Während „Green Deal“, „Kreislaufwirtschaft“ und „Recycling“ die klimabezogenen Schlagzeilen prägen, steuert die Plastikmüllproduktion 2020 tatsächlich auf einen neuen globalen Rekordwert zu. Die Pandemie macht es möglich. Die Plastik-Produzenten, darunter Chevron, Exxon, BASF und Shell, profitieren von dem Nachfrageschub und planen über die nächsten Jahre substanzielle Investitionen in neue Kapazitäten in Höhe von 400 Mrd. USD. Demgegenüber liegen deren Investitionen in die Reduzierung ihrer Emissionen bei gerade 2 Mrd. USD! Wie kann das sein?
Es liegt auf der Hand, dass sterile Einmal-Verpackungen, insbesondere bei Nahrungsmitteln und zubereiteten Speisen zur Auslieferung, aus Hygienegründen erforderlich sind. Tatsächlich stören sich aber viele Konsumenten gerade daran und bringen lieber eigene Behälter mit. Viele Abhol- und Lieferdienste suchen auch aktiv nach Alternativen und werden manchmal auch fündig. Bambus oder wiederverwendbare Glasbehälter mit Pfand etablieren sich zunehmend bei den Essens-Lieferdiensten.
Neues Plastik billiger als Recycling-Material
Doch die Bemühungen von Einzelnen ändern leider wenig daran, wie die erhöhte Nachfrage nach sterilen Verpackungen befriedigt wird – weit überwiegend durch die Produktion von neuem Plastik mit den bestehenden Kapazitäten. Durch die schwache Ölpreisentwicklung sind die Inputkosten für die petrochemischen Betriebe stark gesunken. Entgegen den allgemeinen Behauptungen und dem, was man erwarten könnte, wird Recycling-Plastik in der Industrie immer weniger verwendet. Ein Grund ist die Preisdifferenz zuungunsten des Recyclingmaterials, die sich durch den Ölpreisrutsch sogar noch erweitert hat. Der gewichtigere Grund ist aber die Auslastung der bestehenden Kapazitäten.
Mega-Investitionen in neue Plastikproduktion
Mehr noch, die Planungen der Industrie sehen laut der NGO Carbon Tracker Investitionen in Höhe von 400 Mrd. USD innerhalb der nächsten fünf Jahre in die Erweiterung der Kapazitäten um 25% vor. Schon 2020 haben allein Exxon, Chevron, Shell und BASF 25 Mrd. USD in neue Produktionsanlagen in China investiert, wie Reuters ermittelt hat. Das heisst im Klartext, dass die rückläufige Nachfrage der Energieerzeuger und der Transport- und Mobilitätswirtschaft am Ölmarkt möglichst vollständig von kontinuierlich steigenden Absätzen und Umsätzen des Öl-Derivats Plastik aufgefangen werden soll. Die Planungen der petrochemischen Industrie sind jedoch nicht mit den Gesetzesvorhaben etwa im Rahmen der EU-Beschlüsse oder den Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens zu vereinbaren.
Globale Plastik-Recycling Wirtschaft vor dem Aus
Der Effekt der gesteigerten Plastiknachfrage seit Beginn der Krise und dem Ölpreisrutsch und damit billigerem „junfräulichem Plastik“, so die wörtliche Übersetzung von „virgin plastics“, ist, dass viele Recycling-Unternehmen Schwierigkeiten haben, kostendeckend zu arbeiten und überhaupt Abnehmer zu finden. Das gilt auch für den beträchtlichen Anteil von Beschäftigten in den Ländern Südost-Asiens, den Müll-Importzentren der jüngeren Vergangenheit. China hatte bereits seit 2018 keine Plastikmüllexporte, hauptsächlich aus den USA und Europa, mehr ins Land gelassen. Die Ambition, zum führenden Recycling-Standort für Plastik zu werden, wurde aufgegeben. Seitdem ergiesst sich die Plastikmüllflut auf Indonesien, die Philippinen und weitere Länder, auch in Afrika, die teilweise buchstäblich im von den Industrienationen exportierten Müll ersticken.
Tatsächliche Recyclingquote von 10%
Das weitere Schicksal unseres Plastikmülls wird zwar gerne verdrängt, doch die wissenschaftlichen Fakten lassen sich in einer aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft schlecht auf Dauer ignorieren. Nur 10% unseres Plastikmülls wird tatsächlich recycelt! 36% sind zur einmaligen Verwendung. Der Grossteil des Plastikmülls verschmutzt und vergiftet unverändert die Umwelt, ein hoher Anteil wird unter freiem Himmel verbrannt oder landet in den Ozeanen.
Asien wird neues Zentrum der Petrochemie
Gerade diese Missstände sollen behoben werden, und die ersten Massnahmen in Europa und China scheinen auch Wirkung zu zeigen. Trotz des erhöhten Bedarfs an Masken, Einmal-Handschuhen, Schutzkleidung, Gesichtsvisieren etc. steigen die Mengen an Plastikmüll inzwischen in Europa und China nurmehr gering an, nehmen dafür aber mittlerweile kräftig in den Emerging Markets zu. Laut dem Beratungsunternehmen Wood Mackenzie sind weltweit weitere 176 petrochemische Produktionsstätten für die kommenden fünf Jahre geplant, wovon 80% auf Asien entfallen werden.
