Mehr als die Hälfte des Jahres liegt bereits hinter uns, und kaum einer hätte sich an der Jahreswende vorstellen können, was die kommenden Monate bringen würden. Mit einer Pandemie war jedenfalls nicht zu rechnen. Die 10 Aktien der Favoriten-Liste wurden daher auf der Basis der Bewertungen, der Perspektiven der Unternehmen, der wirtschaftlichen Entwicklungen und der Trends an den Kapitalmärkten am Ende des Jahres 2019 ausgewählt. Die Corona-Krise hat inzwischen mehr oder weniger alles geändert – Anlass genug, um jede einzelne Aktie einem gründlichen Corona-Check zu unterziehen.
Als innovatives Biotechnologie-Unternehmen mit einer breiten Pipeline von Entwicklungen gegen unterschiedliche Krankheiten ist Idorsia kaum vom wirtschaftlichen Auf und Ab betroffen. Das ist generell eines der Hauptargumente für Investments in der Life-Sciences-Industrie, auch wenn es nicht immer zutrifft. Idorsia hat bislang kein einziges Medikament am Markt. Doch bereits vier Kandidaten befinden sich in klinischen Studien der Phase III, die unmittelbar vor der Zulassung durch die Arzneimittelbehörden steht.
Innovatives Schlafmittel vor der Zulassung
Am nächsten an der Zulassung ist das neuartige Schlafmittel Daridorexant. Schon zwei Studien der Phase III wurden mit positiven Ergebnissen abgeschlossen. Voraussichtlich vor Ende Jahr wird der Zulassungsantrag dann eingereicht. Sehr wahrscheinlich ist 2021 mit der Zulassung zu rechnen. 10% der Bevölkerung leiden an dauerhafter oder wiederkehrender Schlaflosigkeit. Die medikamentösen Therapien haben seit Jahrzehnten keine Innovationen erfahren. Viele Patienten vertragen die Wirkstoffe der vorherrschenden Benzodiazepin-Klasse nicht oder leiden an Nach- und Nebenwirkungen. Insofern stösst Daridorexant auf einen riesigen Markt, der nach neuen Lösungen verlangt. Es ist ein potenzieller Multi-Milliarden USD-Markt.
Volkskrankheit Bluthochdruck im Visier
Das gilt auch für Aprocitentan, ebenfalls in Phase III. Bluthochdruck ist eine weitverbreitete Volkskrankheit und geht häufig mit anderen Beschwerden einher. Bluthochdruck kann sogar unmittelbar zum Tod führen. Ein hoher Prozentsatz der Patienten ist jedoch gegen herkömmliche medikamentöse Behandlungen resistent. Somit tut sich ein weiterer Markt auf, der nach alternativen Therapien verlangt.
Orphan-Drug-Status
Lucarestat, ebenfalls in Phase III, stellt voraussichtlich eine hocheffiziente prophylaktische Therapie für die seltene angeborene Krankheit Morbus Fabry dar, indem das Fortschreiten der Krankheit verhindert wird. Bei Morbus Fabry fehlt ein Enzym zum Abbau bestimmter Fette in den Zellen, was zu schmerzhaften und lebensbedrohlichen Symptomen in den Organen führt. Die herkömmlichen Therapien kosten, je nach Land, bis mehrere Hunderttausend Franken jährlich. Bei seltenen Krankheiten, zu denen wenig geforscht wird, sind in aller Regel die Preise für neue wirkungsvolle Therapeutika sehr hoch. Darin liegt die kommerzielle Logik für therapeutische Lösungen, obwohl es nur wenig Patienten gibt. Sowohl in den USA als auch in der EU wurde „Orphan Drug“-Status verliehen, was eine beschleunigte Prüfungs- und Zulassungsprozedur bedeutet. Der Status wird nur gewährt, wenn ein echter „medical need“ vorhanden ist, d.h. die Patienten in der gegebenen Therapie-Situation stark leiden und die Kostenträger extrem teure Behandlungen bezahlen müssen.
Reiche Pipeline
Auch die weiteren Entwicklungsprojekte sind hochinteressant. Cenerimod, in Phase II, adressiert Lupus, eine Auto-Immunkrankheit, bei der das Immunsystem überaktiv wird und die eigenen Organe zerstört. Selatogrel, ebenfalls in Phase II, wird bei Zulassung ein wahrer Lebensretter für Betroffene von akuten Myokardinfarkten. Viele Patienten sterben in der Zeit zwischen ersten Symptomen und medizinischer Betreuung. Die Idorsia-Lösung ist für Risikopatienten, die sich im Notfall selbst mit dem Autoinjektor behandeln. Eine Innovation von beträchtlichem (pharmako-ökonomischem) Wert.
