Rudolf Hanko, CEO Siegfried Gruppe: „Nicht bei, sondern mit Arzneimitteln sparen“

Der Pharmazulieferer steuert "ganz klar" auf eine Milliarde Umsatz zu

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Mit der Übergabe der operativen Verantwortung an seinen designierten Nachfolger Wolfgang Wienand Ende 2018 geht bei Siegfried eine Ära zu Ende. Rudolf Hanko hat über ein Jahrzehnt lang den Pharmazulieferer geprägt und weiterentwickelt; der Umsatz hat sich in dieser Zeit von 283 Mio. CHF auf 750 Mio. CHF fast verdreifacht. Schrieb das Unternehmen in Hankos erstem Jahr als Chef noch einen Verlust von 35 Mio. CHF, lag der Gewinn in 2017 bei fast 40 Millionen.

Rudolf Hanko wird dem Unternehmen erhalten bleiben. Er ist 2019 an der nächsten GV von Siegfried zur Wahl in den Verwaltungsrat vorgeschlagen.

Wann Siegfried eine Milliarde Umsatz erreichen will, warum die Mitarbeitenden Angst vor der eigenen Courage haben und welche die Hauptvorteile und -probleme am Standort Schweiz sind, erläutert Rudolf Hanko im Gespräch mit schweizeraktien.net.

Der Chemiker Dr. Rudolf Hanko (63) übernahm 2009 die Verantwortung als CEO bei Siegfried. Zuvor war er in verschiedenen leitenden Funktionen in der chemisch-pharmazeutischen Industrie tätig, zuletzt als Leiter des Geschäftsgebiets Exklusiv-Synthese und Aminosäuren bei der deutschen Evonik Industries AG. Rudolf Hanko hat an der Universität Göttingen promoviert und am Max-Planck-Institut einen Postdoc-Aufenthalt absolviert. Bild: schweizeraktien.net

Sie haben fast ein Jahrzehnt lang als CEO die Geschicke von Siegfried geprägt. Auf welche Meilensteine sind Sie besonders stolz?

Erstens ist es uns gelungen, aus einer Firma, die von Stillstand geprägt war, eine Firma zu machen, die in Bewegung ist. Das kann man nicht an einem einzelnen Meilenstein festmachen, das gilt für die gesamte Zeit.

Zweitens hat Siegfried historisch die Höhen und Tiefen der Abhängigkeit von einem Hauptaktionär erlebt. Es gab sicher Zeiten, da war eine solche Struktur sehr hilfreich, aber man hat dann auch die Kehrseiten einer solchen Abhängigkeit gesehen.

Wie sieht Ihr Aktionariat heute aus?

Wir haben Ankeraktionäre, die über die Geschicke der Firma entscheiden. Das ist ein „Sweetpoint“, wo wir uns gut aufgehoben fühlen, weil wir auf der einen Seite langfristige Strategien durchsetzen können, ohne Gefahr zu laufen, dass an einem Halbjahresergebnis gemessen gerade mal wieder die Richtung geändert wird. Auf der anderen Seite sind wir mit einem Freeflow von über 50% für den Kapitalmarkt attraktiv, so dass man sich sehr gut finanzieren kann.

Wo würden Sie sagen: „Das hätten wir besser machen können“?

Mein Traum war immer, möglichst viele Mitarbeitende zu Aktionären zu machen. Zu Beginn der Strategie „Transform“ haben wir ein Konzept aufgesetzt, bei dem alle Mitarbeitenden, vor allem hier in der Zentrale in Zofingen, mitgemacht haben. Das hat mich positiv überrascht. Und die Mitarbeitenden sind ja auch gut gefahren mit dem Programm. Wir hatten in der Spitze deutlich über 10% der Aktien in Mitarbeiterhand, heute sind es immer noch um die 7%, was immer noch sehr respektabel ist.

Auf was führen Sie den Rückgang der Mitarbeiter als Aktionäre des Unternehmens zurück?

Ich nenne das Angst vor der eigenen Courage. Die Mitarbeitenden sind bei einem gewissen Wert eingestiegen, als wir dann eine Verdoppelung erreicht haben, sind viele ausgestiegen, obwohl noch Potenzial in der Aktie war. Diese vorsichtige Haltung prägt natürlich nicht nur unsere Angestellten, sondern viele Aktionäre. Ich glaube, das ist ein kulturelles Thema. Ich sage immer, in der Schweizer DNA gibt es ein Thema, das heisst: „You never walk alone“. Dann sagen die Mitarbeitenden: „Wir sind die Einzigen, die es so machen“ und fühlen sich dabei unwohl.

Eine Schweizer Eigenart?

Die radikale Antithese dazu ist die USA. Wenn da einer nach Hause kommt und sagt, so etwas habt ihr noch nie gehört, dann sagen alle „Wow“. Dort wird der bunte Hund mit all seinen Vor- und Nachteilen viel eher honoriert als hier.

