Der Frühling gilt generell als Hochsaison der Generalversammlungen (GV). Dabei verwöhnen Unternehmen ihre Aktionäre mit Unterhaltungsprogrammen, Apéros riches und feinen Nachtessen. Nicht selten rückt dabei der eigentliche Inhalt der Aktionärsversammlung in den Hintergrund und steht im Schatten des geselligen Beisammenseins und Networking. Für viele Aktionäre stellt zudem der Erhalt einer Naturaldividende oder eines „Bhaltis“, welches häufig an den Besuch der Generalversammlung gebunden ist, einen wichtigen Bestandteil der zu erzielenden Rendite dar. Im Jahr 2020 machte den meisten Unternehmen und Aktionären das Veranstaltungsverbot wegen der Corona-Krise in dieser Hinsicht einen Strich durch die Rechnung.
Der Einfluss der GV auf die Dividendenrendite der Aktionäre verdeutlicht das Beispiel der Kursaal-Casino AG Luzern. Da aufgrund des Versammlungsverbots im Zuge der Covid-19-Pandemie die GV ohne Teilnahme der Aktionäre stattfinden musste, erhielten diese als Kompensation für das verpasste Rahmenprogramm einen Konsumationsgutschein in Höhe von 50 CHF, sofern sie ihre Stimme über die unabhängige Stimmrechtsvertreterin abgegeben hatten. Bei einem letztbezahlten Aktienkurs von 321 CHF entspricht dies bereits einer Rendite von über 15%.
So ein Käse
Vor der Herausforderung einer abgesagten Partizipanten-Versammlung stand auch die Nidwaldner Kantonalbank, welche traditionell allen Teilnehmenden einen Nidwaldner Bratkäse mit nach Hause gibt. Die gut 1’500 Bratkäse waren abgabefertig, die für März geplante Versammlung wurde jedoch ersatzlos gestrichen. Als Lösung des Problems entschied sich die Kantonalbank, die Käse an das während der Pandemie stark geforderte Gesundheitswesen zu verschenken. Mitarbeitende von Spitälern, Altersheimen und Spitex kamen so in den Genuss des Bratkäses. Damit die Partizipanten nicht leer ausgingen, erhielten sie als Entschädigung für den ausgefallenen Anlass einen Gutschein im Wert von 20 CHF, einlösbar in irgendeinem Nidwaldner Restaurant. Gleichzeitig konnte so eine weitere, stark von der Krise betroffene Branche unterstützt werden.
Nicht alle Unternehmen zeigten sich jedoch dieses Jahr so ideenreich wie die Nidwaldner Kantonalbank. Viele strichen die Naturaldividende wegen der ausfallenden GV ersatzlos. Wie bei der regulären Bardividende auch könnte dabei eine gewisse Unsicherheit bezüglich der öffentlichen Reaktion auf eine Ausschüttung an die Aktionäre in Krisenzeiten mitwirken.
Ein halbes Schokoladenjahr
Das legendärste Schweizer Bhalti dürfte der blaue Schokoladenkoffer von Lindt & Sprüngli, welchen Aktionäre bei Stimmabgabe erhalten, sein. Zwischen vier und fünf Kilogramm wiegt das Paket und beinhaltet Produkte aus dem gesamten Sortiment des Schokoladenherstellers im Verkaufswert von geschätzt 200-300 CHF. In Relation zum Aktienkurs von mittlerweile 80’900 CHF ist dieser Wert jedoch verschwindend klein. Setzt man den Inhalt des Koffers hingegen ins Verhältnis zum durchschnittlichen Schokoladenkonsum eines Schweizer Bürgers, entsteht ein anderes Bild. Der Pro-Kopf-Konsum betrug im vergangenen Jahr 10.4 Kilogramm. Somit entspricht der Lindt & Sprüngli Schokoladenkoffer beinahe 50% des jährlichen Konsums oder einem halben Schokoladenjahr.
Objektiver vs subjektiver Wert
Schokoladenkonsum hin oder her; es stellt sich die Frage, welche Unternehmen denn objektiv betrachtet die höchste Dividendenrendite bieten. Aktionäre der Rigi Bahnen erhalten eine Tageskarte à 72 CHF einlösbar am Tag der GV (dieses Jahr wegen der abgesagten GV gültig bis Ende Jahr). Beim Besitz einer einzigen Rigi-Aktie mit einem aktuellen Kurs von 10 CHF resultiert eine Rendite von über 700%, was der absolute Topwert unter den uns bekannten Naturaldividenden ist. Auch andere Bergbahnen wissen mit Gratisfahrten, Skipässen oder Aktionärstagen mit Renditen von teils über 100% zu überzeugen.
Die Rigi-Bahnen-Aktie zeigt zugleich aber auch Probleme des Versuchs einer objektiven Betrachtung der Rendite auf. Zum einen ist die Rendite der Naturaldividende an die Anzahl Aktien im Besitz gekoppelt. Die erwähnte Top-Rendite resultiert nur beim Besitz einer einzigen Rigi-Aktie, jede weitere Aktie in Besitz senkt die Rendite. Dieselbe Dynamik ist auch bei den Rahmenprogrammen an GVs zu beobachten, wo Besitzer einer einzigen oder hundert Aktien das Gleiche geboten bekommen. Zum anderen variiert der Wert der Tageskarte von Person zu Person. Die Rigi Bahnen akzeptieren das GA vollumfänglich, womit der subjektive Wert der Tageskarte für rund eine halbe Mio. Schweizerinnen und Schweizer auf null sinkt, es sei denn, sie verkaufen die Tageskarte weiter, was wiederum mit Mehraufwand verbunden ist. Eine allgemein gültige, objektive Betrachtung des Werts und der Rendite von Naturaldividenden ist somit wenig aussagekräftig. Vielmehr müssen Investoren ihre eigene, subjektive Rendite selbst eruieren.
