Börsengänge: Der Schweizer Primärmarkt brummt

Eine Zwischenbilanz der IPOs 2017 und 2018

0
3339
Stolze Bilanz: sechs echte IPOs im ersten Halbjahr 2018 und vier Börsengänge 2017 an der SIX Swiss Exchange. Bild: six-swiss-exchange.com

Sechs echte IPOs im ersten Halbjahr und vier Börsengänge im Vorjahr: Das ist eine stolze Bilanz für die SIX Swiss Exchange und schafft das beste Primärmarktklima in der Schweiz seit 2007. Mit der aktuellen Neuemission Graziano Fairfield aus dem Portfolio von Oerlikon sowie dem möglichen Börsengang des Automatenbetreibers Selecta stehen bereits die nächsten Kandidaten in der Reihe. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Noch 2015 und 2016 waren die Erwartungen der Kapitalmarktprofis für den Schweizer Neuemissionsmarkt verhalten, wenngleich vorsichtig optimistisch. Aber mit mehr als drei oder vier Börsengängen pro Jahr hat kaum jemand gerechnet. Allerding waren die Erwartungen vor zwei, drei Jahren überall in Europa für die Primärmarktaktivität gedämpft.

Galenica-IPO an der SIX als Eisbrecher

Kursverlauf der Galenica-Aktie seit dem IPO. Quelle: six-swiss-exchange.com

Dann kam zu Beginn des zweiten Quartals 2017 der Börsengang von Galenica Santé, der trotz dem hohen Emissionsvolumen von 1,9 Mrd. CHF zu einem vollen Erfolg wurde. Das Unternehmen betreibt rund 500 Apotheken in der Schweiz und hat seine Pharma-Aktivitäten vor dem IPO abgespalten. Da die Preise für Medikamente in der Schweiz im internationalen Vergleich zu den höchsten zählen, sind die Margen mehr als auskömmlich. Diese starke Stellung ist aus Investorensicht attraktiv. Die Aktie wurde mit 39 CHF am oberen Ende der Bookbuilding-Spanne zugeteilt und schloss den ersten Handelstag mit 10,3% Kursgewinn bei 43 CHF ab. Die zwischenzeitlich veröffentlichten Geschäftszahlen haben den Investoren gefallen; die Aktie erreichte ihr bisheriges Hoch von fast 55 CHF im Mai 2018, gab seitdem jedoch auf 51 CHF nach.

Perfekter Börsengang von Zur Rose

Anfang Juli 2017 folgte der Börsengang der Online-Apotheke Zur Rose, deren Aktie zuvor jahrelang im OTC-X-Markt der BEKB ein Kellerdasein geführt hatte, zumindest unter Bewertungsaspekten. Wurde die Aktie noch 2016 zum Preis von 22 CHF umgesetzt, was einem KUV von 0,1x entsprach, so sorgte der Börsengang des Wettbewerbers Shop-Apotheke an der Frankfurter Börse für mehr Nachfrage. Die Aktie zog auf OTC-X bis zum IPO mit Kapitalerhöhung an der SIX im Juli bis auf 150 CHF an. Zugeteilt wurde die Aktie dann bei 140 CHF, am oberen Ende der Bookbuilding-Spanne. Der Emissionsertrag belief sich auf 252 Mio. CHF. Der Schlusskurs am ersten Handelstag von 159,90 CHF wurde bisher nicht mehr erreicht. Zwar sind die Geschäftszahlen überzeugend, doch die Querelen um die Koalitionsbildung in Deutschland, dem wichtigsten Markt, hatten ganz direkte Auswirkungen auf den Kurs. Im Koalitionsvertrag stand letztlich, dass der Apotheken-Versandhandel verboten werden soll, was trotz der Unwahrscheinlichkeit einen Kursrutsch auslöste. Inzwischen glaubt niemand mehr an eine Umsetzung, der Kurs hat sich wieder deutlich erholt. In der IPO-Einschätzung  war unmissverständlich darauf hingewiesen worden, dass die Phase der eklatanten Unterbewertung nach dem spekulativen Anstieg auf OTC-X vorbei sei und die weiteren Perspektiven der Aktie vorsichtig einzuschätzen sind.

