Im Brennpunkt: Wie die Schweiz bei den Brexitverhandlungen von der EU instrumentalisiert wird

Stromabkommen und Anerkennung der Börsenäquivalenz als Druckmittel

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Die Schweiz eignet sich schon aufgrund ihrer Lage im Herzen Europas und lückenlos von EU-Ländern umringt hervorragend, um an ihr ein Exempel zu statuieren.

Schon seit dem Brexit-Referendum im Sommer 2016 hängt der Schatten des ersten Ausstiegs eines Mitgliedslandes aus der EU über den Märkten. Doch was hat die Schweiz als Nicht-EU Mitglied damit zu tun? Mehr als es den Anschein hat, denn die EU-Kommission ist mittlerweile bissig geworden und will den Briten und anderen möglichen Sezessionisten am Exempel Schweiz demonstrieren, was Nicht-EU-Länder zu erwarten haben.

Der ungeordnete Brexit-Prozess wirft seine Schatten schon lange, und schier endlos scheint das Hin und Her. Doch der 29. März steht als Stichtag, und mehr als vielleicht zwei oder drei Wochen Nachfrist sind von der EU nicht zu erwarten. „Deadlocked“ war als Letztes aus der Downing Street zu hören. Das stimmt nicht unbedingt zuversichtlich. Wenn es keine Einigung gibt, so kommt es zum „Hard Brexit“ – ohne vertragliche Übergangslösungen und ohne spezielle Beziehung danach. Das ist es, was an den Börsen gefürchtet wird, denn es gibt keine vergleichbaren Fälle, an denen man sich orientieren könnte.

Zu den sichtbaren Effekten zählen bislang ein schwaches Pfund, eine gebremste Konjunktur und Banken sowie Unternehmen, die ihren Zugang zum EU-Markt durch Gründung von Tochtergesellschaften und Produktionsverlagerungen zu sichern versuchen. Nicht wenige Briten haben auch Pässe in ihren Gastländern auf dem „Continent“ beantragt.

Austritt nicht vorgesehen

Weniger offensichtlich ist das politische Gerangel hinter den Kulissen. Damit ist hier nicht die innenpolitische Situation auf den britischen Inseln gemeint, sondern die internationale Bühne. Während der gesamten Brexit-Verhandlungen hat sich gezeigt, dass die EU und deren Vertreter den Verlust eines Mitgliedslandes möglichst erschweren wollen. Allerdings war in den EU-Verträgen zwar alles für den Beitritt neuer Länder definiert, nicht jedoch das Verlassen der EU! Ein Konstruktionsfehler, der weitere nach sich ziehen muss.

Denn aus Sicht der EU kann man zwar mit den historisch gewachsenen Beziehungen und Strukturen zu den europäischen Nicht-EU Ländern Norwegen und Schweiz leben, doch der nicht vorgesehene Ausstieg eines bevölkerungsreichen Landes schwächt die Organisation und, schlimmer noch, es ist ein Präzedenzfall. Zwischenzeitlich gibt es nicht nur in Italien Sezessionsbestrebungen. Also geht es für die EU im Kern um die Verhinderung weiterer Abgänge. Deshalb ist der Weg für die Briten nicht mit duftenden Rosen bestreut, sondern mit Dornen.

Norwegen und Schweiz

Norwegen bietet der EU wenig Anlass zu Friktionen durch Anpassung an EU-Standards und strikte Befolgung der vier Freiheiten – darunter auch die freie Bewegung von Arbeitnehmern. 15% der Bevölkerung von 5,3 Mio. sind Nicht-Norweger. Zudem ist das Flächenland am nördlichen Rand Europas aufgrund des Ölreichtums in einer privilegierten Position und erreicht mit 75’000 USD je Kopf ein hohes BIP.

Die Schweiz eignet sich da schon aufgrund ihrer Lage im Herzen Europas und lückenlos von EU-Ländern umringt weit besser, um ein Exempel zu statuieren. So wartet das bereits 2014 fertig ausgehandelte Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU immer noch auf seine Finalisierung. Allerdings ist zwischenzeitlich von dem grösseren Partner eine weitere Hürde errichtet worden. Voraussetzung für den Abschluss des Stromabkommens sei der vorherige Abschluss eines Rahmenabkommens.

