Dieses Jahr hat sich der Januar-Indikator als zutreffend erwiesen. Wie die ersten Handelstage eines neuen Jahres, so auch der Jahresverlauf. Was sich in den ersten Monaten des Jahres schon als schlechtester Jahresauftakt seit 1939 erwies, könnte sich mit dem neuerlichen Ausverkauf an den Börsen nun zur echten Baisse mit Index-Verlusten von 50% oder mehr entwickeln, denn die Leitindizes sind nun mit Verlusten von mehr als 20% offiziell in einen Bärenmarkt eingetreten.
Dass ein Indexrückgang vom Hoch in Höhe von 20% einen Bärenmarkt klassifiziert, ist zwar willkürlich festgelegt, doch wenn alle daran glauben, entwickelt solch ein Trendbruch in der Folge eben auch ein Eigenleben. Offensichtlich ist jedenfalls, dass die Aktienkurse seit Monaten unter Druck sind und sich die manchmal durchaus kraftvollen Erholungsbewegungen lediglich als technische Gegenreaktionen erwiesen haben. Die Verkaufswellen mit Tagesverlusten von 3% oder 4%, und das relativ häufig, zeigen deutlich, wie stark der Verkaufsdruck ist. Entwarnungssignale sind gegenwärtig nicht erkennbar.
Ignorierte Risiken
Warnsignale waren allerdings schon 2021 reichlich auszumachen, darunter die blinde Spekulationswut, das kindische Ausblenden der Risiken und die Beschwichtigungen der Notenbanken, dass die Inflation nur ein temporäres Phänomen sei. Schon heute lässt sich feststellen, dass diese kolossale Fehleinschätzung der Notenbanken der wohl grössten Fehlallokation von Kapital in der Finanzgeschichte Vorschub leistete. Bereits jetzt summieren sich die Verluste an Marktkapitalisierung auf viele Billionen USD.
Inflationsschub
Die von den Notenbanken genährte falsche Erwartungshaltung der Anleger ist nun plötzlich angesichts weiter steigender Inflationsraten in herbe Enttäuschung umgeschlagen. Mit 8,6% hat die Konsumenteninflation in den USA ein neues Hoch erreicht, in Deutschland sind es 7,9% und in der Schweiz immerhin 2,9%. Aber in Argentinien sind es über 50%, in der Türkei über 70%.
Bondrenditen steigen, Risiko-Aktiva im Abwärtstrend
Auch die Bond-Renditen haben ihren jahrelangen Tiefschlaf offenkundig beendet. Die 10-jährigen US-Staatsanleihen erreichen 3,4%, die der deutschen 1,6%. Ausgeprägter noch ist der Anstieg bei den italienischen Titeln, die nun mit 4,1% rentieren. Während Aktien, Bonds sowie Kryptowährungen fallen und Gold seitwärts tendiert, steigen die Preise einzig bei Rohstoffen wie vor allem Öl, Gas, Weizen und weiteren Nahrungsmitteln. Das befeuert die Inflation und inzwischen auch erkennbar die Inflationserwartungen.
Unternehmensgewinne im Fokus
Nach der monatelangen Beschwichtigung haben mittlerweile auch viele Ökonomen, Banken und Asset Manager ihre Einschätzungen angepasst. Mehrheitlich wird nun Stagflation und für 2023 eine Rezession erwartet. Die Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft wurden bereits in mehreren Runden abgesenkt. Gründe sind das Kriegsgeschehen, die Inflation, steigende Zinsen sowie die Verunsicherung von Konsumenten und Unternehmen. Dieses Gemisch dürfte sich zwangsläufig in den Unternehmensgewinnen niederschlagen.
Unerwartete Domino-Effekte
Panik ist jedoch nie ein guter Ratgeber. Es lässt sich auch argumentieren, dass die irrationalen Übertreibungen der Vorjahre inzwischen zu einem grossen Teil abgebaut sind. Viele Star-Aktien der Vorjahre – von Alibaba über Netflix bis Straumann – liegen 50% bis 80% unter ihren Höchstständen. Allerdings hat der Ausverkauf inzwischen viele Industrien erfasst, die nach und nach unter dem kumulierten Effekt von Pandemie, Krieg und Inflation leiden. Einzelhändler in den USA haben zu hohe Lagerbestände und leiden darunter, dass die Konsumenten nun doch den Gürtel enger schnallen, billigere Produkte bevorzugen und grössere Anschaffungen aufschieben. Die Transportengpässe und die steigenden Kosten sowie der Mangel an Schlüsselkomponenten wie Halbleitern sorgen für Verwerfungen in zahlreichen Industrien. Und auch die Neuordnung der Lieferketten – ob Near-Shoring oder Friend-Shoring – sorgt für Unterbrüche und steigende Kosten. Dazu kommt in nahezu allen Branchen ein mittlerweile gravierender Mangel an Fachkräften. Viele Unternehmen sind also gleichzeitig mit mehreren Herausforderungen konfrontiert, auf die sie nicht immer gut vorbereitet sind.
