Im Frühjahr sorgte die in baunahen Bereichen tätige Weiss+Appetito Holding AG für Gesprächsstoff. Die acht Gruppenleitungsmitglieder und Partner, welche über die Weiss+Appetito Beteiligungs AG 55% der Stimmen kontrollieren, liessen sich an der Generalversammlung in den Verwaltungsrat wählen. Der bisherige unabhängige VR-Präsident Daniel Kramer trat zurück, ebenso die CEO Andrea Wucher.
Im Gespräch mit schweizeraktien.net erklären der heutige Verwaltungsratspräsident Thomas Baumgartner, der seit 27 Jahren in dem Unternehmen tätig ist, und Finanzchef Oliver Schüttel, wie es zu der Situation gekommen ist und welchen Einfluss die Minderheitsaktionäre künftig haben werden. Ausserdem geben sie einen Einblick in den aktuellen Geschäftsverlauf, den Stand beim Ausbau des 5G-Netzes sowie das Innovationspotenzial ihres Unternehmens.
Herr Baumgartner, die Aktionärs- und damit auch die Führungsstruktur der Weiss+Appetito-Gruppe ist sehr komplex und nicht mehr zeitgemäss. Warum haben Sie mit der Wahl der Partner in den Verwaltungsrat einen Rückschritt in Sachen Corporate Governance gemacht?
Thomas Baumgartner: Wir orientieren uns bei der Corporate Governance am Swiss Code of best practice von Economiesuisse. Durch die von uns gewählte Führungsstruktur haben wir zudem kein Principal-Agent-Problem. Denn alle Geschäftsleitungsmitglieder sind gleichzeitig auch Eigentümer. Sie können daher nicht ihre Stellung als Geschäftsleitungsmitglied ausnutzen, sondern handeln als Miteigentümer auch im Sinne des gesamten Unternehmens. Langfristig sollte so für alle Aktionäre eine bessere Wertsteigerung resultieren, ähnlich wie dies bei Familienunternehmen der Fall ist.
Dennoch haben die kapitalgebenden Aktionäre gegenüber den Stimmrechtaktionären einen Nachteil.
Die Stimmrechtsaktionäre, also alle Geschäftsleitungsmitglieder der Gesellschaft, mussten den Kauf ihrer Anteile von ihren Vorgängern, d.h. den früheren Partnern, privat finanzieren. Der Preis für die Anteile ist langfristig fixiert. Sie können also keinen Kursgewinn erzielen wie die übrigen Aktionäre, sondern partizipieren lediglich von der Dividendenzahlung. Die Minderheitsaktionäre erhalten eine Dividende in gleicher Höhe. So gesehen gibt es keinen Nachteil. Ausserdem haben sich unsere Partner und Geschäftsleitungsmitglieder verpflichtet, zusätzlich Namenaktien zu kaufen. Daher sitzen wir alle im gleichen Boot.
Wie ist das zu verstehen?
Gemäss unserem Leitbild muss ein Verwaltungsrat mindestens 200 Namenaktien, ein Gruppenleitungsmitglied mindestens 150 Namenaktien und ein Mitglied der erweiterten Gruppenleitung 75 Namenaktien besitzen. Diese werden zum jeweils aktuellen Kurs gekauft. Durch dieses zusätzliche Investment wird jeder Mitarbeiter auch zum Mitunternehmer. Und das macht unseren Erfolg aus.
Allerdings ist es weiterhin so, dass die Minderheitsaktionäre nicht im Verwaltungsrat vertreten sind.
Oliver Schüttel: Unsere aktiven und ehemaligen Mitarbeitenden besitzen 60% des Kapitals und 77% der Stimmen. Über den heutigen Verwaltungsrat ist also auch ein Teil der Namenaktionäre in dem Gremium vertreten. Allerdings steht das Thema unabhängiger Verwaltungsrat bei uns ganz oben auf der Agenda. Wir werden hier bis spätestens Ende Februar 2020 mit einem Lösungsvorschlag kommen.
Wenn die Weiss+Appetito-Mitarbeiter schon heute rund 60% des Kapital besitzen, könnte man dann nicht auch gleich die Einheitsaktie einführen?
Thomas Baumgartner: Um als Arbeitgeber attraktiv bleiben zu können, müssen wir ein Beteiligungsmodell anbieten. Allerdings können gerade junge, gute Fachkräfte heute das Kapital nicht aufbringen, um sich in dem notwendigen Umfang an Weiss+Appetito zu beteiligen, damit die Stimmrechtsmehrheit bei den Partnern erhalten bleibt. Dies ist in der jetzigen Struktur leichter. Ausserdem haben wir in den vergangenen Jahren schon viele Schritte zur Vereinfachung der Aktienstruktur durchgeführt.
Welche waren das konkret?
Im Jahr 2013 wurden die alten Partizipationsscheine abgeschafft. Diese sind in den 70er Jahren aus einem sogenannten Investivlohnsystem der Mitarbeiter entstanden. Dies war eine der Massnahmen, die uns halfen die «Erdölkrise» zu überwinden. Dann haben wir den Aktiensplitt durchgeführt, die elektronische Verwahrung eingeführt und mit einer steuerfreien Nennwertrückzahlung begonnen. Wir sind also laufend daran, uns der aktuellen Situation anzupassen. Vielleicht folgt eines Tages auch einmal die Einheitsaktie. Aber das ist heute kein Thema.
