Jost Sigrist, VRP Reishauer: «Umstellung zur Elektromobilität bietet unglaublichen Aufschwung»

2021 bleibt Übergangsjahr, in welchem sich Angebot und Nachfrage wieder finden müssen

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Der Automobilbranche gehen die Herausforderungen nicht aus: Transformation zur Elektromobilität, Einbruch der Verkaufszahlen während der Covid-Krise und jetzt Engpässe entlang der Lieferkette. Davon betroffen ist auch die Reishauer Gruppe, welche Schleifmaschinen zur hochpräzisen Bearbeitung von Zahnrädern entwickelt sowie produziert und den Grossteil der Umsätze in der Automobilbranche generiert. Im Interview mit schweizeraktien.net erklärt Jost Sigrist, Verwaltungsratspräsident der Reishauer Gruppe, wieso das Geschäft momentan ein Wechselbad der Gefühle ist und wo die Kehrtwende herkommen soll.

Jost Sigrist ist Verwaltungsratspräsident der in Wallisellen beheimateten Reishauer Gruppe. Diese entwickelt und produziert für ihre hauptsächlich in der Automobilbranche tätigen Kunden Schleifmaschinen zur Bearbeitung von Zahnrädern. Zur Gruppe gehören die Schweizer Reishauer AG und die Deutsche Felsomat AG. Bild: schweizeraktien.net

Herr Sigrist, bereits vor der Covid-Krise steckte die Automobilindustrie als wichtigster Absatzmarkt der Reishauer Gruppe in einer schwierigen Transformationsphase – weg von Verbrennungsmotoren und hin zu E-Mobilität. Mit der Pandemie brach die Anzahl verkaufter Autos in vielen Regionen weiter ein, global wurden 2020 nochmals 17% weniger Automobile produziert als im eher schwachen 2019. Wie geht es weiter in der Autobranche?

Jost Sigrist: 2020 war ganz klar die Covid-19-Pandemie die Ursache für den Einbruch. OEMs mussten ihre Werke zum Teil stilllegen, und Autohäuser blieben geschlossen. Die Leute konnten zeitweise keine Autos kaufen, und gleichzeitig wurden auch keine Autos produziert. Deshalb ist der Vergleich von 2020 und 2019, als die Absätze bereits zu schwächeln begannen, schwierig. Wir haben Ende 2020 auf Verbraucherseite aber bereits einen deutlichen Anstieg der Nachfrage beobachtet, weshalb wir für 2021 von einem guten Jahr für die PW-Verkäufe ausgingen. Dies wurde zum Jahresbeginn erneut von der Covid-Krise eingebremst, zudem stockt derzeit die Produktion, da einzelne Komponenten nicht verfügbar sind.

Das klingt nicht gerade positiv…

Mittelfristig ist das Bedürfnis nach Mobilität aber ungebrochen, und zudem wächst die Bevölkerung weiter. Es gibt somit eine steigende Nachfrage nach Fahrzeugen. Die Frage ist, wie die ausgestaltet sein werden. Weiterhin mit Verbrennungsmotor oder mit alternativen Antriebsarten? Das mag nicht auf allen Kontinenten gleich aussehen. Konkrete Prognosen zur Entwicklung sind aber aufgrund der unklaren Situation mit der Pandemie beinahe unmöglich.

Spielt es für Reishauer eine Rolle, wohin die Reise der Mobilität geht?

Für uns ist wichtig, dass nach wie vor Nachfrage nach Mobilität besteht. Denn das entsprechende Fahrzeug muss auch angetrieben werden. Ungeachtet der Energiequelle, die sich durchsetzt, muss die Kraft auf die Strasse übertragen werden. Und da kommen wir ins Spiel. Durch unsere hohe Kompetenz im Bereich Verzahnungsschleifen und Automation sind wir in der Lage, die Anforderungen vieler Antriebsmöglichkeiten abdecken zu können. Aktuell ist die Nachfrage nach Fertigungslinien im Bereich Verbrenner sehr gering. Wir haben aber glücklicherweise bereits in den letzten Jahren begonnen, auf Fertigungslinien für Elektromobilität umzustellen.