Kapazitätserweiterung im Widerspruch zu Klimazielen
Nach den Berechnungen von Carbon Tracker entfielen Stand 2018 rund 1.75 Gt an CO2-Emissionen auf die Produktion von Plastik – von insgesamt 33 Gt, die auf den Energiesektor entfallen. Diese Grösse soll nun bis 2030 halbiert und bis 2050 vollständig eliminiert werden! So jedenfalls verlangt es das Protokoll des Pariser Klimaabkommens von 2015. Durch die Wahl des neuen Präsidenten in den USA ändern sich voraussichtlich die soweit schlechten Prognosen für die Zunahme von Emissionen und Plastikmüll in deutlich weniger schlechte Prognosen. Der Ausgang der Präsidentenwahl ist ein veritabler „game-changer“ mit Blick auf die globalen Klimamassnahmen und spürbare Effekte bei der Reduzierung der Treibhausgase.
Biden vs Big Oil
Joe Biden wird es nicht einfach haben, sein Klimaprogramm umzusetzen. Insgesamt könnten 2 Bio. USD in klimarelevante Massnahmen fliessen. Der erste Schritt wird wohl sein, dem Pariser Klimaabkommen wieder beizutreten. Die USA waren bislang das einzige Land, das das Abkommen gekündigt hatte. Die Aufkündigung war erst vor kurzem wirksam geworden. Das ganze Ausmass der Herausforderungen für den President-elect zeigt sich schon darin, dass die europäischen Unternehmen der Öl- und Gaswirtschaft wie BP, Shell, Total und Repsol längst ihre 5-Jahresplanungen und -annahmen zum Preisniveau an die neuen Realitäten anpassen mussten, ihre US-Konkurrenten aber unverändert mit Szenarien planen, die Nachfragesteigerungen und höhere Preise am Ölmarkt unterstellen. Kaum eine Industrie hat eine ähnlich starke und einflussreiche Lobby wie der Öl- und Gas-Sektor, der auch die Petrochemie einschliesst.
Definition von Klimazielen
Der nächste logische Schritt für die Biden Administration wäre die Definition von Klimazielen für 2030. Dann dürfte es für die amerikanischen Unternehmen um einiges schwieriger werden, ihre Pläne für Erweiterungsinvestitionen in die Produktion von Plastik ihren institutionellen Aktionären schmackhaft zu machen. Die grösste Hürde für eine radikale Änderung der US-Klimapolitik wird im Endeffekt aber der Oberste Gerichtshof sein, der nun mit sechs Konservativen gegenüber drei Demokraten bestückt ist.
Net-Positivity
Gelingt Biden jedoch die auch von der Mehrheit der Bevölkerung gewünschte Kurskorrektur, würden die klimabezogenen Ausgaben der USA um das Vierzehnfache ansteigen. Damit würden die USA die EU als Nr. 1 im Kampf um die Reduzierung von Emissionen ablösen. Gleichzeitig würde sich die globale Klima-Bilanz signifikant verbessern. Laut einer Analyse des Guardian subventionieren und unterstützen 18 der wichtigsten Länder nach wie vor die fossilen Energien; nur Spanien, Frankreich, Deutschland und UK haben ihre Corona Hilfs- und Finanzierungsprogramme für die Wirtschaft so angepasst, dass der Netto-Effekt in der Klimabilanz positiv ist.
Klima, Wahlen, Proteste
Wie es scheint, ist es in der gegebenen Lage durchaus so, dass der Bürgerwille nur dann ernstgenommen und umgesetzt wird, wenn gegen den falschen Kurs von Politik, Wirtschaft und Notenbanken protestiert wird oder die Wahlen darüber entscheiden. Erst die scharfe Kritik gegen die anfängliche sogenannte „marktneutrale“ Allokation der Mittel aus dem Pandemic Emergency Program der EZB hatte eine Änderung der Praxis bewirkt, zu zwei Dritteln carbon-intensive Industrien zu finanzieren. Die Abwahl Trumps ist zu einem guten Teil auch auf seine katastrophale Klima-Politik zurückzuführen.
Starke Verschmutzung durch Marken-Unternehmen
Wer in der Wirtschaftspolitik genau hinschaut, sollte auch die Unternehmen daran messen, was sie selbst als Ziele kommunizieren. Ins Auge sticht im Kontext des Plastikmülls und seinen Verursachern geradezu, dass Nestlé und Coca-Cola trotz aller Beteuerungen immer noch die grössten Plastik-Verschmutzer sind. Die NGO #breakfreefromplastic hat im September das zweite Jahr in Folge überall auf der Welt Plastikmüll-Sammelaktionen organisiert und nach der Evaluierung und Zuordnung Coca-Cola, Nestlé, Pepsico, Unilever und Mondelez als die schlimmsten „Marken“ identifiziert.
Ernüchternde Recycling Zwischenbilanz der Top-Marken
Und auch die Recycling-Zwischenbilanz fällt bei den drei Top-Marken der Plastik-Verschmutzer schlecht aus. Auf Anfrage von Reuters sagte Nestlé, dass gegenwärtig gerade 3% der verwendeten Plastikverpackungen aus Recycling-Material sind. Das überaus bescheidene Ziel sind 15% bis 2025! Coca-Cola hat sich ein Ziel von 50% bis 2030 gesetzt und liegt aktuell bei nur 20%. Pepsico will eine Recyclingquote von 25% bis 2025 erreichen und liegt gegenwärtig bei 4%! Vor einem Jahr war auf schweizeraktien.net die Frage gestellt worden: Ist Nestlé ein Leader der Nachhaltigkeit? Das Ergebnis war gemischt. Ein Jahr weiter scheinen die Fakten im Hinblick auf das Plastikmüll-Problem gegen einen wirklichen Fortschritt der Bemühungen zu sprechen. Es ist daher inkonsistent, wenn Nestlé in ESG-Ratings und -Investmentprodukten generell als Vorreiter der Nachhaltigkeit dargestellt wird.