Börsengänge Schweiz/International: US-Börse entfesselt Unicorn-Fantasie

Anzahl der globalen IPOs fällt im dritten Quartal, Erlöse steigen weiter

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Die Primärmärkte sind äusserst sensibel und zeigen als Frühindikator die Börsenstimmung der Anleger an. Nach einem im Verlauf des sehr guten Börsenjahres 2017 zunehmenden Überschwang, der sich bis zur Jahresmitte 2018 auch an den IPO-Märkten manifestierte, flaute die Stimmung ab Juli merklich ab. Doch zum Jahresende hin könnte der IPO-Boom durch „Einhörner“ erneut angefacht werden.

Genau 1’000 Börsengänge weltweit in den ersten neun Monaten zählt EY im Global IPO Trends Report zum dritten Quartal. Das sind 18% weniger IPOs. Im dritten Quartal gingen 302 Unternehmen an die Börse, ein Rückgang um 22% gegenüber dem Vorjahresquartal. Doch die Emissionserträge stiegen, um jeweils 9% auf 47.1 Mrd. USD im dritten Quartal und auf 145.1 Mrd. USD in den ersten 9 Monaten, jeweils gegenüber den Vorjahresperioden.

Gute Performance an Wall Street belebt IPO-Markt

Wie auch an den Sekundärmärkten dominierten die USA das Geschehen an den Primärmärkten. Der Anteil Amerikas, was zu 95% USA heisst, an den globalen Emissionserträgen stieg in 2018 auf 34%, von 27% in 2017 und 17% in 2016. Dabei ist der Anteil nach der Anzahl von 19% nach 13% im Vorjahr weniger ausgeprägt ausgefallen. Dahinter verbirgt sich, dass 40% der Emissionserträge in den USA auf PE- oder VC-finanzierte Börsendebütanten entfällt, die in der Regel höhere Emissionsvolumina mit sich bringen.

Spiegelbildlich ging der Anteil der EMEIA-Region (Europa, Nah-Ost, Indien, Afrika) nach Erträgen von 34% in 2017 auf 23% zurück. Asien-Pazifik legte dagegen wieder von 39% auf 43% zu. Nach der Anzahl der IPOs legt die EMEIA-Region jedoch zu und steigert den Anteil von 30% auf 33%.

Börse Bombay im Stresstest

Manche Länder der Region wie etwa die Schweiz profitierten von den makro-ökonomischen Entwicklungen und den sich wandelnden Vorlieben der international agierenden institutionellen Investoren. War 2017 und Anfang 2018 Indien noch der Boommarkt schlechthin, so litt Bombay im dritten Quartal unter dem Dominoeffekt an den Emerging Market-Börsen infolge der eskalierenden Krisen in der Türkei und in Argentinien. Obwohl in Bombay im dritten Quartal noch 22 IPOs mit Erträgen von 873 Mio. USD stattfanden, sorgten zuletzt starke Kursrückschläge bei den Börsenneulingen für eine Erschütterung des Vertrauens.

Hongkong wird Top-Primärmarkt

Auch China ist von der Emerging-Market-Krise betroffen. Zusätzlich verunsichert der eskalierende Handelsstreit zwischen der Trump-Administration und China. Der Schwerpunkt der Emissionstätigkeit in „Greater China“ hat sich daher im dritten Quartal nach Hongkong verlagert. Bei 55 IPOs wurden 23 Mrd. USD aufgenommen, was fast die Hälfte des globalen Emissionsvolumens ausmacht.

Allein 6.9 Mrd. USD entfielen auf China Tower Corp., weitere 5.4 Mrd. USD auf Xiaomi Corp. Beide sind Telekommunikationsunternehmen aus China. Zum Vergleich: An der NYSE fanden 10 IPOs statt, die 6.1 Mrd. USD einbrachten, an der Nasdaq waren es 37 IPOs und 5.8 Mrd. USD Emissionserträge. Dies genügte für Rang 2 und Rang 3 im Ranking der internationalen Börsen nach Hongkong.

Weltweite IPOs in den ersten neun Monaten 2018 in Milliarden USD. Quelle: ey.com

Regulierung als Faktor

Ein wichtiger Faktor bei den Verlagerungen in „Greater China“ ist auch die Regulierung, die sich in China und Hongkong unterschiedlich entwickelt. In China sind die Vorschriften strikter, und die Zulassungsquote bei IPOs fällt geringer aus. In Hongkong wurde die Regulierung dagegen modernisiert und für junge innovative Unternehmen attraktiver gemacht. Seit April 2018 sind neue Regelungen in Kraft, die u.a. den Marktzugang von nicht profitablen Biotech-Unternehmen erleichtern. Das dürfte dazu beitragen, dass die Börse Hongkong weiterhin an Bedeutung gewinnt. 170 IPO-Filings liegen der Zulassungsbehörde vor.

Mega-IPO in Tokio im vierten Quartal erwartet

Auch in Japan wurde die Regulierung modernisiert und in Einklang gebracht mit den Zielen der Regierung Abe, deren Wiederwahl wohl bevorsteht. Um neue wirtschaftliche Dynamik zu entfesseln, ist der Marktzugang für Start-ups und Technologie-Unternehmen erleichtert worden. Japan soll das Land der Innovationen werden und eine grosse Anzahl von Unicorns hervorbringen. Im dritten Quartal gingen 28 Unternehmen an die Börse und nahmen 1,9 Mrd. USD ein. Für das vierte Quartal steht nun der Mega-Börsengang von SoftBank an, der Telekom-Tochter von SoftBank Corp. Mit voraussichtlichen Emissionserträgen von 22.4 Mrd. USD wird es wohl nicht nur der grösste Börsengang des Jahres in Japan werden, sondern weltweit.

