„Tatsachen muss man kennen, bevor man sie verdrehen kann.“ Mark Twain, 1835-1910, Schriftsteller, Aktivist für Menschenrechte
Der nächste Klimagipfel in Glasgow beginnt. Die Regierungen wollen sich abermals als Retter der Welt inszenieren. Das zeigt sich schon an den servierten Menüs, die zu 80% vegan und überwiegend schottischer Provenienz sind. Doch nichts könnte ferner von der Wahrheit sein. Mit 11 Mio. USD pro Minute werden laut IWF derzeit fossile Energien staatlich subventioniert, d.h. durch den Steuerzahler. Gleichzeitig wird pro Minute eine Fläche in der Grösse von 40 Fussballfeldern im Amazonas-Regenwald, der Lunge der Welt, abgeholzt, vor allem, um den Fleischkonsum der entwickelten Länder zu bedienen. Von einer Reduzierung der Emissionen kann überhaupt nicht die Rede sein.
Im Gegenteil. Laut IEA wird bereits 2021 ein neuer Rekordwert beim Ausstoss von Treibhausgasen erreicht werden. Aktuelle Planungen zur Exploration und Förderung von Öl & Gas sowie Kohle sehen weitere Steigerungen bis 2030 vor. Dies enthüllte ein im Vorfeld von COP26 in Glasgow veröffentlichter Bericht des UN Environment Programme. Die Pläne und Ankündigungen der 15 führenden Produzentenländer wurden detailliert untersucht und ausgewertet. Demnach planen fast alle Länder deutliche Produktionssteigerungen bis 2030. Insgesamt werden bis dann 240% mehr Kohle, 57% mehr Öl und 71% mehr Gas gefördert werden, als konsistent mit den Zielsetzungen des Pariser Klimaabkommens wäre.
Billionen USD für fossile Energien
Der Bericht hebt auch hervor, dass die Regierungen seit Beginn der Pandemie mehr als 300 Mrd. USD an frischen Finanzmitteln in die fossile Energiewirtschaft haben fliessen lassen. Das ist mehr, als in erneuerbare Energien kanalisiert wurde. Und die 60 grössten internationalen Banken, von denen sich viele als Erfinder des nachhaltigen Investments gerieren, haben laut UN seit 2015 Finanzierungen in Höhe von über 3.8 Billionen USD für Projekte von Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft geleistet.
Öl- & Gas-Boom in der Arktis
Sollen die international vertraglich vereinbarten Klimaziele – eine Net-Zero-Wirtschaft – bis 2050 erreicht werden, dürften gar keine neuen Projekte zur Förderung fossiler Brennstoffe mehr gestartet werden. Doch tatsächlich werden nahezu überall neue Pläne in die Tat umgesetzt, sogar in der fragilen Arktis. Wie die NGO Reclaim Finance in ihrer Studie „Drill, Baby, Drill“ ermittelt hat, gibt es 599 Projekte in der Arktis. Davon sind 222 bereits in der Produktionsphase. Shell, Total, Gazprom sind in der ersten Reihe zu finden. Unter den finanzierenden Banken sind ebenfalls die üblichen Verdächtigen wie JP Morgan, Barclays, Citigroup, BNP Paribas, HSBC und natürlich auch CS und UBS vertreten. Die grössten Anteilseigner der in der Arktis aktiven Öl- & Gas-Konzerne sind die institutionellen Investoren BlackRock, Vanguard und Amundi. Diese haben ebenso wie weitere 25 der Top-30-Finanzinstitutionen, darunter CS mit Investments von 3.6 Mrd. USD und UBS mit 2.9 Mrd. USD, keine „Arctic Restriction Policy“. Nur State Street und BNP Paribas haben eine solche.
