Die Gesundheitsindustrie ist eine Welt für sich. Kaum ein anderer Sektor ist gleichzeitig so stark von bahnbrechenden Innovationen und doch auch von überkommenen Strukturen geprägt. Die Charakteristika des Marktes sind eigen, die Gewinnspannen hoch. Bis neue Produkte die notwendigen Zulassungen erhalten und die Markteinführung perfekt vorbereitet ist, kann jedoch Zeit vergehen. Bei Ypsomed wurden die Weichen in den Vorjahren gut gestellt, das Wachstum sollte sich nach dem passablen Geschäftsjahr 2021/2022 langfristig noch beschleunigen.
Schlechte Ernährung und ein ungesunder Lebensstil sind die wesentlichen Gründe für das ungebremste Vordringen der Volkskrankheit Diabetes in allen Teilen der Welt. Der US-Markt zeigt die Auswirkungen krass und ungeschönt: 10% der Bevölkerung oder 37 Mio. Amerikaner sind Diabetiker, davon 95% Typ 2. Die Kranken werden zudem immer jünger. Vom globalen Umsatz mit Geräten zur Verabreichung von Insulin entfallen 39% auf die USA. Dort sind in aller Regel auch die Preise und die Gewinnmargen höher als in anderen Teilen der Welt.
Partnerschaft mit Lilly öffnet US-Markt
Insulin wurde erstmals 1921 isoliert und bereits ab 1923 vom amerikanischen Pharma-Unternehmen Eli Lilly für den US-Markt produziert. 100 Jahre später kommt eine weitere Innovation an den Markt, an der auch Ypsomed mit seiner selbstentwickelten YpsoPump beteiligt ist. In Partnerschaft mit dem Marktführer Lilly wird derzeit an einer integrierten Lösung für die Selbst-Medikation gearbeitet, die 2023 der Zulassungsbehörde FDA vorgelegt wird.
Automatisierte Selbst-Medikation
Die neue Lösung ist ein automatisches Verabreichungssystem für Insulin, bei dem via App das Glukose-Monitoring mitgeliefert wird. Die Patienten erhalten so die Kontrolle über das Glukose-Level, und die ausufernden Kosten für die Kostenträger werden reduziert. Für Ypsomed erschliesst sich durch diese Partnerschaft der gesamte US-Markt, ohne eine eigene Vertriebsorganisation aufbauen zu müssen und möglicherweise trotzdem nicht den breiten Zugang zum Markt zu finden. Die Partnerschaft mit dem Gate-Keeper Lilly ist sowohl strategisch klug als auch extrem wachstumsträchtig. Der Preis ist Geduld.
Steigende Anzahl von Indikationsgebieten
Die innovative Lösung könnte den Patienten in vielen weiteren Indikationsgebieten helfen, Lebensqualität zurückzugewinnen. Im Fokus stehen für Ypsomed chronische Krankheiten. Die Anzahl der Einsatzbereiche entwickelt sich stetig. Im letzten Geschäftsjahr waren es bereits 20 Indikationen, bis 2025/2026 sollen es 25 werden.
Key Performance Indicators
Auch die sonstigen Key Performance Indicators (KPI) entwickeln sich dynamisch. Die Anzahl der User von Ypsomed «Smart Solutions» hat sich in den letzten beiden Geschäftsjahren auf 41’700 verdoppelt. Bis 2025/2026 sollen es 200’000 User werden. Die Anzahl der Patentanmeldungen nahm ebenso einen deutlichen Aufschwung wie die der F&E-Mitarbeiter. 2021 nahm auch in Barcelona das eigene Software-Entwicklungslabor die Arbeit auf. Die Qualität der innovativen Ypsomed-Produkte zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es in den vergangenen Jahren zu keinem einzigen Produktrückruf kam.
