Dividendenstrategien: Corona-Pandemie legt schwache und fehlerhafte Investment-Konzepte bloss

Gekürzte und gestrichene Ausschüttungen verhageln Performance von dividendenbasierten Anlageprodukten

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Noch bis Februar sah alles so einfach aus: Aktien kaufen, die sowieso nach oben streben, steigende Dividenden einstreichen und reich werden. Das Rezept hatte ja immerhin jahrelang funktioniert. Allerdings dürften die meisten passiven Anleger inzwischen mit der Performance ihrer Dividenden-Fonds und -ETFs unzufrieden sein. Schlimmer noch sind wohl diejenigen dran, die den kostenlosen Ratschlägen von „Dividenden-Experten“ des schnelllebigen und oberflächlichen Internet-Zeitalters gefolgt sind.

Dabei ist es im Grunde gar nicht so schwer, selbst gute Aktien von nachhaltigen Dividendenzahlern auszuwählen – wenn man weiss, worauf, wie schon in der Vergangenheit, auch heute noch zu achten ist. Die Wahl von Investment-Produkten ist eben genau genommen doch kein (aktives) Investieren, sondern der Kauf von konstruierten und nach allen Regeln der Kunst vermarkteten Produkten – nicht viel anders als bei Speiseeis oder Proteinriegeln. Wer in der „Wertschöpfungskette“ der Finanzprodukte auf jeden Fall Gewinn erzielt, sind jedoch die Hersteller (Emittenten) und die Händler (Market Maker).

Ziele definieren

Wer nachhaltige und steigende Dividendeneinkünfte erzielen will, tritt im Zeitalter der Reiz- und Informationsüberflutung am besten erstmal einige Schritte zurück, um sich darüber klar zu werden, was er eigentlich will. Zusätzliche und wiederkehrende Einnahmeströme aufbauen, Einkommen als Pensionär schaffen, vorhandenes Vermögen rentierlicher allokieren, Risikominimierung betreiben, …

Ist die Zielsetzung erstmal definiert, lassen sich auch rigorose Filter entwerfen, die leicht umzusetzen sind. Durch Ausschluss bleiben von den theoretisch vielen Möglichkeiten der Aktienbörse letztlich nur wenige zu den Zielsetzungen passende übrig. Unnötige Risiken werden von dividendenorientierten Investoren generell besser vermieden.

Kapitalgewinne oder Dividenden

Abgesehen von gerade gegründeten Aktiengesellschaften, die sich noch in der Investitions- und Expansionsphase befinden, sollten die Aktionäre, die ihr Kapital zur Verfügung stellen, auch eine angemessene Gewinnbeteiligung erhalten. Allerdings kann es für die Aktionäre auch sinnvoll sein, wenn keine Dividende ausgeschüttet wird – vorausgesetzt, das Unternehmen erzielt mit seinen betrieblichen Investitionen eine Eigenkapitalrendite, die über der liegt, welche die Aktionäre durch Re-Investment der Ausschüttungen selbst am Aktienmarkt erreichen können. Ein gutes Beispiel ist Amazon. Seit dem Börsengang 1997 hat das Unternehmen stets Cashflow und Gewinne voll reinvestiert, um das Wachstum zu finanzieren. Die Aktie stieg von 1.63 USD auf nun 2’888 USD. Kein Aktionär beschwert sich heute mehr über die fehlende Dividende, die allerdings von Gründer und CEO Jeff Bezos auch nie in Aussicht gestellt worden war.

Kursentwicklung der Amazon-Aktie seit dem Börsengang. Quelle: boerse.de
Pay-out Ratio

Abgesehen von jungen Technologie- und Biotech-Unternehmen erreichen jedoch die Unternehmen der meisten Industrien eher früher als später die Phase im Unternehmenslebenszyklus, die es nicht mehr erlaubt, die erwirtschafteten Gewinne sinnvoll, d.h. mit überdurchschnittlichen Renditeerwartungen, in die eigene Expansion zu investieren. Ein signifikanter Teil des Jahresgewinns wird dann als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet – typischerweise 25% bis 75%, je reifer die Industrie, desto höher die Quote.

Das grosse Bild im Blick behalten

In der Praxis reicht es jedoch für die Zusammenstellung eines Dividenden-Portfolios nicht, wenn der Blick nur nach hinten gerichtet wird, d.h. auf die Historie. Industrien werden reifer, die Gewinnmargen sinken. Neue Technologien gewinnen an Bedeutung und Marktanteilen. Die Regulierung ändert sich ebenso wie die Vorlieben der Konsumenten. Grosse strukturelle Brüche können nicht nur Produkte und Technologien obsolet machen, sondern sogar ganze Industrien redimensionieren oder ganz zum Verschwinden bringen.