Doppelzüngigkeit
Die meisten Banken und Versicherungen haben zwar Ausschlusskriterien für arktische Projekte installiert, doch scheinbar ist es nicht schwierig, diese zu umgehen. Vier der acht Banken, die vor 2020 eine „Arctic Policy“ beschlossen hatten, erhöhten ihre Finanzierungen im vergangenen Jahr: BNP Paribas, Société Générale, Natixis und HSBC. Werden alle Projekte finanziert, entspricht die Fördermenge etwa 20% des verbleibenden Carbon-Budgets für die Welt – entsprechend den Kalkulationen, wie viel CO2 noch ausgestossen werden darf. Wie fragil die Arktis ist, hat sich bei den wiederholten Unfällen mit Chemikalien und Treibstoffen bei Nornickel, früher Norilsk Nickel, in der Arktis gezeigt. Es wird mindestens 10 Jahre dauern, bis sich die Umwelt erholt. Nornickel wurde zwar zu einer Strafzahlung von 1.9 Mrd. USD verurteilt, doch eine Policy, wie solche Unfälle zukünftig vermieden werden sollen, gibt es bis heute nicht.
Intransparente Versicherer
Als intransparent werden von Reclaim Finance die Beziehungen der Industrie zu den Versicherern bezeichnet. Nur 13 der untersuchten 46 bedeutenden Versicherern und Rückversicherern haben eine Art von Arctic Policy. Wer jedoch welche Risiken von welchen Unternehmen in welchen Regionen absichert, und zu welchen Kosten, bleibt ein Industriegeheimnis. Es ist klar, dass niemand solche Risiken wie eine potenzielle Strafzahlung von 1.9 Mrd. USD in den Büchern haben will. Aber ohne einige grundlegende Absicherungen sind Hochrisiko-Projekte in der Arktis nicht durchführbar. Die Liste der in der Öl- & Gas-Industrie führenden Versicherer liest sich wie das globale „who is who“ der Assekuranz: Zurich, Allianz, AXA, Munich Re, Swiss Re, Berkshire Hathaway, AIG, Chubb und zehn weitere bekannte Namen. Nur drei der 18 führenden in der Öl- & Gas-Industrie aktiven Versicherungen haben eine „Underwriting Policy in the Arctic“ publiziert: AXA, Mapfre und Swiss Re.
Klimagipfel seit 1979
Die globalen Klimagipfel haben eine lange Tradition, denn die Treibhausgas-Problematik ist der Öffentlichkeit spätestens seit den 1980er-Jahren bekannt. Der erste Welt-Klima-Gipfel fand bereits 1979 in Genf statt und dauert damals 11 Tage. Es folgten Berlin, Kyoto, Montreal, Kopenhagen, Lima … Und im Grunde wurden stets Ziele vereinbart, Massnahmen beschlossen und die wissenschaftliche Kooperation über alle Grenzen hinweg beschworen. Teilweise wörtlich wiederholen sich die Statements und Beschwörungsformeln über die Jahrzehnte und die Klimagipfel, die auf allen bewohnten Kontinenten stattfanden. Trotz der bescheidenen Fortschritte bleibt das vorherrschende Muster „kicking the can down the road“, wie die Amerikaner sagen.
Mars-CEO unterstützt“ Bla-Bla“-Aussagen von Greta
Dass es sich weitgehend um „Bla, bla, bla“ handelt, hat nicht nur Greta Thunberg festgestellt. Der CEO von Mars, einem der weltweit grössten Markenkonzerne in privater Hand, bezog sich explizit auf die „Bla-Bla“-Statements von Greta und gab ihr völlig recht. „Greta liegt richtig. Es geht nicht um die Ziele, sondern den Fortschritt, und es sind die Aktionen, auf die es ankommt.“ Bei Mars werden u.a. die Management-Vergütungen an die Ziele der CO2-Reduzierung gekoppelt. Die über 20’000 Zulieferer sind aufgefordert, Klimaziele zu definieren und Massnahmen umzusetzen. Eine Umfrage unter den Top-200-Zulieferern hatte im vergangenen Jahr gezeigt, dass sich nur 10% Klima-Ziele gesetzt hatten.
