Seitdem der ägyptische Investor Samih Sawiris vor über zehn Jahren begonnen hat, die Destination Andermatt zu entwickeln, boomt der ganze Ort. Ein wichtiger Akteur in dem Andermatt-Projekt ist auch die BVZ-Gruppe, welche mit der Matterhorn Gotthard Bahn den Ort verkehrstechnisch erschliesst. Mit seinen Beteiligungen an der Gornergrat Bahn, dem Glacier Express, dem Matterhorn Terminal Täsch und den Zermatt Bergbahnen ist das börsenkotierte Unternehmen auch ein sehr wichtiger Akteur im Schweizer Tourismus. 2018 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 166 Mio. CHF sowie einen Reingewinn von 18.6 Mio. CHF. Mitte August fand die Aufrichtefeier für das Immobilienprojekt «Andermatt Central» am Bahnhof Andermatt statt. Es ist ein weiterer Baustein im Immobilienportfolio der BVZ-Gruppe.
schweizeraktien.net hat am Rande der Aufrichtefeier mit Fernando Lehner, CEO, und Alice Kalbermatter, Finanzchefin und Präsidentin der Andermatt Central AG, über das neue Projekt, die Entwicklung in Andermatt sowie die Investitionen der BVZ-Gruppe und das Thema Klimawandel gesprochen.
Frau Kalbermatter, Herr Lehner. Sie haben heute die Aufrichte für das neue Terminal «Andermatt Central» gefeiert. Welche Bedeutung hat Andermatt für die BVZ-Gruppe?
Fernando Lehner: Andermatt ist einer der wichtigsten Standorte für die BVZ Gruppe. Für den «Glacier Express», der zwischen St. Moritz und Zermatt verkehrt, ist Andermatt eine zentrale Drehscheibe. Wir haben sehr viele Kunden, die hier in den «Glacier Express» einsteigen oder auch umsteigen. Allgemein wird Andermatt aber auch immer wichtiger für uns, denn die Entwicklung geht hier in die richtige Richtung. Es wird sehr viel investiert in die Qualität. Auch das passt zu uns. Gemäss unserer Strategie, vermehrt als weiteres Standbein in Immobilien zu investieren, haben wir uns entschieden, mit «Andermatt Central» hier ein grosses Projekt zu realisieren. Im Dezember 2019 wird bereits die Bahnhofshalle eröffnet, im Sommer 2020 werden die Wohnungen bezugsbereit sein.
Mit welchen Wachstumsraten rechnen Sie mittelfristig für den Zugsverkehr von und nach Andermatt?
Wir rechnen mit einer Zunahme der Passagierzahlen in einem guten einstelligen Prozentbereich pro Jahr in der Planperiode von 2019 bis 2024, also mit einem starken Wachstum.
Frau Kalbermatter, Sie sind Präsidentin der «Andermatt Central AG». Wer steckt alles dahinter, und wie wird das Projekt genutzt?
Alice Kalbermatter: Wir haben «Andermatt Central» realisiert, weil der Bahnhof das Bindeglied zwischen dem Dorf Andermatt und dem neuen Ortsteil Reussen ist. Die Talstation der Sportbahnen wird von hier aus auch erschlossen. An der AG ist die BVZ Holding mit 50% beteiligt. 25% besitzt die Andermatt Swiss Alps (ASA) und 25% eine lokale Immobilienunternehmung aus Luzern.
Warum haben Sie das Projekt nicht alleine realisiert?
Fernando Lehner: Es war für uns wichtig, starke Partner mit dabei zu haben, auch um das Projekt finanziell stemmen zu können. Denn die BVZ hat noch andere Projekte auf dem Schienennetz, die wir finanzieren müssen. Als Grundbesitzer in Andermatt konnten wir die Grundstücke in die Gesellschaft einbringen.
Welche Pläne für die Nutzung gibt es bei dem Projekt?
Alice Kalbermatter: Es entstehen insgesamt 58 Einheiten für bezahlbare Wohnungen vom Studio bis zur Viereinhalb-Zimmerwohnung. Der Immobilienmarkt ist derzeit etwas unter Druck. Das Segment für bezahlbare Wohnungen in Bahnhofsnähe wächst allerdings weiterhin. Daher rechnen wir uns hier sehr gute Chancen aus. In der vergangenen Woche haben wir mit der eigens dafür gestalteten Internetseite www.central-andermatt.ch mit der Vermarktung begonnen und sind nun sehr gespannt auf die Resonanz. Wir werden auch Gewerbeflächen vermieten und eine Schalterhalle und Büroflächen gemeinsam mit der ASA nutzen. Insgesamt werden in das Projekt «Andermatt Central» 36 Mio. CHF investiert.
Mit der Eröffnung vom Radisson Blu ist ein weiterer wichtiger Schritt für die Entwicklung von Andermatt gemacht. Doch wie lange wird es noch dauern, bis Andermatt fertig gebaut ist?
