Streichungen und Kürzungen von Dividenden und sogar eine offizielle Empfehlung der Finanzmarktaufsicht an Unternehmen der Finanzindustrie, in ihrer Ausschüttungspolitik zurückhaltend zu sein, bilden den Ereignishorizont des „Schwarzen Lochs“, zu dem sich die Corona-Krise noch entwickeln könnte. Zeit für einen Check der Dividendenstrategie auf Herz und Nieren.
In der Hausse ist alles einfach, da steigen selbst die Aktien von lahmen Enten, und oft genug auch die vermeintlicher Dividenden-Könige oder -Aristokraten. Ein Auszug zur Performance seit Jahresbeginn von vor Monaten noch allseits beliebten Dividendenaktien liest sich wie eine Horrorgeschichte – das wirklich Letzte, was Dividenden-Investoren suchen: Lafarge-Holcim -31,8%, Helvetia -36,3%, Swiss Life -31,9%, APG -38,5%, Valora -40%. Letztere hat die Dividende sogar ganz gestrichen! Mit Verlusten von nur 20% – 25% zählen UBS, Mobilezone und Zurich noch zu den weniger gerupften Dividendenaktien.
Strategie oder Selektion?
Es ist eben nicht so einfach mit der Auswahl eines dividendenorientierten Aktien-Portfolios, das die entsprechende Resilienz aufweist, um auch in schwierigem wirtschaftlichem Fahrwasser zu bestehen. Rein mechanistische Ansätze wie die Aktien mit der höchsten Dividendenrendite zu wählen (Dow Dogs) oder wo es zuletzt die höchste Dividendenerhöhung gab, mögen besser oder schlechter laufen als der Referenzindex, aber eine echte Strategie stellen solche simplen Selektionskriterien nicht dar.
Struktureller Wandel
Auch oder sogar gerade professionelle Anleger tappen in Fallen. So lag die Dividendenrendite von Exxon-Mobil vor sechs Monaten schon bei nahe 6%. Inzwischen sogar bei 8,5%, weil der Kurs weiter abgestürzt ist, insgesamt um 50% in den letzten 12 Monaten! Doch jeder informierte und intelligente Investor wusste schon lange, dass der Ölmulti, wie viele andere Branchenvertreter, die Ausschüttung nicht mehr verdient und bislang über die Ausgabe von Anleihen teilfinanzierte. So verwundert es nicht, dass auch die in vielen Schweizer Depots vertretenen Aktien der stets für ihre zuverlässige Dividende berühmten europäischen Öl-Multis Royal Dutch Shell und BP allein am 9. März um 20% abgestürzt sind – so stark wie noch nie zuvor in ihrer langen Geschichte. Jetzt wird über eine Fusion der beiden spekuliert.
Ölmultis gibt es zwar an der Schweizer Börse nicht, doch sehr viele Unternehmen, die in der Carbon-Industrie tätig oder von ihr abhängig sind wie Automobilzulieferer. Keine Überraschung also, dass beispielsweise Feintool die Dividende aussetzt. Doch die Automobilkonjunktur hatte sich bereits vor dem Ausbruch der Pandemie spürbar abgeschwächt. Und das gilt für viele Sektoren der Wirtschaft nach rund 10 Jahren Aufschwung.
Durchschlagende Effekte auf Investmentindustrie
Aktuell wurden durch die Korrektur weltweit rund 18 Billionen USD an Aktienvermögen vernichtet. Das betrifft auch und vor allem Vermögensverwalter, Versicherungen, Pensionskassen und weitere institutionelle Anleger. Pensionskassen weisen nun einen deutlich geschmälerten Deckungsgrad auf. Die Versicherer sind durch schlechte Anlageergebnisse ebenfalls stark betroffen, weshalb auch ihre Aktien zu den grössten Verlierern zählen. Viele kleine und mittelgrosse Asset Manager haben schon vor der Corona-Krise rote Zahlen geschrieben und stehen nun wohl vor einer Konsolidierungswelle. Eine exemplarische Kursentwicklung liefert GAM mit 90% Kursverlust in den letzten sechs Monaten, eine Aktie, die ebenfalls in der Vergangenheit oft als Dividendentitel angepriesen worden war.
