Generalversammlungen: Präsenzanlässe werden nach der Covid-Pandemie nicht verschwinden

Stimmbeteiligung bei schriftlichen Versammlungen höher

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Aufgrund der Covid-19-Verordnung des Bundes können Unternehmen noch bis Ende 2021 ihre Generalversammlungen unter Ausschluss der Aktionäre durchführen. Die Corona-Pandemie hat damit einen wichtigen Anlass für Publikumsgesellschaften radikal verändert. Doch die Notverordnung des Bundes ist nur ein erster Schritt, der an einer langjährigen Tradition rüttelt. Mit der Aktienrechtsrevision werden ab 2022 sogenannte «virtuelle Generalversammlungen» in der Schweiz möglich. Sofern es die Statuten eines Unternehmens zulassen, können dann die Aktionärsversammlungen «mit elektronischen Mitteln ohne Tagungsort durchgeführt werden», wie es im Gesetzesentwurf heisst. Doch führen die Covid-Verordnung und das neue Aktienrecht zu einer Disruption bei den Generalversammlungen?

schweizeraktien.net wollte dies genauer wissen, und hat vom 3. bis 12. November 228 börsenkotierte und nicht kotierte Unternehmen zu einer anonymen Umfrage eingeladen. Aufgrund der 43 Antworten (Rücklaufquote: 17,3%) ist davon auszugehen, dass rund zwei Drittel ausserbörslich auf OTC-X gehandelte Aktiengesellschaften und ein Drittel börsenkotierte Unternehmen geantwortet haben.

Nur wenige Firmen haben 2020 eine Präsenz-GV durchgeführt
Grafik: schweizeraktien.net

Im laufenden Jahr führte mit 85,7% die grosse Mehrzahl der Aktiengesellschaften ihre Generalversammlung schriftlich bzw. mit einem unabhängigen Stimmrechtsvertreter durch und verzichtete auf eine Präsenzveranstaltung. Die Begründungen waren naheliegend: Es sei allein aufgrund der Grösse der Generalversammlung und der Anzahl Aktionäre nicht möglich gewesen, das Aktionärstreffen physisch durchzuführen, so die Antwort. Um die Gesundheit von Aktionären und Mitarbeitern zu schützen, habe man auf eine Präsenzveranstaltung verzichtet. Nur sehr wenige Gesellschaften nutzen die Möglichkeit, die GV auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. «Weil die Kontaktpflege sehr wichtig ist und wir wichtige Themen hatten, die wir persönlich präsentieren wollten, haben wir die GV verschoben und im Herbst durchgeführt», lautete eine Erklärung.

Höhere Stimmbeteiligung bei Covid-GVs
Grafik: schweizeraktien.net

Positiv fällt auf, dass dank der Möglichkeit, schriftlich abzustimmen oder die Stimmen an den unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu übertragen, die Beteiligung der Aktionäre deutlich höher als in den letzten Jahren ausgefallen ist. 51,2% der Unternehmen, die an der Umfrage teilgenommen haben, verzeichneten eine höhere Beteiligung. Nur 17,1% stellten eine niedrigere Beteiligung der Aktionäre fest. „Im Vergleich zum Vorjahr haben mit 789 Aktionären rund 22% mehr Aktionäre abgestimmt“, stellte ein Umfrageteilnehmer fest.

Auch wenn das Ergebnis der Umfrage nicht als repräsentativ bezeichnet werden kann, so ist die Schlussfolgerung dennoch naheliegend. Müssen Aktionäre nicht die Anreise auf sich nehmen und Zeit für den Besuch einer GV einplanen, nehmen sie offenbar eher ihre Aktionärsrechte als sonst wahr.

