Corona, Pandemie, Zertifikatspflicht und damit 3G- oder 2G-Regel – es sind die allgegenwärtigen Schlagworte für einen Zustand, in dem wir uns schon viel zu lange befinden, man könnte auch sagen, einen Schockzustand, der einfach nicht aufhören will.
Dieser Zustand ist eine Realität, die sich nicht wegwischen lässt, das wissen gerade die Bergbahnbetreiber und Hoteliers, die sich auf dem Titlis zum 7. schweizeraktien.net-Branchentalk trafen, nur allzu gut aus eigener Betroffenheit. Die meisten leiden unter dem Wegbleiben der internationalen Kundschaft, unter Schliessungen und Teilöffnungen, unter wegbrechenden Umsätzen bei gleichbleibend hohen Kosten, weil Schutzkonzepte immer auch Investitionen in Material und Personal bedeuten.
Vielleicht traten deshalb besonders viele Touristiker die lange Reise auf den Gipfel des Titlis an, weil eben gerade nicht Corona im Mittelpunkt stand, sondern der Austausch um „Nachhaltigkeit im Tourismus“. Ein Thema, bei dem jeder sich selbst auch etwas auf die Schulter klopfen kann, indem er aufzeigt, was sein Unternehmen alles im Bereich ESG bewegt.
Wenn die Besucher ausbleiben
Weg aus der Vergangenheit also, rein in die Zukunft. Norbert Patt, CEO der an der SIX kotierten Titlis Bergbahnen, machte als Gastgeber den Anfang. Im Mittelpunkt: das Projekt Titlis 3020, ein 100-Millionen Projekt, das sich noch in der Planungsphase befindet, aber dessen Baubeginn schon 2022 anvisiert ist. Es braucht schon einen Graubündner Dickschädel wie Patt, um an einem solchen Projekt festzuhalten. Denn den Titlis Bergbahnen sind in den vergangenen 2 Jahren die Besucher abhandengekommen, vor allem die Inder, die Kernzielgruppe für das Obwaldner Unternehmen. Sie werden aber, so die Hoffnung von Patt, im Laufe des Jahres 2022 zurückkehren. Und dann dereinst die von den Architekten Herzog & de Meuron entworfene neue Bergstation sowie den umgebauten Funkturm mit Panorama-Restaurant und Bar bevölkern.
Natürlich werde Nachhaltigkeit bei den Umbauten grossgeschrieben, sagt Patt. So soll die Glashülle der neuen Bergstation die Sonnenenergie einfangen. Und somit den Energieverbrauch von 280 Tonnen auf 18 Tonnen fossiler Energien verringern. Das entspricht dann dem Verbrauch von 3 Einfamilienhäusern und nicht mehr von aktuell 40, verdeutlicht er.
Aber auf die Frage nach der Nachhaltigkeit bei der Mobilität, also der Tatsache, dass die Inder zunächst mal um die halbe Welt fliegen müssen, um in den Genuss von ganzjährigem Schnee zu kommen, hat Patt keine Antwort.
Nachhaltigkeit und Marketing
Da tun sich andere Bergbahnbetreiber leichter. Man könnte sie auch Pandemie-Gewinner nennen. Es sind jene, die von Schweizer oder mitteleuropäischen Touristen leben. Wie z.B. die Weisse Arena Gruppe, Betreiber des Skigebiets Laax/Flims, deren Aktien über OTC-X der BEKB gehandelt werden. Das Skigebiet profitiert von der grossen Anzahl Ferienwohnungen, die in den letzten 60 Jahren gebaut worden sind. Um 600% ist der Anteil der Zweitwohnungen seit 1960 gestiegen, ein Wert von 6 Mrd. CHF sei so geschaffen worden, rechnet ein anderer Bündner Bergbahn-Veteran, Reto Gurtner, vor. Viele Unterländer hätten in den letzten zwei Jahren ihren Arbeitsplatz zumindest temporär ins Homeoffice nach Laax oder Flims verlegt, was natürlich auch der Weissen Arena zugute gekommen sei.
Gurtner ist aber weit mehr als nur ein Bergbahnbetreiber, man kann ihn durchaus als Digitalisierungs-Pionier der Branche in der Schweiz bezeichnen. So setzte er, wie er gerne betont, schon sehr früh auf den Mobilfunkstandard 5G, der in Laax und Umgebung Standard ist und das Arbeiten vom Homeoffice natürlich extrem komfortabel mache, so Gurtner.