Blue Chip IBM – eine Lektion

Beispielsweise galten Supercomputer von IBM oder Digital Equipment als sicheres Investment mit steigenden Dividenden in der Hausse der 1980er Jahre. Doch auch die Japaner schliefen nicht und brachten mit Fujitsu einen veritablen Konkurrenten hervor. Und dann kam plötzlich der Personal Computer, der anfangs nicht als Konkurrenz gesehen wurde. Kommerziell war der PC jedoch ein voller Erfolg, der die Demokratisierung der Computer mit sich brachte. Der PC wurde 1986 sogar zum „Mann des Jahres“ erkoren. Die zu lange auf Grossrechner spezialisierten Hersteller dagegen verschwanden, wie Digital Equipment, oder dümpelten über Jahre dahin, bis sie dann auch PCs, Notebooks usw. herstellten. Die Dividendenträume blieben Schäume. Die Aktie des „Blue Chip“ schlechthin, IBM, stürzte zwischen 1987 und 1993 von über 40 USD auf 10 USD. Und auch heute, 33 Jahre später, liegt der Kurs nur um 200% über dem Hoch von 1987 bei 119 USD. Die Dividendenrendite liegt zwar aktuell bei 5,5%, doch drückt sich darin die Reife und die gedämpfte Wachstumsperspektive aus, obwohl IBM noch immer den Eindruck machen will, technologisch an der Spitze der Entwicklung zu stehen.

Kursentwicklung der IBM-Aktie seit 1962. Quelle: boerse.de
Umbrüche und Dividendenfantasien

Wann immer es darum geht, ob sich diese oder jene Technologie durchsetzen wird, sind Dividendenprognosen unsicher. Selbst etablierte Selbstverständlichkeiten werden durch Umbrüche wie zurzeit in Frage gestellt. Ein gutes Beispiel bietet die Ölindustrie mit ihren „sicheren“ Dividendenzahlern wie BP, Royal Dutch-Shell oder Exxon. Obwohl spätestens seit 2015 jedem Fondsmanager und Investoren klar sein musste, dass die Klima-Krise und die Gegenmassnahmen eher früher als später dazu führen würden, dass eine massive Devestitionswelle die Aktienkurse der Öl-Multis unter Druck bringen würde, sind diese Aktien bis heute in den meisten dividendenorientierten Portfolios vertreten. Inzwischen sind infolge des neuerlichen Preisrutschs beim Rohöl die Aktienkurse kräftig gesunken, und die Dividenden wurden zumeist deutlich gekürzt. Bei Royal Dutch ist es die erste Kürzung seit 1945. Es hat sich etwas Grundlegendes an den Rahmenbedingungen für fossile Energieträger geändert. Sogar die Folgen waren unter dem Stichwort „stranded assets“ wiederholt auf das Radar der Finanzindustrie gebracht worden.

Beachtung von säkularen Trends

Im erweiterten Sinn gilt das Gesagte auch für die Automobil-Industrie und all ihre Zulieferer, denn auch das Ende des Verbrennungsmotors ist absehbar. Dividenden von Unternehmen aus Industrien im säkularen Abwärtstrend sind aber langfristig unsicher, so hoch sie auch heute noch ausfallen mögen. Anleger sollten sich durch die hohen Dividendenrenditen – bevor sie gekürzt oder gestrichen werden – nicht irritieren lassen. Jede durchdachte Dividendenstrategie wird, wie überhaupt jede fundierte Anlagestrategie, erkennbare Risiken meiden – anstatt sie zu ignorieren.

