Im Jahr 2008 prophezeite Steve Ballmer, damals CEO von Microsoft, dass gedruckte Magazine und Zeitungen in zehn Jahren tot seien. Es könnte auch etwas länger dauern, aber gegenüber gedruckten Erzeugnisse seien digitalen Medien eben haushoch überlegen.
Dass die digitale Welt das Sterben der analogen im Bereich der Nachrichtenverbreitung beschleunigt, ist eine Binsenwahrheit, die aber deshalb nicht weniger wahr ist. Wegen der konstant sinkenden Einnahmen grosser Medienhäuser wie z.B. TX Group oder NZZ Mediengruppe kommt es rund um die Futtertröge, an denen sich die Medienunternehmen zum Fressen versammeln, zunehmend zu Streitigkeiten. Hat man sich in der Vergangenheit noch oft vornehm zurückgehalten, wenn es um den Zustand der Konkurrenz ging, so wird jetzt munter aufeinander eingebissen.
Feuer im Dach
Ein Artikel in der NZZ, der über das baldige Ende der gedruckten Ausgabe von „20 Minuten“ spekulierte, zog eine geharnischte Reaktion des Geschäftsführers des zur TX Group gehörenden Pendlermagazins nach sich. Marcel Kohler, früher selbst bei der NZZ, will gar rechtliche Schritte gegen den seiner Ansicht nach „unseriösen und geschäftsschädigenden Artikel“ der NZZ prüfen. Es sei fahrlässig, wie die NZZ an dieser frei erfundenen These festhalten könne, so Kohler im Interview des Branchenmagazins „Persönlich“.
Die Nervosität steigt, Corona deckt die Mängel von Geschäftsmodellen à la „20 Minuten“, aber auch von Abozeitungen wie „Tagesanzeiger“ oder „Neue Zürcher Zeitung“ schonungslos auf. Davon wollen die Entscheider aber wenig wissen. Pietro Supino, VR-Präsident der TX Group, schreibt im Vorwort zum Halbjahresbericht: „Mit ihren hervorragenden Mitarbeitenden und Führungskräften ist die TX Group gut aufgestellt, um die Krise zu bewältigen.“ Die Lage sei ernst, aber kein Grund, den eingeschlagenen Weg in Frage zu stellen. Und aus der Feder von Etienne Jornod, VRP der NZZ Mediengruppe, liest sich das so: „Während die unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie sehr deutlich sind, bleibt unsere strategische Ausrichtung davon unberührt.“
Weitermachen wie bisher
Also weitermachen wie bisher. Auch wenn die Zahlen eine ganz andere Sprache sprechen und zu grundsätzlichem Überdenken der Strategie anregen sollten.
Historische Höchstwerte bei der Onlinenutzung in den Monaten März und April bemühen die Zeitungsmacher, um sich die Krise schönzureden. Auf die Zahlen hat dies keinen Einfluss: So ging der Ertrag im Nutzermarkt der NZZ um 4% gegenüber der Vorjahresperiode zurück, bei der TX Group um minus 2,5%.
Im Vergleich zum Einbruch der Werbeumsätze sind diese Rückgänge allerdings „peanuts“. Die Werbung gab bei der TX Group um 37% ab, bei der NZZ Mediengruppe um 21%. Der gesamte Betriebsertrag geht bei der NZZ auf 95 Mio. CHF zurück (-14%), bei der TX Group stehen 431 Mio. CHF zu Buche (-17,7%).
Umsatzeinbruch bei „20 Minuten“
Bei der TX Group trifft es dabei „20 Minuten“ besonders stark; der Betriebsertrag geht um über 40% auf 40 Mio. CHF zurück. Kein Wunder, dass der Geschäftsführer so empfindlich auf die Spekulationen der NZZ reagiert. Die NZZ wiederum muss empfindliche Verluste beim übrigen Ertrag verzeichnen, der um 24% auf 19.7 Mio. CHF abnimmt. Hier schlägt einerseits das Finanzergebnis zu Buche, welches pandemie-bedingte Kursverluste enthalte, so der Halbjahresbericht. Andererseits wird die stark im Veranstaltungsgeschäft engagierte NZZ (Zurich Film Festival, NZZ Konferenzen wie das Swiss Economic Forum) sozusagen nicht nur auf dem Medien-Standbein, sondern auch dem Veranstaltungs-Spielbein voll von der Corona-Pandemie erwischt.