Nachdem Andrea Wucher das Unternehmen verlassen hat, ist die Position des CEO vakant. Wie werden Sie in Zukunft Weiss+Appetito führen?
Oliver Schüttel: Wir wollen die einzelnen Sparten stärken, denn die Musik spielt eindeutig in den Sparten. Daher sind auch alle Spartenleiter in der Geschäftsleitung vertreten. Die Führung läuft über gemeinsame Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratssitzungen. Die Koordination zwischen den Geschäftsbereichen wird vom Verwaltungsratspräsidenten wahrgenommen. Einen klassischen Gruppen-CEO benötigen wir in der heutigen Organisationsstruktur nicht mehr. Im Gegenteil: Wir haben heute fünf CEO in den Sparten.
Thomas Baumgartner: In unserer Vision ist das Wort «umsetzungsstark» enthalten. Dies ist für uns sehr wichtig, denn Know-how-Träger findet man in unserer Branche an vielen Orten. Es fehlt jedoch an Personen, die auch in der Lage sind, die Vorgaben entsprechend präzise umzusetzen, sogenannte «Now-doer». Dies ist und bleibt eine unserer grossen Stärken.
Wie sind Sie in das laufende Geschäftsjahr gestartet?
Oliver Schüttel: Per Ende Mai sind wir weitgehend auf Vorjahreskurs. In der Sparte Saugen+Blasen haben wir sogar einen deutlichen Vorsprung, ebenso in der Telekom-Sparte. Im Rohleitungsbau der Josef Muff AG war es hingegen infolge Verschiebung von zugesicherten Aufträgen schwieriger. Insgesamt sind wir zuversichtlich, unser Budget für 2019 erreichen zu können.
Machen Ihnen die Diskussionen um Huawei und die neuen 5G-Standorte keine Sorgen in der Telekom-Sparte?
Thomas Baumgartner: Huawei ist zwar unser grösster Kunde in der Telekom-Sparte. Allerdings bestimmen letztendlich die Provider (Swisscom, Sunrise, Salt), welche Technologie eingesetzt werden soll. Wenn die Provider keine Huawei-Produkte mehr einsetzen dürfen, wären wir gezwungen, auf andere Produkte wie Nokia, Ericsson oder Motorola umzuschwenken. Da diese Anbieter ebenso wie Huawei die Hard- und Software liefern, wir allerdings die Produkte installieren, würden uns Sanktionen für Huawei indirekt betreffen. Insgesamt haben wir schon rund 100 5G-Swap-Projekte für unsere Kunden realisieren können.
Wo sehen Sie neue Expansionsmöglichkeiten für Weiss+Appetito?
Gemäss unserer Strategie werden wir für bestehende Märkte neue Services entwickeln oder bestehende Services in neuen Märkten anbieten. Ein konkretes Beispiel für Innovationen ist ein autonom fahrendes Tunnelreinigungsfahrzeug, das wir entwickelt und gebaut haben. Es gibt in fast jeder Sparte neue Angebote. Da wir ein mittleres Unternehmen sind, findet unter den Mitarbeitern ein reger Austausch statt. Gute Ideen für neue Services sind oftmals schon bei einem Feierabendbier entstanden.
In Deutschland hat Ihr Tochterunternehmen W+A Communications einen Preis für das Produkt Smart Locker erhalten. Wie ist das Produkt bisher am Markt angekommen?
Wir konnten hier erste Aufträge von einem Messeveranstalter im Ruhrgebiet erhalten. Die Anfragen sind allerdings gross und kommen von Betreibern von Flughäfen, Fitness-Studioketten und Hotelketten. Das Potenzial ist also vorhanden.
Fazit
Seitdem die Änderungen im Verwaltungsrat bekannt gegeben wurden, befinden sich die auf OTC-X gehandelten Aktien bei Kursen zwischen 310 und 320 CHF wieder auf einem sehr tiefen Niveau. Dabei sind die Titel, gemessen an den klassischen Kennzahlen wie Kurs-/Gewinn-Verhältnis und Kurs-/Buchwert-Verhältnis, nicht sehr hoch bewertet. Das 2018er KGV liegt gerade einmal bei 11.2, das KBV bei tiefen 0.6. Lediglich die Dividendenrendite ist mit 2.5% – eine gleichbleibende Ausschüttung vorausgesetzt – nicht gerade üppig, in Zeiten tiefer Zinsen dennoch attraktiv.
Anleger, welche in die Namenaktien «B» der Weiss+Appetito-Gruppe investieren, sollten sich der speziellen Aktionärsstruktur bewusst sein. Grosse Sprünge beim Aktienkurs sind daher nicht zu erwarten. Dafür locken hingegen moderate Kurssteigerungen und eine regelmässige Dividendenzahlung. Wer hier investiert, sollte sich ebenso wie die Partneraktionäre langfristig engagieren und unternehmerisch denken.