Die Geschichte des Hochalpinen Instituts Ftan AG (HIF) lässt sich bis ins Jahr 1793 zurückverfolgen, als der Unterengadiner Pfarrerssohn und Lehrer Andrea Rosius à Porta das Institut à Porta – nach eigenen Angaben gleichzeitig die älteste Engadiner Privatschule – in Ftan mit insgesamt 18 Schülerinnen und Schülern gründete. Alle Kinder kamen aus wohlhabenden Engadiner Familien, denen es bis zur Eröffnung des Instituts an angemessenen Bildungsmöglichkeiten fehlte. Andrea Rosius à Porta leitete das Institut – im Geiste Heinrich Pestalozzis – bis 1829, ehe er es an seine beiden Söhne übergab. Zu diesem Zeitpunkt zählte das HIF bereits 556 Schülerinnen und Schüler.
Hinter der Hochalpines Institut Ftan AG liegen einige sehr schwierige Jahre mit einer regelmässig angespannten finanziellen Situation. Im Jahr 2015 stand die traditionsreiche Privatschule kurz vor dem Aus. Anlässlich einer einberufenen GV vom August 2015 beantragte der Verwaltungsrat die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit und den Beschluss, dass beim Konkursrichter eine Insolvenzerklärung abgegeben werden sollte (schweizeraktien.net vom 29. Juni 2015). Ferner sollte die Auflösung der Gesellschaft beantragt werden. „Zu wenig Schüler, zu wenig finanzielle Mittel und keine Aussicht auf Besserung“ – so hiess es seinerzeit in der lokalen Südostschweiz (Ausgabe vom 21. Juli 2015).
Sanierung verhindert das Aus der traditionsreichen Schule
Dem HIF ist es jedoch 2015 und in den Folgejahren dank einschneidender Sanierungsmassnahmen sowie einer strategischen Neupositionierung gelungen, das Aus nach mehr als 220 Jahren doch noch zu vermeiden – mit einem bemerkenswerten „Überlebenswillen“ bis zum heutigen Tag. schweizeraktien.net hatte in der Vergangenheit wiederholt über das HIF berichtet.
Am Anfang der Bemühungen um eine stabile finanzielle Basis stand zunächst die Einberufung einer ao. GV im September 2015. Dabei wurde der Verwaltungsrat ausgetauscht. Neuer VRP wurde der Immobilienunternehmer Jon Peer. Durch die Initiative des neuen Verwaltungsrats sowie engagierten Bürgerinnen und Bürgern sowie der Gemeinde Scuol konnte zunächst die Finanzierung für zwei Jahre gesichert werden.
In der Folgezeit kam es Mitte 2017 zu einer Bilanzsanierung mittels Kapitalherabsetzung und einer daran anschliessenden Kapitalerhöhung. Der Nennwert der ursprünglich nur 11’515 Aktien wurde zunächst von 150 CHF auf 25 CHF reduziert. Im Anschluss wurde das Aktienkapital durch die Ausgabe neuer Aktien zum Ausgabepreis von 42 CHF oberhalb des neuen Nominalwerts von 25 CHF aufgestockt. Die bisherigen HIF-Aktionäre konnten für eine Altaktie à 25 CHF nominal zwölf neue Titel zu einem Preis von 42 CHF pro Aktie erwerben.
Kapitalerhöhung und neuer Aktionär
Im Rahmen dieser Kapitalerhöhung beteiligten sich Investoren um die SCC Education Group AG (SCC) mit 2 Mio. CHF an der Kapitalerhöhung, hinter der mehrheitlich asiatische Investoren steckten. Ziel dieser neuen Investoren um die SCC war es, die Gesellschaft stärker in Asien und insbesondere auch im chinesischen Markt zu positionieren (siehe auch schweizeraktien.net vom 3. Juli 2017 und vom 6. Dezember 2017).
Nach Durchführung aller Kapitalmassnahmen, der letzten im Juni 2019, beträgt das Aktienkapital rund 4.1 Mio. CHF und ist eingeteilt in 164’857 vinkulierte Namenaktien zu je 25 CHF nominal. Die Aktienzahl hat sich im Vergleich zum Zeitpunkt der vermiedenen Schliessung im Jahr 2015 etwa um den Faktor 14 erhöht.
