Der Baudienstleister Weiss+Appetito kam bisher recht glimpflich durch die Corona-Pandemie. Wie Verwaltungsratspräsident Thomas Baumgartner im Gespräch mit schweizeraktien.net sagt, konnte seine Gruppe auch während des Lockdown zu 90% durcharbeiten. Derzeit ist das Unternehmen auch noch mit der Fertigstellung laufender Aufträge beschäftigt. Bleiben in den kommenden Monaten allerdings neue Aufträge aus, weil die Kunden mit Investitionen zurückhaltend sind, dürfte sich dies nicht nur für Weiss+Appetito, sondern für die gesamte Wirtschaft negativ auswirken. Baumgartner ermuntert die Unternehmen daher dazu, trotz der aktuell unsicheren Wirtschaftslage weiterhin zu investieren. Und er geht mit gutem Beispiel voran.
Herr Baumgartner, W+A war die erste Gesellschaft, die während der Corona-Pandemie trotz der Möglichkeiten der Covid-19-Verordnung des Bundes ihre Generalversammlung am 26. Juni mit physischer Präsenz der Aktionäre durchgeführt hat. Was waren die Gründe, und wie ist die GV gelaufen?
Thomas Baumgartner: Es haben 75 Aktionäre an der Versammlung teilgenommen. Dabei wurde das Schutzkonzept gemäss den Vorgaben des BAG konsequent umgesetzt. Uns war es wichtig, auch in dieser schwierigen Zeit Kontakt zu unseren Aktionären zu halten. Darunter sind auch viele Mitarbeiter unseres Unternehmens. Ausserdem haben unsere Mitarbeiter im Projektgeschäft während des Lockdown voll gearbeitet und mussten hier das Ansteckungsrisiko eingehen. Es wäre nicht fair gewesen, die Mitarbeiter diesem Risiko auszusetzen, damit die Firma weiterarbeiten konnte, aber die Aktionäre durch die Absage einer Präsenz-GV vor möglichen Ansteckungsrisiken zu schützen.
Das Geschäftsjahr 2019 war geprägt von Veränderungen in der Gruppenleitung. Wie hat sich die neue Organisation bewährt?
Sie hat sich sehr gut bewährt. Unser Unternehmen ist schlanker geworden. Die Position der Spartenleiter wurde aufgewertet. Insgesamt ist die neue Organisation positiv aufgenommen worden, weshalb wir auch daran festhalten.
Obwohl der Umsatz 2019 um 5.6% auf 130.3 Mio. CHF zurückgegangen ist, konnten die Margen verbessert werden. Was waren die Gründe dafür? Auffällig ist der Rückgang des Personalaufwands um 1.5 Mio. CHF.
Wir haben für 2019 bereits mit einem tieferen Umsatz budgetiert. Da im Umsatz ein grosser Materialanteil steckt, schauen wir weniger auf das Umsatzwachstum, sondern stärker auf das Ergebnis. 2019 fokussierten wir bewusst auf margenstärkere Aufträge und haben deshalb auf Umsatz verzichtet. Wie Sie bereits aus früheren Gesprächen wissen, sind wir immer bestrebt, die Margen zu verbessern. Aufgrund der europaweiten Ausschreibungen von öffentlichen Aufträgen bleiben die Margen in unserem Gewerbe allerdings unter Druck.
Wie hat sich das Geschäft im 1. Halbjahr 2020 entwickelt, und welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf die Umsatzentwicklung?
Die Weiss+Appetito Gruppe ist bisher sehr gut durch die Krise gekommen. Während des Lockdown haben wir zu 90% durchgearbeitet. Beim Umsatz liegen wir in den ersten fünf Monaten sogar über den Vorjahrszahlen, und auch das EBIT hat sich gut entwickelt. Das verdanken wir alles unseren sehr engagierten und flexiblen Mitarbeitern.
Waren Frankreich und Deutschland stärker als die Schweiz vom Lockdown betroffen?
In Frankreich mussten wir unsere Niederlassung für sechs bis acht Wochen schliessen. Unsere Fahrzeuge standen in dieser Zeit komplett still. Allerdings erzielen wir in Frankreich nur 3% unseres Gesamtumsatzes. In Deutschland liegt der Schwerpunkt in den Wintermonaten in der Telekommunikation. Wegen Home Office und Home Schooling wurde dieser Bereich als strategisch wichtig eingestuft, so dass wir unsere volle Leistungsbereitschaft aufrechterhalten haben. Unsere Mitarbeiter mussten hier Notfalleinsätze leisten, um die Verfügbarkeit der Netzwerke aufrechtzuerhalten.
Wie haben Sie auf der Kostenseite reagiert?
Bisher wenig, denn der Umsatz ist bei uns – im Gegensatz zu vielen anderen Branchen – nicht weggebrochen. Obwohl wir vorsorglich Kurzarbeit angemeldet haben, wurde diese kaum beansprucht.
Und werden Sie Corona-Notkredite beanspruchen?
Nein, denn wir wollen unseren Handlungsspielraum nicht einschränken. Es gibt verschiedene neue Investitionsvorhaben, die wir gerne umsetzen möchten. Wenn Sie aber einen Notkredit beanspruchen, dürfen sie keine Neuinvestitionen tätigen. Die betriebsnotwendige Liquidität können wir über andere Wege beschaffen. Dennoch möchte ich dem Bundesrat ein grosses Kompliment aussprechen. Die Notkredite sind für viele Unternehmen eine unbürokratische Möglichkeit, um sich rasch Liquidität zu beschaffen. Uns wären allerdings die Hände für eine weitere Entwicklung gebunden.
