Noch in den 1980er-Jahren bestand der Healthcare-Sektor an der Börse fast vollständig aus Pharma-Aktien. Für das Wohl und Wehe der Gesamtwirtschaft war die Bedeutung noch relativ beschränkt. Damals spielte die Musik vor allem bei Computer- und Halbleiter-Aktien. Doch in den letzten Jahrzehnten verzeichnete der Sektor sowohl eine überdurchschnittliche Wachstumsrate als auch eine stetige überproportionale Gewinnentwicklung. Heute ist der Healthcare-Sektor keine Nische mehr, sondern mit 10% bis 17% Anteil an der Wirtschaft und einer noch höheren Indexgewichtung zu den wichtigsten Sektoren aufgestiegen. Mit den richtigen Aktien sind traumhafte Renditen zu erzielen.
Selbst mit breiten Investments in entsprechende Life-Sciences- oder Healthcare-Indexprodukte liess sich über 1, 5 oder 10 Jahre eine Performance im deutlich zweistelligen Prozentbereich erzielen. Doch der Healthcare-Markt bietet mit den vielen Spezialisten, die inzwischen an der Börse sind, auch höhere Chancen. Wie andere Märkte auch, ist der Gesundheitsbereich von demografischen Entwicklungen, und darüber hinaus, von einem raschen Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse und folglich neuen und effektiven Therapien und Diagnostika gekennzeichnet.
Biotech sorgt für Innovationen
Waren die Life Sciences bis weit in die 1980er-Jahre allein von chemisch-pharmazeutischen Wirkstoffen geprägt, so erfolgte mit den Erfolgen der Biotechnologie bis heute eine Entwicklung, die schon seit Jahren bei den Neuzulassungen mehr biotechnologische als chemisch-pharmazeutische Wirkstoffe erlebt. Zu den praktischen Ergebnissen zählen neuartige Medikamente u.a. gegen Krebs, MS und jetzt auch Alzheimer.
Dentaltechnik im Trend
Dazu kommen viele Trends, wie der zu schönen Zähnen, was den Unternehmen der Dentaltechnik einen nicht enden wollenden Boom beschert. In der Schweiz zeigen die Kursentwicklungen vor allem von Straumann, aber auch Medartis oder Coltene den langfristigen Aufwärtstrend deutlich. Das ist eine Folge des Wohlstands, der auch in Emerging Markets fest etabliert ist.
Volkskrankheiten als Wachstumstreiber
Von Bedeutung ist auch das rapide weltweite Vordringen von Zivilisations- und Volkskrankheiten wie Diabetes und Adipositas, die in Europa vor 50 Jahren noch selten waren, heute jedoch selbst bei Kindern weit verbreitet sind. Solche Entwicklungen begründen ihre eigenen Trends und das Entstehen einer eigenen Industrie. Im Bereich Diabetes zählen Unternehmen wie Eli Lilly, Fresenius Medical Care und Ypsomed in ihren jeweiligen Segmenten zu den Playern.
Covid als exogener Schock
Zu den erkennbaren Trends, wie den genannten, treten aber auch unerwartete Herausforderungen, wie die Covid-Pandemie mit ihren weitreichenden Auswirkungen. Infektionskrankheiten waren über Jahrzehnte mehr als stiefmütterlich von den Big Pharma-Playern behandelt worden. Die Pocken waren ausgerottet, und andere Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Masern oder Diphterie traten durch die weitgehende Durchimpfung der Bevölkerung ab den 1950er-Jahren kaum noch auf. Malaria, Gelbfieber und weitere sogenannte tropische Infektionskrankheiten waren wenig lukrativ, da die Länder in den Tropen zu arm waren, um einen gewinnbringenden Markt darzustellen.
Vernachlässigte Infektionskrankheiten
Nur noch eine Handvoll Big Pharma-Player war in Vakzinforschung und -geschäft tätig zum Zeitpunkt des Auftauchens von Covid. Einen Sonderfall bildet HIV, eine Pandemie, die als solche kaum im Bewusstsein ist, da der Kreis der Betroffenen im Westen beschränkt ist und in den stark betroffenen Ländern wie Südafrika ausgeblendet wird. Heilung ist zwar bisher nicht möglich, doch dank der Fortschritte in der Biotechnologie stehen wirkungsvolle Therapeutika zur Verfügung, die den Infizierten ein stark verlängertes und symptomreduziertes Leben ermöglichen. Über 36 Mio. Tote forderte die HIV-Pandemie bis Ende 2020. Ein ausgewiesener Spezialist an der Börse ist Gilead. Mit einem KGV von 11 und einer Dividendenrendite von über 4% erscheint die Aktie stark unterbewertet.
