„Die Furcht ist das Unglück, deshalb ist nicht Mut das Glück, sondern Furchtlosigkeit.“ Franz Kafka, 1883-1924, Schriftsteller
Das erste Halbjahr hatte so schön begonnen, doch dann kam die Pandemie – und mit ihr kamen schmerzhafte Korrekturen, gefolgt von einer Katastrophen-Hausse, die noch immer anhält. Notenbanken und Regierungen haben sich mit Programmen in Billionenhöhe gegenseitig überboten und damit die Wirtschaft zunächst einmal vor einem Absturz in die Depression gerettet, wieder einmal. Viele Not- und Unterstützungsmassnahmen laufen jedoch im zweiten Halbjahr aus. Dazu kommen weitere Unwägbarkeiten wie die Wahl in den USA, das militärische Muskelspiel Chinas und Russlands sowie eine Pandemie, die weitgehend unbeeindruckt von den ergriffenen Schutzmassnahmen mit unvermindertem Tempo voranschreitet.
Die Irren haben die Anstalt übernommen – deser Spruch gilt immer dann, wenn unerwartete exogene Schocks das schöne reibungslose Funktionieren der Systeme ausser Kraft setzen. 2001 folgte auf 9/11 ein „nuklearer Winter“, in dem, ähnlich wie während der letzten Monate, „nichts mehr so war wie zuvor“. Die Finanzkrise von 2008/2009 drohte zum Melt-Down des gesamten Finanzsystems zu führen und paralysierte die Wirtschaftssubjekte erneut. Es kann durchaus sein, dass die gesteigerte Frequenz und Intensität dieser exogenen Schocks zu einem irrationalen, sich selbst verstärkenden Effekt bei allen Wirtschaftsakteuren führt, inklusive der Konsumenten und Regierungen.
Der kalte Coup in Hongkong
Gerade über die letzten 20 Jahre ist auch eine stetige Zunahme von Phänomenen wie Verschwörungstheorien, Populismus, Fundamentalismus und Autoritarismus festzustellen. Nicht nur als Trend, sondern inzwischen in Form harter und schmerzhafter Tatsachen. Geradezu symbolisch ist das Vorgehen der Volksrepublik China in Hongkong. Sich bietende Chancen zur Durchsetzung anderer Ziele zu nutzen, ist typisch für die strategisch geschulte Kommunistische Partei. Die Wirren und die Konfusion über die Pandemie führen dazu, dass die anderen Länder zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind und die klaren Verstösse Chinas gegen die Verträge, gegen die Rechtsstaatlichkeit und gegen die Bürgerrechte in Hongkong, die durch das Überstülpen der „Sicherheitsgesetze“ erfolgt, ignorieren. Vielleicht mit Ausnahme der Briten, der Australier und der Amerikaner, wobei letztere ja mit jeder Munition Richtung China schiessen. So spricht Trump immerzu vom China-Virus!
Kontinentaleuropa ignoriert Annexion Hongkongs
Tatsächlich ist es schon erstaunlich, wie in der Schweiz und der EU mit dem Einkassieren der ehemaligen Kronkolonie medial und politisch umgegangen wird, nämlich praktisch gar nicht. Wenn überhaupt, dann wird meist der Wortlaut der Volkschinesen sogar kolportiert – und damit zur gültigen Realität erhoben. Gegen die neuen Sicherheitsgesetze verstösst, wer Separatismus, Subversion, Terrorismus und Hochverrat durch Kooperation mit externen Kräften befördert oder betreibt. Das ist so vage, dass jegliche Minorität durch Interessenvertretung, und auch die Berichterstattung darüber, verdächtig ist – was ausreicht, um mit lebenslanger Haft sanktioniert zu werden. Was bisher schon in der Volksrepublik gilt, ist nun auch in Hongkong Realität. Totschweigen und Ignorieren hat zwar seit der Einrichtung der Arbeits- und Umerziehungslager durch Mao zu geschätzten 70 Mio. Toten geführt, nicht jedoch dazu, dass die repressive Praxis eingestellt wird, weil der Westen auf die Einhaltung der Menschenrechte insistiert. Dabei ist die Volksrepublik China Unterzeichner mehrerer Abkommen und Verträge, die Diskriminierung, Folter, Völkermord und Sklaverei ächten. Darauf haben britische Juristen nun hingewiesen und die Regierungen zu Sanktionen gegen China aufgefordert. Die Regierungen seien dazu entsprechend der internationalen Abkommen sogar rechtlich verpflichtet.