Anfang Jahr gingen Automobilexperten bereits für 2021 von einer schnellen Erholung der Branche aus, mit Wachstumszahlen von beispielsweise 20% in den USA oder 9% in Europa. Sind solche Werte noch realistisch?

Die Nachfrage der Kundinnen und Kunden nach Fahrzeugen ist momentan grösser als das Angebot; die Preise steigen, und die Wartezeiten für gewisse Fahrzeugtypen haben sich massiv verlängert. Das Jahr 2021 wird vermutlich ein Übergangsjahr bleiben, wo sich Angebot und Nachfrage wieder einmitteln und die Lieferketten wieder in Schwung kommen müssen.

Die Reishauer Gruppe verzeichnete wegen des schwierigen Umfeldes im Geschäftsjahr 2020 einen Umsatzrückgang um 31% auf 266 Mio. CHF. Wie sind Sie im laufenden Jahr bisher auf Kurs?

Wir sind grundsätzlich auf Kurs. Letztes Jahr hatten wir ja nicht nur einen Einbruch bei den Umsätzen, sondern auch im Auftragseingang. Dieser war signifikant, da die Automobilindustrie schlicht nichts mehr bestellt hat. Ende 2020 konnten wir bereits wieder eine Erholung feststellen. Es gibt immer wieder Verzögerungen bei Kunden und Projekten, aber in Anbetracht der vielen Unsicherheiten sind wir zufrieden.

Können Sie das etwas konkretisieren?

Normalerweise kann Ende Jahr anhand der Auftragseingänge eine ziemlich genaue Schätzung der Umsätze des Folgejahres gemacht werden. In Anbetracht der Auftragseingänge 2020 hätten wir so mit einem sehr schwierigen 2021 rechnen müssen. Zum Glück hat sich der Auftragseingang im ersten Quartal stark erholt. So war es dieses Jahr bisher auch möglich, Umsätze aus den laufenden Auftragseingängen zu erzielen. Zudem haben wir in Antizipation kurzfristiger Nachfrage auch auf Vorrat produziert, was sich nun materialisiert hat. Wir erwarten, dass das Jahr 2021 besser sein wird als 2020. Wann die Umsätze das Niveau von 2019 erreichen, lässt sich noch nicht definitiv abschätzen.

Nachdem 2020 im Zeichen der Covid-Pandemie gestanden hat, präsentiert sich 2021 die Lage bei den internationalen Wertschöpfungsketten mit hohen Transportkosten und Materialengpässen als äusserst herausfordernd. Wie steht es um die Lieferketten bei Reishauer?

Wir konnten bisher mit wenigen Ausnahmen produzieren und auch liefern. Zwischendurch gehen uns aber Komponenten aus. Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Vor ein oder zwei Monaten bin ich davon ausgegangen, dass wir im Verlauf des vierten Quartals nicht mehr produzieren können. Wir haben dann alles unternommen, um dies zu korrigieren, und momentan sieht es danach aus, dass wir die kritischen Komponenten zur Verfügung haben werden. Es gibt aber immer wieder fehlende Container, Engpässe bei den Frachtkapazitäten, und Häfen werden teilweise geschlossen. Deshalb kann es nach wie vor sein, dass Maschinen nicht planmässig geliefert werden können. Mitunter werden Verzögerungen auch von Kunden gewünscht, da sie selbst noch nicht bereit sind. Mit dieser Flexibilität müssen wir leben, aber im Moment sollte das keine markanten Auswirkungen auf Reishauer haben.

Können Sie die entstehenden Mehrkosten für Transport und Materialien an den Kunden weitergeben?

Teilweise ja, aber nicht alles. Die gesamten Mehrkosten kann fast kein Produzent an die Kunden weitergeben. Wie sehr sich das dann auch im Ergebnis niederschlagen wird, hängt sehr stark mit dem Produktmix zusammen. Das Ergebnis setzt sich ja nicht nur aus Maschinen zusammen, sondern auch aus Ersatzteilen, Werkzeugen und Service-Leistungen. Negative Auswirkungen wird es sicherlich geben.