Einhörner beflügeln Fantasie

In den USA führen Healthcare und Technology mit Emissionsvolumina von 3.1 Mrd. USD und 3.3 Mrd. USD in der Branchenbetrachtung. Grösstes IPO war Elanco Animal Health mit 1.7 Mrd. USD. Zu den bekannten neuen Namen an der Börse zählt der Real Estate-Player Cushman & Wakefield, der 880 Mio. USD Emissionsertrag verzeichnete. Das meistbeachtete IPO war jedoch Survey Monkey, ein auf Umfragen spezialisiertes Einhorn. Die Aktie stieg Ende September im Aftermarket um über 60% und gilt als Test der Aufnahmebereitschaft der Investoren mit Blick auf die milliardenschweren Einhörner. EY erklärt das starke Momentum an den US-Primärmärkten mit der guten Performance der IPOs. Der durchschnittliche Kursgewinn am ersten Handelstag liegt bei 15%, die Aftermarket Performance bis Ende September beträgt sogar 28%. Obwohl die Mid-Term-Wahlen im November das IPO-Fenster zeitweilig schliessen könnten, erwartet EY für das vierte Quartal und den Jahresauftakt 2019 einen starken IPO-Markt in den USA, nicht zuletzt, weil nun auch weitere Unicorns an der Börse erwartet werden.

Der lange Schatten des Brexit

Trotz der zunehmenden Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Brexit: Der Primärmarkt in London blieb auch im dritten Quartal aktiv. 10 IPOs brachten 836 Mio. USD ein. Im Vergleich zum Vorjahresquartal fiel die Anzahl der IPOs allerdings um 47% und das Volumen um 71%. EY erwartet, dass mehr Unternehmen ihr geplantes IPO beschleunigen, bevor der Brexit vollzogen wird. Allerdings sei auch ein Trend zu beobachten, dass IPO-Pläne angesichts der schwachen Währung und des gedämpften Appetits der Investoren auf Neuemissionen zugunsten eines Übernahmeangebots gestrichen werden. Dennoch: Bisher hat die Börse London 2018 Emissionserträge von 5.1 Mrd. USD verzeichnet und 37 IPOs. Das ist weltweit Rang 8 und entspricht 3,5% Weltmarktanteil nach Erträgen.

Deutsche Börse global auf Rang 5

Während Deutschland lange Zeit nicht unter den Top 12 Primärmärkten vertreten war, hat sich dies 2018 gewandelt. Frankfurt rangiert mit IPO-Erträgen von 8.9 Mrd. USD auf Platz 5. Dieses Ergebnis basiert allerdings auf dem ersten Halbjahr. Im dritten Quartal trübte sich auch in Europa die Stimmung ein, nur 33 IPOs fanden statt, die 1.1 Mrd. USD an Emissionserträgen verzeichneten. Bei dieser Kalkulation von EY scheint allerdings das IPO von SIG Combibloc nicht berücksichtigt zu sein, obwohl der erste Handelstag am 28. September noch ins dritte Quartal fällt.

Gute IPO-Performance stimmt Anleger positiv

Das dritte Quartal ist jedoch statistisch das schwächste im Jahresverlauf, und angesichts der auch in Europa starken Aftermarket Performance von durchschnittlich 30,5% an den Main Markets und einem Zeichnungsgewinn am Ende des ersten Handelstages von 12,6% dürfte sich das IPO-Geschehen weiterhin interessant gestalten.

Schweizer IPO-Markt in guter Verfassung

In der Schweiz erfolgte im dritten Quartal nur ein echter Börsengang. SIG Combibloc nahm bei dem IPO 1.5 Mrd. CHF ein, die Erstnotiz erfolgte am 28. September. Es ist das grösste IPO des Jahres in der Schweiz und das grösste in Europa im dritten Quartal. Weiterhin kamen bereits im Juli Blackstone Resources und ObsEva auf dem Weg des Listings an die SIX. ObsEva ist ein Biotech-Unternehmen; die Handelsaufnahme in der Schweiz folgte auf das 2017 durchgeführte IPO an der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq.

ZKB ermittelt zahlreiche IPO-Kandidaten

In ihrem Quartals-Newsletter zum IPO-Markt stellt die ZKB fest, dass 2018 mit bislang sechs echten Börsengängen das beste Jahr an den Primärmärkten seit 2014 ist. Nur 2005 habe es mehr IPOs in der Schweiz gegeben. Die Experten der ZKB bleiben für den Schweizer Markt zuversichtlich. Der weist mit 3,2% Dividendenrendite und einem für 2019 erwarteten Gewinnwachstum von 13,6% und einem für 2019 geschätzten KGV von 15,9 weiteres Potenzial auf und kann aufgrund der bekannten defensiven Qualitäten auch die Belastungen durch die Zoll- und Handelsstreitereien überwinden.

² adjustiert um Ausschüttungen und Kapitalmarkttransaktionen seit dem 1. Handelstag. Quelle: Bloomberg & Zürcher Kantonalbank

Top-Performer Sensirion und Medartis

Mit Blick nach vorn werden als glaubwürdige Börsenkandidaten angeführt: die Life Sciences Unternehmen Medacta und Implantica. Weiterhin prüfe die Swiss Re den Börsengang einer Tochter. Fundamenta plane einen Wechsel an die SIX und eine Kapitalerhöhung. Bereits bekannt sind die Börsenpläne von Selecta und die zu erwartende Abspaltung von Alcon durch Novartis. Es bleibt also spannend bei den IPOs in der Schweiz. Stand heute sind zwar drei Aktien des Jahrgangs 2018 aktuell im Minus, doch sowohl Sensirion als auch Medartis weisen aussergewöhnlich hohe Kursgewinne auf.

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