Bankaktien im Abwärtstrend
Bankaktien sind ein Fall für sich. Während überall in Europa die grossen „systemrelevanten“ Banken ihre Dividenden kürzen, wollen CS und UBS ihre Ausschüttungspolitik beibehalten – wohl um die verbliebenen Aktionäre bei der Stange zu halten. Die schlechte Performance seit Jahresbeginn von -37,6% bei CS und -24% bei UBS sollte nicht überraschen. Denn unabhängig von der Dividende zeigt doch der Langfristchart einen wenig überzeugenden Verlauf. Egal, ob fünf oder 10 oder 20 Jahre – der Trend geht nach unten. Allein in den letzten drei Jahren verloren beide Aktien jeweils um über 40%. Kein Investor, der Kapitalerhalt und Dividendeneinkünfte sucht, sollte solche Aktien auch nur in Erwägung ziehen. Denn ein solch desaströser langfristiger Kursverlauf dokumentiert vor allem eines – den Niedergang des Emittenten.
Verzicht auf Wackelkandidaten
Worauf es in jeder Situation für die Zusammensetzung eines Portfolios von Dividendenaktien ankommt, sind die Ausgangsbewertung, die nachhaltige Fähigkeit, die Gewinne und damit die Dividenden zu steigern und die Minimierung aller Risiken durch Verzicht auf angeschlagene Industrien und Einzelwerte. Nicht zuletzt sollte das Portfolio richtig im Konjunktur- und Börsenzyklus angesiedelt sein.
Timing-Aspekte
Als im November 2018 erstmals auf schweizeraktien.net die „Dividendenstrategie 2019“ unter dem Titel „Es kommt auf die Auswahl der Industrien an“ publiziert wurde, waren der globale Konjunkturzyklus, der Gewinnzyklus der Unternehmen und der Börsenzyklus bereits weit fortgeschritten, wozu der ausser Kraft gesetzte Zinszyklus und die Wertpapierkaufprogramme der Notenbanken wesentlich beitrugen. Gleichzeitig hatten die zuvor an der Börse vernachlässigten defensiven Aktien aus konjunkturresistenten Industrien diesseits und jenseits des Atlantiks bereits begonnen, besser als zyklische Titel zu performen.
Large Caps sind stabile Säulen
Die angeblich „langweiligen“ Large Caps und Multis Nestlé, Novartis und Roche sind in so einem Umfeld zwar durchaus zu schlagen, doch erfahrungsgemäss gelingt es den weitaus meisten Aktien nicht. Sie bilden den Nukleus des krisenresistenten Dividendenportfolios. Die 6-Monatsperformance von 4% minus bei Nestlé, 10% minus bei Novartis sowie über 10% plus bei Roche spricht im gegebenen Umfeld für sich! Ergänzt wurde das Dreigespann durch Galenica. Der Apothekenkonzern verfügt in der Schweiz über einen tiefen Burggraben und eine solide Gewinn- und Dividendenentwicklung, die als weitgehend gesichert angesehen werden kann. Auf die Corona-Krise reagierte die Aktie nur kurz und liegt aktuell fast auf Höhe des bisherigen Rekordkurses. Die 6-Monatsperformance beträgt überzeugende 22,5%.
Swiss Re verliert und erholt sich
Landis & Gyr verfügt ebenfalls über ein Geschäftsmodell, das es erlaubt, die Cashflows hochgradig präzis zu prognostizieren. Nach dem IPO war die Aktie der Aufmerksamkeit der Anleger entgangen und zum Jahresende hin günstig bewertet. Gegenüber dem Kurs vom 26. November 2018 liegt die Aktie mit 11,6% im Plus, die 6-Monatsperformance fällt mit -25% allerdings negativ aus. Nicht ohne Grund waren Gewinnmitnahmen nach einem Jahr und 78% Performance angeraten worden. Swiss Re wurde als einziger Finanztitel gewählt, obwohl das Risiko eines scharfen Kurssturzes in einer Krisensituation bekannt war. Allerdings erholt sich Swiss Re jedesmal auch wieder, und so erschien das Risiko tragbar. Nach einem schrittweisen Kursanstieg bis Mitte Februar 2020 stürzte die Aktie um mehr als die Hälfte ab, erholte sich nun aber auch ein Stück weit. Bezogen auf den Kurs vom 26. November 2018 liegt das Minus bei überschaubaren 17,1%. Ähnlich war der Kursverlauf beim letzten der sieben Titel, BB Biotech. Nach anfänglich positivem Kursverlauf hat die Aktie zuletzt abgegeben. Allerdings beträgt das Minus zum Einstiegskurs lediglich 11,6%.
