«Wir schaffen nicht die Zukunft, wir schaffen die Gegenwart»
So umschreibt der Schweizer Visionär und Abenteurer Bertrand Piccard das Projekt grüne Wasserstoffmobilität in der Schweiz. Grüner Wasserstoff gilt als nächster weltweiter Megatrend mit dem Potenzial, eine Hauptrolle auf dem Weg zur erfolgreichen Energiewende zu spielen (mehr dazu in unserem Beitrag zu grünem Wasserstoff von letzter Woche). Neue Projekte spriessen um den ganzen Globus herum aus dem Boden, die meisten befinden sich aber noch in Entwicklungs- oder Pilotphasen. Mit der Übergabe der ersten Wasserstoff-Serien-Lastwagen von Hyundai an Schweizer Kunden anfangs Oktober im Verkehrshaus Luzern hat die Wasserstoffmobilität zumindest in der Schweiz den ersten Schritt von einer Zukunftsvision in die Gegenwart gemacht.
Startschuss zur Dekarbonisierung des Verkehrs
Durch die Übergabe dieser sieben Hyundai XCIENT Fuell Cell Trucks an Schweizer Kunden hat gemäss Mark Freymüller, CEO der Hyundai Hydrogen Mobility AG, die Dekarbonisierung des Verkehrs begonnen. Die Hyundai Hydrogen Mobility AG ist ein Joint Venture zwischen dem Schweizer Unternehmen H2 Energy und der koreanischen Hyundai Motor Company und vermietet die Wasserstoff-Trucks auf einer pay-per-use-Basis an die Schweizer Kunden. In Brennstoffzellen im Truck reagiert der getankte Wasserstoff mit Sauerstoff aus der Umgebungsluft. Dabei wird Energie freigesetzt, die das Fahrzeug antreibt. Ein mit 32 kg Wasserstoff vollgetankter LKW kann so Distanzen von 400 km zurücklegen. Zu den ersten Kunden gehören Wirtschaftsgrössen wie der Migros-Genossenschaftsbund oder das Transportunternehmen Galliker AG. Weitere sollen folgen; bis Ende Jahr will die Hyundai Hydrogen Mobility AG insgesamt 50 solcher Brennstoffzellen-Trucks auf die Schweizer Strassen bringen und diese Zahl bis 2025 auf 1’600 erhöhen.
Durch das Mietmodell ist die Hyundai Hydrogen Mobility AG auch für den Unterhalt der Wasserstoff-Trucks verantwortlich. Dazu wurde anfangs 2020 eine nationale Partnerschaft für Service- und Reparatur-Dienstleistungen mit der Auto AG Truck, eine Tochtergesellschaft der in Rothenburg angesiedelten Auto AG, abgeschlossen. Die Auto AG Truck erhält dabei Unterstützung von Ingenieuren der Hyundai Motor Company direkt vor Ort, zudem erhielten im Frühjahr Mitarbeitende des Unternehmens in Korea technische Trainings und wurden im Umgang mit dem XCIENT geschult. Der Umgang mit dem geruchlosen und unsichtbaren Wasserstoff erfordert eine adäquate Infrastruktur; so mussten die Werkstätten der Auto AG Truck aufgerüstet und auf die neuen Trucks vorbereitet werden.
Funktionierender Wasserstoffkreislauf seit 2016
Die XCIENT Fuell Cell Trucks sind Teil eines grünen Wasserstoff-Ökosystems. Voraussetzung für die Wasserstoffmobilität ist die Zusammenarbeit verschiedenster Akteure aus den Bereichen Energieerzeugung, Auto- und Lastwagenherstellung, Tankstellenbetreibung sowie Transport und Logistik. Ohne funktionierenden Wasserstoffkreislauf ist der wirtschaftliche Betrieb der einzelnen Teilprozesse nicht möglich. Ein Wasserstofffahrzeug kann ohne Wasserstofftankstelle nicht eingesetzt werden, die Tankstelle aber ohne Fahrzeug auch nicht rentabel betrieben werden. Beides wiederum hängt von der Verfügbarkeit von Wasserstoff ab, bei dessen Herstellung Energie eingesetzt werden muss. Damit dieser ganze Prozess am Schluss auch tatsächlich einen Beitrag zur Energiewende leisten kann, muss die eingesetzte Energie aus nachhaltigen, erneuerbaren Quellen stammen.
Seit 2016 unterhält H2 Energy zusammen mit Coop, der Coop Mineralöl AG und der Eniwa AG einen solchen geschlossenen Wasserstoffkreislauf. Beim Eniwa Wasserkraftwerk in Aarau wird in der ersten Wasserkraft-Elektrolyseanlage der Schweiz Wasserstoff produziert. Durch die Lagerbarkeit von Wasserstoff können die Produktion des Kraftwerks und die Nachfrage nach Energie ausgeglichen werden. Der Wasserstoff wird von Aarau zur schweizweit ersten Wasserstofftankstelle in Hutzenschwil transportiert und dort wie Benzin und Diesel auch über eine Zapfsäule an die Fahrzeuge abgegeben. Diese stossen beim Verbrennen des Wasserstoffes nur Wasser als «Abgas» aus, der Kreislauf schliesst sich.