Landis + Gyr global unter den grössten IPOs

Mit Landis + Gyr kam im Juli gleich noch ein IPO. Der Hauptaktionär Toshiba und sein halbstaatlicher Co-Investor platzierten alle Aktien, denn der japanische Konzern benötigte dringend Kapital, um Verluste der US-Tochter Westinghouse in Milliardenhöhe in der Bilanz auszugleichen. Ein vorangegangenes Bieterverfahren hatte nicht mehr als 2 Mrd. USD gebracht, so dass dem gleichzeitig vorbereiteten Börsengang mit Vollplatzierung der Vorrang gegeben wurde. Mit Erfolg: Der Emissionsertrag summierte sich auf fast 2,3 Mrd. CHF. Die Aktie wurde bei 78 CHF am oberen Ende der Preisspanne zugeteilt. Aufgrund der absoluten Preisoptimierung des Verkäufers war in der IPO-Einschätzung keine Zeichnungsempfehlung ausgesprochen worden. Der Aktienkurs hat sich seit dem Börsengang seitwärts bis schwächer entwickelt, das Tief lag bei 65 CHF. Die Zahlen für 2017 sind besser als in Aussicht gestellt ausgefallen. Zuletzt erhöhte die Beteiligungsgesellschaft des Lego-Erben ihre Quote auf 10,5%.

Poenina wächst durch Akquisitionen

Im November schliesslich kam mit Poenina das vierte IPO des Jahres 2017 an der Schweizer Börse. Das Unternehmen ist auf Haus- und Gebäudetechnik spezialisiert und bestand zum Zeitpunkt des Börsengangs aus neun Tochtergesellschaften. Inzwischen wurde drei weitere akquiriert. Das ist das Geschäftsmodell von Poenina, denn der Markt für Spenglereien, Dachdecker, Installateure etc. ist regional fragmentiert. Ein „one-stop-shop“ ist ein Wettbewerbsvorteil, da die Immobilienbesitzer und Bauherren viel Zeit sparen können. Obwohl die Aktie am oberen Ende des Preisbandes mit 46 CHF zugeteilt wurde und damit zu einer ambitionierten Bewertung, lag der Schlusskurs am ersten Handelstag bei 51,50 CHF. Bis Anfang Januar 2018 kletterte die Aktie bis auf 64 CHF, aktuell liegt der Kurs bei 54 CHF. Angesichts der hohen Bewertung zum IPO war die Zeichnung nicht empfohlen worden.

2017 von grossen IPOs geprägt

Mit Galenica und Landis + Gyr dominierten 2017 Vollplatzierungen von grösseren und etablierten Unternehmen das Primärmarktgeschehen in der Schweiz. Zusammen nahmen die beiden Börsenneulinge 4,2 Mrd. CHF am Kapitalmarkt auf. Demgegenüber verblassen Zur Rose mit 252 Mio. CHF und Poenina mit lediglich 39 Mio. CHF. Es brauchte diese erfolgreichen Eisbrecher, um den Primärmarkt nachhaltig zu beleben. Landis + Gyr war im Übrigen bis in die 1990er Jahre börsenkotiert, wurde dann jedoch in einer Going-Private-Transaktion von der Börse genommen. Danach wechselte die Gesellschaft mehrfach den Besitzer zwischen Finanzinvestoren und Industrieadressen. Der Vollständigkeit halber seien noch die SIX-Zugänge Idorsia und Rapid Nutrition erwähnt. Als Folge der Actelion-Akquisition durch Johnson & Johnson Anfang 2017 für 30 Mrd. USD wurden die Forschungsaktivitäten, die Wirkstoff-Pipeline, die Forschungseinrichtungen und -mitarbeiter sowie 1 Mrd. CHF in eine neue Gesellschaft eingebracht, die als Sachdividende an die Actelion-Aktionäre verteilt wurde. Die Aktie hat sich in der Spitze verdreifacht. Eine Kapitalerhöhung oder ein öffentliches Angebot gab es allerdings nicht. Mehr zu Idorsia findet sich hier. Rapid Nutrition ist eine kleinere Gesellschaft, die lediglich ein Listing durchführte und inzwischen schon wieder die Dekotierung anstrebt.

