Urs Kessler, CEO Jungfraubahn: «Aufgeben war für mich nie eine Option»

Handelskrieg und Lage in Hong Kong machen Sorgen

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Urs Kessler, CEO der Jungfraubahn, auf der Baustelle der V-Bahn in Grindelwald. Bild. Video Halbjehrsbericht 2019 www.jungfraubahn.ch

Rechtzeitig zum Beginn der Wintersaison 2019/20 soll der erste Teil des V-Bahn-Projektes in Grindelwald seinen Betrieb aufnehmen. Mit der Männlichenbahn können die Skifahrer dann schneller als bisher auf den Männlichen fahren. Am 12. Dezember 2020 wird der zweite Ast der V-Bahn zum Eigergletscher in Betrieb gehen und das 470 Mio. CHF teure Projekt der Jungfraubahn Gruppe fertiggestellt werden. Die V-Bahn soll der Bahn weiteres Wachstum bescheren. Dabei eilt das Tourismusunternehmen schon heute von Rekord zu Rekord: Im ersten Semester 2019 stieg der Umsatz um 6,5% auf 106.7 Mio. CHF. Der Reingewinn schnellte um 19% in die Höhe und erreichte 23.9 Mio. CHF.

Im Interview mit schweizeraktien.net zeigt CEO Urs Kessler auf, wo es für die Gruppe noch Wachstumspotenzial gibt. Allerdings machen ihm aktuell die Auswirkungen des Handelskrieges zwischen China und den USA und die Konflikte in Hongkong Sorgen. Er äussert sich auch zur V-Bahn und betont, dass Aufgeben für ihn nie in Betracht gezogen wurde.

Urs Kessler spricht am Branchentalk Tourismus von schweizeraktien.net, der am 17. September in Andermatt stattfindet.

Herr Kessler, Sie haben kürzlich wieder ein Rekordergebnis für das 1. Semester 2019 bekannt gegeben. Das V-Bahn Projekt ist auf Kurs. Was kann die Jungfraubahn-Gruppe auf dem Weg zu den nächsten Rekordzahlen noch stoppen?

Im Moment sind dies die Auswirkungen des Handelskriegs zwischen China und den USA sowie des Konflikts in Hongkong, welche nicht nur für China, sondern für Asien generell belastend sein können.
Zudem fördert die Vollintegration von touristischen Bahnen in den Swiss Travel Pass den Massentourismus, insbesondere in der Zentralschweiz. Dass Ausflugsziele zu einem Spottpreis verkauft werden, schadet der gesamten Tourismusbranche.

Die Planung des wichtigen V-Bahn Projekts hat über sechs Jahre gedauert. Welches sind die schwierigsten Hürden gewesen, die es zu überwinden gab?

Es gab einige Hürden, welche in den über sechs Jahren Planung gemeistert werden mussten. Nach jahrelangen Abklärungen, der Prüfung von Varianten und Untervarianten, anstrengenden politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen sowie einer riesigen planerischen Vorleistung mit Kosten von rund 15 Mio. CHF war es darum umso schöner, als am 8. Juni 2018 der Beschwerdeverzicht gegen die Plangenehmigung eingereicht wurde.

Haben Sie auch mal ans Aufgeben gedacht?

Unser Motto war stets: «Wer etwas will, sucht Wege. Wer etwas nicht will, sucht Gründe.»
Aufgeben war für mich nie eine Option. Ich bin überzeugt, dass dieses Generationenprojekt der gesamten Jungfrau Region und dem Kanton Bern einen langfristigen Nutzen bringen wird, und dafür hat es sich immer gelohnt zu kämpfen. Zudem sichert und schafft das Projekt V-Bahn bis zu 600 neue Arbeitsplätze.

Das Segment Jungfraujoch steuert mit fast 140 Mio. CHF Umsatz den Mammutanteil zu den Umsätzen der Gruppe bei; mit 68 Mio. CHF stammen fast zwei Drittel des Betriebsgewinns (EBITDA) von den Fahrten auf das Jungfraujoch. Wie lassen sich diese Zahlen mit der V-Bahn noch steigern?

Mit der V-Bahn wollen wir primär die Qualität steigern und somit an der Limitierung der Jungfraujoch-Besucher von rund 5’250 Gästen pro Tag festhalten. Wir wollen vor allem in den besucherschwächeren Monaten wachsen. Unsere Vision lautet: zwölf Monate Hochsaison und ein Durchschnittsertrag von 120 CHF pro Gast. Durch den direkten Anschluss der V-Bahn an den öffentlichen Verkehr gewinnt die Bahn an Attraktivität. Die Anreisezeiten ins Skigebiet sowie zum Jungfraujoch werden mit dem neuen Grindelwald Terminal um durchschnittlich 47 Minuten deutlich verkürzt. Der öffentliche Verkehr wird markant an Bedeutung gewinnen.

Eine Erfolgsgeschichte sind auch die Erlebnisberge, zu denen der Harder und auch die Region Mürren gehören. Wo sehen Sie noch Wachstumsmöglichkeiten im Bereich der Erlebnisberge?

Wie bereits erwähnt, wollen wir unseren Gästen ein Ganzjahreserlebnis bieten. Auch bei unseren Erlebnisbergen ist es uns ein Anliegen, das Serviceangebot stetig auszubauen und durch attraktive Angebote ein erfolgreiches Cross-Marketing mit dem Jungfraujoch – Top of Europe sicherzustellen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die glasklare Positionierung.