Was geben Sie diesbezüglich ihrem Nachfolger mit auf den Weg?

Es ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, wenn man es schafft, sich als Organisation nicht über die Verteilung der Mittel zu streiten. Wenn Sie Negativbeispiele nehmen, dann sehen Sie, wie zerstörerisch es ist, wenn 50% der Managementenergie darauf verwendet wird, die Dividendenhöhe oder die Lohnerhöhungen zu definieren.

Diesen Konflikt kann man ganz einfach auflösen, wenn jene, die eine Dividende bekommen, die gleichen sind wie jene, die eine Lohnerhöhung erhalten. Das ist eine sehr einfache Lösung, die eine Menge Zeit und Nerven spart.

Kursentwicklung der Siegfried-Aktie in der Ära Hanko. Quelle: six-swiss-exchange.com

Ihre Strategie war es von Anfang an, für Pharmafirmen zu einem bevorzugten Zulieferer chemisch gefertigter Produkte zu werden. Voraussetzung dafür war, dass Sie einen umfassenden Service bieten konnten, der von der Herstellung von Wirkstoffen (Rohprodukten) bis zur Formulierung fertiger Medikamente reicht. Ist die Strategie aufgegangen?

Ja, die Strategie ist aufgegangen, was Sie auch an unseren Zahlen sehen können. Heute sind wir – viel stärker als früher – ein Komplettanbieter für Pharmafirmen. Unser ganzes Geschäftsmodell basiert auf der Annahme, dass die Pharmaindustrie rational handelt und vor allem, dass sie „Return on Capital“ getrieben ist. Und das war ja viele Jahre lang eine offene Frage.

Und heute?

Heute ist die Pharmaindustrie zu einem ganz überwiegenden Teil in der Hand von Value-Investoren, die zum Ziel haben, dass das Geld, das sie in eine Firma stecken, sich auch vermehrt. So gesehen macht Outsourcing an Firmen wie Siegfried jede Menge Sinn. Die Pharmafirma zahlt bei uns nicht unbedingt weniger, als wenn sie selber produzieren würde, aber sie spart überproportional auf der Seite des gebundenen Kapitals. Wenn man also den Quotienten EBIT, EBITDA, Cashflow oder was immer anschaut, geteilt durch das gebundene Kapital, dann sinkt zwar der Zähler im Outsourcing etwas, aber der Nenner sinkt viel stärker, weil ich mir dreistellige Millionenbeiträge auf der Investitionsseite spare. Das ist der Hebel, der durch Siegfried erfolgreich bedient wird.

Es hätte für uns anders ausgehen können, wenn der Wechsel von Wachstum zu Value länger gedauert hätte. Aber solche Paradigmenwechsel finden ja häufig über Nacht statt, wenn die ersten zwei oder drei das gemacht haben, sagen alle, wenn ich jetzt nicht aufpasse, verpasse ich den Zug.

Viel Beachtung wurde dem neu gebauten Werk in Nantong in China zuteil. Ursprünglich rechneten Sie damit, 2016 mit der Produktion dort beginnen zu können und die Zertifizierung durch die US-Gesundheitsbehörde FDA zu erhalten. Die steht immer noch aus. Wann rechnen Sie mit der Zertifizierung?

Eine FDA-Zertifizierung ist nicht zwingend notwendig, um produzieren zu können. Die Zertifizierung erfolgt auf konkrete Produkte, die in die USA exportiert werden. Dazu brauchen wir folglich Kunden. Mit unseren Kunden zusammen gehen wir davon aus, dass wir die Zertifizierung nächstes Jahr erhalten.

Ist die Produktion in China vorwiegend auf den einheimischen Markt ausgerichtet oder werden Sie aus China heraus exportieren?

Dass wir in China für den dortigen Markt produzieren, ist vielleicht in einigen Jahren eine Option. Heute ist zu 100% Export vorgesehen

Sie haben bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen gesagt, dass Sie sich nach weiteren Zukäufen umsehen, um die Tablettenproduktion auf 3 bis 5 Mrd. Stück anheben zu können. Also bis zu einer Verdreifachung der zurzeit produzierten Tabletten und Kapseln in Ihrem Werk in Malta. Gleichzeitig wollen Sie auf dem US-Markt stärker wachsen. Heisst das, dass Sie bevorzugt nach einer Übernahmemöglichkeit in den USA suchen?

Die ungenügende Präsenz mit Produktionsanlagen für Fertigprodukte in den USA ist neben der Lücke bezüglich Kapazität diejenige, die uns am meisten schmerzt. Mit unseren Anlagen in Malta können wir zwar den europäischen Markt sehr gut bedienen. Hier werden Tabletten in Blistern vermarktet. In den USA sind Blister so gut wie unbekannt. Wenn Sie dort in eine Apotheke gehen, erhalten sie die Tabletten offen. Das ist von der ganzen Sekundärverpackung her ein völlig anderer Vertriebsweg. Dafür sind wir in Malta nicht eingerichtet.

