Die Automobilindustrie befindet sich mitten im Umbruch. Der Verbrennungsmotor scheint zum Auslaufmodell zu werden. Beschleunigt wird diese Transformation nun durch den Entscheid des EU-Parlaments, ab 2035 keine Neuwagen mehr mit Verbrennungsmotoren zuzulassen. Für die in Wallisellen ansässige Reishauer Beteiligungen AG könnte dieser Entscheid gravierende Auswirkungen haben. Denn die Tochtergesellschaft Reishauer AG entwickelt und produziert in der Schweiz Spezialmaschinen zum Schleifen von Zahnrädern vorwiegend für die Automobilindustrie. Und auch die Tochter Felsomat in Deutschland baut Maschinen, die in der Produktion von Pkw-Antrieben eingesetzt werden.
Auftragseingang weit über Budget
Doch Verwaltungsratspräsident Jost Sigrist bleibt angesichts der grossen Veränderungen, welchen die Branche derzeit unterworfen ist, relativ gelassen. «Wir haben uns schon vor fünf Jahren die Frage gestellt, ob es Reishauer in Zukunft noch braucht», sagt er im Gespräch mit schweizeraktien.net. Denn Elektromotoren benötigen eine geringere Anzahl Zahnräder als Verbrennungsmotoren. Die Unternehmensgruppe entschied sich damals für eine Vorwärtsstrategie. Felsomat fokussierte sich auf vollständig automatisierte Produktionslösungen für Elektromotoren. Und auch Reishauer passte seine Schleifmaschinen mit einer neuen Generation an die höheren Anforderungen für die Produktion von Zahnrädern für Elektromotoren an.
Sigrist betont, dass Reishauer seinerzeit ein kalkuliertes Risiko eingegangen ist. Doch nun scheint sich der unternehmerische Mut auszuzahlen. «Der Auftragseingang in diesem Jahr liegt weit über dem Budget», so Sigrist. Bei den Aufträgen handelt es sich zu 80% um Maschinen für Elektroantriebe. Hier profitiert Reishauer auch davon, dass für die Produktionslinien für Elektrofahrzeuge komplett neue Maschinen benötigt werden.
Umfeld bremst die Umsatzentwicklung
Allerdings dämpft Jost Sigrist trotz der guten Auftragslage die Euphorie etwas. Denn angesichts der Lieferengpässe können die Aufträge derzeit nicht alle in der gewünschten Zeit abgewickelt werden, sodass die Umsatzentwicklung im Jahr 2022 nicht mit der guten Auftragslage mithalten kann. Hinzu kommen die Unsicherheiten bei der Entwicklung der Materialpreise. Ob das Unternehmen auf der Bottom-Line daher in diesem Jahr von dem Auftragsboom bereits profitieren kann, lässt Sigrist offen.
Obwohl sich auch die Reishauer Gruppe wie viele Firmen in der Branche mit fehlenden Fachkräften auseinandersetzen muss, ist das Problem hier nicht ganz so gross wie andernorts. Sigrist führt dies darauf zurück, dass Reishauer zu Beginn der Pandemie trotz des Auftragseinbruchs kaum Personal abgebaut hat. Auch das Bekenntnis zum Standort Schweiz, das mit dem Fabrikneubau in Wallisellen unterstrichen wird, sei für das Unternehmen und die Mitarbeitenden wichtig.
Mehr Effizienz dank Neubau
Zu mehr Effizienz in der Produktion dürfte in Zukunft das neue Produktions- und Lagergebäude beitragen, das Anfang Juni übernommen wurde. In den kommenden Wochen findet der Umzug statt. Das neue Gebäude, das am östlichen Rand des Betriebsgeländes erstellt wurde, entspricht nicht nur den neuesten Anforderungen an eine moderne Fertigung, sondern erfüllt auch aktuelle Standards in puncto Energieeffizienz. Rund 70 Mio. CHF hat Reishauer dort investiert. Als nächste Bauetappe steht der Neubau des Verwaltungsgebäudes an.
Nicht nur räumlich, auch personell hat sich die Reishauer AG für die Zukunft aufgestellt. Seit 1. Januar 2022 leitet Marcus Setterberg als CEO die Reishauer AG. Er kommt vom Kabelmaschinenhersteller Komax und war dort seit 2007 tätig, davon drei Jahre in der Gruppenleitung. Sigrist bleibt weiterhin Präsident der Reishauer Beteiligungen AG und der Reishauer AG. Mit dem neuen CEO passt das Traditionsunternehmen seine Führungsstruktur an. «Wir sind so noch besser bereit, um auf die neuen Herausforderungen zu reagieren», so Sigrist.
Fazit
Wandel in der Automobilindustrie, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg – die Herausforderungen für Reishauer sind vielfältig. Doch offenbar ist es dem Unternehmen in diesem schwierigen Umfeld bisher gelungen, die richtigen Entscheide zu treffen. Dazu zählt auch trotz der Pandemie der Entscheid, den Neubau der 70 Mio. CHF teuren Produktions- und Lagerhalle nicht zu sistieren. Ebenso war es richtig, schon frühzeitig den Trend zur Elektromobilität zu antizipieren. Die neuen gesetzlichen Regelungen in der EU werden die Transformation in der Automobilindustrie nun beschleunigen und sollten vielleicht über Jahre hinaus für einen hohen Auftragsbestand bei Reishauer sorgen. Allerdings darf noch nicht erwartet werden, dass sich der hohe Auftragseingang rasch in steigenden Umsätzen und erhöhter Profitabilität niederschlägt. Dafür gibt es noch zu viele Unbekannte im Markt. Sobald diese gelöst sind, könnte sich dies doppelt positiv für die Aktionäre auswirken. Denn an der diesjährigen GV wurde die Reduktion des Aktienkapitals um 5% und die Vernichtung von 500 Aktien beschlossen, was zu einer Gewinnverdichtung führt.
Für Aktionäre mit einem längerfristigen Zeithorizont sind die Aktien, die zuletzt auf OTC-X bei 41’000 CHF gehandelt wurden, weiterhin attraktiv. Zwar wird die Nettoliquidität, die per Ende 2021 noch bei rund 25’000 CHF je Aktie lag, durch die Finanzierung der nächsten Bauetappe und der Vorfinanzierung der Aufträge weiter abnehmen. Dennoch verfügt das Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von 65% weiterhin über eine solide Bilanz und ist somit für die Zukunft gut gerüstet.