2018 startet mit Sensirion-IPO

Kursverlauf der Sensirion-Aktie seit dem IPO im März 2018. six-swiss-exchange.com

Im März 2018 wurde es aus Investorensicht wirklich interessant. Mit Sensirion stand plötzlich ein weitgehend unbekanntes High-Tech-Unternehmen vor der Publikumsöffnung. Nach genauerer Betrachtung offenbarte sich ein Weltmarktführer mit einzigartiger Technologie und hohen Wachstumsraten. „Uneingeschränkte Zeichnungsempfehlung“ lautete die IPO-Einschätzung auf schweizeraktien.net. Sensirion wurde zu 36 CHF zugeteilt, schloss den ersten Handelstag bei 46,35 CHF und steht aktuell bei 50 CHF.

Medartis-Börsengang

Kursverlauf der Medartis-Aktie seit dem Börsengang. Quelle: six-swiss-exchange.com

Nur einen Tag nach Sensirion folgte die Börseneinführung des Medizintechnik-Unternehmens Medartis, ebenfalls erfolgreich. Zugeteilt wurde zu 48 CHF, am ersten Handelstag schloss die Aktie mit 61,96 CHF, gegenwärtig liegt der Kurs bei 66 CHF. Aufgrund der hohen IPO-Bewertung wurde die Zeichnung nicht empfohlen.

CEVA Logistics mit bisher grösstem Emissionsvolumen in 2018

Ceva-Aktie seit Handelsbeginn an der SIX. Quelle: six-swiss-exchange.com

Anfang Mai folgte die Börseneinführung von CEVA Logistics, die zuvor ihren Unternehmenssitz von den Niederlanden in die Schweiz verlegt hat. Da die Gesellschaft mit einer hohen Schuldenlast befrachtet war und der Emissionsertrag nahezu vollständig zur Reduzierung der Verbindlichkeiten eingesetzt wurde, waren die analytischen Vergleichszahlen der Peer-Group nicht zum Vorteil von CEVA ausgefallen, weshalb in der IPO-Einschätzung nicht zur Zeichnung geraten wurde. Zugeteilt wurde die Aktie am unteren Ende der Bookbuilding-Spanne bei 27,50 CHF. Aktuell werden 23 CHF bezahlt.

Biotech-IPO Polyphor setzt Massstäbe

Polyphor ist seit Mai 2018 an der SIX kotiert. Quelle: six-swiss-exchange.com

Mitte Mai vollzog das innovative Biotech-Unternehmen Polyphor den Börsengang an der SIX. Es war mit einem Emissionsertrag von 155 Mio. CHF das nach Volumen grösste Biotech-IPO in der Schweiz seit 10 Jahren. Polyphor entwickelt neuartige Antibiotika, die wegen der Resistenzen vieler gefährlicher Erreger dringend benötigt werden. Die Aktie wurde im oberen Bereich des Preisbandes bei 38 CHF zugeteilt. In den letzten Wochen hat die Aktie ein Tief von 28,82 CHF gesehen, sie hat sich jedoch inzwischen wieder über 32 CHF geschoben. Polyphor war zur Zeichnung empfohlen worden wegen der herausragenden langfristigen Perspektiven in einem Wachstumsmarkt mit wenigen Wettbewerbern, allerdings mit einem langfristigen Anlagehorizont von wenigstens drei Jahren.

Familie Klingelnberg trennt sich beim IPO von Mehrheit

Im Juni nutzten weitere zwei Gesellschaften das anhaltend gute IPO-Klima für ihre Börsengänge. Die in der Verzahnung tätige Familiengesellschaft Klingelnberg brachte nach sieben Generationen in der Geschäftsleitung nun die Mehrheit der Aktien an die Börse. Da die Bewertung ambitioniert war, wurde keine Zeichnungsempfehlung ausgesprochen. Die mehrfach überzeichnete Aktie wurde bei 53 CHF im oberen Bereich der Preisfindungsspanne zugeteilt, sah am ersten Handelstag einen Schlusskurs von 52,50 CHF und liegt nach wenigen Tagen an der Börse aktuell bei 48,60 CHF.

Lalique wechselt von BX zu SIX

Zum Abschluss des ausserordentlich aktiven ersten Halbjahres wurde noch das IPO des Luxusgüterkonzerns Lalique an der SIX realisiert. Die Aktie war zuvor an der BX kotiert. Der Gang an die SIX ging jedoch mit einer Kapitalerhöhung einher, die auch den Free-Float erhöhte, so dass es ein echtes IPO war. Die Aktie war an der BX schon deutlich angestiegen, so dass bei der IPO-Einschätzung keine attraktive Bewertungsbasis vorgefunden wurde. Keine Zeichnungsempfehlung. Der Schlusskurs am ersten Handelstag, dem 25.06., war 53,50 CHF, aktuell liegt der Kurs bei 48,50 CHF.