Namhafte Kooperationspartner
Zahlreiche Kooperationen mit erstklassigen Life-Science-Unternehmen wie Roche, der Johnson & Johnson-Tochter Janssen, dem japanischen Pharma-Unternehmen Mochida oder dem US-Biotech Neurocrine Biosciences validieren die Idorsia-Forschung. Dies zeigt sich auch darin, dass substanzielle Summen fliessen, wie bereits erfolgte Vorauszahlungen von Neurocrine von 50 Mio. USD innerhalb der letzten 12 Monate. Bei dieser Kooperation geht es um ein neuartiges Mittel gegen die seltene pädiatrische Epilepsie. Neurocrine wird im zweiten Halbjahr 2020 eine Phase-II-Studie starten.
900 Mio. CHF Liquidität
In diesem Stadium der Unternehmensentwicklung sind die Quartalszahlen eher zu vernachlässigen, denn ein Unternehmen ohne Produkte am Markt kann nur rote Zahlen schreiben. Eine relevante Zahl ist dagegen die Liquidität und wie lange diese ausreicht, um die diversen Projekte voranzubringen. Bei Idorsia beträgt die Liquidität zum Ende des ersten Quartals 632 Mio. CHF. Durch eine Kapitalerhöhung fliessen 330 Mio. CHF zu, so dass zum Ende des ersten Halbjahres rund 900 Mio. CHF vorhanden sein dürften. Das wird reichen, um auf absehbare Zeit sorgenfrei zu bleiben.
Lockdown verzögert klinische Studien
Im ersten Halbjahr 2020 kam es allerdings zu Verzögerungen durch die Corona-Pandemie. Studien konnten nicht durchgeführt werden. Die relevanten Ausgaben sind dadurch gesunken. Am 8. Juli verkaufte JNJ ein Aktienpaket von 8,3%, das aus der Actelion-Übernahme und anschliessenden Formierung von Idorsia stammt. Angesichts der selbst für Multis wie JNJ herausfordernden Marktbedingungen sowie anstehenden Investitionen wie in Entwicklung und Produktion eines eigenen Covid-19-Impfstoffs kann es auch zu der Entscheidung kommen, marginale Beteiligungen zu veräussern. Eine negative Einschätzung durch JNJ ist sehr unwahrscheinlich, da beispielsweise bei Aprocitentan kooperiert wird. Zudem hält JNJ unverändert eine Wandelanleihe in Höhe von 445 Mio. CHF, wandelbar in Aktien zu 11.48 CHF – entsprechend einer Beteiligung von 27,5%.
Fazit
Wie zuvor bei der Erfolgsgeschichte Actelion ist auch bei Idorsia Management und Forschung entscheidend. Bei Actelion bezog sich die Übernahme durch JNJ allein auf die erste Zulassung und den Firmennamen. Die gesamte sonstige Forschung wurde in Idorsia eingebracht. Mag sein, dass manche Entwicklungen es wider Erwarten nicht bis zur Zulassung schaffen. So ist das Pharmageschäft. Sehr wahrscheinlich ist aber auch, dass einer oder mehrere Kandidaten aus der Pipeline innovative Blockbuster werden, das heisst Multi-Milliardenumsätze p.a. generieren.
Bisher läuft es für Idorsia hinsichtlich des Fortschritts der verschiedenen Projekte bestens. Allerdings ist für Anleger Geduld erforderlich. Das volle Potenzial der Aktie wird sich wohl nicht bis zum kommenden Jahresende entfalten. Doch eine Fortsetzung des aufwärtsgerichteten Trends über 30 CHF hinaus erscheint realistisch. Dennoch sind jederzeit auch Rückschläge einzukalkulieren, wie bei negativen Studienergebnissen. Die höheren Kurschancen bei Biotech-Aktien wie Idorsia gehen eben auch mit höheren Risiken einher. Wer bereits 2017 bei einem Kurs von 17.60 CHF eingestiegen ist, sieht die hohe Volatilität auf dem jetzt erhöhten Niveau gelassen. Sehr wahrscheinlich ist auch, dass immer mehr Anlegern durch die Pandemie klar wird, dass Biotech-Unternehmen ganz generell ein Teil der Lösung für viele Probleme sind und deshalb auch hohe Kursgewinne bringen können. Bei einer aktuellen Market Cap von 3.9 Mrd. CHF bleibt jedenfalls noch viel Spielraum nach oben. Für Actelion bezahlte JNJ 30 Mrd. CHF. An der positiven Einschätzung zu der Idorsia-Aktie hat sich nichts geändert.