Repression mit Tradition
Die Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas ist voll von Gelegenheiten, die genutzt wurden, um Partei und Bevölkerung durch „Reinigung“ auf Linie zu bringen, zum Beispiel in der Kulturrevolution oder nach 1989. Das Problem ist regelmässig, dass der Verlust der kritischen Intelligenz wie zu Zeiten Stalins und Hitlers selbst über Generationen kaum wieder gutgemacht werden kann. Das gilt auch für China. Obwohl die wirtschaftliche Entwicklung seit dem Besuch Nixons in China 1972 eine ganz erstaunliche Dynamik entfaltet hat, so besteht doch das Erfolgsrezept eher aus Kopieren und Skalieren als aus wirklichen Innovationen. Und im alten China wurden zwar viele Innovationen hervorgebracht, dann jedoch wieder verworfen, wie das Papiergeld, das fünf Mal eingeführt und dann wieder durch Münzgeld ersetzt wurde – zwischen 960 und 1402.
Pandemie führt zur Total-Überwachung
In China hat die Pandemie ihren Anfang genommen, durch strikte Disziplin und Überwachung konnte der Ausbruch praktisch gestoppt werden, was sonst nur Südkorea und Japan gelungen ist, wenn auch auf tieferem Niveau. Die Schattenseite ist die nackte Angst. Selbst der kleinste Verstoss gegen die zahlreichen Regeln kann sich auf das inzwischen eingeführte „social score“-System auswirken – mit existenzbedrohenden Folgen. Arbeit und Wohnungsberechtigung, Anspruch auf Bildung und Gesundheit – alles hängt am social score. Das führt zwangsläufig zu wechselseitiger Überwachung und am Ende zur Verinnerlichung der mentalen Gefängnisszelle. Das Endziel jeder totalitären Herrschaft.
Grossmachtpolitik im Pazifik
Das erste Gesicht des Pandämoniums ist daher Xi Jinping, der seine historische Mission erfüllt, ohne mit der Wimper zu zucken. Nach Hongkong steht nun bestimmt Taiwan auf der Wunschliste des grosschinesischen Reiches. Die Aufrüstung unter Xi Jinping ist beachtlich, und hat nicht nur US-Rhetorik nach sich gezogen, sondern auch eine totale Änderung der Militär-Doktrin in Australien. Dies wiederum nimmt China quasi als Vor-Kriegserklärung. Die diplomatischen Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt.
Die russisch-chinesische Allianz
Was im Westen gerne übersehen wird, ist die Allianz zwischen China und Russland. Wohl gibt es auch Meinungsverschiedenheiten, doch im Vordergrund steht der militärische Schutz der gemeinsamen Interessen. Das hat sich zuletzt im UN-Sicherheitsrat gezeigt, als 13 von 15 Mitgliedern für eine Fortsetzung der minimalen humanitären Hilfe für die Region Idlib in Syrien waren, Russland und China jedoch stellten sich quer. Am Ende blieb ein Grenzübergang geöffnet, zwei wurden geschlossen. Das Todesurteil für Hunderttausende inländische Flüchtlinge des nun neun Jahre dauernden Syrienkrieges.
Putin wird „ewiger Präsident“
Das zweite Gesicht des Pandämoniums ist daher Vladimir Putin, der in bester stalinistischer und zaristischer Tradition zur Durchsetzung der Machtziele auch ein paar Millionen unbeteiligte Opfer in Kauf nimmt. Ähnlich wie zuvor die Ungarn stimmten die Russen mehrheitlich für die Erweiterung der Machtbefugnisse des Präsidenten sowie, darüber hinaus, für die Erhöhung der möglichen Amtszeiten. So kann Putin nun bis 2036 als „ewiger Präsident“ das Reich weiter regieren.
Trump im Zugzwang
Die Gegenspieler Trumps bei den Super-Mächten sind abgesichert und können ihr „historisches“ Werk ungestört von demokratischen Wahlen, freier Presse, störenden Wissenschaftlern, echter Opposition und Querulanten aller Art verrichten. Das muss ihm unfair vorkommen, steht ihm doch bei der anstehenden Präsidentenwahl im November ein persönliches Desaster bevor. Das zeigen nicht nur die aktuellen Umfragen, sondern es zeigt sich auch am Unmut bei etlichen Republikanern, die fürchten, die Wahl mit dem Elefanten im Porzellanladen, Trump, zu verlieren.