Zoonosen als Ursache
Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, wann eine der begrenzt auftretenden Epidemien wie MERS oder SARS zur Pandemie werden würde. Denn die Bedingungen haben sich in den letzten Jahrzehnten gravierend geändert. Durch die Bevölkerungsexplosion und den steigenden Nahrungsmittelbedarf sind Menschen und Tiere vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika näher aneinandergerückt, sei es durch Geflügel- und Viehzucht im familiären Rahmen oder durch Buschfleisch wie von Affen, Beuteltieren oder Nagern. Nach heutigem Wissensstand sind alle für die Menschen gefährlichen Infektionskrankheiten im Laufe der Geschichte aus Zoonosen entstanden, d.h. sie wurden von Tieren auf Menschen übertragen. Das zeigt sich schon an den Namen wie Geflügelpest, Rinderwahnsinn oder Vogelgrippe. Durch die Globalisierung verbreiten sich die Erreger sehr viel schneller als in früheren Zeiten.
Klimawandel und neue Krankheiten
Auch der Klimawandel spielt eine unterschätzte, aber nichtsdestotrotz entscheidende Rolle. Durch den Temperaturanstieg sind nicht nur tropische Malaria-Überträger bis ins Herz Europas vorgedrungen, sondern auch die landesüblichen Stechfliegen sind zu Überträgern geworden. Dazu kommen zahlreiche unbekannte Infektionen, deren Symptomatik und Ausbreitung erst nach und nach erkannt wird. Ein Beispiel ist der Hefepilz Candida auris, der 2009 erstmals in Japan identifiziert wurde. Die erste Patientin starb schnell. Zwischenzeitlich ist der Pilz auf der ganzen Welt verbreitet. Er kommt in mehreren Variationen vor, die meist multiresistent sind. Der Krankheitsverlauf ist häufig tödlich, weil die Bestimmung schwer ist und die Behandlungsmethoden beschränkt sind. Auch in der Mykologie zeigt sich, dass die Erforschung der geschätzt bis zu 5 Millionen Spezies sträflich vernachlässigt wurde. Höchstens 10% sind bekannt und noch sehr viel weniger erforscht. Dringen pathogene Pilze weiter in die Lebenswelt des Menschen vor, so versprechen doch andere Pilze neue Wirkstoffe und Heilungsmethoden, auch für nicht infektiöse Krankheiten.
Artensterben und das Dilemma der Forscher
Ob nun Pilze, Meeresspinnen und -schnecken, Frösche oder tropische Pflanzen, alle Arten von Hoffnungsträger für neue Heilmittel sterben praktisch täglich in wachsender Zahl aus. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit für die Forscher. Gegen Pilzinfektionen stehen beispielsweise nur vier Klassen von Antimykotika zur Verfügung, die bei neuen Herausforderungen wie Candida auris allenfalls eine stumpfe Waffe sind. Ein Vorreiter war Shaman Pharmaceuticals, die jedoch 1999 aufgaben, weil es zu lange dauerte, bis eine erste Zulassung erreicht werden konnte. Seitdem ist jedoch viel Kapital in neue Forschungsansätze geflossen , sodass nach den erfolgreichen Biotech-Pharma-Kooperationen wie von BionTech und Pfizer beim Covid-Impfstoff mit weiteren fruchtbaren Kooperationen zu rechnen ist. Aus Anlegersicht kommt es darauf an, die vielversprechenden Unternehmen frühzeitig zu identifizieren und gegebenenfalls die Risiken wie bei Moderna- und BionTech-Engagements frühzeitig einzugehen.
Innovation first!
Von der erhöhten Forschungsbereitschaft in den Life Sciences profitieren diejenigen Unternehmen, die spezialisierte und innovative Lösungen bieten, ohne die keine Fortschritte möglich wären. Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist der jüngste Neuzugang an der SIX, die SKAN Group. Ein weiteres der erste Börsengang des Jahres in der Schweiz, PolyPeptide. Beide Unternehmen haben durch die Covid-Pandemie einen starken Schub erhalten, denn ihre Produkte und ihre Expertise sind notwendig, um die Vakzin-Produktion zu skalieren und der Forschung zu weiteren „Breakthroughs“ zu verhelfen. Unter den etablierten Zulieferern der forschenden Arzneimittelhersteller ragt Thermo Fisher Scientific hervor. Die Aktie legte seit dem Tief im März 2020 um 130% auf eine Market Cap von 250 Mrd. USD zu.
Digitalisierungsgewinner Zur Rose
Der Wandel in der Gesundheitswirtschaft umfasst auch Einsparungen durch Effizienzsteigerungen, denn die Kosten des Gesundheitswesens laufen immer mehr aus dem Ruder. Ein Anbieter von effizienten Lösungen ist Zur Rose. Auch wenn es immer wieder zu zeitweiligen Rückschlägen kommt, so führt doch kaum ein Weg an der Digitalisierung und Vereinfachung des nicht mehr ganz zeitgemässen Prozederes zwischen Arzt, Patient und Apotheke vorbei. Auch Telemedizin spielt hier eine wachsende Rolle.
Ein facettenreicher Sektor
Der Healthcare-Sektor bietet viele interessante Aktien für jeden Anleger-Typ. Da sind Big Pharma Vertreter wie Roche und Novartis, die stetig steigende Dividenden ausschütten, Spezialisten, die im besten Fall vor einer Welle starker Nachfragesteigerungen stehen, Biotechs, die dringend benötigte innovative Therapien liefern oder Medtech-Unternehmen mit solider Marktstellung und hohen Gewinnmargen.