Als Folge des Krieges, den Russland in der Ukraine angezettelt hat, stellt sich die Frage, wie es um die Energieversorgung mit fossilen Brennstoffen steht. Namentlich bei der Gas- und Ölversorgung sind Europa und die Schweiz bisher in hohem Masse abhängig von russischen Exporten. Mit dem vorläufigen Ende der Pipeline Nord Stream 2 und möglichen Sanktionen im Bereich von Importen fossiler Energieträger aus Russland steigen nicht nur die Preise an den Tankstellen und beim heimischen Konsum, z.B. durch Heizen, sondern auch die Befürchtung, dass wir in einen Engpass namentlich beim Erdgas laufen könnten.
Lieferungen aus den USA nur ein Schachzug?
Philippe Petitpierre, CEO des Waadtländer Energieversorgungsunternehmens Holdigaz, macht sich wegen des vorläufigen Endes von Nord Stream 2 keine Sorgen bezüglich Versorgungssicherheit. «Die beiden Nord Stream 2 Pipelines haben eine Kapazität von jeweils 55 Milliarden Kubikmeter Gas, zusammen also 110 Milliarden. Die Pipelines, die durch die Ukraine verlaufen, haben eine Kapazität von knapp 150 Milliarden Kubikmeter Gas. Dies relativiert die Lage. Solange der Konflikt anhält, geht es um diese Mengen. In Friedenszeiten lieferte Russland 47% des europäischen Bedarfs, vor einigen Tagen waren es noch 15%, der durch russisches Gas gedeckt wurde», so Petitpierre. Die Entscheidung, diese Lieferungen aufrechtzuerhalten oder einzustellen, liege in den Händen Europas und nicht in den Händen der Russen, da diese Devisen benötigten, so Petitpierre weiter. «Die Europäer werden russisches Gas wie in der Vergangenheit oder als Ergänzung benötigen, da die Lieferungen aus den USA offensichtlich nur ein ‚Schachzug‘ sind, um die Kontrolle über den Markt zu erlangen und Putins Wirtschaft zu destabilisieren», schliesst Petitpierre.
Die Herausforderung kommt im Winter 2022/23
Wie der Verband der Schweizerischen Gasindustrie mitteilt, sei die Versorgungssicherheit für die gegenwärtige Heizperiode, die mit dem Frühling ihrem Ende zugeht, gesichert. Auch für die Industrie dürften genügend Reserven vorhanden sein, allerdings zu sehr hohen Preisen, schreibt gazenergie.
Die grosse Herausforderung sei es jetzt, die Versorgung für den Winter 2022/23 sicherzustellen. Um die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren, müssten die Bezugsmöglichkeiten breiter abgestützt werden, fordert der Verband. Flüssigerdgas (LNG) könne da einen wichtigen Beitrag leisten, auch wenn dies teuer sei, wie gazenergie zu bedenken gibt.
Eugen Perger, Senior Analyst beim unabhängigen Aktienresearch-Unternehmen Research Partners, verweist auf die Beschleunigung des Zubaus von Flüssiggasimportterminals in Norddeutschland. «Diese könnten eine weitere Alternative zum Erdgas aus Russland sein. Zudem stellt sich die Frage nach dem Kohleausstieg, welcher sich unter Umständen verzögern könnte», so Perger.
Vollständige Unabhängigkeit von russischem Gas wird angezweifelt
Ernst Uhler, CEO des regionalen Energieversorgers Energie Zürichsee Linth, meint, dass eine Kompensation von russischem Erdgas zumindest in den Sommermonaten über Importe aus Nordafrika und Nordeuropa möglich sei, schränkt aber ein, dass es über den Winter dann schwierig werden würde. Eine vollständige Unabhängigkeit von russischem Gas dürfte nach Uhlers Einschätzung kaum möglich sein. «Der Zubau der alternativen Energie müsste massivst ausgebaut werden – ebenfalls müsste Atomkraft und Kohle wieder opportun werden», so Uhler gegenüber schweizeraktien.net.
Auch wenn die Unterbrechung der Gasversorgung oder ihre Nichtinbetriebnahme (Nordstream II) für Europa im Allgemeinen und folglich auch für die Schweiz problematisch sein könne, wären die operationellen Folgen für unsere Versorgung überschaubar, erklärt Petitpierre gegenüber schweizeraktien.net. Einerseits könne auf andere Versorgungsquellen wie z.B. Schiefergas aus den USA zurückgegriffen werden, andererseits liege der kalte Teil des Winters hinter uns. «Es stellt sich jedoch die Frage nach dem nächsten Winter, falls die Embargos aufrechterhalten werden. An diesem Szenario arbeitet die Gasindustrie in enger Zusammenarbeit mit den Diensten des Bundes», so Petitpierre.