SIG Combibloc und HBM Healthcare zeigen sich krisenresistent
Zudem war im November 2019 bei der „Dividendenstratege 2020“ der Aktie von HBM Healthcare der Vorzug gegeben worden, da aufgrund deren Anlagestrategie bei vielen Biotech-Beteiligungen mit profitablen Börsengängen zu rechnen war. Das gilt auch weiterhin, denn gerade Biotech-Unternehmen sind bei Covid-19 und anderen Herausforderungen für die Gesundheit Teil der Lösung. Zum Einstiegskurs am 11. November 2019 hat sich die Aktie per saldo nicht verändert. Nach einem rapiden Anstieg auf 255 CHF fiel die Aktie auf 152 CHF und steht aktuell wieder bei 200 CHF. Eine weitere Ergänzung im November 2019 war SIG Combibloc, ein Börsenneuling, der anfänglich wenig Freunde fand. Gegenüber dem Kurs vom 11.November 2019 liegt die Aktie inzwischen immerhin um 7,3% im Plus.
Fazit
Für gute Aktien-Analysten gilt, dass sie auch eine Vorstellung davon haben, wo sich die jeweiligen analysierten Aktien im Zyklus befinden. Davon abhängig sollte die Aktienauswahl berücksichtigen, mit welchen Gegen- oder Aufwinden im Prognosezeitraum zu rechnen ist. Bei einem auf Dividendeneinkommen und Kapitalerhalt ausgerichteten Portfolio sollten zudem gefährliche Titel generell vermieden werden. Gefährlich kann sich auf die Bilanzstärke oder -schwäche beziehen, auf die Industrien, die heute oft einem tief greifenden Strukturwandel unterworfen sind, auf die Resilienz des Geschäftsmodells, den Wettbewerb und nicht zuletzt auf die Qualität des Managements.
Gerade die unerwartete Virus-Pandemie fordert im Rahmen einer nachhaltigen Dividendenstrategie dazu auf, dass noch genauer geprüft wird, ob die Portfolio-Aktien dafür – so wie Novartis, Nestlé oder Galenica – gerüstet sind. Die überbordenden staatlichen Hilfsprogramme werden wohl auch dazu führen, dass Zombie-Unternehmen und Zombie-Banken weiterhin ihr Unwesen treiben und sich damit auch die Verzerrungen bei der Bewertung der börsenkotierten Aktien zunächst fortsetzen könnten. Unweigerlich werden sich aber schwache Unternehmen einer realistischen Beurteilung ihrer Perspektiven durch die Börse unterwerfen müssen. Viele Dividendenträume werden platzen.
Vorstellungskurs | Kurs 08.04.20 | Performance | Aktuelle Dividendenrendite (2019) | |
Nestlé | 85.14 | 103 | 22.80% | 2.30% |
Novartis | 80.4 | 82.45 | 2.50% | 3.10% |
Roche | 257.20 | 310.20 | 26.80% | 3% |
Galenica | 46.42 | 69.85 | 42.30% | 3.40% |
Landis & Gyr | 62.05 | 64.35 | 3.70% | 4.90% |
Swiss Re | 91.26 | 75.60 | -14% | 7.60% |
BB Biotech | 64.20 | 56.30 | -9.70% | 5.40% |
SIG Combibloc | 14.16 | 15.13 | 5.90% | 2.30% |
HBM Healthcare | 200 | 201.50 | 0.80% | 3.80% |
Durchschnitt | 9.00% | |||
SPI Extra | 3 813 | 3 851 | 0.60% | |
Vorstellungskurs für alle Aktien ist der 26.11.18 ausser HBM Healthcare und SIG Combibloc, bei denen es der 11.11.19 ist | ||||
Quelle: SIX |