„Die Druckpresse ist die mächtigste Waffe im Arsenal des modernen Kommandanten.“: T. E. Lawrence (Lawrence of Arabia), 1888-1935, Archäologe, Geheimagent, Schriftsteller
Wechsel liegt in der Luft. Ein erdrutschartiger Wahlverlust der CSU in Bayern, ein neuer extremistischer Präsident in Brasilien, dazu ein Fed-Chef, der sich nicht von Trump einschüchtern lässt, sowie ein neues Eskalationsfeld um Saudi-Arabien mit der Drohung, dass der Ölpreis auf 400 USD steigt. Und plötzlich ist nichts mehr, wie es zu sein schien.
Der seit langem laufende Börsenaufschwung in den USA und die vorsichtige schrittweise Erhöhung der Leitzinsen waren mehrfach Gegenstand der Betrachtungen in der Macro Perspective. U.a. wurde davor gewarnt, blauäugig darauf zu vertrauen, dass der von Präsident Trump vorgeschlagene Fed-Chef Powell nach dessen Pfeife tanzen würde. Powell hat soweit erfolgreich die Unabhängigkeit der Zentralbank verteidigt und die angemessenen Zinserhöhungsschritte umgesetzt, trotz Trumps fortgesetzten Protesten.
Der Boom in den USA
Die Arbeitsmärkte in den USA sind eng, der Ölpreis ist kontinuierlich gestiegen, und auch die Asset Inflation bei Aktien und Immobilien hat sich fortgesetzt. Selbst im Alltag sind die Boomzeichen kaum zu übersehen. Auswärts essen ist wieder in, die Restaurants erzielen Rekordumsätze. Vor diesem Hintergrund sind trotz einer Abschwächung der globalen Konjunktur die US-Zinsen am langen Ende, wie erwartet, kräftig auf über 3% angestiegen. Die Prognosen der Banken reichen bis über 4% im kommenden Jahr.
Unternehmensgewinne stimulieren Börse
Wenn auch die Unternehmensgewinne noch weiter steigen, so ist der Zyklus nach 10 Jahren doch ziemlich fortgeschritten, und „risikofreie“ Renditen mit 10-jährigen Staatsanleihen von über 3% sind für sicherheitsorientierte Anleger eine zunehmend attraktive Alternative. Der jüngste Kurssturz ab 10. Oktober war zwar heftig, blieb jedoch weniger ausgeprägt als die Januar-Korrektur. Dennoch, die Volatilität ist wieder angestiegen, und einzelne Aktien erleben starke kurzfristige Kursschwankungen, die den Investoren wieder einmal das erhöhte Risikoprofil des Aktienmarktes vor Augen führen.
IWF reduziert Wachstumsprognose
Doch in Europa, Asien und den Emerging Markets generell haben sich die Marktbedingungen seit Jahresbeginn beträchtlich verschlechtert. Der IWF hatte noch im Januar ein globales Wachstum von 3,9% prognostiziert, ist jetzt jedoch für 2018 und 2019 auf 3,7% zurückgerudert. Der IWF ist jedoch bekannt dafür, die Wachstumspotenziale zu überschätzen, so dass für 2019 tatsächlich ein deutlich schwächeres Wachstum von vielleicht sogar nur 3% zu erwarten ist.
Gewinnrepatriierung treibt amerikanische Aktien-Hausse
An der US-Börse scheint der für lange Zeit nicht enden wollende Aufschwung der Aktienkurse Schwierigkeiten zu haben, das Momentum wieder aufzunehmen. Ein Grund, neben dem nun erreichten hohen Bewertungsniveau, könnte sein, dass die Unternehmen die Repatriierung ihrer im Ausland gehaltenen Gewinne wohl abgeschlossen haben. Zur Steuervermeidung hatten viele international tätigen Konzerne in Jurisdiktionen wie Irland oder auf den Kanalinseln ihre Gewinne angehäuft. In der Spitze waren es mehr als 1 Bio. USD. Durch die von Trump betriebene Repatriierungspolitik ist etwa diese Summe zusätzlich in Aktienrückkaufprogramme eingeflossen. Dies hat dem amerikanischen Aktienmarkt geschätzte 3% der ausstehenden Aktien (wertmässig) entzogen.
Expect the unexpected
Doch so wie vor einem Jahr nur wenige mit der Türkeikrise und dem internationalen Fall-out von Argentinien über Indien bis China gerechnet haben, so brauen sich auch heute neue Krisenherde zusammen. Obwohl in der Macro Perspective immer wieder auf die Gefahren der Politik Saudi-Arabiens hingewiesen worden war, insbesondere, seitdem der Thronfolger wesentliche Entscheidungen trifft, kommt jetzt der potenzielle Trigger-Point für eine globale Krise aus einer anderen Richtung.
Die Affäre Khashoggi
Als vor zwei Wochen der saudische Journalist Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat von Istanbul verschwand, deutete zunächst nichts darauf hin, dass dies weitreichendere Kreise ziehen würde. Schliesslich sind ermordete oder entführte Journalisten heute die traurige Realität in Russland wie in Malta, Montenegro, Bulgarien oder Mexiko oder Brasilien ….
