Macro Perspective: Pegasus Spyware – Überwachung mit tödlichen Folgen

Surveillance Capitalism und Überwachung totalitärer Systeme mit zerstörerischen Auswirkungen

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„Wenn es heisst, ein Mann sei unbestechlich, so frage ich mich unwillkürlich, ob man ihm genug geboten hat.“ Joseph Fouché, 1759-1820, Politiker während der Französischen Revolution, Polizeiminister von Napoleon Bonaparte und den Monarchisten

Digitale Spionage und Überwachung. Bild: Adobe Stock

Über Monate hinweg haben 17 investigative Medien im „Projekt Pegasus“ untersucht, wer alles von wem mit der Software der NSO Group überwacht worden ist. Angeblich wird die fortgeschrittene Spyware aus Israel nur an ausgesuchte Staaten nach vorheriger Genehmigung durch das Verteidigungsministerium verkauft, und dies ausdrücklich zum ausschliesslichen Gebrauch gegen Kriminelle und Terroristen. Die Kunden fallen in drei Kategorien: Nachrichtendienste, Strafverfolgungsbehörden und Militär. Doch wie sich zeigt, sind vornehmlich Journalisten, Diplomaten, Menschenrechtsaktivisten, Rechtsanwälte, Oppositionelle und Politiker mit der Spyware infiziert worden. Die Folgen sind weitreichend.

Journalisten im Visier

Die Morde an dem ausgespähten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi – she. Macro Perspective vom Oktober 2018 – und seinem mexikanischen Kollegen Cecilio Pineda Birto zeigen die tödlichen Konsequenzen. Bisher sind die Enthüllungen noch rudimentär, doch das investigative Netzwerk hat weitere Enthüllungen in Schritten für die kommende Zeit angekündigt. Bisher wurde bekannt gemacht, dass umfangreiche Daten der NGO Forbidden Stories in Paris zugespielt worden sind, die nun durch das internationale Medien-Netzwerk und die forensische Abteilung von Amnesty International verifiziert werden. Auf 67 von den Betroffenen zur Verfügung gestellten Smartphones wurde in 37 Fällen forensisch nachgewiesen, dass sie mit der Spyware von NSO während des Untersuchungszeitraumes infiziert worden sind.

Negativbeispiel Mexiko

So viel ist jetzt schon bekannt: Es geht um insgesamt 40 Länder und deren ca. 50’000 Überwachungs-Targets. Allein 15’000 Namen entfallen auf die mexikanischen Behörden. Seit 2011 sind in der Narko-Republik insgesamt 86 Journalisten ermordet worden, davon zwei im letzten Monat. Auf der Spyware-Liste finden sich neben dem 2017 getöteten Kriminalreporter Birto weitere 26 mexikanische Journalisten. Wenn es nur um Kriminelle und Terroristen geht, warum finden sich dann Journalisten, Anwälte, Menschenrechtsaktivisten, Priester, Lehrer und Oppositionelle auf der umfangreichen Überwachungsliste der mexikanischen Behörden? Selbst der seit Ende 2018 amtierende Präsident Lopez Obrador und 50 seiner Familienmitglieder, Freunde, Ärzte, Ex-Chauffeure wurden vor seiner Wahl zum Präsidenten mittels Pegasus überwacht. Ebenso sein Vorgänger ab 2012, Pena Nieto. Gerade der Fall Mexiko zeigt, dass die Spyware eben nicht nur gegen Kriminelle und Terroristen eingesetzt wird, sondern faktisch gegen jeden  – und dies aufgrund der Korruption auch von den Kartellen.