China und Indien erhöhen Kohleförderung
Erschreckend hoch ist die Bereitschaft weiter Teile der COP26-Teilnehmer, jetzt im Angesicht von Energiepreissteigerungen sogar wieder die Kohleförderung zu beschleunigen wie in China und Indien oder neue Explorations- und Fördergenehmigungen für Öl- & Gas-Projekte zu erteilen wie US-Präsident Biden. Diese drei Länder allein sind für einen Grossteil der globalen Emissionen verantwortlich. In Indien werden 70% der Energie in Kohlekraftwerken erzeugt, in China 56%! Eigentlich ist im Angesicht der Inaktivität der Entscheidungsträger und der zunehmend irreparablen Schädigung des Planeten und der Lebensbedingungen aller Lebewesen die Zeit für „Zivilen Ungehorsam“ gekommen. Insofern greifen die Aktionen vieler Bewegungen zu kurz.
Die Rolle des „Zivilen Ungehorsams“ in der Geschichte
Deshalb haben nahezu 400 namhafte und anerkannte Wissenschaftler zu friedlichem zivilem Ungehorsam aufgerufen. Darauf bezieht sich auch die bekannte US-Schauspielerin Jane Fonda, die 1970 als Aktivistin gegen den Vietnamkrieg das erste Mal verhaftet wurde. Als über 80-Jährige wurde sie 2019 bei Klima-Protesten in Washington, die Bürger aus dem ganzen Land mobilisierten, vier Mal verhaftet. Sie verweist auf die Boston Tea Party und Gandhis Salzmarsch als Beispiele, wie ziviler Ungehorsam die Geschichte schon verändert hat. Ihre Beobachtung bei den jüngsten Verhaftungen war, dass Afro-Amerikanerinnen, die mit ihr die Zelle teilten, nicht wie sie nach einer Nacht wieder entlassen wurden. Das sagt viel darüber, dass sich seit den Zeiten von Martin Luther King wenig am institutionalisierten Rassismus in den USA geändert hat. King war ein Vorreiter in Sachen zivilen Ungehorsams. Noch in den 1960er-Jahren hiess es im Süden der USA in Bussen und auf Parkbänken noch immer „Whites only“, und der Ku-Klux-Klan trieb lange ohne Strafverfolgung sein Unwesen.
Kritische Wissenschaftler und Jugend werden nicht gehört
Die allgemeine „business-as-usual“-Einstellung führt zu einer schizoiden Welt, in der die Erwachsenen scheinbar besser zurechtkommen als Jugendliche und junge Erwachsene. Für die einen geht es darum, die Hypotheken abzubezahlen und den Lebensstandard trotz steigender Preise und der klimatischen und sonstigen Unsicherheiten zu erhalten. Die anderen sehen eine schwarze Zukunft, die von Artensterben, Luft- und Wasserverschmutzung, toxischen Chemikalien und zerstörerischen Konflikten geprägt ist. 99,9% der ernstzunehmenden Wissenschaftler diagnostizieren eine Klimakatastrophe, doch keiner will es hören, weil es bequemer ist, am status quo festzuhalten. Daraus resultieren Scheindebatten, Angststörungen, blinder Aktionismus und sonstige irrationale Verhaltensweisen. Das hat auch die Pandemie und wie mit ihr umgegangen wird gezeigt. Aber ähnlich wie Klimawissenschaftler sind auch Psychologen eine ungeliebte Berufsgruppe, weil niemand hören will, dass mentale Störungen durch Pandemie und Lockdown explosionsartig zugenommen haben. Verdrängung der eigenen Verantwortung für irreparable Schäden hat allerdings eine lange Tradition, die nie zu Gutem führt.