Charakteristika der Gewinner

Nachhaltige Dividendenzahler können aus unterschiedlichen Industrien kommen, dennoch gibt es gemeinsame Charakteristika. Die Hersteller von Markenprodukten wie Nestlé und Coca-Cola sowie Pharmakonzerne wie Roche und Eli Lilly sind ein guter Ausgangspunkt für Überlegungen. Bei den ersteren zählt die Macht der Marken über die Regale und das globale Distributionsnetzwerk. Natürlich sind auch die Multis dem Wettbewerbsdruck ausgesetzt, dennoch verstehen es diese wahrhaft globalen Marktführer, ihre hohen Gewinnmargen zu halten und zu steigern, und das mit verhältnismässig geringem Kapitalaufwand. Marketing und Innovationen sind zwar wichtig, doch noch wichtiger sind die „economies of scale“ und die klare Marktführerschaft. Dieses Profil erlaubt es den Multis, ihre Dividenden langfristig zu steigern. Coca-Cola hat die jährliche Ausschüttung seit 1963 jedes Jahr angehoben auf aktuell 1.64 USD je Aktie. Split-bereinigt hat die Aktie 1985 den Kurs von 1.64 USD erstmals überschritten. Wer die Aktie damals gekauft und gehalten hat, bekommt 35 Jahre später den ursprünglichen Kapitaleinsatz als Jahresdividende gutgeschrieben. Ähnlich liegt der Fall bei Nestlé. Von 0.023 CHF je Aktie in 1959 stieg die Dividende bis heute um das über 100fache auf 2.70 CHF!

Kursentwicklung der Coca-Cola-Aktie. Quelle: boerse.de
Preisfestsetzungsmacht

Hersteller von „packaged goods“ mit starken Marken wie Lindt & Sprüngli oder L’Oréal heben ebenso wie langfristig erfolgreiche Pharma-Unternehmen einen tiefen Burggraben um sich, den Konkurrenten kaum überwinden können. Daraus resultieren Preisfestsetzungsmacht, hohe Gewinnmargen und deshalb auch die Fähigkeit, die Ausschüttungen kontinuierlich zu erhöhen. Natürlich kommt es trotzdem auf das Management an, denn auch grosse Unternehmen sind gegen Fehlentscheidungen nicht gefeit. Legendär ist die Veränderung der Rezeptur von Coca-Cola (Classic) 1985 zu New Coke, die von den Konsumenten trotz aller Marketingbemühungen nicht akzeptiert wurde. Es dauerte nicht lange, nur 79 Tage, bis die Classic-Rezeptur wieder eingeführt wurde, denn die Aktie litt. Konsumenten, Mitarbeiter und Aktionäre protestierten.

Interessant können aber auch Aktien spezialisierter kleinerer Unternehmen sein, vorausgesetzt sie weisen Charakteristika auf wie hohe Eintrittsbarrieren, eine beschränkte Anzahl an Wettbewerbern und Know-how, das nicht ohne Weiteres kopiert werden kann.

Jede Krise ist auch eine Chance

Derzeit kommen zwei Faktoren zusammen, die die herkömmliche Sicht auf Dividendenaktien auf den Kopf stellen. Das eine ist die aktuelle Corona-Pandemie, welche die bestehenden Überkapazitäten in zahlreichen Industrien schonungslos ans Tageslicht bringt. Das betrifft nicht nur Fluglinien, Hotellerie und Gastronomie, sondern auch Einzelhandel und viele Industriezweige. Die Corona-Pandemie interagiert mit und verstärkt noch den Strukturwandel, der aus Digitalisierung, Dezentralisierung und Energiewende resultiert. Vielfach hat auch bei den Entscheidungsträgern eine Reflektion eingesetzt, an deren Ende andere Prioritäten gesetzt werden, beispielsweise das Home Office zum Standard zu erheben oder geschäftliche Besprechungen per Video-Konferenz abzuhalten, anstatt mit dem Flugzeug durch die Welt zu jetten.

Fazit

Rein mechanische Dividendenstrategien – die absolut höchsten Ausschüttungen, die am längsten ohne Unterbrechung bezahlten, die am stärksten gesteigerten im letzten Jahr o.ä. – sind zwar in normalen Zeiten nicht ganz falsch, doch in einer Ära des tiefgreifenden strukturellen Wandels, der nun auch noch durch den exogenen Schock der Pandemie zyklisch verstärkt wird, können sie zumindest gefährlich enden. Das zeigen die Beispiele BP und Royal Dutch oder auch die zuletzt von den Notenbanken verhängten Dividendenbeschränkungen für Banken und Versicherungsgesellschaften. Zu beachten ist auch, dass Gesellschaften, die nun Notkredite in Anspruch nehmen, keine guten Investments darstellen, weil die Dividendenfähigkeit grundsätzlich infrage gestellt ist. Sollte sich die Pandemie weiterhin ausbreiten und neue Lockdown-Massnahmen notwendig machen, werden auch viele Unternehmen, die als sichere Dividendenzahler gelten, Reduzierungen oder Streichungen vornehmen müssen. In der gegebenen Situation empfiehlt sich jedenfalls, sich besser auf der Seite der Vorsicht zu irren als sich blind in Risiken zu stürzen.

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