Spitze des Überwachungswahns

Das mag daran liegen, dass Mexiko das erste Land war, das 2011 die Spyware gekauft und eingesetzt hat. Wie bereits bekannt wurde, haben zahlreiche Behörden wie Verteidigungsministerium und Staatsanwaltschaft sowie die entsprechenden Behörden der 32 Einzelstaaten mit Spyware gearbeitet. NSO ist nur ein Lieferant von rund zwei Dutzend, die in Mexiko zum Einsatz kommen. Allein 45 amtierende und ehemalige Gouverneure der 32 Staaten wurden irgendwann ausspioniert. Was jetzt im Zusammenhang mit NSO bekannt wird, ist, wie in den anderen betroffenen Ländern, deshalb nur die Spitze des Eisbergs.

Marokko bespitzelt Macron-Regierung und EU

Mit jeweils rund 10’000 Namen stechen auch Marokko und die Vereinigten Arabischen Emirate hervor. Hier liegen die Gründe anders als in Mexiko; es geht vor allem um den Erhalt der mittelalterlichen Machtstrukturen und die Verhinderung von Opposition sowie politischer Emanzipation. So werden von marokkanischen Behörden u. a. der eigene König sowie der Premierminister ausspioniert. Bemerkenswert ist auch, dass sich der französische Präsident Emmanuel Macron auf der marokkanischen Target-List findet, ebenso fast sein gesamtes Kabinett. Weiterhin bemerkenswert ist, dass auch Charles Michel, der Präsident des European Council, sowie sein Vater, ein ehemaliger belgischer Aussenminister, auf der Target-List stehen.  Auf der Liste der Vereinigten Arabischen Emirate finden sich dagegen zahlreiche britische Targets, darunter Abgeordnete und die Chefredakteurin der Financial Times.

Modi konsolidiert Machtposition

Indien, die angeblich „grösste Demokratie der Welt“, ist ebenfalls prominent vertreten. Insbesondere unter dem hindu-nationalistischen Premierminister Modi hat die digitale Bespitzelung stark zugenommen. Der Oppositionspolitiker Rahul Gandhi ist ein offensichtliches Ziel. Ebenso der Regierungschef Imre Khan im benachbarten Pakistan.

Orban und der Krieg gegen die Medien

In Europa fällt bisher nur ein Land als Klient von NSO auf: Ungarn. Der Krieg gegen die Medien und die politische Meinungsvielfalt wird seit 10 Jahren geführt und geht Hand in Hand mit dem Abbau der rechtsstaatlichen Prinzipien. Die spezielle Beziehung zwischen Orban und Netanyahu dürfte nicht unwesentlich zu dem Deal beigetragen haben.

Autoritäre Staaten spionieren wichtigste Medien aus

Journalisten, ob investigativ tätig oder als Kriminalreporter, sind in allen betroffenen Ländern stark vertreten, insgesamt 180. Betroffen sind nicht nur Freelancer, sondern vor allem Journalisten von bekannten und meinungsbildenden Publikationen, Sendern und Agenturen wie Wall Street Journal, Financial Times, AFP, Bloomberg, Economist, CNN, New York Times, Le Monde, El Pais, Guardian und Reuters. Besonders viele Journalistennamen fanden sich auf den Listen von Aserbaidschan mit 48, Indien und Marokko mit je 38 sowie Mexiko. Vertreten sind aber auch Kasachstan, Bahrain und Ruanda. Zusammen mit Ungarn, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind dies allesamt Länder, die nicht für Meinungs- und Medienvielfalt oder Freiheit und Demokratie stehen, sondern in denen die einflussreichsten und mächtigsten Kräfte den Nachrichtenfluss ganz in ihrem Sinne lenken. Ein neues Zeitalter von Propaganda und Zensur.

Schauplatz China

Ganz wie in China, obwohl dort nicht vorgegeben wird, demokratische Werte zu verfolgen. China spielt in der Pegasus-Affäre keine Rolle. Doch die Total-Überwachung im eigenen Land sowie von Chinesen im Ausland ist nahezu lückenlos. Es kann als sicher gelten, dass China und Russland mit eigenen Cyber-Tools und Hacking-Programmen den israelischen Spyware-Entwicklungen nicht nachstehen. Dazu kommen weitere „gegnerische“ Player wie Nordkorea und Iran.