Corona und Fixkosten zehren an der Substanz
Die letzten Geschäftsjahre – Geschäftsjahresende ist jeweils Ende Juli – waren für die Gesellschaft nicht nur wegen „Corona“ nach der Stabilisierungsphase der Jahre um 2017 erneut sehr herausfordernd und zehrten aufgrund der hohen Fixkostenlastigkeit des Geschäfts zunehmend an der Substanz.
Die auf den ersten Blick deutliche Steigerung beim Betriebsertrag um +16% auf 3.924 Mio. CHF im Geschäftsjahr 2020/2021 von zuvor 3.376 Mio. CHF sieht optisch besser aus, als sie letztlich ist. Die Gesellschaft profitierte hier in erster Linie von der erfolgswirksamen Auflösung einer in der Vergangenheit gebildeten „zweckgebundenen Investitionsreserve“ in der Grössenordnung von knapp 0.47 Mio. CHF. Die Erträge aus Schulgeldern und Beiträgen als wichtigster Position der Erfolgsrechnung fielen leicht um 2% auf 2.747 Mio. CHF, während die Erträge aus dem Internatsbetrieb immerhin um +53% oder rund 0.2 Mio. CHF auf 0.56 Mio. CHF gesteigert werden konnten. Dagegen fielen umgekehrt die Erträge aus Ferienbelegung von zuvor etwa 0.17 Mio. CHF im Jahr 2019/2020 auf nur noch 395 CHF im abgelaufenen Geschäftsjahr.
COVID-19-Kredit hilft der Schule weiter
Eine nur ungenügende Auslastung der Schule und des Internats führten 2020/2021 erneut zu einem negativen Betriebsergebnis (EBIT), wie auch schon 2018/2019 und 2019/2020. Der kumulierte Verlust der letzten drei Geschäftsjahre auf Stufe EBIT liegt bei rund -4.8 Mio. CHF, jener auf Stufe Reingewinn bei rund -2.9 Mio. CHF. Die relativ grosse Differenz zwischen dem EBIT einerseits und dem ausgewiesenen Reingewinn andererseits resultiert primär aus den positiven Effekten einer Nettoauflösung stiller Reserven in allen drei Geschäftsjahren (2018/2019: +1.3 Mio. CHF; 2019/2020: +0.3 Mio. CHF; 2020/2021: +0.3 Mio. CHF). Doch solche positiven Effekte der Auflösung von stillen Reserven bei gleichzeitig negativen Betriebsergebnissen während mehrerer Jahre dienen letztlich vor allem auch der „Bilanzkosmetik“ – und sind auch „endlich“ und nicht beliebig in die Zukunft fortschreibbar.
Insbesondere haben sie auch keine Auswirkungen auf die Liquiditätssituation. Tatsächlich hat die Gesellschaft in den zurückliegenden Jahren regelmässig auch kreative „bilanzielle Gestaltungsmöglichkeiten“ genutzt, um einen Kapitalverlust im Sinne Art. 725 Abs. 1 OR zu vermeiden. So wurde etwa im Geschäftsjahr 2019/2020 ein durch den Bund verbürgter COVID-19 Kredit in Höhe von 383 TCHF mit einer Laufzeit bis April 2025 in Anspruch genommen. Dieser Kredit wird gemäss Art. 24 COVID-19 SBüG nicht als Fremdkapital berücksichtigt und in der Betrachtung des Art. 725 Abs. 1 OR dem Eigenkapital zugerechnet. Damit waren per 31. Juli 2021 (knapp) die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven gedeckt, wie aus dem HIF-Geschäftsbericht 2020/2021 (S. 11) ersichtlich ist.
Würde man den bezogenen COVID-19-Kredit i.H.v. 383 TCHF aus dem GJ 2019/2020 hingegen entgegen der speziellen Regelungen des COVID-19-SBüG zumindest gedanklich als „wirtschaftliches Fremdkapital“ betrachten, so wären die 50%-Schwelle des Art. 725 Abs. 1 OR im abgelaufenen Geschäftsjahr 2020/2021 „gerissen“ worden und abermalige Kapitalrestrukturierungsmassnahmen unausweichlich.