Wie gross ist der Anteil wiederkehrender Umsätze aus dem Service- und Ersatzteilgeschäft am Ergebnis?

Bei der Tochter Felsomat ist der Anteil gering, da keine Abrichtwerkzeuge und Schleifscheiben sowie weniger Ersatzteile und Services verkauft werden. Bei der Reishauer AG ist der Anteil signifikanter und macht über 25% des Umsatzes aus. Für die Reishauer AG sind diese wiederkehrenden Umsätze strategisch sehr wichtig.

Wie läuft der Neubau Ihres Produktionsgebäudes in Wallisellen, und was passiert mit den alten Produktionsgebäuden?

Wir sind grundsätzlich im Zeitplan. Es gibt kleine Verzögerungen, die aber nicht relevant sind. Das Projekt wird in Etappen abgewickelt, da wir auf dem bisherigen Gelände bauen und die alten Produktionsstätten zurückgebaut werden. Die erste und teuerste Etappe wird Mitte 2022 abgeschlossen sein. Die gesamte Produktion und Logistik wird in das neue Gebäude umziehen, und die so frei werdende Fläche wird neu überbaut mit der zweiten Halle für die Montage. Am Schluss wird es gewisse Gebäude geben, die wir nicht mehr nutzen. Was wir damit machen werden, hängt von der Ausnützungsziffer ab. Die konkrete Frage der Umnutzung wird sich aber erst in zwei oder drei Jahren stellen.

Der Bau der neuen Produktionsgebäude in Wallisellen schreitet planmässig voran. Mit dem Neubau bekennt sich die Reishauer Gruppe auch zum Standort Schweiz und verzichtet auf eine Auslagerung der Produktion ins Ausland. Bild: zvg

Seit dem Höchststand Ende 2017 hat die Reishauer-Aktie 40% an Wert verloren, die Automobilbranche befindet sich weiterhin in einer schwierigen Lage, und Reishauer kürzte zudem die Dividende für 2020 auf 750 CHF nach jeweils 1‘280 CHF in den zwei Vorjahren. Wieso sollten Investoren den Titeln trotzdem treu bleiben?

Natürlich ist die Automobilbranche in der Krise, jedoch gibt es gleichzeitig auch einen unglaublichen Aufschwung durch die Umstellung zur Elektromobilität. Es gibt hohe Investitionen in neue Technologien. Das sehen wir bei Felsomat und Reishauer, wo die meisten laufenden Projekte in Richtung Elektromobilität gehen. Hier bietet sich die Chance, an einem riesigen Markt teilzuhaben. Zudem hat Reishauer eine gute Substanz, wir sind solide aufgestellt und können so auch eine schwierige Phase gut überstehen. So konnten wir auch fürs schwierige letzte Jahr eine Dividende ausschütten und so unsere kontinuierliche Ausschüttungspolitik fortsetzen.

In den letzten Wochen gab es wieder höhere Umsätze in der Aktie. Gab es Änderungen im Aktionariat, und planen Sie gegebenenfalls einen Aktiensplitt, um den Titel liquider zu machen?

An der Aktionärsstruktur hat sich nichts verändert. Dieses Jahr wurden ja die Statuten geändert und die Aktien vereinheitlicht. Weitere mögliche Schritte, wie die von Ihnen angesprochenen, haben wir noch nicht diskutiert. Momentan ist unsere oberste Priorität, wieder Beständigkeit ins operative Geschäft zu bringen. Dafür verwenden wir unsere ganze Energie.

Die Namenaktie von Reishauer hat sich seit dem Einbruch in den Jahren 2019 und 2020 bisher nicht mehr erholt. Chart: otc-x.ch

Die Aktien der Reishauer Beteiligungen AG werden ausserbörslich auf OTC-X gehandelt. Der letztbezahlte Kurs liegt bei 49‘155 CHF.

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