Cyber-Krieg der Supermächte

Damit ist die Macro Perspective am neuralgischen Punkt der Betrachtung angekommen. Das geopolitische Klima hat sich auch seit dem Abgang von Trump nicht wirklich verbessert. Vor allem nicht zwischen den USA auf der einen Seite und China sowie Russland auf der anderen. Insbesondere sind Hacking-Attacken auf Infrastrukturen, Regierungsbehörden und Unternehmen sowie die Manipulationsversuche bei Wahlen wesentliche Entwicklungen, die der neue US-Präsident Biden mit Hartnäckigkeit verfolgt und beenden will. Ein prominentes aktuelles Beispiel ist die Lahmlegung der Software von Kaseya durch sogenannte Ransomware, was in jüngerer Zeit international für Schlagzeilen sorgte, da rund 1’500 Unternehmen betroffen waren. In Schweden waren beispielsweise tagelang 600 Coop-Filialen geschlossen, da die Kassensysteme nicht funktionierten. Es handelt sich um Schwachstellen der Software, die gezielt für kriminelle Aktivitäten genutzt werden. Nach Ansicht von Experten sind noch sehr viele ähnliche Fälle zu erwarten.

9.8 Mio. Cyber-Attacken im Juni

Da kaum zu erwarten ist, dass Russland und China auf Schmusekurs mit dem Westen gehen werden, dürften die Cyber-Konflikte weiter zunehmen. Cyber-Attacken gelten als probates Mittel, um den Gegner zu schwächen und beschäftigt zu halten. Allein im Juni 2021 wurden weltweit 9.8 Mio. Fälle verzeichnet, darunter waren medizinische Institutionen, Polizeibehörden und die Organisatoren der Olympischen Spiele in Japan.

Big Data als Schwachstelle erkannt

Umgekehrt sind zahlreiche radikale Massnahmen der Chinesen in jüngerer Zeit darauf ausgerichtet, Datenübertragungen an Gegner zu unterbinden. Betroffen war beispielsweise der chinesische Essenslieferdienst Didi. Der wurde kurz nach dem erfolgreichen IPO an der Wall Street heftigen Restriktionen unterworfen, was die Aktie in die Knie zwang. Insgesamt hat die Market Cap der chinesischen Tech-Unternehmen seit dem Anfang des Crack-Down durch die Behörden im Februar um 800 Mrd. USD verloren. Die Macro Perspective vom November 2020 hatte sich bereits beim ersten Zeichen des Kurswechsels dem Thema China und seine Neu-Reichen angenommen.

Kursverlauf der Aktie von Didi, dem chinesischen Essenslieferdient, seit Handelsaufnahme am 30.6.21. Chart: money-net.ch
Tesla zurechtgestutzt

Weiterhin ist Tesla im Visier Chinas. Fast 300’000 Modelle mussten zurückgerufen werden, um ein Zwangs-Update zu installieren. Auf Regierungsgelände dürfen Tesla-Modelle generell nicht mehr fahren. Als Folge sind die Absatzzahlen zuletzt deutlich eingebrochen. Die Aktie kommt seit ihren Hochs am Jahresanfang nicht mehr voran und liegt aktuell um 25% tiefer.

Die Aktie von Tesla kommt seit ihrem Hoch am Jahresanfang nicht mehr voran. Chart: money-net.ch
Wie sicher ist das iPhone?

Bei Apple haben dagegen die Pegasus-Enthüllungen für eine Korrektur gesorgt. Man könnte von einer Mini-Korrektur sprechen, denn die Aktie hat von ihrem Hoch vor einer Woche bei 150 USD bis auf 142 USD nachgegeben, aktuell 145 USD. Das sieht nach wenig aus, repräsentiert jedoch in Bezug auf die Market Cap von 2.5 Bio. USD eine Market Cap Lost von vorübergehend 125 Mrd. USD. Die im Raum stehende Frage ist: Wie sicher sind die Apple Smartphones?