USA auf Katastrophenkurs
Sein Umgang mit der Pandemie ist katastrophal, der mit den Bürgerprotesten ebenfalls. Die „Black Lifes Matter“-Bewegung ist inzwischen zahlenmässig eher eine weisse Bewegung geworden. Die leeren Versprechungen der Trump-Administration zur Überwindung der Pandemie glauben nicht einmal mehr die Stammwähler. Die Gefahr ist hoch, dass der offensichtlich machtversessene und unkalkulierbare Donald Trump alle bestehenden Konflikte und Probleme weiter anheizt, um dann einen umso besseren Grund zu haben, um sich nicht von der Macht zu trennen. Ähnlich wie von Erdogan und anderen im Cäsarenwahn könnte ein Vorfall inszeniert werden, der Grund für Niederschlagung, Einkerkerung, Säuberung, Notstandsgesetze, Regieren per Dekret ist. Trump ist daher das dritte Gesicht des Pandämoniums.
Erdogan „unchained“
Das vierte Gesicht des Pandämoniums ist Erdogan, der aus der Türkei einen Staat gemacht hat, in dem Oppositionelle, Minoritäten, Kritiker, Aktivisten, Journalisten sowie Beamte, Juristen und Militärs, die nicht auf Linie sind, im Gefängnis sitzen – ohne Verhandlung oder nach einer Scheinverhandlung, wie man sie von Stalin oder Hitlers Volksgerichtshof kennt. Abgesehen von der inländischen Tragödie des NATO-Mitglieds ist auch die aktive Kriegstreiberei und Partizipation in Syrien und Libyen verwerflich. Zulasten der traumatisierten Kriegsflüchtlinge und der Restbevölkerung in den Kriegsgebieten verfolgt Erdogan illusorische Grossmachtziele und will sich unter anderem die Kontrolle über Ölvorkommen und die im östlichen Mittelmeer gefundenen Gasreserven verschaffen.
Undurchsichtige Partnerschaften
Mit der NATO scheint die Türkei seit Jahren nicht mehr auf einer Linie zu sein. Die Türkei ist darüber hinaus Junior-Partner einer Allianz mit Russland und verfolgt scheinbar undurchsichtige Ziele durch Teilnahme an nicht erklärten und schmutzigen Kriegen und ohne humanitäre Regeln zu beachten. Dies alles trägt wesentlich zu der Flüchtlingsproblematik bei, für deren scheinbares Aufhalten in den Lagern in der Türkei Erdogan Milliarden Euro von der EU erpresst. Bezeichnend für Cäsarenwahn und die dämonischen Kräfte Erdogans ist die Tatsache, dass Zehntausende von Gewaltverbrechern aus den überfüllten Gefängnissen entlassen wurden, um einer Covid-Infektionswelle vorzubeugen, doch die Juristen, Beamten, Journalisten und Oppositionellen – also die politischen Häftlinge – waren nicht Teil der Amnestie. Ähnlich wie bei den internierten Uiguren, Tibetern und Regimekritikern in China könnte sich so für Erdogan manches Problem von selbst lösen.
Brasilien brennt
Das fünfte Gesicht des Pandämoniums ist Bolsonaro, der innerhalb kürzester Zeit aus seinem Land eine buchstäblich brennende Hölle gemacht hat. Der Regenwald wird schonungslos abgeholzt, um Platz für die Agrar-Barone, die eigentlichen Herrscher des Landes, zu schaffen. Flora und Fauna, die Rechte und das Leben indigener Völker, ökologische Langzeitschäden – das alles ist für Bolsonaro ohne Belang. In vielen Favelas ist nicht zuletzt wegen der Brutalität der Einsatzkräfte wieder ein bürgerkriegsähnliches Klima ausgebrochen. Ähnlich wie im Fall Trump ist die Mehrheit der Wähler von ihrem Präsidenten enttäuscht und würde ihn nicht wiederwählen. Die Gefahr eines Militärputsches ist hoch, zumal der ehemalige Hauptmann Bolsonaro nie ein Hehl daraus gemacht hat, dass er die Militärdiktatur für die beste Regierungsform hält.
Sand im Getriebe der EU
Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen, wobei die scheinbar kleineren Dämonen vielleicht sogar noch bösartiger sind. Der Präsident der kleinen Tschechischen Republik, Zeman, z.B. zeigte sich bereits 2017 im Parlament mit einem Gewehr in den Händen, auf dem leserlich steht: Auf Journalisten! Bei einer anderen Gelegenheit witzelt er mit Putin darüber, dass es zu viele Journalisten gäbe, die man liquidieren müsste. Und kommt mit seiner Aufforderung zum Mord ohne Sanktionen durch die EU davon. Auch die abseits der Rechtsstaatlichkeit operierenden Länder Polen und Ungarn kommen mit ihren Verfassungsänderungen und Notstandsgesetzen durch, obwohl das historische Echo des Ermächtigungsgesetzes Hitlers nicht zu überhören ist. Im Rahmen der Anti-Covid Massnahmen der EU bekommen diese nicht demokratischen Länder weitere Milliarden Euro zugeschossen. Systemische Fehler treten als rekursive Fehler auf und bringen immer ihre eigenen Dämonen hervor.