Das operative Geschäft hat Gurtner seinem Nachfolger Markus Wolf übergeben. Beide treibt weiter um, wie sie einerseits die Digitalisierung vorantreiben, andererseits den CO2-Abdruck verringern können. Gurtner sagt, dass es nicht um Energieeinsparung gehe, sondern dass wir die richtige Energie bräuchten. Dekarbonisierung sei das Ziel.
Vorschau auf den 5. April 2056
An diesem Tag wird man laut der Weissen Arena zum letzten Mal auf dem Vorabgletscher Ski fahren können. Und daraus machen die Macher – Nachhaltigkeit braucht immer auch ein gehöriges Mass an Marketing – das Last Day Pass Project. Mit jedem gekauften Last Day Pass werde eine Menge von 1000 kg CO2 kompensiert und das Schmelzen des Gletschers so um 10 Minuten verzögert. „Lasst uns das Ewige Eise so lange als möglich schützen“, rufen sie in Laax ihre Besucherinnen und Besucher auf. 390 Abos konnten bisher verkauft werden.
Luxus und Nachhaltigkeit sind kein Widerspruch
Neben den Bergbahnbetreibern gibt es eine zweite Branche, die extrem unter Corona zu leiden hatte und erst jetzt langsam wieder auf die Beine kommt. Die Hotellerie. Patrick Vogler, CEO des Grand Resort Bad Ragaz, dessen Aktien auf OTC-X gehandelt werden, machte deutlich, dass es kein Widerspruch sein muss, ein Luxushotel mit Nachhaltigkeitskriterien zu führen. So hätte sich das Resort, zu dem auch ein Thermalbad gehört, fast komplett vom Heizöl verabschieden können, weil es das Thermalwasser mit einer Temperatur von 36,5 ° zur Wärmerückgewinnung nutze. Auch dem Foodwaste sei der Kampf angesagt worden, mit „Leftlovers“ habe man eine Massnahme ins Leben gerufen, die die Weiterverarbeitung und –verwendung von in der Küche des Luxushotels übrig gebliebenen Nahrungsmitteln ermögliche.
Auf dem Hotel-eigenen Golfplatz hat man überdies alle 3‘000 Bäume katalogisiert, um durch das Bauminventar einen besseren Überblick über mögliches Baumsterben zu erhalten. Auch soll der Eisvogel wieder im Resort angesiedelt werden.
In der ESG-Umfrage, die schweizeraktien.net kürzlich durchführte und publizierte, finden die Massnahmen des Grand Resort Bad Ragaz denn auch Niederschlag mit einer guten Ranglisten-Platzierung.
Nach einem vollen Programm blieb auf dem Titlis nur noch wenig Zeit zur abschliessenden Podiumsdiskussion. Zu dieser stiess Cornelia Rutishauser, Teamleaderin bei der gemeinnützigen Organisation myclimate. Ihre Kritik am Nachhaltigkeits-Gebaren der Tourismus-Betriebe war verhalten und gipfelte in der Feststellung, dass man eigentlich sehr viel mache, aber zu wenig darüber rede.
Angesprochen auf eine mögliche Kursänderung weg vom internationalen Tourismus und damit verbunden einer Reduzierung der Umsätze, verband Norbert Patt Nachhaltigkeit und seine Vision in einem Satz: „Ein Unternehmen ist wie ein Baum, es muss immer weiter wachsen“.
Der ehemalige Obwaldner Skirennfahrer Marc Gisin vertrat seine Schwester Dominique Gisin, Verwaltungsrätin bei den Titlis Bergbahnen, als Gast beim diesjährigen Branchentalk. Im Video äussert sich Gisin zur Nachhaltigkeit im Spitzensport.
Fazit
Im Kleinen tut sich eine Menge bezüglich Nachhaltigkeit. Antworten auf die grossen Fragen aber, gerade nach Lösungen im Bereich der globalen Mobilität, müssen erst noch gefunden werden. Dass aber das Thema in den Köpfen der Verantwortlichen Touristiker angekommen ist, steht ausser Zweifel. Der offensive Umgang mit Ressourcenfragen, mit Umweltschutz und sanftem Tourismus gehört für viele Manager schon heute zum alltäglichen Business. Manch einer, wie z.B. Reto Gurtner, will dabei nicht nur Mitfahrer sein, sondern nimmt auf dem Driver’s seat Platz. „Walk the talk“ nennt sich das dann schön neudeutsch.
Die Bildergalerie mit allen Teilnehmenden am Branchentalk Tourismus finden Sie hier.