Sorgenkind ist nach wie vor der Wintersport. 2018 erzielte das Segment bei einem Umsatz von 28 Mio. CHF auf Stufe EBITDA gerade einmal eine «schwarze Null». Sie setzen sehr stark darauf, dass die V-Bahn auch das Wintersportgeschäft wieder in die schwarzen Zahlen bringt. Was macht Sie so zuversichtlich?

Das Projekt V-Bahn garantiert Anlagen von neuestem Standard mit hohem Gästekomfort. Durch die Kapazitätserhöhung mit der 3S-Bahn Eiger Express und der 10er-Gondelbahn Grindelwald-Männlichen wird dem Anstehen im Tal ein Ende gesetzt. Bereits ab dieser Wintersaison können unsere Gäste vom direkten ÖV-Anschluss der Berner Oberland-Bahn, dem schnelleren Erreichen der Skipisten mit der neuen GGM und dem Shuttle Bus zur Firstbahn profitieren.

Im Wintersportgeschäft ist ein Preiskampf im Gange. Mit dem Top 4 Skipass ist die Jungfrauregion ebenfalls dabei. Wie schätzen Sie den Erfolg dieses Produktes ein, und wie lange werden die Jungfraubahnen noch dabeibleiben?

Der Top4-Skipass ist nach wie vor ein sehr attraktives Saisonabonnement. Die Nachfrage kann so auch von Faktoren, welche den kurzfristigen Kauf beeinflussen, entkoppelt werden. Mit dem Start der Wintersaison 2019/2020 werden wir prüfen, ob und zu welchem Preis das Angebot auf dem Markt 2020/2021 erhältlich sein wird.

Neu setzen Sie auch auf die Gastronomie und eigene Shops. Wo gross ist das Umsatzpotenzial für die Gruppe in diesem Bereich?

Als integriertes Tourismusunternehmen wollen wir uns unserer Vision entsprechend zu einem Freizeitunternehmen weiterentwickeln. Auf der Achse Interlaken-Jungfraujoch entsteht mit der V-Bahn eine Route, auf der das Ausflugs- und Freizeitangebot mit Shopping und Gastronomie aus einer Hand ergänzt wird. Wir freuen uns darauf zu sehen, wie sich unser Unternehmen in diesen Sparten entwickeln wird. Hier wollen wir nicht kurzfristiges Wachstum, sondern langfristige Vorteile mit grösserer Einflussnahme auf die Wertschöpfungskette.

Der klassische Detailhandel leidet unter dem Trend zum Onlineshopping. Wie verknüpfen Sie die reale mit der virtuellen Welt?

Alle unsere Shopartikel sind auch im Onlineshop auf unserer Webseite erhältlich. Für uns steht die Kundenorientierung im Fokus. Gerade Gäste aus asiatischen Ländern schätzen den direkten Kontakt und die Beratung in unseren Shops. Mit dem neuen Flagship Store in Interlaken werden wir neue Massstäbe setzen.

Der Handelskrieg zwischen China und den USA belastet die globale Konjunktur. Inwiefern ist das Reiseverhalten der Gäste aus Übersee davon betroffen, und wie reagieren Sie darauf? Wird das Wachstum in der 2. Jahreshälfte 2019 und im kommenden Jahr abflachen?

Meine Verkaufsreisen nach Asien haben gezeigt, dass die zweite Jahreshälfte herausfordernd sein wird. Wir blicken der zweiten Jahreshälfte 2019 trotz dieser Spannungen aber positiv entgegen.

Der Klimawandel beherrscht derzeit die Politik und Medien. Mit seinem Produkt, der Natur, ist die Jungfraubahn Gruppe auch davon betroffen. Welche Massnahmen haben Sie in Ihrem Unternehmen ergriffen, um «klimafreundlicher» zu agieren?

Hier spielt vor allem auch das Projekt V-Bahn eine zentrale Rolle. Gerade für die kommenden Generationen wird sich positiv auswirken, dass die V-Bahn durch den direkten ÖV-Anschluss mit dem Grindelwald Terminal die Nutzung des öffentlichen Verkehrs fördert. Die V-Bahn bringt einen Rückgang des motorisierten Individualverkehrs, was zu einem Minderverkehr auf der Strasse führt. Diese Verlagerung ist zukunftsweisend. Mit der Innovation „Jungfrau App“ werden Gäste, welche mit dem Auto anreisen, direkt zum gebuchten Parkplatz geführt.

Die Verbundenheit mit Lauterbrunnen und Grindelwald unterstreichen wir zudem mit einem Nachhaltigkeitsfonds, der auf den Zeitpunkt der Eröffnung der gesamten V-Bahn eingerichtet wird.

Hat das Thema «Flugscham» möglicherweise auch Auswirkungen auf das Reiseverhalten der Gäste aus Übersee?  

Wir stellen aktuell keine negativen Auswirkungen fest.

Rekordzahlen, V-Bahn, Expansion in Gastronomie und Shops – welches sind die nächsten Schritte der Gruppe oder gehen Ihnen dann langsam die Ideen aus?

Die gesamte Eröffnung der V-Bahn am 12. Dezember 2020 wird ein Meilenstein in der Geschichte der Jungfraubahnen sein. Wir haben eine gut gefüllte Projektpipeline. Ich freue mich darauf zu sehen, wo uns diese noch hinführen wird.

Die Aktien der Jungfraubahn Holding sind an der SIX Swiss Exchange kotiert. Zuletzt kosteten sie 160 CHF.

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