Börsengänge Schweiz/International: Primärmärkte brechen im ersten Quartal ein

Nach starkem Januar fordern geopolitische Verwerfungen und ungebremste Inflation ihren Tribut

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Eisige Stimmung am IPO-Markt. Bild: stock.adobe.co

Schön war die Hausse der letzten zwei Jahre und gross der Optimismus, dass sich der Boom an den IPO-Märkten auch 2022 fortsetzen würde. Der Januar war noch der stärkste seit 21 Jahren, so EY im Quartalsbericht, doch danach sank die Stimmung mit Beginn des unerwarteten Kriegsgeschehens schnell. Die weiteren Aussichten für Börsengänge sind nach dem schwachen ersten Quartal nun deutlich eingetrübt.

Der IPO-Enthusiasmus von 2021 dürfte sich 2022 nicht fortsetzen. Grafik: ey.com

In Europa sanken die Emissionserträge auf gerade noch 2.7 Mrd. USD bei 47 IPOs. Das entspricht 5% des globalen Emissionsvolumens und 15% nach Anzahl. In der Schweiz fand im ersten Quartal kein Börsengang statt. Mit XLife Sciences gab es zwar einen Neuzugang an der SIX und das erste Listing im neuen Segment Sparks, doch ein öffentliches Angebot gab es nicht. Die Aktie war zuvor im Freiverkehr der Börse München gehandelt worden. Die Performance lässt zu wünschen übrig. Seit Februar fiel die Aktie von 52 CHF auf unter 40 CHF. Global betrachtet gab es im ersten Quartal 2022 insgesamt 321 IPOs, die ein Emissionsvolumen von 54.4 Mrd. USD generierten. Verglichen mit dem ersten Quartal 2021 ist das ein Rückgang von 37% nach Anzahl und von 51% nach Erträgen.

Primärmarkt-Klima ändert sich

Verschiedene Faktoren spielten zusammen. So hebt EY hervor, dass weniger Mega-IPOs, weniger SPAC-Emissionen, weniger Unicorn-Börsengänge und grenzüberschreitende IPOs das Quartal geprägt haben. Weiterhin gab es zahlreiche Verschiebungen von IPOs. Neben den Kriegsaktivitäten an der Peripherie Europas dämpften auch steigende Preise für Energie und Rohstoffe sowie die daraus resultierenden Inflations- und Zinsängste das Interesse an neuen IPOs.

Regionale Divergenzen

Dabei gab es dennoch grosse regionale Unterschiede. In Nordamerika fiel der Rückgang sogar noch dramatischer aus als in Europa. Die Emissionserlöse fielen um 95% auf 2.4 Mrd. USD, die Anzahl um 72% auf 37 IPOs. Im Kontrast dazu stiegen die Emissionsvolumina in der Asien-Pazifik Region um 18% auf 42.7 Mrd. USD, obwohl die Anzahl der Börsengänge um 16% auf 188 zurückging. Davon entfallen allein 30.1 Mrd. USD auf Greater China, also inklusive Hongkong. Vier der sieben IPOs mit Emissionserlösen von über 1 Mrd. USD fanden an den chinesischen Börsen statt. In Japan dagegen schrumpften die Emissionsvolumina auf nur noch 0.2 Mrd. USD, den Primärmarkt nahmen nur kleine Unternehmen in Anspruch.

IPO-Emissionserträge nach Sektoren. Grafik: ey.com
Energie- und Tech-IPOs auf Spitzenrängen

Technologie-IPOs blieben beliebt und führen nach Anzahl unter den Sektoren. Mit Blick auf die Emissionserträge schob sich allerdings Energie mit einem Volumen von 12.2 Mrd. USD bei 15 Börsengängen auf den ersten Rang. Technologie folgt mit 9.9 Mrd. USD bei 58 IPOs. Auf Rang drei findet sich Materials mit ebenfalls 58 IPOs und 5.9 Mrd. USD, gefolgt von Industrials mit 57 IPOs und 5 Mrd. USD Volumen.

Asien-Pazifik steigert Marktanteil

Regional hat sich somit das Schwergewicht der Primärmarktaktivität erneut nach Asien-Pazifik verlagert, nachdem im Vorjahr erstmals seit fünf Jahren Nordamerika Marktanteile zurückerobert hat. 78% der globalen Emissionserträge entfallen im ersten Quartal 2022 auf Asien-Pazifik. Ob der gegenwärtige totale Lockdown in der 26 Mio. Menschen zählenden Metropole Shanghai die Primärmarktaktivitäten dämpfen wird, bleibt abzuwarten. Für die Marktpsychologie ist es jedenfalls nicht positiv, nachdem China ja bislang verhältnismässig gut durch die über zwei Jahre währende Pandemie gekommen ist.

Marktumfeld

Hohe Volatilität und hohe Bewertungen an den Börsen, steigende Inflation und Zinsen und dann noch der überraschende Krieg Russlands gegen die Ukraine haben das Klima an den IPO-Märkten merklich eingetrübt, insbesondere in Europa und den USA. Der Trend bei den Renditen der 10jährigen US-Staatsanleihen ist bei aktuell 2,5% steil nach oben gerichtet. Eine schwache Tendenz an den Bondmärkten ist kein gutes Zeichen für die Aktienbörse, weder für den Sekundär- noch den Primärmarkt.

SPAC-Gesellschaften unter Zeitdruck

Emittenten werden daher alternative Wege wie M&A oder Trade Sales verfolgen. Eigentlich ein konstruktives Umfeld für die über 600 SPAC-Gesellschaften, die Zielgesellschaften suchen. Dort tickt die Uhr laut, denn üblicherweise müssen innerhalb von 24 Monaten nach der SPAC-Emission die von Investoren aufgenommenen Mittel investiert werden. Wie EY schreibt, wird bei mehr als einem Viertel davon später dieses Jahr die Frist ablaufen, wonach die aufgenommenen Mittel in Ermangelung eines Deals an die Investoren zurückgezahlt werden müssen. Bei über 60% der SPACs droht das gleiche Szenario in 2023. Beim ersten und bisher einzigen Schweizer SPAC VT5 reicht die 24-Monats-Frist bis Dezember 2023. Ob die geplanten weiteren 200 SPAC-Emissionen, vor allem in den USA, stattfinden werden, bleibt ungewiss. Immerhin wollen sie 44 Mrd. USD an Kapital aufnehmen, so der spezialisierte Branchendienst www.spacanalytics.com .

Ausblick

Der Ausblick für den Schweizer Primärmarkt ist nicht wesentlich schlechter geworden, denn schon vor dem Ausbruch des Krieges gab es keine konkreten und öffentlich bekannten IPO-Pläne. Bei einer Besserung des Börsenklimas kann sich das IPO-Fenster durchaus schnell wieder öffnen. Allerdings werden die Börsenaspiranten die Erstzeichner zunächst einmal vom Investment Case überzeugen müssen. Abspaltungen von Konzernen haben weiterhin gute Karten, solang sie profitabel, wachstumsstark und in den richtigen, das heisst als vielversprechend eingestuften, Industrien aktiv sind. Die angekündigten Spin-offs von ABB etwa erfüllen das Profil.

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