Listing von Asmallworld

Das Mini-Listing des „Sozialen Netzwerks für Reiche“ wurde überall als IPO gefeiert, was es aber nicht war. Viele der Checks & Balances, die es bei Initial Public Offerings gibt, treffen für blosse Listings nicht zu. Beispielsweise können die Altaktionäre plötzlich verkaufen – und tun es auch. Zunächst ist die Aktie ab März von 15 CHF auf 22 CHF Ende April gestiegen, seitdem ist der Kurs unter Druck und erreicht gerade noch 6,60 CHF. Listings werden auf schweizeraktien.net nicht mit Einschätzungen versehen.

Globales IPO-Klima

Die Kanzlei Baker McKenzie kommt in ihrer Analyse des Marktes für Neuemissionen im ersten Halbjahr zu dem Schluss, dass er eingebrochen ist. Die 676 globalen IPOs würden 19% unter dem Vorjahreswert liegen, das Volumen von 90 Mrd. USD sei um 15% schwächer. Gründe seien die geopolitischen Herausforderungen wie Trumps protektionistische Politik oder die politische Situation in Italien. In der Schweiz seien die Börsengänge zahlreicher, aber von niedrigeren Volumina geprägt. Die weiteren Aussichten seien allerdings durchweg positiv.

Zwischenbilanz nach dem ersten Halbjahr 2018

Neuemissionen können für Investoren eine echte Bereicherung der Anlagemöglichkeiten darstellen, müssen es aber nicht zwangsläufig. Worauf es bei jedem Investment ankommt, ist der Einstiegspreis. Liegt der zu hoch und nimmt schon zu viel der erwarteten Zukunft vorweg, kann es lange dauern, bis die Aktie den Erstzeichnern tatsächliche Kursgewinne beschert, wenn überhaupt. Die Motive der Börsengänge sind ja auch höchst unterschiedlich: Mal realisiert eine Unternehmerfamilie das gebundene Vermögen, mal werden Schulden aus Buy-out-Zeiten zurückgezahlt, mal muss ein Weltkonzern Löcher in der Bilanz stopfen und braucht das Kapital aus dem Firmenverkauf über die Börse.

Nicht wenige IPO-Kandidaten brauchen aber im klassischen Sinne Wachstumskapital und bieten den neuen Aktionären einen fairen Einstiegspreis und langfristig gute Perspektiven für die Performance. Seit Anfang 2017 waren das in erster Linie Sensirion und Polyphor. Bei diesen beiden Aktien gab es eine klare Zeichnungsempfehlung, bei den anderen nicht. Sechs der 10 IPOs aus 2017 und 2018 zeigen aktuell eine negative Performance zum Emissionspreis.

Überblick über die IPOs 2017 und 2018

Unternehmen 1. Handels-tag E.-
Preis
Schluss 1. Handels-tag Kurs 29.06. % zum E.-preis IPO-Einschätzung
Galenica 07.04.17 39 43 52.75 35.30% Keine
Zur Rose 06.07.17 140 159.9 130 -7.10% Keine Zeichnungsempfehlung
Landis + Gyr 21.07.17 78 78.5 69.1 -11.40% Keine Zeichnungsempfehlung (wenn, dann bis 74 CHF)
Poenina 16.11.17 46 51.5 55.4 20.40% Keine Zeichnungsempfehlung
Sensirion 22.03.18 36 46.35 50 38.90% uneingeschränkte Zeichnungsempfehlung
Medartis 23.03.18 48 61.96 66.1 37.70% Keine Zeichnungsempfehlung
CEVA Logistics 04.05.18 27.5 25.9 22.7 -17.40% Keine Zeichnungsempfehlung (wenn, dann bis 33 CHF)
Polyphor 15.05.18 38 38.2 32 -15.80% Zeichnungsempfehlung
Klingelnberg 20.06.18 53 52.5 50.5 -4.70% Keine Zeichnungsempfehlung
Lalique 25.06.18 k.A. 53.5 49 k.A. Keine

 

 

Kommentar verfassen