Unser erstes Ziel ist es, ein Target in den USA zu finden, das uns einerseits diese Lücke schliesst und uns eine Präsenz zum Thema fester Darreichungsformen schafft.

Wie wird sich der Markt für Siegfried als Custom Development and Manufacturing Organisation (CDMO) entwickeln?

Medikamente machen 11% vom Gesundheitsmarkt aus. Dieser Anteil wächst, weil die Behandlungskosten, vor allem im Krankenhaus, viel höher sind. Mit zielgerichteten Medikamenten bekomme ich die Patienten schneller wieder aus dem Krankenhaus raus. Also sage ich: Nicht bei Arzneimitteln sparen, sondern mit Arzneimitteln sparen. Das ist ökonomisch gesehen die Triebfeder des Pharma-Marktes. Und deshalb hat dieser Markt auch alle Krisen schadlos überstanden.

Ich gehe von einem weiteren Wachstum des Pharmamarktes von 5 – 7% pro Jahr aus, für CDMO-Unternehmen noch etwas mehr.

Wie wollen Sie weiter wachsen?

Es gibt bei uns an der Schnittstelle zwischen Wirkstoff und Fertigarzneimittel viele Technologien, die attraktiv sind. Bei heutigen moderneren Wirkstoffen ist die Wirkung extrem davon abhängig, wie dieser Wirkstoff mikroskopisch vorliegt. Die Frage nach der Wirkung eines Medikaments ist heute nicht nur, welche Chemikalie drinnen ist, sondern auch, in welcher Form sie vorliegt.

Derjenige, der die Brücke zwischen der Chemie im Arzneimittel und der Darreichungsform baut, der bewegt sich in einem attraktiven Geschäftsfeld.

Welche kritische Umsatzgrösse muss Siegfried in den nächsten Jahren erreichen, um gegenüber Konkurrenten wie dem US-Hersteller Patheon/Thermo Fisher, der 20 Mrd. Tabletten herstellt, konkurrenzfähig zu bleiben?

Wir wollen in allen Bereichen, in denen wir tätig sind, zu den führenden Firmen weltweit gehören. Thermo Fisher und Lonza sind im Bereich chemischer Wirkstoffe kleiner als Siegfried. Auf der Drug-Product-Seite bei den Fertigformulierungen sind Thermo Fisher und auch Lonza nach der Capsugel-Übernahme noch klar stärker. Diese Lücke wollen wir schliessen.

Was bedeutet das bezogen auf den Umsatz?

Umsatzmässig steuern wir bei Siegfried ganz klar auf die Milliarde zu. Der weltweite CDMO-Markt ist um die 60 Milliarden Dollar gross; bei einem jährlichen Wachstum von ca. 7% in den nächsten zehn Jahren ist dann der Gesamtmarkt bei über 100 Milliarden. Wenn man davon ausgeht, dass der Markt konsolidiert, dann werden die Marktführer nicht mehr 1 bis 1,5% Marktanteil haben, sondern das Doppelte.

Siegfried hat sich stets zum Standort Zofingen bekannt, an dem das Unternehmen seine historischen Wurzeln hat. Was bedeutet es für Sie, in der Schweiz mit der Produktion präsent zu sein?

Die Schweiz hat im Bereich Finanzierung enorme Standortvorteile. Als mittelgrosses Unternehmen leben wir davon, dass wir in einem Kapital- und Finanzmarkt unterwegs sind, der Geld zur Verfügung stellt. Wenn wir nur aus dem selbst verdienten Geld heraus wachsen müssten, hätten wir eine Transaktion wie die Übernahme von drei BASF-Produktionsstandorten gar nicht stemmen können.

Auch die Qualität der Mitarbeiter – nicht nur auf der Management-Ebene, sondern auch auf dem sogenannten Shop-floor – ist in der Schweiz durch das duale Bildungssystem hervorragend.

Und die höheren Kosten hierzulande?

Die Nachteile in der Schweiz liegen weniger auf der Kostenseite, sie sind mehr in der politischen Konstellation zu suchen. Voraussetzung für unser Geschäft ist, dass wir sehr international unterwegs sind und uns das Know-how dort suchen, wo es vorhanden ist, unabhängig davon, ob der Betreffende einen Schweizer oder einen polnischen oder einen amerikanischen Pass hat. Die starken Bestrebungen in der Schweiz, sich abzukapseln, macht es mühsam. Die „weichen“ Faktoren wie Arbeitserlaubnis, Familiennachzug usw. sind wirklich kritisch. Da muss man in der Schweiz aufpassen, dass man nicht den Ast absägt, auf dem man sitzt.

Herr Hanko, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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