Immobilienmarkt Schweiz: Wer neu baut, muss Mehrwert teilen

0
6413

Dieser Frühling hat trotz kühlen Temperaturen in der Zürcher Baupolitik für heisse Köpfe gesorgt. Und für einen historischen Kompromiss, bei dem Mieterverband, Hauseigentümer, linke sowie rechte Politiker eine freudvoll-ungewöhnliche Einheit demonstriert haben. Doch alles der Reihe nach. Worum ging es eigentlich?

Gegenstand der ungewohnten Harmonie war das Mehrwertsausgleichsgesetz. Klingt komplex, ist es aber eigentlich gar nicht. Gemeinden in der Schweiz haben noch nicht all ihre Bodenreserven restlos überbaut. Gemäss einer Einschätzung des Immobiliendienstleisters IAZI wären diese in Top-Lagen bereits in etwa zwei bis fünf Jahren ausgeschöpft bei einem gleichbleibenden Flächenverbrauch. Hingegen verfügen ländliche, periphere Gemeinden über so viele Reserven, dass für die volle Ausschöpfung mehr als 50 Jahre vergehen könnten.

So lange dauert es, bis die Bodenreserven in der Schweiz restlos ausgeschöpft sind

Quelle: IAZI AG

Wird nun Land in den Gemeinden neu eingezont, oder anders gesagt, wenn sich die Wiese des Bauern in eine Zone für Häuserbau verwandelt, wird sich aller Voraussicht nach der Bodenpreis verteuern. Und das nicht zu knapp. Für diesen Bonus muss der Grundeigentümer einen Teil des Mehrwertes an die jeweilige Gemeinde abgeben. Diese finanziert mit dem Geld die Infrastruktur rund um die Liegenschaft wie beispielsweise Zufahrtsstrassen, Schulhäuser, aber auch Grünanlagen.

Einzonungsstopp für säumige Kantone

Die von den Stimmbürgern akzeptierte Revision des Raumplanungsgesetzes hat das schon vor etwa fünf Jahren vorgeschrieben. Einige Kantone schafften die kantonale Ratifizierung relativ schnell. Andere hingegen, darunter Zürich, Genf, Luzern, Schwyz und Zug, übertrugen die Mehrwertabgabe nicht rechtzeitig in ihr Baugesetz oder erfüllten die bundesrechtlichen Anforderungen nicht. Worauf der Bundesrat am 10. April für die säumigen Kantone einen Einzonungsstopp erliess. Der Zürcher Regierungsrat schlug vor, lediglich das Minimum gemäss Raumplanungsgesetz, also 20 Prozent des Mehrwerts, abzuschöpfen. Die SP hingegen forderte via eine in der Zwischenzeit zurückgezogene Initiative eine Abschöpfung von bis zu 60 Prozent.

Gemeinden dürfen bis zu 40% des Mehrwerts abschöpfen

Der Kompromiss, den die Verbände und Parteien nun in vergleichsweise kurzer Zeit zustande gebracht haben, hat sich etwa in der Mitte eingependelt. So dürfen Gemeinden bei Um- und Aufzonungen bis zu 40 Prozent des Mehrwerts abschöpfen. Alternativ darf ein Bauherr mit der Gemeinde einen städtebaulichen Vertrag abschliessen, d.h. er erstellt die Infrastrukturbauten in Eigenregie und muss die Gemeinden dafür logischerweise nicht entschädigen. Positiv reagiert hat der in Zürich gut situierte Immobilienbesitzer Mobimo. Mobimo-Sprecherin Marion Schihin begrüsst, „dass die Phase der Unsicherheit beendet ist.“  Die Wirkungen eines Einzonungsstopps wären allerdings  für das Unternehmen nicht so stark ins Gewicht gefallen, da „Neueinzonungen im Kanton Zürich sowieso sehr selten vorkommen.“

Klare Mehrwertregelung gegen schleichende Zersiedelung

Das Zuger Immobilienunternehmen Zug Estates besitzt ebenfalls kein Land mit Einzonungspotenzial. Zug ist bezüglich der kantonalen Ratifizierung der Mehrwertabgabe ebenfalls ein Nachzügler. Vor ein paar Tagen hat das Zuger Stimmvolk der dafür nötigen Revision des Planungs- und Baugesetzes zugestimmt. Der CEO von Zug Estates, Tobias Achermann, sieht jetzt in der klaren Mehrwertregelung vielmehr einen Vorteil im Vorgehen gegen die schleichende Zersiedelung. Durch die Mehrwertabgabe „wird die Bebauung des Baulandes gefördert und die Spekulation verhindert.“ Die Logik ist soweit nachvollziehbar. Um die anfallende Mehrwertabgabe für die Verwandlung einer Kuhweide in eine Bauzone für Wohnliegenschaften zu amortisieren, muss der Besitzer wohl oder übel bauen.

Seit 2014 hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung verschärft und zwingt die Gemeinden, haushälterischer mit ihrem Boden umzugehen. Ob am Schluss die Zersiedelung damit verhindert wird, bleibt dahingestellt. Einerseits zwingt die gegenwärtige Tiefzinspolitik institutionelle wie auch private Anleger, in das einzige renditeträchtige Instrument zu investieren: nämlich Mehrfamilienhäuser. Je nach Kanton bewegen sich die Renditen gegenwärtig zwischen 1 bis 3 Prozent. Vor allem in der Peripherie haben sich dramatisch hohe Leerstände aufgebaut. Der Grund: Die Zuwanderung hat Tiefstwerte erreicht, und somit fehlen plötzlich die Menschen, die neuen Wohnraum nachfragen. Das bäuerliche Huttwil am Rande des Emmentals verzeichnete letztes Jahr eine rekordhohe Leerstandsquote von 16%.

Preise für privates Wohneigentum laufen seitwärts

Hohe Leerstände, steigende Preise. Tiefere Renditen, sinkende Mieten. Dieser unheilvolle Mix hat die Finanzwelt bereits im letzten Jahr beunruhigt. Die Bankiervereinigung hat im März bekannt gegeben, dass sie sich strengere Vergaberegeln für Hypotheken in Form einer Selbstregulierung vorstellen könnte. Kenner des Immobilienmarktes haben ein Déjà-Vu-Erlebnis. Vor fünf Jahren hielt eine Verschärfung der Hypothekarvergaberegeln die Preisentwicklung für privates Wohneigentum einigermassen unter dem Deckel. Die viel beschworene Preisblase löste sich plötzlich in nichts auf. Derzeit laufen die Preise für privates Wohneigentum seitwärts, sind aber immer noch hoch. Das wirkliche Allheilmittel gegen die wachsende Überbauung ist eine sukzessive Erhöhung der Leitzinsen. Doch diese Trendwende ist, laut den Immobilienexperten der IAZI AG, frühestens in zwei Jahren vorstellbar.

Die Schweizerische Eidgenossenschaft stellt in Zusammenarbeit mit den Kantonen die interaktive Karte Swisstopo zur Verfügung, in der man aus der Vogelperspektive die Zersiedelung seiner Gemeinde im Zeitraffer über die Jahre hinweg verfolgen kann. 

Kommentar verfassen