Können Sie bereits eine Einschätzung für das Gesamtjahr abgeben, sofern es nicht zu einer zweiten Welle kommt?
Grundsätzlich sind wir gut gerüstet, um die Herausforderungen in diesem Jahr meistern zu können. 2020 wird daher für Weiss+Appetito nicht so stark betroffen sein, denn derzeit werden noch zahlreiche laufende Projekte beendet. Die grosse Frage ist, wie sich das Investitionsverhalten in Zukunft entwickelt. Einige Unternehmen schieben grossen Investitionen auf oder haben sich gar einen Investitionsstopp verordnet. Setzt sich diese Entwicklung fort, werden wir dies 2021 oder spätestens 2022 zu spüren bekommen. Es ist daher wichtig, dass die Unternehmen trotz der schwierigen Situation weiterhin investieren. Weiss+Appetito hat dies auch getan und Investitionen im Rahmen der Vorjahre ausgelöst.
Für 2019 haben Sie auf die Ausschüttung einer Dividende verzichtet. Dürfen die Aktionäre in Zukunft wieder mit Ausschüttungen rechnen?
Der Antrag auf Dividendenverzicht wurde an der Generalversammlung von den Aktionären einstimmig angenommen. Allerdings wurde auch der Wunsch der Aktionäre nach der Ausschüttung einer Sonderdividende aufgenommen. Der Verwaltungsrat wird im Herbst darüber entscheiden.
Ein Grund für die niedrige Bewertung der Weiss+Appetito-Aktie dürfte die komplizierte Aktienstruktur sein. Sie haben angekündigt, dass Sie nach der Aktienrechtsrevision auch das Thema Vertretung der «A»-Aktionäre im Verwaltungsrat angehen möchten. Die Revision ist nun durch. Welche Schritte dürfen Anleger jetzt erwarten?
2019 war der Verwaltungsrat intensiv mit den Minderheitsaktionären in Kontakt. Wir haben ausserdem Drittaktionäre in den Verwaltungsrat unserer Tochtergesellschaften aufgenommen. Durch das neue Aktienrecht werden wir die Statuten anpassen müssen. Bei dieser Gelegenheit werden wir auch die Vertretung der Minderheitsaktionäre im Verwaltungsrat regeln. Wir werden in den nächsten zwei Jahren mit einem Vorschlag auf unsere Aktionäre zukommen.
Wird es eines Tages eine vereinfachte Aktionärsstruktur geben?
Nein, das haben wir nicht vor. Gegenüber unserer Haltung beim letzten Interview hat sich nichts geändert. Die Geschäftsleitungsmitglieder sind gleichzeitig Eigentümer, was schlussendlich allen Aktionären, wie in einem Familienunternehmen, zugute kommen sollte.
Sie wollen in diesem Jahr die Strategie 2025 erarbeiten bzw. schärfen. Was sind die Eckpunkte dieser Strategie, und in welchen Bereichen sehen Sie Chancen?
Bis zum Jahresende werden die Spartenleiter eine Strategie für ihre Sparte erarbeiten, die sie dann dem Verwaltungsrat präsentieren. Jeder Spartenleiter ist dabei für seinen Bereich verantwortlich. Daraus werden wir im Verwaltungsrat die Gesamtstrategie für die Weiss+Appetito Gruppe entwickeln. Ziel ist es, die einzelnen Sparten zu stärken und die sich bietenden Marktchancen zu nutzen.
In der Vergangenheit ist die Gruppe auch durch Akquisitionen gewachsen. Darunter waren Betriebe, die so ihre Nachfolge gelöst haben. Werden Sie auch künftig durch Akquisitionen weiterwachsen?
Wir prüfen laufend Möglichkeiten für Akquisitionen. Allerdings gibt es nicht sehr viele Unternehmen, die wirklich zu uns passen. Entscheiden werden drüber auch immer die jeweiligen Spartenleiter zusammen mit dem Verwaltungsrat.
Angenommen, es gibt keine zweite Welle und die Corona-Lage normalisiert sich in den kommenden Monaten: Welche finanziellen Ziele haben Sie bei W+A in den nächsten zwei Jahren?
Max Frisch hat einmal gesagt, dass die Krise ein produktiver Zustand sei, man dürfe ihr nur nicht den Beigeschmack einer Katastrophe geben. Alle Wirtschaftsakteure und auch wir sollten daher mit Respekt und Zuversicht an die Arbeit gehen. Für Weiss+Appetito steht der Schutz der Gesundheit der Mitarbeiter und die Liquiditätsbewirtschaftung an erster Stelle. Wichtig ist, dass wir für die nächsten 24 Monate unseren Liquiditätsbedarf genau planen um so immer über ausreichend Liquidität zu verfügen. Konkrete Ertragszahlen und auch finanzielle Zielsetzungen können wir heute nicht abgeben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Namenaktien «A» der Weiss+Appetito Holding AG werden ausserbörslich auf OTC-X gehandelt. Zuletzt wurden 295 CHF für eine Aktie bezahlt.