Neuer Mehrheitsaktionär aus Singapur plant hohe Investitionen
Im März 2021 kam es in dieser für die Gesellschaft erneut schwierigen Ausgangslage zu bedeutenden Veränderungen im Aktionariat. Die Mehrheit der Aktien wurde von einer Gesellschaft erworben, die mit der Education in Motion-Gruppe (EiM) in Singapur eng verbunden ist. Das HIF ist so seit dem Sommer 2021 ein Teil der Dachmarke Education in Motion. Gleichzeitig sichert diese Aktienübernahme die „Zukunft des HIF“, heisst es im HIF-Geschäftsbericht 2020/2021 auf Seite 3.
Aus Sicht der Gesellschaft wurde „mit diesem neuen strategisch ausgerichteten Aktionär die Strategie des HIF überarbeitet und ergänzt“. Zudem ergibt sich mit dem neuen Hauptaktionär und der vorgesehenen Neuausrichtung „eine zukunftsträchtige Perspektive für die Schülerinnen und Schüler, die Mitarbeitenden und die Region“, so der Geschäftsbericht 2020/2021.
EiM hat der Gesellschaft neue Darlehen über insgesamt rund 5 Mio. CHF gewährt. Damit konnte auch ein Darlehen der Gemeinde Scuol über 3 Mio. CHF abgelöst werden. Im laufenden Jahr will EiM insgesamt 12 Mio. CHF in das HIF investieren, davon 9 Mio. CHF für die Sanierung.
Übernahmeangebot an den Streubesitz zu 25 CHF je Aktie…
Aus dem vor wenigen Tagen veröffentlichten HIF-Aktionärsbrief geht hervor, dass der neue Mehrheitsaktionär Education Index Management Asia Pacific Pte Ltd. mit Sitz in Singapur bereit ist, allen aussenstehenden Aktionären der HIF ein freiwilliges, bis zum 30. April 2022 befristetes Kaufangebot zum Kauf von HIF-Aktien zu 25 CHF je Aktie, entsprechend dem aktuellen Nominalwert, zu unterbreiten.
Das freiwillige Angebot zum Kauf von HIF-Aktien durch EiM wurde den Aktionärinnen und Aktionären bereits anlässlich der GV vom 26. Februar 2022 vorgestellt. Ein Bericht zur GV und zum abgelaufenen Geschäftsjahr ist beim lokalen News-Portal grheute.ch abrufbar.
… erscheint sehr fair und mehr als angemessen
Eine „Bewertung“ der HIF mit den vorliegenden Informationen ist – insbesondere als Schulbetrieb unter Ausblendung alternativer Nutzungskonzepte z.B. im Immobilienbereich – schwierig, da das HIF auch über schwer quantifizierbare stille Reserven in den Immobilien verfügen dürfte. Hinter dem HIF liegen, wie skizziert, einige sehr problematische Jahre mit hohen operativen Verlusten, die nur durch die Auflösung stiller Reserven bilanziell teilweise abgefedert werden konnten. Nun stehen grosse Investitionen auf der Agenda, die der neue Mehrheitsaktionär zu finanzieren bereit ist.
Das ausgewiesene Eigenkapital der Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren durch die hohen Verluste – trotz der zwischenzeitlich durchgeführten Kapitalerhöhungen und ohne Berücksichtigung des vorgängig erwähnten COVID-19-Darlehens über knapp 0.4 Mio. CHF als „technisches Eigenkapital“ – auf zuletzt nur noch 1.772 Mio. CHF zum 31. Juli 2021 (Ende GJ 2020/2021) reduziert. Bei 164’857 ausgegebenen Aktien entspricht dies anteilig rund 10.75 CHF/Aktie. Die Offerte des neuen Hauptaktionärs aus Singapur liegt demnach um rund 130% oberhalb des zuletzt ausgewiesenen Eigenkapitals. Da die HIF in den letzten Jahren keine Gewinne erwirtschaftet hat, kann entsprechend aus dem Übernahmepreis kein „Kurs-Gewinn-Verhältnis“ (KGV) abgeleitet werden.
Handel der HIF-Aktie soll nach Ablauf des Übernahmeangebots wieder aktiviert werden
Die Aktie der Hochalpines Institut Ftan AG war bis Februar 2021 auf der OTC-X-Plattform der Berner Kantonalbank gelistet, ehe der Handel auf Wunsch der Gesellschaft mit Blick auf die Veränderungen im Aktionariat vorläufig sistiert wurde. Der vor mehr als einem Jahr zuletzt bezahlte OTC-X-Preis lag bei 20 CHF (Kurs vom 25. Februar 2021). Insofern liegt der EiM-Angebotspreis von 25 CHF auch 25% oberhalb des zuletzt bezahlten OTC-X-Preises.