Khashoggi war zudem nicht unbedingt ein harter Kritiker der Verhältnisse in Saudi-Arabien, obwohl er seit einem Jahr im selbstgewählten Exil in den USA lebte und dort für die Washington Post schrieb. Obwohl seine Artikel durchaus kritisch waren, äusserte er sich vereinzelt sogar positiv zu den Aktivitäten und Ankündigungen des Thronfolgers, etwa die überfällige Fahrerlaubnis für Frauen.
Davos in the Desert
Die Türkei allerdings behauptete schnell, Beweise für die Ermordung Khashoggis im Konsulat zu besitzen. Eine Affäre von internationaler Tragweite nahm ihren Lauf. Ende Oktober sollte in Saudi-Arabien eine neue Investment Konferenz stattfinden, die aufgrund ihres hohen Anspruchs als „Davos in the Desert“ neue Massstäbe setzen sollte. Namhafte Sprecher und Sponsoren waren mühsam gefunden worden. Als jedoch die Khashoggi-Affäre ins Rollen kam, sprangen alle namhaften Teilnehmer der Konferenz ab. Dies ist eine Ohrfeige für das Königshaus und speziell den Thronfolger, denn das Land braucht zur Umsetzung der ambitionierten Agenda „Vision 2030“ vor allem ausländische Investoren. Die Konferenz sollte als Network-Plattform zur Vorbereitung von zahlreichen Multi-Milliarden Deals dienen. Aber es sollte nicht sein.
Trumps wankelmütige Kommentare
Stattdessen polterte Trump letzte Woche unerwartet und drohte „schwere Bestrafung“ an, sollten sich die Mordvorwürfe gegen die Saudis als Tatsache erweisen. Inzwischen paddelte Trump wieder zurück und entsandte seinen Secretary of State, Mike Pompeo, anfangs dieser Woche nach Riad.
Eine Geschichte der Drohungen
Auf saudischer Seite wurden, wie in der Vergangenheit auch schon, schwere Drohungen ausgestossen. Zur Erinnerung: Als Kanada vor kurzem die Einhaltung der Menschenrechte in Saudi-Arabien einforderte, reagierten die Saudis mit dem totalen Divestment, der Rückholung von Studenten und Kranken aus Kliniken und dem weitgehenden Abbruch der Beziehungen. Als es unter Obama rechtlich möglich wurde, Saudi-Arabien zivilrechtlich wegen Unterstützung der Terroristen von 9/11 zu verklagen, wurde mit einem ähnlichen Katalog von Drohungen reagiert.
Overkill-Drohung zeigt blankgelegte Nerven
Dieses Mal jedoch, vielleicht ein Zeichen der hohen Nervosität, wird ein regelrechter Overkill für den Rest der Welt angedroht. Der General Manager des staatlichen saudischen TV-Netzwerkes Al-Arabyia, Turki Aldakhil, veröffentlichte vor einigen Tagen als Reaktion auf angedrohte Sanktionen einen Meinungsartikel, der sehr deutlich durchblicken lässt, wie die Reaktion des Königshauses aussehen würde. U.a. heisst es: „(Sanktionen) würden dazu führen, dass sich Saudi-Arabien nicht zu einem Fördervolumen von 7,5 Mio. Fass verpflichten würde. Auch wenn es Präsident Trump schon geärgert hat, als der Ölpreis 80 USD überschritten hat, so sollte niemand es ausschliessen, dass der Preis auch auf 100 USD, 200 USD oder sogar auf das Doppelte springen kann.“ Eine klare Sprache! Insgesamt seien 30 Massnahmen quasi als Giftpfeile im Köcher.
Kommt ein neuer Ölschock?
Auch wenn sich heute kaum noch jemand an die Ölschocks der 1970er Jahre erinnern kann oder will, eine Vervielfachung des Ölpreises würde wohl auch heute noch eine hohe Inflation, explodierende Zinsen und eine nur schwer in ihrem Ausmass vorstellbare wirtschaftliche Abschwächung nach sich ziehen. Fast unnötig ist es, auf die dann zu erwartende Welle von Pleiten hinzuweisen, insbesondere, wenn das Geschäftsmodell von tiefen Zinsen, niedrigen Transportkosten oder ähnlichen Faktoren abhängt, wie beispielsweise Fluglinien und Automobilhersteller, oder wenn die Lieferkette global verläuft oder hohe Fremdkapitalquoten charakteristisch sind. Der Fall-out würde in der Konsequenz auch Dienstleistungsbranchen erfassen, ebenso Werbung, Einzelhandel, Immobilien.
Business as usual?
Die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommen wird, ist im Moment eher gering einzuschätzen. Saudi-Arabien ist für die USA der mit Abstand grösste Käufer von Rüstungsgütern, Waffen und Munition. Russen und Chinesen würden die entstehende Lücke gar zu gern ausfüllen. Gegenwärtig kaufen die Saudis 10% der US-Produktion in diesem Sektor. 85% der Produktion ist für die US-Armee, was heisst, dass nur 5% auf andere Käufer entfallen. Allein im letzten Jahr wurden Waffen-Deals über 17,5 Mrd. USD abgeschlossen. Trump unterzeichnete ein gemeinsames „Verteidigungsabkommen“ mit den Saudis, welches ein Volumen von weiteren Waffenkäufen in Höhe von 110 Mrd. USD beinhaltet.