Auf Stufe EBITDA schauen so bei der NZZ Mediengruppe 1.9 Mio. CHF (-84%) heraus, bei der TX Group 34.1 Mio. CHF, ein Rückgang um über 60%. Auf dieser Stufe sind die Ergebnisse besser vergleichbar, weil die TX Group eine Wertminderung des Goodwills der Einheit Tamedia (bezahlte Tages- und Sonntagszeitungen) von 85 Mio. CHF vorgenommen hat. So fällt bei ihr unter dem Strich ein Verlust von 109 Mio. CHF an. Bei der NZZ Mediengruppe liegt das Gruppenergebnis bei minus 3.4 Mio. CHF.
Ausblick
Angesichts dieser unschönen Zahlen geht man bei der TX Group an die Ausgaben. In den nächsten drei Jahren sollen 70 Mio. CHF eingespart werden. Die Massnahmen würden in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern erarbeitet, was nichts anderes heisst, dass es zu einem weiteren Mitarbeiterschwund kommen wird. Die NZZ äussert sich im Halbjahresbericht nicht zu Sparmassnahmen, hat aber bereits im Frühling mit der Reduktion der Seitenzahl der Tagesausgabe der NZZ reagiert. Man kann sicher sein, dass angesichts der Gesamtsituation weitere Einsparungen getätigt werden.
Auch wenn Etienne Jornod die Corona-Krise bereits in die Vergangenheit legt („Wir hoffen, dass Sie, liebe Aktionärinnen und Aktionäre Ihrerseits gut durch die Krise gekommen sind …“) und von Kundenwachstum in der Schweiz wie auch in Deutschland in den kommenden Monaten spricht, so bleiben die Aussichten weiterhin zappenduster. Daran ändert auch die Tatsache nicht, dass man gemeinsam mit einem Zürcher Gastronomen-Duo im Herbst das Restaurant „NZZ am Bellevue“ eröffnen will oder ein neues digitales Angebot „NZZ Pro Global“ auf den Markt wirft, das der „Persönlich“-Leser Rudolf Penzinger treffend analysiert: „Das Angebot entspricht mehr der Notwendigkeit der NZZ, neue Finanzquellen zu erschliessen, als einem Bedürfnis der Leser nach zusätzlicher Information.“
Fazit
Die Frage lautet nicht, ob das Geschäftsjahr 2020 mit Gewinn oder Verlust abgeschlossen wird, sondern nur, wie hoch der Verlust ausfallen wird – so viel scheint bei den beiden Zürcher Medienhäusern klar zu sein. Sie tun sich aufgrund der andauernden Covid-19-Krise verständlicherweise schwer, weitere Prognosen über den Geschäftsverlauf abzugeben, auch wenn sie die Krise, wie Jornod im Halbjahresbericht, gerne in dunkle Vergangenheit bannen möchten.
Wir dürfen gespannt sein, wie schnell sich Häuser wie die TX Group oder die NZZ Mediengruppe zumindest von einem Teil ihrer gedruckten Erzeugnisse trennen werden. Wobei eine Reduktion der Bund-Anzahl und der Seiten wie bei der NZZ ein erster Schritt in diese Richtung ist. Noch schreckt man in Zürich wie auch an anderen Orten davor zurück, sich ganz auf eine digitale Verbreitung zu konzentrieren, aber – Nachtigall, ick hör dir trapsen – die beiden NZZ-Redakteure liegen sicher nicht falsch, wenn sie diese Vermutung bezogen auf „20 Minuten“ schon mal laut aussprechen.
Dabei werden auch die Aktionäre wohl ein Wort mitsprechen wollen. Denn seit Jahren müssen sie mit anschauen, wie der Kurs nur eine Richtung kennt: gen Süden. Vor allem bei der TX Group, deren Kurs an der SIX Swiss Exchange gerade mal noch bei einem Drittel gegenüber dem Allzeit-Hoch notiert.
Etwas besser sieht es bei der auf OTC-X der BEKB gelisteten NZZ Mediengruppe aus, wobei hier wesentlich weniger Handelsdynamik aufkommt, auch weil das Papier wohl bei vielen älteren Zürcher Goldküstenbewohnern mehr zum Inventar als zu einem Handelsgut gehört.