Auffällige Abwesenheit von US-Adressen

Wer bei den Pegasus-Enthüllungen bisher auffällt, ist die Abwesenheit von US-Amerikanern. Lediglich einige wenige im Ausland lebende Journalisten sind mit ihren lokalen Nummern betroffen. Laut NSO ist es generell ausgeschlossen, mit der Spyware US-Nummern zu hacken. Beruhigend ist das dennoch nicht, denn dafür gibt es eben andere Spyware, die im gegebenen Fall nicht Gegenstand von Enthüllungen sind. Tatsächlich sind die USA wohl die Superpower, die Spionage, Abhörung und digitale Überwachung am weitesten entwickelt haben und global praktizieren. Ein zuvor dunkler Teil dieser historischen Realität ist spätestens seit den Snowden-Enthüllungen und der daraus resultierenden NSA-Affäre von 2013 bekannt. Es dürfte sich am Ausmass bisher wenig geändert haben.

Surveillance Capitalism – eine wachsende Gefahr für die Demokratie

Dazu getreten ist aber eine neue Dimension der Überwachung durch die grossen Digital-Konzerne. Der „Surveillance Capitalism“ monetarisiert die von Nutzern gewonnenen oder freiwillig gegebenen Daten zum eigenen Nutzen. Dabei werden die Daten-Lieferanten zum einen entmündigt und zum anderen durch das gewonnene Wissen über ihr aktuelles Verhalten durch Algorithmen bei zukünftigen Konsumentscheidungen beeinflusst. Die Daten-Kraken behandeln private Angelegenheiten wie eine Rohware, die sowohl verkauft werden kann als auch selbst zur weiteren Marktbeherrschung verwendet wird. Der von der amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlerin und Harvard-Professorin Shoshana Zuboff  geprägte Terminus „Surveillance Capitalism“ ist seit 2015 etabliert. In deutscher Sprache erschien ihr Buch erst 2019.

Gewaltige Asymmetrie durch Verlust der Privatsphäre

Nach ihr ist dieses neue Kapitel in der Geschichte des Kapitalismus in erster Linie von der Aufgabe der Privatsphäre einerseits und einer gesteigerten Informations-Asymmetrie zugunsten einiger weniger Unternehmen andererseits geprägt. Ihre Schlussfolgerung ist, dass der Mensch und die Zivilgesellschaft durch das Zusammenführen personenbezogener Daten gläsern und verwundbar sind, die Konzerne jedoch immer mächtiger werden. Dies muss zu Verwerfungen führen, weil es eine Bedrohung demokratischer Werte und Strukturen darstellt. Dieses Audio-File macht mit der Theorie vertraut. Ob es allerdings reicht, „Sand im Getriebe“ zu sein, wie Zuboff von der Zivilgesellschaft fordert, ist zweifelhaft. Kenner der Materie fordern daher ähnlich scharfe Restriktionen für Spyware wie für nukleare Technologie, um den Spionage-Wildwuchs und den tödlichen und freiheitsfeindlichen Überwachungswahn zu beenden.

Joseph Fouché war erst glühender Revolutionär und in diversen Kommissionen tätig, der die Köpfe vieler Adliger forderte. Dann war er am Sturz Robespierres beteiligt, der unter der Guillotine endete. Napoleon diente er viele Jahre als repressiver Polizeiminister, der vor allem Spionage einsetzte, um alles zu wissen und gegen jeden etwas in der Hand zu haben. Nach dem Ende des Kaiserreiches und Napoleons Verbannung blieb den Monarchisten während der Restauration nichts anderes übrig, als Fouché wieder als Polizeiminister zu berufen. Von Fouché, der seine Vorgehensweise und Haltung stets am eigenen Vorteil und seiner Machterweiterung ausrichtete, ist auch der wechselhaft interpretierbare Satz überliefert: „Das Blut der Kriminellen düngt den Boden der Freiheit“.

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