10 Mio. CHF sind eine Menge Geld. Eigentlich sollten die beiden Banken UBS und Morgan Stanley diese Summe für ihre Dienste bei der erfolgreichen Beschaffung von frischem Kapital für die Versandapotheke Zur Rose Group erhalten. 200 Mio. CHF benötigte Zur Rose, um die Übernahme der drittgrössten deutschen Online-Apotheke Medpex zu finanzieren. Nur rund 190 CHF Mio. CHF fliessen Zur Rose als Nettoertrag zu – rund 10 Mio. CHF bleiben in den Taschen der beteiligten Banken.
Versehentlich Zeichnung über 385’714 Aktien nicht übermittelt
Für diesen Betrag hätten die beiden Geldhäuser ruhig etwas genauer hinschauen können. Denn bei der in der letzten Woche zügig durchgeführten Kapitalerhöhung ist ein kapitaler Fehler passiert: Die Zeichnung des Grossaktionärs KWE Beteiligungen wurde von deren Hausbank «versehentlich nicht an die mit der Kapitalerhöhung beteiligten Banken übermittelt», wie Zur Rose am 3. Dezember mitteilte. Insgesamt hätten KWE Beteiligungen 385’714 Aktien zugeteilt werden sollen. Damit wären statt 889’239 Aktien 1’275’953 Aktien von Altaktionären gezeichnet worden – also rund 43% mehr als am Mittwoch, 28. November, abends um 17.35 Uhr von Zur Rose bekannt gegeben. Pikant an diesem Detail ist auch der von der Gesellschaft und den Investmentbanken kommunizierte Zeitplan: Am 28. November endet um 12 Uhr die Bezugsfrist. Von 12 Uhr bis zum Börsenschluss – also um 17.35 Uhr – hätten sowohl die Investmentbanken UBS und Morgan Stanley als auch das Management von Zur Rose Zeit gehabt, in den Orderbüchern nachzuschauen, wer von den Altaktionären nicht gezeichnet hat. Eine fehlende Zeichnung von 385’714 Aktien kann dabei nicht einfach übersehen werden. Schliesslich hatte die KWE Beteiligungen der Familie Frey, welche über Vanessa Frey auch im Verwaltungsrat der Gesellschaft vertreten ist, bereits von Beginn an ihre Beteiligung an der Kapitalerhöhung zugesichert.
Drastischer Kursrückgang der Zur Rose-Aktie
Doch eine Reaktion von Management und Banken auf die fehlende Zeichnung hat es offenbar nicht gegeben, obwohl das mangelnde Interesse der Altaktionäre angesichts des niedrigen Zeichnungsvolumens offensichtlich war. Doch damit nicht genug. Das Signal des geringen Interesses der Altaktionäre wirkte sich auch am Markt negativ aus. Schliesslich hatte Zur Rose seinen Aktionären, anders als bei den meisten Kapitalerhöhungen üblich, keinen Bezugspreis genannt, sondern nur kommuniziert, dass dieser nahe dem Marktpreis («at market») liegen sollte. Doch der Marktpreis war binnen weniger Wochen von knapp 130 CHF auf 104.20 CHF zurückgegangen. Grund dafür war einerseits die vom deutschen Wettbewerber Shop Apotheke am 13. November kommunizierte Gewinnwarnung, die den Aktienkurs auch bei Zur Rose unter Druck setzte. Auch eine rasch von Zur Rose publizierte Erhöhung der Finanzziele am 15. November half dem Kurs wenig. Andererseits schien das Interesse an der Kapitalerhöhung sehr gering. Denn der Aktienkurs ging alleine von Beginn der Bezugsfrist am 22. November bis zum Ende am 28. November um rund 8% zurück. Dies, obwohl der Grossaktionär KWE stets erklärt hatte, seine Bezugsrechte in vollem Umfang ausüben zu wollen.