Weitere pekuniäre Aspekte sind vereinbarte Investitionen des saudischen Staatsfonds in die US-Infrastruktur in Höhe von 20 Mrd. USD bis 40 Mrd. USD, die abgeblasen werden können, sowie die simple Tatsache, dass 800 Mrd. USD in US-Staatsanleihen von den Saudis auch verkauft werden könnten.
Saudische Thronfolge bleibt unberechenbar
Ein ganz anderer Aspekt betrifft die Rolle des Thronfolgers in dem sich entfaltenden Drama um die Nachfolge des Königs. Zwar ist der Kronprinz als Thronfolger erwählt und auch in die entsprechenden Machtpositionen eingeführt, dennoch ist er nur eines von vielen Familienmitgliedern, die Ansprüche geltend machen können. Der Coup gegen Milliardäre, Familienmitglieder und Angehörige von Militär, Polizei und Geheimdiensten vor einiger Zeit diente nicht nur der Aufdeckung von angeblicher Korruption, sondern auch, um Widersacher und Rivalen kaltzustellen. Traditionell ist die Ermordung von Machthaltern, Thronfolgern und familiären Rivalen in der Thronfolge üblich und verbreitet. Der 32-jährige Mohammed bin Salman gilt als Heisssporn und könnte seine Aufgabe in den Augen des Königs auch nicht zufriedenstellend ausfüllen. Nicht nur hat der König sich gegen den von MbS betriebenen Börsengang von Aramco entschieden, sondern auch erstmals seit der MbS-Promotion hochrangige diplomatische Aufgaben an reifere Staatsdiener übertragen. Dies könnte auch der Anfang vom Ende des dritten Kronprinzen sein, der ja selbst seinen eigenen Vorgänger ablöste. Vor allem dann, wenn sich erhärtet, dass MbS hinter dem Verschwinden Khashoggis steckt. Unnötig zu erwähnen, dass der türkische Präsident Erdogan versucht, die „Khashoggi-Affäre“ für seine Zwecke einzusetzen, was es erschwert, die Wahrheit herauszufinden.
Bayerische Landtagswahl könnte Trendwende markieren
Klar zutage liegt die Wahrheit dagegen im Fall der bayerischen Landtagswahl. Die historischen Verluste der CSU um über 11% auf nur noch 35% bei gleichzeitig deutlich höherer Wahlbeteiligung (72%) spricht für sich. Es hat sich desaströs ausgewirkt, wie die Partei nach rechtsaussen gerückt ist. Ein grosser Teil der Stammwähler will aber keine rassistische, unchristliche und asoziale Politik, wie sie von Söder und seiner Regierung repräsentiert wird. Denn obwohl Bayern mit seinem historisch gewachsenen rechten Netzwerk für konservative Politik steht, so gibt es doch auch eine starke progressive und freiheitliche Tradition. Beispielsweise wurde 1918 in München als Folge der russischen Oktoberrevolution eine revolutionäre Räterepublik installiert, die einzige auf deutschem Boden in der Geschichte, die jedoch durch Monarchisten niedergeschlagen wurde. Bemerkenswert, wenn auch nicht überraschend, ist zudem, dass die SPD mit weniger als 10% nur noch fünftstärkste Partei im Landtag sein wird. Umgekehrt gewannen die Grünen kräftig auf über 18%. Die bundespolitischen Folgen sind schwer abzuschätzen. Instabile Verhältnisse in Deutschland aber schwächen auch die EU. Die Unsicherheit nimmt durch die aktuellen Entwicklungen definitiv zu.
Brasilien vor Rechtsrutsch
Der allgemeine Trend der Hinwendung zu extremen und populistischen Parteien verlief bislang nahezu ungebremst. Auch in Brasilien, dem bevölkerungsreichsten Land Südamerikas, sieht es ganz nach dem Triumph des „brasilianischen Trump“, Jair Bolsonaro, aus. Der ist voll des Lobes für die Militärdiktatur von 1964 bis 1985, will Regenwald und Naturschutzparks roden lassen und kümmert sich nicht um Ureinwohner und Ökosystem, sondern nur um die Interessen der Viehzüchter und Sojafarmer. Für deren Produkte – Fleisch und Viehfutter – herrscht starke Nachfrage, vor allem aus Europa und China.
Insofern bricht das Wahlergebnis in Bayern vielleicht erstmals den Trend zum Populismus und markiert, so wäre zu hoffen, die Rückkehr zu einer lösungsorientierten und von Argumenten getragenen Politik.
Ein guter Leitsatz für die zunehmend rücksichtslosen politischen Akteure ist die Aussage von Lawrence: „Für mich war eine unnötige Aktion, ein unnötiger Schuss oder Unfallverlust nicht nur unnütz, sondern Sünde.“