Der Energieversorger Repower mit operativem Sitz in Poschiavo bezieht für sein Gaskombikraftwerk in Teverola, das sich in der italienischen Provinz Kampanien befindet, Gas hauptsächlich aus dem Süden, namentlich aus Algerien, Libyen und der Transadriatischen Pipeline, erklärt Stefan Bisculm, Leiter der Medienstelle. Die Versorgung für Teverola sei somit sichergestellt. «Wir kaufen Gas auf dem Markt, sowohl an organisierten Börsen als auch im ausserbörslichen bilateralen Handel mit allen auf dem Markt aktiven Gegenparteien. Keiner unserer Geschäftspartner ist ein russisches Unternehmen, und wir haben den Handel mit europäischen Unternehmen eingestellt, die Kapitalbeziehungen zur russischen Regierung haben», sagt Bisculm.
Aber auch Repower dürfte für sein italienisches Kraftwerk kaum ohne russisches Gas auskommen. Denn auch wenn das Unternehmen keine russischen Geschäftspartner hat, so bleibt Fakt, dass ca. 45% der italienischen Gasimporte russischer Provenienz sind. Obwohl Teverola das einzige Gaskraftwerk des Repower-Konzerns ist und die selbst produzierte Energie zu 46% aus Wasser- und 7% aus Windkraftanlagen stammt, trägt Gaskraft dennoch 39% zu der gesamten Energieproduktion der Gruppe bei.
Erneuerbare Energie Biogas als Alternative
Um von der russischen Abhängigkeit loszukommen, spiele deshalb unter anderem die Produktion erneuerbare Gase eine zentrale Rolle für die künftige Versorgungssicherheit, schreibt der Verband der Schweizerischen Gasindustrie. Dabei gehe es primär darum, die Produktion und Einspeisung erneuerbarer Gase in der Schweiz durch Investitionsbeiträge oder Einspeisebeiträge zu fördern. Noch immer werde lediglich die Stromproduktion aus Biogas unterstützt, die der Gasversorgung keinen Nutzen bringt. Auch in den kantonalen Energiegesetzen müssten die Rahmenbedingungen so ausgestaltet sein, dass Biogas in allen Kantonen als erneuerbare Energie anerkannt wird, fordert gazenergie. Weiter ist man in der Gaswirtschaft nicht damit einverstanden, dass importiertes Biogas vom Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit nach wie vor als Erdgas behandelt wird.
Energieversorger wie Holdigaz oder Energie Zürichsee Linth (EZL) arbeiten mit Hochdruck am Ausbau der Produktion von Biogas. So beträgt der Anteil von Biogas bereits 10% am Gasmix der EZL, teils aus eigener Produktion, teils aus Bezug von anderen Produzenten.
Gasspeicher mit grossem Volumen im Wallis geplant
Die Schweiz besitzt bisher keine Speichermöglichkeiten für grosse Gasmengen, im Gegensatz z.B. zu Deutschland, Frankreich oder Italien. Ernst Uhler verweist im Gespräch auf die Pläne Schweizerischer Gasfirmen, im Wallis unterirdische Gaskavernen anzulegen. Denn der Speicherung von Erdgas kommt nicht nur wegen der Versorgungssicherheit eine grosse Bedeutung zu, sondern sie ist auch ein wichtiges Glied in der Wertschöpfungskette von Erdgas. Gasspeicher können während den Monaten des Unterverbrauchs im Sommer gefüllt und in den Monaten des Überverbrauchs in kalten Wintermonaten geleert werden.
Das Westschweizer Energieversorgungsunternehmen gaznat mit Sitz in Vevey, deren Präsident Holdigaz-Chef Philippe Petitpierre ist, hat 2021 erste Probebohrungen bei Oberwald im Oberwallis durchgeführt. Die Kriterien des untersuchten Gesteins erschienen ausreichend, um mit einer technischen und kommerziellen Analyse zu beginnen, die insbesondere bestimmen werde, wie dieses Projekt in die Energiestrategie und die Versorgungssicherheit der Schweiz passen könnte, schreibt gaznat in einer Pressemitteilung.
Fazit
Die Abhängigkeit von fossiler Energie russischen Ursprungs in Europa, aber auch in der Schweiz ist erheblich und wird nicht von einem auf den anderen Tag mit Alternativen zu umgehen sein. Deshalb tun sich EU-Staaten und insbesondere Deutschland schwer damit, Gas-Importe aus Russland zu sanktionieren. Die USA hingegen wollen jetzt den Import von fossilen Energieträgern aus Russland verbieten, allerdings haben sie Verständnis für das Festhalten der Europäer an russischen Gasimporten.
Natürlich könnte ein Teil der Gas-Importe aus Russland durch den Kauf von Flüssiggas kompensiert werden. Auch die einheimische Produktion von Biogas kann einen, allerdings noch sehr kleinen Anteil zur Gasversorgung beitragen. Es führt kein Weg daran vorbei, dass nur mit dem massiven Ausbau erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarenergie sowie mittels Ausbau der Wasserkraft verhindert werden kann, dass ein Land wie die Schweiz eine absehbare Knappheit insbesondere beim Strom zu vergegenwärtigen hat. Dabei wird auch ein massiver Ausbau der Erneuerbaren kurzfristig nicht reichen. Und so wird z.B. eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in Deutschland wieder spruchreif. Kommt die Rückbesinnung auf Atomstrom jetzt auch in der Schweiz?