Das deutsche Pandämonium
Selbst im wichtigen Nachbarland Deutschland knirscht es zunehmend im System. Abgesehen von der zu starken Ausrichtung auf die Automobilindustrie, die zu ökonomischem Stress führt, zeigt die nun entbrannte Diskussion um die rechtsextreme Unterwanderung von Polizei, Sonderkräften, Militär, Justiz, Medien usw., dass die nie stattgefundene ernsthafte Entnazifizierung, weder im Westen noch im Osten, ein ganz eigenes Pandämonium hervorgebracht hat. Verschwundene Sprengstoffe, Munition und Waffen sind nur die Spitze eines Eisbergs, der quer durch die Institutionen und weite Teile der Bevölkerung geht. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Medien, die eben doch nicht, wie so oft behauptet, links oder liberal sind, sondern ausgesprochen propagandistisch und gefährlich, indem sie den künstlichen und meist falschen Nachrichten von Populisten und Demagogen mehr Gewicht geben als den wirklich relevanten Entwicklungen und Nachrichten. Herolde und Steigbügelhalter für die Nachfolger von Massenmördern wie Himmler, Höss, Kaltenbrunner und Mengele.
Demokratische Rückbesinnung der CSU
Ein deutliches Zeichen für die Erkenntnis, dass die Gefahr für die Demokratie von rechts kommt, ist die völlig geänderte Strategie der CSU, die in den Vorjahren noch jenseits der Grenze des Akzeptablen bei Rechtsextremen auf Stimmenfang gegangen ist, nun jedoch in Form von Innenminister Seehofer etliche rechtsterroristische Organisationen verboten hat, die Gefahr explizit anspricht und Untersuchungen anstellt. Fraglich ist natürlich, wie der Verfassungsschutz, der eher Unterstützer und Akteur im rechten Terror zu sein scheint, zu einer Lösung beitragen kann.
Fazit
Wenn einmal der Grossteil der Welt von Diktatoren oder totalitären Systemen beherrscht wird, haben Wirtschaft und Börse keine gute Prognose. Planwirtschaft, Mangel an Wettbewerb und Interventionismus, wie spätestens seit 2008 gang und gäbe, führen dann zu starren Strukturen, fehlenden Investitionen, Angst und schwindender Kreativität – der Niedergang von zuvor aufblühender Kultur und Wissenschaft ist unausweichlich. Nord-Korea für alle! Während von China und Russland eine Fortsetzung der Machtkonsolidierung und der Destabilisierungspolitik gegenüber dem Westen zu erwarten ist, stehen Amerika und Europa am Scheideweg. Die Wahl im November in den USA wird, so bleibt zu hoffen, zu einer eher rationalen zukünftigen Politik der Super-Power führen. Das könnte auch einen stabilisierenden Effekt auf den Unruheherd Europa haben. Die zunehmende Balkanisierung und Spaltung könnten zu einem Verlust der mühsam aufrechterhaltenen Kohäsion führen.
Aus der Krise der EU könnte aber auch eine Konsolidierung und Stärkung resultieren. Die Einsicht, dass nur Einigkeit und Stärke zu der weltpolitischen Bedeutung führen, die erforderlich ist, um selbstbestimmt zwischen den Super-Mächten bestehen zu können, ist jedenfalls überfällig. Dabei wäre ein harter Kern von 15 oder 20 EU-überzeugten Ländern womöglich schon ausreichend, um die von Putin fremdgesteuerte Störung und Zersetzung der EU durch die östlichen Mitgliedsländer zu beenden. Wenn auch die Schweiz direkt von diesen Tendenzen nicht betroffen scheint, indirekt ist sie es doch, denn gerade die EU, China und die USA sind wichtige Märkte.
An den Börsen setzen sich die Trends fort, bemerkenswert ist der plötzliche Ausbruch nach oben bei Silber, ein Signal, dass die Edelmetall-Hausse nun in die heisse Phase eintritt. Ein neues historisches Hoch bei Gold sollte dann dafür sorgen, dass Silber ebenfalls neue Rekordstände erreichen wird. Das letzte Hoch lag 2011 bei 49 USD. Der aktuelle Preis beträgt 22 USD.
Einstweilen gilt leider für den Grossteil der Weltbevölkerung, was Kafka in seinem Tagebuch festhielt: „Im Frieden kommst Du nicht vorwärts, im Krieg verblutest Du.“