Fernando Lehner: Fertig wird das nie (lacht). Bis heute ist aber schon ein grosser Teil erstellt worden. Immerhin wurden hier über 1 Mrd. CHF investiert. Schauen Sie sich Andermatt Dorf an. Das ist schon in einem sehr guten Zustand. Die meisten Hotels wurden renoviert und neue Geschäfte eröffnet. Andermatt Reussen wächst auch sehr schnell. Nach dem Radisson Blu sind bereits weitere Hotels in Planung, darunter ein Familienhotel und ein Golfhotel. Auch die Wohnungen werden sehr gut verkauft. Es wird aber in den nächsten zehn Jahren wohl nicht mehr so viel investiert wie in den letzten zehn Jahren. In sechs bis sieben Jahren dürfte Andermatt in ein normales Wachstum übergehen.
Kommen wir auch auf die anderen Destinationen, wie Zermatt und das Wallis, zu sprechen. Wie verlief das Winter- und Sommergeschäft für die BVZ-Gruppe?
Wir sind sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf des Jahres. Details werden wir in unserem Semesterabschluss am 24. September veröffentlichen. Wir haben frequenzmässig ein sehr gutes erstes Halbjahr verzeichnen können. Erfolgreich waren auch die Freilichtspiele am Gornergrat.
Sie haben für den Glacier Express in 2017 gemeinsam mit der Rhätischen Bahn eine eigenständige Gesellschaft gegründet und die «Excellence Class» lanciert. Wie hat sich der Glacier Express bisher entwickelt?
Bis 2017 wurde der Glacier Express von beiden Bahnen selber betrieben. Jetzt haben wir eine 50:50-Aktiengesellschaft gegründet, eine Geschäftsführerin eingestellt und investieren sehr stark in den Glacier Express. Dazu gehört auch die «Excellence Class». Für einen Zuschlag von 420 CHF zum 1. Klasse-Billett erhalten die Gäste eine Kreuzfahrt durch die Alpen mit einem 5-Gänge-Menü und Concierge-Service. Wir haben eigentlich damit gerechnet, dass es etwas Zeit benötigt, bis sich das Angebot durchsetzt. Mit der bereits erreichten Auslastung sind wir aber sehr zufrieden; sie liegt stark über den budgetierten Werten.
Wie gross ist denn die Auslastung?
Im Juli lag diese bereits bei 76%. Jetzt im August sollten es mehr werden. Wir sind von dem Erfolg der «Excellence Class» positiv überrascht. Unsere Gäste sind vor allem Individualreisende.
Welche Innovationen planen Sie ausser der «Excellence Class» auf der Produkteseite?
Beim Glacier Express haben wir nicht nur in die «Excellence Class» investiert. Wir renovieren auch den kompletten Glacier Express, also auch die 1. und 2. Klasse. Über den Sommer war der Glacier Express praktisch ausgebucht. Gerade aus Japan ist die Nachfrage für die «Excellence Class» beim Gruppengeschäft sehr gut, 80 Prozent sind jedoch Individualgäste.
Bleiben wir bei dem Thema Innovationen. Wie sehen diese aus, und wo stehen Sie im Bereich der Digitalisierung?
Alice Kalbermatter: Wir gehen hier schrittweise vor und machen nicht den grossen Wurf. Unsere Digitalstrategie ist die Basis für unsere Projekte und unsere Innovationsvorhaben. Ein wichtiges Projekt ist das Digital Customer Experience Management. Ziel ist es, den Kunden individuell und digital entlang der gesamten Reisekette zu begleiten – vom ersten Kontakt, über die Buchung , während seines Reiserlebnisses selbst und auch nach der Reise. Ein anderes Projekt ist das Mobile Arbeiten. Hier legen wir fest, mit welchen Geräten, in welchen Räumen und in welcher Umgebung wir arbeiten wollen. Ganz wichtig ist für uns auch, dass wir über eine sehr gut funktionierende E-Commerce-Plattform verfügen. Im ersten Halbjahr hatten wir im E-Commerce ein Umsatzwachstum von 65%.
An welchen Innovationen arbeiten Sie sonst noch in der BVZ-Gruppe?
Fernando Lehner: Für die Gornergrat Bahn ist in den nächsten Jahren ein 20-Minuten-Takt mit neuem Rollmaterial vorgesehen. Wir planen auch auf dem Peak Gornergrat eine neue Attraktion, über die wir in zwei bis drei Monaten informieren werden. Auf dem Gornergrat werden ausserdem verschiedene Stationen und auch die neuen Bahnen mit W-LAN ausgerüstet.
Über unsere Beteiligung an der Zermatt Bergbahnen AG sind wir an weiteren Innovationen beteiligt wie der neuen 3S-Bahn, die im vergangenen Jahr eröffnet wurde. Ein weiteres innovatives Projekt ist das Alpine Crossing, die höchste Alpenüberquerung in Europa, von Italien in die Schweiz nach Zermatt.