Zuverlässigkeit und Verantwortung
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zuverlässigkeit von Ypsomed. Seit Beginn der Pandemie mit all ihren Verwerfungen hat das Unternehmen stets sowohl die Produktion als auch die Versorgung der chronisch Kranken ohne Unterbruch aufrechterhalten können. Das hohe Mass an Verantwortung zeigt sich auch darin, dass die Nachhaltigkeit des Wirtschaftens zum vierten Ziel der Gesellschaft erhoben wurde. Bis 2040 soll die CO2-Neutralität erreicht werden. Die Energie ist schon heute zu 100% aus erneuerbaren Quellen. Der neue Autoinjektor YpsoMate On wird aus recyclingfähigen Materialien hergestellt, und die elektronischen Komponenten bilden eine eigene Einheit, sodass diese separat der Wiederverwertung zugeführt werden können. In der Kooperation «Alliance to Zero» engagiert sich Ypsomed, um auch in der Pharma-Industrie das Ziel der Klimaneutralität schneller zu erreichen.
Smarte Zukunft
Durch die ausserordentliche Zunahme des Wissens in den Life Sciences kommen immer mehr hochspezifische Wirkstoffe gegen viele Volkskrankheiten wie auch seltene Krankheiten an den Markt, die meist in flüssiger Form verabreicht werden. Der Bedarf an smarten Lösungen, die zugleich die Lebensqualität der Patienten erhöhen und die Kosten für die Gesundheitssysteme senken, wird dadurch einen weiteren Wachstumsschub für den Spezialisten Ypsomed auslösen.
Jahresabschluss 2021/2022 von Investitionen geprägt
Die Faktoren, die für die weitere Kursentwicklung von Ypsomed relevant sind, werden von der Zukunft bestimmt. Die Zahlen des abgeschlossenen Geschäftsjahres 2021/2022 bestätigen den eingeschlagenen Kurs, zeigen aber noch nicht die tatsächlichen Potenziale. So flossen allein 18 Mio. CHF in die Anmeldung von Patentrechten. Insgesamt wurden 75.8 Mio. CHF in immaterielle Aktiva investiert, darunter die Apps, die Digitalisierung und die Service Cloud im Bereich Smart Services. Weiterhin werden die Produktionskapazitäten massiv erweitert, die Sachinvestitionen beliefen sich auf 51.6. Mio. CHF. Trotz der hohen Investitionen verdreifachte sich das EBIT auf 28.6 Mio. CHF, der Reingewinn stieg auf 23.1 Mio. CHF. Der Gewinn je Aktie kletterte von 0.46 CHF auf 1.83 CHF. Für das Geschäftsjahr 2023/2024 sind 6 bis 7 CHF je Aktie zu erwarten.
Kapitalerhöhung
Zur Finanzierung des weiteren Wachstums – das EBIT soll im Geschäftsjahr 2023/2024 beim Vierfachen liegen – werden bis zu 1 Mio. neue Aktien bei den Aktionären platziert. Der Hauptaktionär wird seine Bezugsrechte durch Umwandlung bestehender Darlehen vollumfänglich ausüben. Die Transaktion soll bis 23. Juni abgeschlossen sein. Am 29. Juni findet die GV statt. Willy Michel wird sich aus dem Verwaltungsrat zurückziehen, CEO Simon Michel wird als einfaches Mitglied in den Verwaltungsrat aufrücken.
Fazit
Die Börsenbewertung von Ypsomed ist durch die Korrektur seit Jahresbeginn auf 1.7 Mrd. CHF abgesunken. Auch nach der Kapitalerhöhung wird der Free-Float nicht höher als 26,5% sein. Werden noch die Beteiligungen von Fondsgesellschaften und institutionellen Investoren abgezogen, bleiben gerade noch maximal 20% tatsächlich investierbarer Free-Float übrig. Das entspricht 340 Mo. CHF.
Für eine positive Entwicklung von Ypsomed spricht das starke Trendwachstum im globalen Diabetes-Markt, die beginnende und an Tempo gewinnende Digitalisierung im Gesundheitswesen sowie die starke Nachfrage nach komfortablen, zuverlässigen und kostengünstigen Lösungen für chronisch Kranke. Doch davon abgesehen spricht auch die relative Attraktivität der Wachstumsprognose von 15%+ p.a. bei steigender Profitabilität für Ypsomed. Im gegenwärtigen Anlageumfeld können die meisten börsenkotierten Unternehmen von 15% Wachstum höchstens träumen, denn der Alltag ist vor allem von Unsicherheiten, ersten Nachfrageschwächen und Preissteigerungen auf breiter Front geprägt.