Naturaldividende bietet auch Unternehmen Vorteile
Wieso aber schütten Unternehmen ihre Dividenden nicht ausschliesslich in bar aus? Gerade Ermässigungen auf eigene Dienstleistungen erfolgen nicht ganz uneigennützig. Ein Besuch auf einem Ausflugsberg ist mit ziemlich grosser Sicherheit mit zusätzlichen Konsumationen im Bergrestaurant verbunden. So sind die Aktionäre glücklich, und gleichzeitig fliesst ein Teil der Ausschüttung wieder zurück in die Taschen des Unternehmens. Des Weiteren kann eine Naturaldividende auch den emotionalen Bezug der Aktionäre zum Unternehmen steigern. Ihr Investment wird plötzlich greifbar, ihre Dividende wechselt von Ziffern auf einem Bankkonto zu einem Erlebnis. Zudem ist das Beisammensein der Aktionäre nicht nur für diese eine gute Möglichkeit des Networking. Auch die Unternehmen können in einem lockereren Umfeld die Kundenkontakte pflegen und Informationen weitergeben. Gerade ausserbörslich gehandelte Unternehmen, welche in der Kommunikation von Informationen nicht so strikt eingeschränkt sind wie börsenkotierte, greifen gerne auf diesen familiäreren Informationsaustausch zurück.
Zu behaupten, dass die Verköstigung an GVs für eitlen Sonnenschein sorgt, wäre jedoch inkorrekt. Gerade bei Buffets gibt es (zu) viele Beispiele, wo Aktionäre vom Gratisessen noch mehr profitieren wollten und deshalb mitgebrachte Taschen am Buffet aufgefüllt haben. An der GV des Deutschen Autobauers Daimler im Jahr 2016 musste gar die Polizei einschreiten, da zwei Aktionäre wegen eingepackter Würstchen einen Streit vom Zaun brachen. In der Schweiz sind solch heftige Auseinandersetzungen zwar nicht bekannt, trotzdem verzichten mittlerweile viele Unternehme auf Buffets und bieten ausschliesslich Platzservice an.
Die unklare Steuerfrage
Äusserst komplex präsentiert sich die Steuerthematik von Naturaldividenden, insbesondere auch wegen der von Kanton zu Kanton unterschiedlichen Handhabung. Bisweilen können Naturaldividenden zudem steuerlich näher an Bardividenden sein, als man denkt. Dazu zurück zum Rigi-Beispiel. Nebst der Freikarte am Tag der GV haben Aktionäre die Wahl zwischen einer Bardividende oder einer Tageskarte pro 200 Aktien. Die Freikarte ist hier somit nicht eine zusätzliche Ausschüttung, sondern geht mit dem Verzicht auf die Bardividende einher. Aktionäre, die für diese Wahldividende optieren, erhalten ein Aktionärsticket und dazu eine Dividendenabrechnung über den Erhalt einer Bardividende in der Grössenordnung der abgelehnten Bargutschrift. Dabei wird vom Brutto-Betrag wie gewohnt die Verrechnungssteuer abgezogen.
Auch kann die Abgabe von Aktionärsbilletten in einigen Fällen für die Unternehmen die Zahlung der Mehrwertsteuer zur Folge haben. Generell muss somit die Steuerfrage von Fall zu Fall, von Kanton zu Kanton und von Unternehmen zu Unternehmen einzeln analysiert und beantwortet werden.
Fazit
Durch den Ausfall der meisten Generalversammlungen im ersten Halbjahr 2020 dürfte auch die Naturaldividenden-Ausbeute eher gering gewesen sein. Investoren mussten auf viele Abendessen, Unterhaltungsprogramme und Geschenke verzichten. Obschon die Naturaldividenden bei einigen Unternehmen beinahe schon als selbstverständlich angesehen wurden, zeigte sich dieses Jahr, dass schlicht jegliche Art von Dividende mit Unsicherheit verbunden ist. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass 2020 eine Ausnahme bleiben wird und nicht zum Standard mutiert. Schliesslich mussten Aktionäre dieses Jahr zusätzlich auch auf die Ausübung ihrer Aktionärsrechte im Rahmen der GV verzichten.
Ob sich ein Aktienkauf aufgrund einer Naturaldividende lohnt, ist meist stark abhängig von den Charakteristika des Aktionärs. Eine Seilbahnfahrt, obschon finanzieller Gegenwert vorhanden ist, ist für jemanden mit Höhenangst etwa gleich attraktiv wie ein Bratkäse für Veganer. Der Wert der Naturaldividende variiert von Person zu Person. Dazu kommt, dass häufig ein Besuch der Generalversammlung Voraussetzung ist, was zusätzlich für Reisekosten sorgt. Bei individuell angepasster Auswahl lassen sich aber sicherlich attraktive Naturaldividenden finden, welche die Rendite des Titels massiv steigern oder gar die einzige Form von Auszahlung darstellen.
Eine Übersicht mit den uns bekannten Naturaldividenden finden Sie hier.