Das neue Rahmenabkommen

EU-Kommissionspräsident Juncker hatte der Schweiz vor dem Jahreswechsel eine neue Version des Rahmenabkommens vorgelegt. Dazu wurden Gutachten in Auftrag gegeben. In einem davon ist von „Vasallisierung“ die Rede. Konkret geht es darum, dass sich die Schweiz im Streitfall de facto der EU-Gerichtsbarkeit unterwerfe. Austrittswilligen Ländern wie Grossbritannien oder einem Land ohne Beitrittsabsichten wie der Schweiz würde ein Verfahren aufgezwungen werden, das für Assoziierungsverträge für EU-Beitrittskandidaten entwickelt worden sei.

Die EU und ihre Mitgliedsländer gehen davon aus, dass das Rahmenabkommen in der Schweiz im Frühjahr die Zustimmung des Parlaments findet. Doch ganz sicher erscheint das nicht. Zweifellos spricht vieles dafür, den Zugang zum Wirtschaftsraum der EU langfristig zu sichern, doch ein quasi-Beitritt durch Aufgabe der Souveränität in Kernbereichen ist auch keine Alternative.

Anerkennung der Börsenäquivalenz als Druckmittel

Simpel betrachtet geht es darum, dass die EU von vielen Seiten unter Druck steht und vielleicht gerade deshalb ihre Position der Stärke des ungleich Grösseren gegenüber den Kleinen kompromisslos durchsetzen will. Druckmittel ist auch die Anerkennung der Börsenäquivalenz – früher mehr eine Formsache. Doch nun wurde die Anerkennung nur für ein Jahr gewährt. Sollte es keine Verlängerung geben, so droht, laut Fachleuten, ein Abwandern von bis zur Hälfte des aktuellen Börsenumsatzes an Börsenplätze der EU. Das ist schon eine ziemlich bedrohliche Keule, die der Goliath EU da schwingt.

Dabei ist ein Konfrontationskurs gegen die Schweiz auch gegen die eigenen Interessen der EU. So bildet im europäischen Energiemarkt Swissgrid einen integralen Bestandteil beim entstehenden European Super Grid. Im Übrigen funktioniert der Stromhandel trotz dem seit Jahren aufgeschobenen Stromabkommen zwischen EU und Schweiz weitgehend reibungslos.

Die neue, 2018 in Betrieb genommene Steuerungszentrale von Swissgrid in Aarau. Bild: swissgrid.ch

Energiewende von Unsicherheiten betroffen

Eine Folge der unverhohlenen Machtpolitik der EU scheint jedenfalls zu sein, dass die damit einhergehende Unsicherheit die Investitionen in den Ausbau der erneuerbaren Energien gedämpft hat. 2017 entfielen von der Schweizer Energieproduktion lediglich 0,2% auf Wind, 2,1% auf Photovoltaik und 2,7% auf Biomasse, davon zwei Drittel aus Abfall. Bemerkenswert ist, dass auf Geothermie 0% entfallen. Den Hauptanteil liefern immer noch Wasserkraft mit 59,6% und Nuklearenergie mit 32%. Noch 2011 steuerte Atomstrom allerdings 40,7% bei. Die jüngsten Zahlen zeigen, dass der Weg zu den Zielgrössen der Energiestrategie 2050 noch sehr weit ist. Die Kernkraftwerke werden bis 2034 vollständig vom Netz genommen. Das heisst, dass in den nächsten 15 Jahren nicht nur die wegfallenden 32% Nuklearanteil substituiert werden müssen, sondern auch die in der Energiestrategie 2050 geplanten 10% aus Geothermie, denn nichts weist auf Probebohrungen oder gar konkretere Planungen von Kraftwerken hin. 10% bis 15% des Energiemix sollen aus der Solarenergie kommen, 6% bis 10% aus Biogas und 3 bis 5% aus Windenergie.

Solange günstige Stromimporte die „Stromlücke“ füllen können, mag die Problematik weniger dringlich erscheinen. Doch das könnte sich auch wieder ändern. Zudem stellt eine zu grosse Nähe zur EU zumindest indirekt auch eine Bedrohung der kleinteiligen Strukturen in der Schweiz dar. Dies gilt nicht nur für die Energieversorgung, sondern auch für die zahlreichen Regionalbanken oder die Agrarwirtschaft.

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