Im Aktionärsbrief vom März 2022 teilt die Gesellschaft nun – fast überraschend – mit, dass der „freie Handel“ auf OTC-X Anfang Mai 2022 wieder „aktiviert“ werden soll. Vorsorglich wird dabei darauf hingewiesen, dass die künftigen OTC-Kurse von „Angebot und Nachfrage“ bestimmt sein werden, mit allen damit einhergehenden Chancen und Risiken.
Fazit
Das HIF, eine sympathische und in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche „Bildungs-Aktie“ aus der ausserbörslichen OTC-Welt, bewegt sich bereits seit einigen Jahren in schweren Fahrwassern, wie nicht zuletzt unsere früheren Berichte zum Thema zeigen. Nun scheint jedoch ein Licht am Ende des zuletzt immer dunkler werdenden Tunnels erkennbar, allerdings auch nicht zum ersten Mal. Mit der EiM hat die HIF einen neuen Mehrheitsaktionär gefunden, der bereit ist, viel Geld in das Unternehmen zu investieren. Dies ist in jedem Fall positiv zu werten und kann der Gesellschaft im Erfolgsfall eine neue Perspektive geben.
Nun steht die Traditionsgesellschaft mit dem Wechsel im Kernaktionariat also erneut vor einem Turnaround, einer strategischen Transformation – und einem weiteren Neubeginn. Ob dieser Neuanfang „mit neuen Besen“ – diesmal aus Singapur unter einem grossen Markendach – gelingen wird, muss die Zeit zeigen. Es wäre dem Unternehmen zu wünschen, an der Seite des neuen Mehrheitsaktionärs wieder in ruhigere Gewässer zu gelangen.
Insgesamt erscheint das freiwillige Kaufangebot, auch ohne weiterführende Informationen zur dahinterstehenden „Unternehmensbewertung“ und den Wertüberlegungen, mit den bekannten Kennzahlen für den Streubesitz – oft langjährige Kleinaktionäre und treue Unterstützer der Gesellschaft – aufgrund der Situation der letzten Jahre sehr fair und mehr als angemessen.
Insbesondere für grössere Streubesitzaktionäre kann eine Andienung zum offerierten Preis von 25 CHF/Aktie – entsprechend dem Nennwert der Aktien – eine attraktive Exit-Perspektive in einem in der Vergangenheit strukturell sehr illiquiden Titel darstellen, sofern die Aktionärin oder der Aktionär nicht lieber die heute völlig unklaren und auch riskanten „langfristigen Früchte“ an der Seite des neuen Mehrheitsaktionärs aus Singapur ernten möchte. Die letzten Jahre haben – sicherlich auch negativ beeinflusst von Sonderfaktoren wie COVID-19 – jedoch gezeigt, wie schwierig es ist, ein auch auf die internationalen Fernmärkte ausgerichtetes, rentierliches Geschäftsmodell im Bildungs-Bereich bei gleichzeitig hohen Fixkosten aufzubauen und zu etablieren.
Investierte Aktionäre mit einem Bezug zum HIF und zum Unterengadin können mit Blick auf eine Wiederaufnahme des OTC-X-Handels voraussichtlich ab Mai 2022 aber auch beteiligt bleiben, müssen sich dabei jedoch des Risikos bewusst sein, dass die Kurse nach der Wiederaufnahme des OTC-X-Handels auch unter den Abfindungspreis fallen können und der „OTC-X-Aktienhandel“ wie in der Vergangenheit von einer mutmasslich sehr tiefen Liquidität bei gleichzeitig grossen Geld-/Brief-Spannen geprägt sein dürfte.
Mit Blick auf die im Kern noch immer sehr angespannte Bilanzsituation erscheinen uns weitere Kapitalmassnahmen in der Zukunft als naheliegend und sinnvoll. Dazu zählt insbesondere auch eine spätere Umwandlung von ausgereichten Gesellschafterdarlehen in Eigenkapital im Sinne eines „Debt-Equity-Swap“. Zum Ende des Geschäftsjahres 2020/2021 am 31. Juli 2021 lag die ausgewiesene Eigenkapitalquote bei nur noch 12.4%.
Transparenzhinweis: Der Verfasser ist Aktionär der Hochalpines Institut Ftan AG.