker sowie Kritiker mundtot gemacht, verboten oder inhaftiert sind, bestenfalls emigriert, ist das Ergebnis der Wahlen in der „Ein-Parteien-Demokratie“ absehbar, womit die Schmerzen für Kreditgeber wie die italienischen Banken erst beginnen dürften.

Europäische Banken fürchten globale Dominanz der US-Banken

Der geplante Zusammenschluss von Société Générale und UniCredit kann zwar Synergieeffekte bringen und Kostensenkungspotenziale eröffnen, aber der grosse Wurf ist es nicht, sondern eher wie bei Deutscher Bank und Commerzbank eine Kombination von zwei Playern in einem Markt, in dem ihnen jeweils droht, ins Hintertreffen zu geraten. UniCredit ist Italiens grösste Bank, Société Générale ist die drittgrösste Bank in Frankreich. Sollte der Merger zustande kommen, würde eine Bank mit etwa 2,2 Billionen Euro Bilanzsumme entstehen. Damit würde sie auch auf Augenhöhe zum Marktführer HSBC kommen. Das eigentliche Ziel ist aber wohl eher, einen grossen globalen Gegenspieler für die US-Banken aufzubauen. Eine weitere Bankenfusion, über die berichtet wurde, ist diejenige zwischen Standard Chartered und Barclays. Auch hier ist das Motiv eher reaktiver Natur: Standard Chartered will den aktivistischen Aktionär Edward Bramson loswerden und tritt die Flucht nach vorne an.

Die Zinswende ist da

Bisher lebten die europäischen Banken in der besten aller Welten: Zugang zu Kapital ohne Limit und ohne Zinskosten. Es musste so scheinen, als ob sich an diesen wundersamen Bedingungen nie wieder etwas ändern wird, wobei die EZB mit ihren Äusserungen und Ankündigungen auch nie einen anderen Eindruck vermittelt hatte. Inzwischen allerdings hat der Wind gedreht. Die Fed hat Mitte Juni zum siebten Mal in Folge die Leitzinsen leicht angehoben, auf nun 1,75%-2%. Das klingt zwar nicht dramatisch, ist es aber. Denn mittlerweile sind auch die Zinsen der 10-jährigen US-Staatsanleihen vor dem Hintergrund moderat steigender Inflationsraten auf zeitweilig über 3% gestiegen, das Tief im laufenden Zyklus hatte bei unter 1,4% gelegen.

EZB beendet Anleihekaufprogramm im Dezember

Die (Zwischen-)Töne von der Fed sind nicht mehr so beruhigend für die Anleger. Weitere zwei oder drei Zinsschritte sind für 2018 zu erwarten, und auch 2019 dürften Richtung und Tempo der Erhöhungsschritte gleich bleiben. Das ist der sogenannte „dot-plot“, der schon im Januar 2016 Gegenstand der Macro Perspective war. Auf die Zinswende waren die Leser insbesondere seit dem zweiten Halbjahr 2017 kontinuierlich hingewiesen worden – und auf die zu erwartenden Effekte an den Börsen. Die Situation verschärft sich nun, da die EZB das Ende ihres Anleihekaufprogramms für Dezember angekündigt hat. Das mag augenscheinlich nicht viel bedeuten, doch die Liquiditätsschwemme sollte nach dem von Greenspan erfolgreich 1990/1991 eingesetzten Rezept zu einem „Wohlstandseffekt“ führen, der in Form steigender Kurse bei Aktien und Bonds ein Gegengewicht zu der Rezession bildete, indem die Ausgabefreudigkeit stimuliert wurde. Die Bankenkrise damals, als Citigroup und viele weitere Banken mit dem Rücken zur Wand standen, wurden dadurch gelöst, dass diese mit extrem günstigen Fed-Krediten US-Staatsanleihen kauften und ihre Bilanzen durch die Differenz von mehr als drei Prozentpunkten zu ihren Gunsten kräftigten. Als die Banken rekapitalisiert waren und etliche M&A-Transaktionen eine bedeutende Konsolidierung vollzogen hatten, normalisierte sich das Zinsumfeld mit dem überraschend schnell darauffolgenden Konjunkturaufschwung.

Gründe der Bank-Fusionitis

In genau dieser Phase befinden sich derzeit die Banken und auch die Konjunktur – in Europa, während die Entwicklungen in den USA, wie üblich, vorausliefen. Bestimmt auch wegen der Erfahrungen mit der Bankenrekapitalisierung über das steigende Preisniveau an den Kapitalmärkten. Während also die Fed, wiederum in bester gradualistischer Greenspan-Manier, bereits fortgeschritten im Prozess der Anhebung der Zinsen ist, befinden sich diese in der EU und auch in der Schweiz noch im negativen Bereich! Die Liquidität ist am Maximum, die Psychologie der Anleger auch. Die Börse als Antizipationsmechanismus kann diesen Zustand für eine Zeit ignorieren oder tolerieren, dann jedoch muss zwingend das Pendel in die andere Richtung schwingen. Die Banken als wesentliche Teilnehmer des Kapitalmarktes wissen um die Zyklizität der Zinsentwicklung und agieren entsprechend, durch hektische M&A-Verhandlungen, denn es gilt immer noch: je grösser, je besser.

Referenzwert HSBC

Das Beispiel ist HSBC, die grösste Bank Europas – wenngleich eine Verlagerung des Sitzes zurück nach China oder Hongkong auf mittlere Sicht nicht überraschen würde. HSBC, mit Sitz in London und quasi rund um den Globus aktiv, ist zwar in viele, wenn nicht die meisten Finanzmarktskandale verwickelt gewesen, verfügt jedoch über so viel Einfluss, dass es trotz der Fülle von Fällen nicht zu einer einzigen Verurteilung gekommen ist. Maximal wurden aussergerichtlich Vergleichszahlungen arrangiert. Die Lehre daraus kann für andere Banken nur heissen: grösser werden, mächtiger werden, nach eigenen Regeln spielen.

Opportuner Moment für Fusionen bei Banken

Es erscheint daher nur typisch, dass genau zu diesem Zeitpunkt im Zinszyklus Fusionen und Übernahmen im Bankensektor auftreten. Bei einem Zusammenschluss gibt es immer überlappende Bereiche und Präsenzen, so dass Grösse tatsächlich effizienter machen kann. In der Praxis scheitern jedoch gerade im Bankbereich nicht wenige Fusionen, oft wegen der unterschiedlichen Kulturen. Die Ergebnisse sind selten so, dass für die Aktionäre ein wirklicher Mehrwert entsteht. Dennoch können kurzfristige Kursgewinne auftreten, wie die Aktien der Fusionskandidaten in letzter Zeit gezeigt haben.

Solange die Banken weiterhin dem „Moral Hazard“ ausgesetzt bleiben, kann sich nichts Grundlegendes ändern. Der Psychologe Adler schrieb bereits 1927: „Es gibt eine ganze Reihe von Massnahmen und Unternehmungen in unserem Wirtschaftsleben, bei denen es sich sehr deutlich zeigt, wie einer, der diese einschlägigen (fahrlässigen) Handlungen vollführt, damit immer einen anderen benachteiligt. In der Regel sind darauf überhaupt keine Strafen gesetzt, auch wenn ihnen eine bewusste böse Absicht zugrunde liegt.“

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