Realwirtschaftliche Nachfrage ebbt ab
Das Urteilsvermögen ist weithin getrübt, auch bei den Marktteilnehmern an der Börse. Zumindest hier scheint die Welt dank der Notenbanken noch in Ordnung. Doch das ist trügerisch. Allein mit Liquidität lässt sich die Gewinnentwicklung der Unternehmen nicht herbeiführen. Die Konsumenten müssen die Waren und Dienstleistungen auch wollen. Da zeigt sich eine Zweiteilung. Die Bessergestellten und Empfänger von Unterstützungszahlungen, vor allem in den USA, sitzen auf Geld, geben es aber nur selektiv aus. Auch weil sie ihre Konsumgewohnheiten geändert und auch festgestellt haben, dass sie auf vieles verzichten können. Die weniger gut Gestellten kämpfen mit höheren Preisen für Energie, Nahrungsmittel, Services aller Art. Die Nachfrage ist eher schleppend, abgesehen von Investitionsgütern für Industrien, die den Strukturwandel mitgestalten wollen.
Bewertungsextreme
Die überschäumende Liquidität führt zu Extremen, die in der Vergangenheit auch schon aufgetreten sind. Ähnlich dem Boom 1998 bis 2001 kommen auch jetzt Konzept-Unternehmen ohne Gewinnhistorie und mit überschaubaren Umsätzen zu Multi-Milliarden-USD-Bewertungen an die Börse. Und die Anleger glauben fast jede Wachstumsstory. Es sind natürlich grossenteils andere Anleger heute als vor 20 Jahren. Auch die Bewertungen der Aktien sind, wiederum vor allem in den USA, so hoch wie nur zweimal zuvor in den letzten hundert Jahren. Da die Börsenneulinge nur steigende Kurse kennen und ihnen die Zusammenhänge von dauerhaften Tiefzinsen und Zombie-Unternehmen nicht bekannt sind, werden sie auch die Bedeutung steigender Zinsen für die vielen eigentlich unwirtschaftlichen Emittenten nicht erkennen können. Aktuelle Beispiele sind Uber, Lyft, Snap oder Airbnb. Auch der Fall-out von Evergrande wird unterschätzt. Eine solche substanzielle Krise, die mindestens ein Drittel der chinesischen Volkswirtschaft betrifft, kann nicht einfach mit ein paar verbalen Interventionen beendet werden. Die Krise ist ja die Folge eines kreditgetriebenen Baubooms, der schon zu Millionen leer stehenden Wohnungen geführt hat. Ein Angebotsüberhang, der nicht einfach so verschwindet.
Klimawandel und Stranded Assets
Der Klima-Wandel und das sich ändernde Anlageumfeld wird ebenfalls von vielen Anlegern ignoriert. Trotz der Warnungen vor „stranded assets“ und der Erfahrung stark gesunkener Kurse wie bei Shell, BP oder Exxon, rühren Banken und Fachmedien die Trommel für Öl-Aktien, aber auch die Valoren der Banken. Es sind dies dieselben Banken, die ESG-Fonds auflegen und sich als verantwortlich und nachhaltig orientiert darstellen. Diese Gemengelage könnte noch zu gehäuften Haftungsproblemen führen. Die Stadt New York war beim letzten Sturm innerhalb kürzester Zeit teilweise geflutet. Die Kosten für den Schutz gegen den Meeresspiegelanstieg sollen fünf Oil Majors bezahlen, gegen die geklagt wird. Nach aktuellen Berechnungen könnte der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts nicht nur um 1 Meter, wie bisher gedacht, ansteigen, sondern um 3 Meter. Küstennahe Immobilien, Produktionsstätten etc. sind bereits heute in Gefahr. Die vielen Mrd. USD, die beispielsweise Miami in den Küstenschutz Jahr für Jahr investiert, sind somit buchstäblich „stranded“.
Auf die Liebe zu unsinnigen Investitionen hat bereits Mark Twain aufmerksam gemacht; „Man könnte viele Beispiele für unsinnige Ausgaben nennen, aber keines ist treffender als die Errichtung einer Friedhofsmauer. Die, die drinnen sind, können sowieso nicht hinaus, und die, die draussen sind, wollen nicht hinein.“