Fehlendes Sensorium bei Banken und Management
Dass dies jedoch offenbar nicht geschehen war, machte bei den emissionsbegleitenden Banken niemanden misstrauisch. Im Gegenteil: Das Misstrauen des Marktes wurde genutzt, um 1’261’299 Aktien binnen einer Nacht im Rahmen eines beschleunigten Bookbuildingverfahrens bei neuen Investoren zu platzieren. Das Problem dabei: Durch die nicht ausgeübten Bezugsrechte der KWE Beteiligungen mussten UBS und Morgan Stanley deutlich mehr Aktien am Markt platzieren, als eigentlich notwendig gewesen wäre. Dies hatte schliesslich auch einen negativen Einfluss auf den Preis, der auf 93 CHF festgelegt und am Morgen des 29. November um 7.00 Uhr kommuniziert wurde. In einer Nachtschicht hatten es die Banker offenbar geschafft, die nicht von Altaktionären gezeichneten Zur Rose-Aktien zu einem niedrigen Preis bei Investoren zu platzieren. Kein Wunder also, dass auch am 29. November der Aktienkurs auf 92.10 CHF und damit unter den Platzierungspreis fiel und am nächsten Tag sogar mit nur 89.70 CHF schloss. Anlass zu Fragen gibt auch die überhastete Platzierung der Aktien in der Nacht vom 28. auf den 29. November. Laut dem erwarteten Zeitplan der Kapitalerhöhung war das Ende der Bookbuilding-Periode erst für den 29. November um 15.00 Uhr geplant. Auch hier wäre nochmals genug Zeit geblieben, um der fehlenden Zeichnung des Hauptaktionärs nachzugehen.
Überhastetes Ende des Bookbuilding-Verfahrens
Insgesamt macht die Durchführung der Transaktion, die in einem sehr volatilen Umfeld erfolgte, einen überhasteten Eindruck. Mit etwas mehr Ruhe und Überlegung wären die vorliegenden Fehler wohl nicht passiert. Besonders für Altaktionäre, die sich nicht an der Kapitalerhöhung beteiligt haben, wäre die Verwässerung dann auch deutlich geringer ausgefallen. Aktionäre, die im Rahmen des im Juli 2017 durchgeführten Börsengangs 140 CHF für eine Zur Rose-Aktie zahlten, dürften keine Freude an dem bisher miserablen Kursverlauf haben. Auch damals sass übrigens die Grossbank UBS als sogenannter «Joint Global Coordinator und Bookrunner» mit im Konsortium der emissionsbegleitenden Banken. Beim IPO war die Zur Rose-Gruppe laut Schätzungen der Banken 870 Mio. CHF wert. Mehr als ein Jahr später, nachdem die Versandapotheke organisch und akquisitorisch gewachsen ist, bringt sie nach der jüngsten Kapitalerhöhung nur noch 708 Mio. CHF auf die Waage. Dass sich Analysten und Investmentbanker bei der Bewertung irren können, ist durchaus bekannt. Dass sie aber bei einer Transaktion, bei der sie rund 10 Mio. CHF verdienen, nicht genau hinschauen, ist mehr als bedauernswert.
Es bleibt zu hoffen, dass das Management von Zur Rose aus dieser Situation lernt und sich bei künftigen Transaktionen nicht mehr den Schalmeienklängen der Investmentbanker von Grossbanken hingibt. Denn diese haben auch zehn Jahre nach der Finanzkrise nichts gelernt und immer noch den kurzfristigen Profit vor Augen; die nachhaltige unternehmerische Entwicklung spielt für sie keine Rolle. Das Risiko für UBS und Morgan Stanley war bei der Transaktion ohnehin gering: Das Konsortium hatte zwar die Bezugsrechtsemission in Höhe von 200 Mio. CHF fest übernommen. Doch die Generalversammlung genehmigte eine Kapitalerhöhung von bis zu 2’655’476 neuen Aktien. Rein rechnerisch hätte das Konsortium bei mangelndem Interesse von Investoren lediglich rund 75 CHF für eine Aktie zahlen müssen.
Bleibt am Schluss noch die Fragen offen, wie die Hausbank der KWE Holding die Situation für seinen Kunden lösen wird. Doch vielleicht hat sie dies auch schon erledigt. Am 29. November wurden 295’855 Aktien an der SIX gehandelt, am 30. November nochmals 108’747. Mit mehr als 400’000 Aktien an zwei Tagen in diesem wenig liquiden Titel (durchschnittliches Handelsvolumen pro Tag ca. 17’000 Aktien) könnten schon heute die aus der «vergessenen Übermittlung» fehlenden Aktien auf dem Weg zu ihrem Besitzer sein.
Nachtrag: Am 4. Dezember um 7 Uhr gab Zur Rose nun bekannt, dass die KWE Beteiligungen mit ihrer Hausbank einen Vergleich abgeschlossen habe. „Dieser beinhalte nicht die Lieferung von Aktien bzw. deren Beschaffung im Markt durch die Hausbank, um die Beteiligung von KWE Beteiligungen AG wieder aufzustocken“, so die Mitteilung weiter. Demnach wird die KWE Beteiligungen entgegen ihrer früheren Aussagen die Kapitalerhöhung nicht mittragen.
Transparenzhinweis: Dem Autor nahestehende Kreise sind Aktionäre der Zur Rose Group AG.