Schweizweiter Infrastrukturausbau
Mit der anstehenden, flächendeckenden Nutzung von Wasserstoff-Trucks muss auch das Versorgungsnetzwerk ausgebaut werden. In Zusammenarbeit mit dem Stromproduzenten Alpiq hat H2 Energy dieses Jahr beim Wasserkraftwerk Gösgen eine erste Elektrolyseanlage im MW-Bereich in Betrieb genommen. Diese kann jährlich bis zu 300 Tonnen Wasserstoff produzieren und so den Jahresverbrauch von 40-50 Wasserstoff-Trucks sicherstellen. Auch das Tankstellennetz wird laufend erweitert, mittlerweile sind von Avia in St. Gallen und von Agrola in Zofingen weitere Wasserstofftankstellen in Betriebe genommen worden. Der Förderverein H2 Mobilität Schweiz, welchem mit Coop, Avia und Agrola unter anderem alle aktuellen Betreiber einer Wasserstofftankstelle angeschlossen sind, will bis 2023 ein flächendeckendes Tankstellennetz erreichen und so die Etablierung der grünen Wasserstoffmobilität in der Schweiz ermöglichen.
Internationale Zusammenarbeit der Wirtschaftsakteure
Nicht nur Unternehmen des beschriebenen Kreislaufes können von grünem Wasserstoff profitieren. Als Mitglied der «FLAGSHIPS» Initiative der EU zur Förderung des Einsatzes von emissionsfreien Schiffen arbeitet der Schweizer Energie- und Automatisierungskonzern ABB an der Entwicklung von Brennstoffzellenantrieben für Passagier- und Frachtschiffe. 2021 soll ein erstes Wasserstoff-Schubschiff an die französische Compagnie Fluviale de Transport geliefert werden. Das Projekt soll die Eignung von Brennstoffzellen als Antrieb von mittelgrossen Schiffen mit Platz für 100 Passagiere oder dem entsprechenden Frachtvolumen unter Beweis stellen. Die Schifffahrt steht unter grossem Druck, ihre CO2-Emissionen von jährlich 940 Mio. Tonnen zu reduzieren. Die Brennstoffzellen-Technologie gilt dabei als einer der verheissungsvollsten Kandidaten, auch wenn aufgrund der geringeren Dichte von Wasserstoff gegenüber anderen Brennstoffen mehr Volumen auf den Schiffen benötigt wird und die Technologie somit momentan vor allem für den Einsatz auf kürzeren Strecken geeignet ist.
Der Ostschweizer Zugbauer Stadler Rail investiert in die Entwicklung von mit Wasserstoff betriebenen Zügen. Für die kalifornische San Bernardino County Transportation Authority (SBCTA) baut Stadler die erste «FLIRT H2» Zugkomposition, welche 2024 in Betrieb gehen soll. Obschon die SBCTA von emissionsfreien Zügen spricht, macht sie leider keine Angaben dazu, von wo der verwendete Wasserstoff stammen soll. Weiter arbeitet Stadler an einem Auftrag für eine Schmalspurbahn für die Tiroler Zillertalbahn. Da im touristisch genutzten Tal keine zusätzlichen Fahrleitungsanlagen und Masten gewünscht sind, soll die notwendige Energie für diese Züge mit grünem Wasserstoff aus einer eigenen Elektrolyseanlage bereitgestellt werden.
Fazit
Grüner Wasserstoff hält Einzug in die Schweizer Wirtschaft, auch wenn erst ein kleiner Teil der Unternehmen das enorme Potenzial des Energieträgers nutzt und fördert. Die Bandbreite reicht dabei von milliardenschweren, börsennotierten Konzernen wie ABB oder Alpiq zu kleineren, weniger bekannten Firmen aus der OTC-X Landschaft wie Eniwa oder der Auto AG. Insbesondere im Transportbereich nimmt der Durchbruch von grünem Wasserstoff langsam Form an. 50 Lastwagen bis Ende Jahr und aktuell drei Tankstellen tönen zwar nach wenig, stellen aber den wichtigen ersten Schritt zur Etablierung der Wasserstoffmobilität dar. Der Wasserstoffkreislauf kann sich unter Beweis stellen, und die Zusammenarbeit der Unternehmen aus verschiedenen Bereichen durch den Förderverein H2 Mobilität Schweiz vereinfacht die Ausweitung der Wasserstoffmobilität.
In vielen Bereichen steht grüner Wasserstoff noch in den Startblöcken. Über den Globus verteilt laufen Pilotprojekte in den verschiedensten Bereichen, mit dem Potenzial, im Verlauf des nächsten Jahrzehnts den Sprung zur verbreiteten Anwendung zu schaffen. Zentral ist dabei zum einen die Weiterentwicklung bestehender Technologien, um die Effizienz des ganzen Prozesses von der Herstellung von Wasserstoff bis zum Verbrauch zu optimieren. Zum anderen aber auch der massive Ausbau der heutigen Produktion von erneuerbaren Energien. Wie im Beitrag von letzter Woche beschrieben, würde allein der Wechsel von Kohle zu grünem Wasserstoff in der deutschen Stahlindustrie den Bedarf nach erneuerbaren Energien in Deutschland verdoppeln. Es braucht ein Zusammenspiel aller Branchen, damit grüner Wasserstoff schlussendlich auch tatsächlich der Schlüssel zur Energiewende werden kann und aus der Zukunftsvision von heute die weltweite Gegenwart von morgen wird.