Krypto-Märkte in Flammen
Natürlich ist jedes Aktien-Investment an den Chancen orientiert, doch jetzt rächt sich, dass die Risiken zu lange vernachlässigt wurden. So sah es zunächst smart aus, wenn Unternehmen wie MicroStrategy Bitcoin als Reservemedium in die Bilanz aufnahmen, nach einer Drittelung des Bitcoin-Preises werden nun jedoch Kredite gekürzt. Bankfähige Sicherheiten sehen eben anders aus. Das müssen auch institutionelle wie private Krypto-Spekulanten schmerzhaft erfahren. Der Aktienkursverlauf von Coinbase, der grössten Krypto-Handelsplattform, die vergangenes Jahr an die Nasdaq ging, spricht ohne viele Worte für sich.
Korrelationen der Asset Märkte
Der Inflations- und Zinsanstieg löst eine weitreichende Kausalkette aus, deren Folgen bekannte und auch unbekannte Risiken zutage treten lassen. Die Mechanik der Kapitalmärkte umfasst alle Asset-Klassen, weshalb die Intermarket-Analyse das volle Ausmass der Zeitenwende erfasst. Nicht nur Staatsanleihen kommen unter die Räder, sondern mehr noch sogar die Corporate Bonds. Und auch an den stets als sicher eingestuften Immobilienmärkten wird das Klima frostig. Die meisten Marktteilnehmer denken linear, und eine exponentielle Entwicklung wie derzeit bei Inflation und Zinsen überfordert ihr Vorstellungsvermögen. Die Auswirkungen sind vielfältig. Höhere Zinszahlungen, egal ob für Länder wie Italien, verschuldete Zombie-Unternehmen oder Immobilienbesitzer mit hohem Leverage-Effekt, können Schuldner nach Jahren einer Near-Zero-Zinslandschaft schnell überfordern.
Das Dilemma der Notenbanken
Das ist auch zugleich das Dilemma, in das sich die Notenbanken selbst gebracht haben. Sollte beispielsweise die EZB wirklich die fast schon galoppierende Inflation wirksam bekämpfen wollen, so würden Italien und Spanien, aber auch Frankreich und Deutschland erheblich höhere Zinslasten zu schultern haben. Das würde zulasten des Wachstums und der Beschäftigungslage gehen, und damit auch die Steuerzahlungen reduzieren. In Italien könnte gar ein Staatsbankrott initiiert werden.
Gerät die Teuerung ausser Kontrolle?
Die Situation ist für die meisten Marktteilnehmer neu, weil die einzige vergleichbare Konstellation in die 1970er Jahre fällt. Am Ende der Inflations-Dekade waren die KGVs an den wichtigsten Aktienmärkten im Bereich 7 angesiedelt, in manchen Industrien auch tiefer. Die Leitzinsen waren in den USA bis auf 20% angehoben worden, um die ausser Kontrolle geratene Inflation niederzuringen. Heute sind die Notenbanken weitaus zahmer geworden und fungieren mehr als verlängerte Werkstatt der Politik. Das Primärmandat – die Stabilität der Kaufkraft – ist de facto in den Hintergrund verdrängt worden. Kein Notenbanker vom Format und der Durchsetzungskraft eines Paul Volcker ist heute erkennbar, der den Kampf gegen die Inflation ernsthaft und entschieden angehen wird.
Back to Basics
In einem solchen Umfeld ist es aus Anlegersicht klug, sich auf die eigentlichen Ziele des Investments zu besinnen. Einkommen aus Dividenden ist ein offensichtliches Ziel, Kapitalzuwachs durch Kurssteigerungen das andere. Der Markt selbst sendet Signale, welche Aktien dazu geeignet sind. Am rabenschwarzen Montag diese Woche stachen einige wenige Aktien mit Kursgewinnen hervor. Dies waren u.a. Nestlé, SKAN und CPH.
SKAN – Marktstellung, Nachfrage, Gewinnstärke
Es sind drei sehr unterschiedliche Unternehmen, die aber jeweils Pluspunkte aufweisen, die den meisten anderen Unternehmen fehlen. Die SKAN Group ist erst seit letztem Jahr an der SIX. Im April wurden die Zahlen für 2021 veröffentlicht. Demnach stiegen der Umsatz um 22,2% auf 234.3 Mio. CHF, der Auftragseingang um 39,4% auf 280.3 Mio. CHF, das EBITDA-Ergebnis um 86,1% und der Reingewinn um 84,7% auf 21.4 Mio. CHF. Die Nettogewinnmarge stieg auf 9,1%. Auch der Ausblick ist angesichts des rekordhohen Auftragsbestandes trotz der Lieferkettenproblematik positiv. Der Weltmarktführer bei Isolatoren für die aseptische Abfüllung von pharmazeutischen Impf- und Wirkstoffen ist ein Beispiel für einen Innovationsführer mit hoher Wachstumsdynamik und hoher Gewinnmarge. Die Aktien solcher Ausnahmeunternehmen können auch bei Gegenwind Investoren überzeugen.