67,6% wollen in 2021 wieder zurück zur physischen GV

Es überrascht allerdings, dass schon im kommenden Jahr wieder die Mehrheit der Unternehmen eine Generalversammlung mit Präsenz der Aktionäre plant. 67,6% der Unternehmen wollen zur klassischen Form des Aktionärstreffens zurück, sofern es der Gesetzgeber und die epidemiologische Lage erlauben. Sehr rege begründeten die Umfrageteilnehmer ihre Entscheidung. «Die GV ist in unserem Fall nicht nur eine Pflichtveranstaltung, sondern auch ein jährlicher Social-Event», heisst es beispielweise. Andere Unternehmen weisen darauf hin, dass die Versammlung der grösste Kundenanlass des Unternehmens sei und ebenso ein sehr emotionaler Begegnungsort für die Aktionäre. Betont wird immer wieder der persönliche Austausch, die Nähe zum Aktionariat und die lange Tradition.

Andere Firmen nehmen es eher rational: «Die Planung hat bereits begonnen, und wir wollen Sicherheit haben, auch um Annullationskosten zu vermeiden.» Es gibt auch Unternehmen, die zweigleisig fahren möchten: «Physisch, aber mit der Möglichkeit einer schriftlichen oder elektronischen Stimmabgabe», so eine Antwort.

Viel Unsicherheit bezüglich virtueller GV
Grafik: schweizeraktien.net

In Bezug auf eine rein virtuelle Generalversammlung, wie sie ab 2022 möglich sein soll, herrscht derzeit noch viel Unsicherheit. Daher sind die Antworten auf die Frage, wie die Möglichkeit einer rein virtuellen GV eingeschätzt werden, auch sehr breit gestreut und reichen von «0» starke Ablehnung bis «10» starke Zustimmung mit einem Mittelwert von 5.87.

Hinterfragt wird vor allem die technische Umsetzung, bemängelt die fehlende Interaktion. Positiv beurteilt werden hingegen die Effizienz, die Ortsunabhängigkeit und die geringeren Kosten.

Noch keine Statutenanpassung geplant
Grafik: schweizeraktien.net

Es ist daher wenig überraschend, dass 76,5% der Umfrageteilnehmer auch «keinen Bedarf» für eine Statutenanpassung sehen. Mehrfach wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass 2022 noch «zu weit weg» und ein Entscheid noch nicht gefallen sei.

Im Jahr 2022 wollen daher 87,9% ihre Generalversammlung wieder als Präsenzveranstaltung durchführen, 9,1% möchten den hybriden Weg – physische Versammlung und elektronische Abstimmung – nutzen.

86,8% der Umfrageteilnehmer sehen denn auch Vorteile in der Durchführung einer GV mit Präsenz der Aktionäre. Eine Antwort bringt es dabei wohl auf den Punkt: «Die Durchführung der GV ohne Präsenz der Aktionäre wäre grundsätzlich viel effizienter. Andererseits sehen wir uns auch den treuen Aktionären verpflichtet, welche die GV und den jährlichen Austausch mit dem VR, der GL und den anderen Aktionären sehr schätzen.»

Fazit

Stand heute lässt sich resümieren, dass die Covid-19-Verordnung (noch) nicht zum «Totengräber» der Präsenzversammlung geworden ist. Auch mit den neuen Möglichkeiten des revidierten Aktienrechts werden sich die Unternehmen noch intensiver beschäftigen, bevor sie sich für eine rein virtuelle GV entscheiden. Allerding dürften gerade börsenkotierte Unternehmen mit einem starken Kernaktionariat, die zudem keine Produkte für den Endverbraucher herstellen, relativ rasch auf die virtuelle Generalversammlung umschwenken.

Wie in anderen Branchen wird die digitale Transformation längerfristig auch bei den Aktionärsversammlungen zu nachhaltigen Veränderungen führen. Allerdings dürfte es auch hier nicht so rasch gehen, wie sich dies einige Marktakteure erhoffen. Langjährige Traditionen werden daher wohl vorerst weiterleben.

Haben Sie Interesse an den gesamten Umfrageergebnissen? Dann senden Sie uns bitte eine e-Mail: info@schweizeraktien.net

Mitarbeit: Adrian Bürgy, Daniel Eichenberger

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