In den kommenden Jahren stehen grosse Investitionen im Bereich der Ersatzbeschaffung von Rollmaterial an. Es geht hier um 330 Mio. CHF. Wie werden Sie diese finanzieren?
Alice Kalbermatter: Im Regionalverkehr sind wir natürlich auf die öffentliche Hand angewiesen. Wir werden optimale Instrumente suchen, beispielweise über Privatplatzierungen oder eine öffentliche Anleihe. Für die grossen Investitionssummen erhalten wir im Regionalverkehr Bundesbürgschaften. Derzeit arbeiten wir das Konzept aus. Beim Gornergrat werden die Investitionen privat über den Finanzmarkt finanziert und wo immer möglich über den freien Cashflow.
Ist auch eine Kapitalerhöhung vorgesehen?
Fernando Lehner: Nein, wir möchten uns, soweit es möglich ist, aus eigener Kraft finanzieren. Das ist unser Anspruch.
Wie sieht die Immobilienstrategie aus, und welchen Anteil der Erträge aus dem Immobiliengeschäft visieren Sie mittelfristig an?
Alice Kalbermatter: Im Moment streben wir mit dem Geschäftsfeld Immobilien die Ergebnissicherung und eine Diversifikation an. Wir sind immer direkt oder indirekt Betreiber oder Beteiligte an den Immobilien, die sich grösstenteils in Bahnhofsnähe befinden. Den Ertrag generieren wir aus Vermietungen. Denkbar ist es auch, dass wir Projektentwicklungen machen. Wir möchten allerdings auch klein bleiben.
Fernando Lehner: Unsere Immobilien liegen vor allem in Zermatt, Visp und Brig. Wobei Zermatt der wichtigste Standort ist. Mit dem Investment in Andermatt wird der Wert sicher steigen. Wir sind allerdings keine Immobilienfirma. Immobilien werden daher nicht das Hauptstandbein.
Neben den Immobilien haben Sie noch die Beteiligungen, zu denen auch die Zermatt Bergbahnen gehören. Wie sieht hier Ihre Strategie aus? Werden Sie weitere Beteiligungen aufbauen?
Da sind wir sicherlich immer offen. Im Moment ist es jedenfalls nicht geplant, dass wir uns hier weiter beteiligen oder neue Beteiligungen eingehen.
Shops und Gastronomie sind also kein Thema für Sie?
Wir fokussieren uns auf unser Kerngeschäft. Wir sind keine Gastronomen und Shop-Betreiber. Daher vermieten wir die Flächen lieber.
Als touristischer Anbieter in den Bergen sind Sie auch vom Klimawandel betroffen. Wie gehen Sie mit diesen Herausforderungen um?
Es ist schwierig, das zu sagen, aber wir sind eigentlich ein Profiteur des Klimawandels. Denn wenn es im Sommer immer wärmer wird, zieht es die Menschen aus den Städten in die Berge. Im Winter haben wir die höchsten Skigebiete Europas. So gesehen hilft uns der Klimawandel bei unserem Geschäft. Andersherum sind wir auch eine Alpenbahn, die schon seit jeher mit den Launen der Natur umgehen musste. Dazu gehören Murgänge und Felsstürze. Da haben wir unsere Strecken gut abgesichert.
Wie sieht es mit der Energieversorgung aus?
In Brig sind unsere Werkstätten mit Solarpanels ausgestattet. Viel wichtiger sind aber die Einsparungsmöglichkeiten im Bereich des Rollmaterials. Die neuen Züge werden von der Energieeffizienz her einer völlig anderen Klasse angehören als die abzulösenden Züge. Bei den Lokomotiven wird die Rekuperation noch wichtiger. Den Strom beziehen wir vor allem von der SBB, der grösstenteils aus Wasserkraft stammt. Und als Bahnunternehmen sind wir sowieso nachhaltig unterwegs.
Alice Kalbermatter: Auch bei unseren Immobilienprojekten achten wir auf Nachhaltigkeit. Andermatt Central wird komplett nach dem Minergie-Standard erstellt und an das Fernwärmenetz angeschlossen. Auch unsere Lieferanten und Partner müssen bestimmte Anforderungen an die Nachhaltigkeit erfüllen.
Frau Kalbermatter, Herr Lehner. Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Die Aktien der BVZ Holding AG sind an der SIX Swiss Exchange kotiert. Zuletzt wurden 930 CHF für eine Aktie bezahlt.
Hinweis in eigener Sache: Am 17. September 2019 findet in Andermatt der Branchentalk Tourismus statt. Im Fokus stehen Erfolgsfaktoren für touristische Grossprojekte in der Schweiz. Mit dabei sind neben Samih Sawiris, VR-Präsident der Orascom Development Holding, auch Urs Kessler von den Jungfraubahnen und Norbert Patt von Titlis Rotair.