Nestlé – Globaler Marken-Champion im Wandel
Dass Nestlé defensive Qualitäten hat, ist nichts Neues. Neu ist aber die Situation, in der Nestlé an der Börse hauptsächlich wegen dem beschleunigten Konzern-Umbau und der so erzielten höheren Wachstumsraten eine in den Vorjahren starke Performance erzielt hat. Die von Nestlé eingeschlagene Strategie hat sich nicht nur als richtig und vorausschauend erwiesen, sondern lässt nun auch noch viel Raum für die Wiederentdeckung der Aktie durch private wie institutionelle Investoren, die noch nach dem Zyklus der Sektorenrotation investieren. Nahrungsmittel, und insbesondere Markenprodukte, sind nicht verzichtbar, egal ob Rezession, Krieg, Inflation oder Zinssteigerungen die Schlagzeilen prägen. Die Nachfrage ist weitgehend inelastisch. Worauf es ankommt, ist die richtige Produktpalette, die Kontrolle über die Regale und natürlich «Pricing Power», wie sie Markenhersteller in aller Regel haben. Und Nestlé ist der Champion der Markenwelt mit Verkäufen in 186 Ländern. 31 Marken erzielen mehr als 1 Mrd. CHF Jahresumsatz. 80% des Konzernumsatzes wird mit Produkten erzielt, die in ihrem Segment einen der beiden Top-Spots belegen. Und von 14,3% E-Commerce-Anteil am Gesamtumsatz sind die meisten Hersteller von Marken-Nahrungsmitteln noch weit entfernt. Früher galten Aktien wie Nestlé als langweilige Witwen- und Waisen-Papiere, aus heutiger Sicht ist bei risikoaverser Anlagestrategie kaum eine Aktie besser geeignet.
CPH – Konsolidierungs- und Diversifikationsgewinner
Die CPH-Aktie ist während der Hausse der Wachstumsaktien lange übersehen worden. Das schrumpfende Papiergeschäft war wenig sexy, und die Aktivitäten der Sparten Chemie und Verpackung erschienen auch nicht geeignet, die Fantasie der Investoren zu inspirieren. Nach einem Kursschub zwischen 2016 und 2019 tendierte die Aktie lange seitwärts bis leicht abwärts. In 2021 wurde eine Wertberichtigung von 150 Mio. CHF auf die Produktionsanlagen im Papierbereich vorgenommen, was zu einem leicht negativen Gewinnausweis führte. Doch seit Februar 2022 zeigt die Aktie eine hohe relative Stärke und stieg gegen den schwachen Markttrend von 58 CHF auf nun 71 CHF. Für den Auftrieb sorgten anziehende Papierpreise, eine Bewegung, die noch verstärkt wurde durch den weiteren Abbau von Produktionskapazitäten in Europa sowie einem langen Streik bei einem Wettbewerber. Der jüngste Kursschub erfolgte am schwarzen Montag diese Woche, weil CPH ein herausragendes Zahlenwerk für das erste Halbjahr ankündigte. Der Umsatz wird aufgrund der höheren Papierpreise und des Wachstums der anderen Sparten mit 360 Mio. CHF erwartet. 2021 lag der Jahresumsatz bei 497 Mio. CHF. Das EBIT wird für das erste Semester mit 50 Mio. CHF erwartet und nahe 100 Mio. CHF im Gesamtjahr.
Wird der Konglomerats-Malus zum -Bonus?
Insgesamt geht die langfristig verfolgte Strategie des Konglomerats auf. Als Kostenführer im einst dominierenden Papiergeschäft hat CPH den Schrumpfungsprozess der Industrie in Europa bisher gut überstanden. Die Cashflows wurden erfolgreich zur Diversifizierung in die Bereiche Spezialverpackung für Pharmaprodukte sowie Molekularsiebe für industrielle Anwendungen eingesetzt. 2021 erzielte der Chemiebereich bei einem Umsatz von 95 Mio. CHF ein EBITDA von 21 Mio. CHF. Die beschichteten Barrierefolien für die Pharmaindustrie erzielten 171 Mio. CHF Umsatz und 12 Mio. CHF EBITDA. Beide sind jeweils weltweit auf Rang 3 in ihrer Nische. Die Eintrittsbarrieren für Wettbewerber sind hoch, die Wachstumsraten stabil. Die Aktie könnte weiter steigen, weil die Engpässe im ungeliebten Papiermarkt nun zugunsten von CPH wirken: höhere Preise, grössere Absatzmengen und höhere Margen. Unterbewertete Mischkonzerne wie CPH mit soliden Fundamentals könnten im gegebenen unsicheren Umfeld eine Wiederentdeckung an der Börse erleben. Die positive Performance der Aktie im sonst verlustreichen Jahr 2022 weist jedenfalls darauf hin.