Im Video-Update diskutiert das Portfoliomanagement-Team der Bellevue Entrepreneur Fonds Familie – Birgitte Olsen, Michel Keusch und Laurent Picard – über ihre Stock-Picking-Gedanken und die «Do’s and Don’ts» in Zeiten bemerkenswerter Marktverwerfungen.
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Frau Olsen, zunächst ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen an den Aktienmärkten. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Birgitte Olsen: Nach dem Krieg in der Ukraine kam es zu massiven Marktverwerfungen. Die Sektoren Energie und Rohstoffe sind über Nacht in die Höhe geschossen, während Technologie- und Einzelhandelswerte um 25 bis 30% seit Jahresanfang verloren haben. Der europäische Stoxx 600 ist insgesamt zwar nur um 8% gefallen, aber dahinter verbergen sich grosse Diskrepanzen. Bei den wachstumsstarken Aktien ist die Blase mit Korrekturen von 50-60% geplatzt. Zyklische Industrie- und Konsumwerte werden aktuell zu historisch tiefen Bewertungen gehandelt. Small Caps haben unterperformt. Nicht alles davon ist rational. Wir sehen viele Opportunitäten in einem sehr fruchtbaren Boden für Stockpicking.
Im aktuellen Kontext der makroökonomischen und geopolitischen Situation gibt es 5 Hauptthemen, die wir mit Unternehmen diskutieren. Diese sind: Inflation, Wachstum, Wiedereröffnung, Energie und ESG.
Nehmen wir das Thema Inflation. Wie ist Ihre Einschätzung?
Olsen: Die Inflation ist in der Tat ein wichtiges, wenn nicht das Thema. In weniger als einem Jahr haben wir uns von einer vernachlässigbaren Inflation über eine hohe, aber vorübergehende Inflation hin zu einer Situation entwickelt, in der die Inflation nun ein Niveau erreicht, das seit den 80er-Jahren nicht mehr gesehen wurde. Während sich die Energie-, Rohstoff- und Transportkosten wahrscheinlich irgendwann normalisieren werden, sehen wir auch Faktoren wie Reshoring oder die Notwendigkeit von mehr erneuerbaren Energien, die sich wahrscheinlich auf die Kosten und Preise in den LT auswirken werden. Auch wenn wir uns derzeit nahe dem Höhepunkt der Inflation befinden könnten, gibt es Gründe für die Annahme, dass die neue Normalität längerfristig höher ist.
Wie kann man sich schützen? In diesem Zusammenhang bevorzugen wir Unternehmen mit einer starken Preissetzungsmacht, hohen Margen, geringem Investitionsbedarf und einer soliden Bilanz. Da die Inflation mit höheren langfristigen Zinssätzen einhergeht, ist der Markt zu Recht sehr viel selektiver bei der Bewertung geworden, und wachstumsstarke Aktien haben den Preis dafür bezahlt.
Können Sie uns ein Beispiel für eine inflationsgeschützte Aktie nennen?
Laurent Picard: Die Nachfrage nach IT-Dienstleistungen ist derzeit stärker denn je. Cybersicherheit und Cloud – um nur einige Wachstumstreiber zu nennen – sind keine Optionen mehr, sondern ein Muss für Unternehmen. Der IT-Dienstleistungssektor gewinnt wieder an Preissetzungsmacht und dürfte sich im Falle einer Konjunkturabschwächung als widerstandsfähig erweisen. Innerhalb des Technologiesektors ist es auch erwähnenswert, dass das Segment nicht von Problemen in der Lieferkette betroffen ist.
Mein Top-Titel ist Sopra Steria. Aufgrund des starken Geschäftsmixes, der ein Wachstum über dem Branchendurchschnitt erwarten lässt. Besserer operativer Leverage dank seiner Bankensoftware und seines Preismachtpotenzials. Bei einem EBIT von 8,5x ist die Bewertung sehr attraktiv, da ich ein EPS-Wachstum von deutlich über 10% erwarte.
Wenn wir uns jetzt den zweiten Punkt, Wachstum anschauen. Welche Rahmenbedingungen finden wir hier vor?
Olsen: Nach einer starken post-Covid-Erholung wurde das BIP-Wachstum aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Lockdowns in China stark nach unten korrigiert.
Die Zentralbanken stehen nun fest im Lager der Falken, und ihre Fähigkeit, eine weiche Landung zu orchestrieren, wird infrage gestellt. Dennoch sind die Aussichten für die Endnachfrage gar nicht so schlecht, sowohl was den privaten Verbrauch als auch die öffentlichen und Unternehmensausgaben betrifft. Der Arbeitsmarkt ist sehr unterstützend, und Haushalte haben Ersparnisse, die sie abbauen können. Im öffentlichen Bereich warten eine Reihe von Programmen darauf, umgesetzt zu werden. Die Notwendigkeit eines Planes zur Sicherung der Energieunabhängigkeit kommt jetzt hinzu.
In diesem Zusammenhang konzentrieren wir uns auf qualitativ hochwertige Unternehmen mit geringer oder keiner Verschuldung und auf Nischenunternehmen mit intakten Wachstumschancen.
Sind Transportunternehmen beispielsweise solche Nischenunternehmen?
Michel Keusch: Ja, man könnte meinen, das derzeitige Umfeld sei für Transportunternehmen sehr herausfordernd, durch den Lockdown in China, die überlasteten Häfen und das unsichere Wachstum. Jedoch ist das eher eine Opportunität.
Speditionsunternehmen profitieren von der zunehmenden Komplexität der Lieferketten, da ihre Kunden dringende Probleme zu lösen haben, was zusammen mit einer guten Preisgestaltung neue Möglichkeiten schafft. Ausserdem üben Unterbrechungen der Lieferketten einen Aufwärtsdruck auf die Frachtraten aus, was die Rentabilität der Spediteure erhöht. Wir glauben, dass die Raten noch eine Weile auf hohem Niveau und weit über dem Vorkrisenniveau bleiben werden, was auch für KN gut ist.
Interessanterweise wird das Unternehmen zu niedrigeren Multiplikatoren gehandelt als vor der Covid-Krise, obwohl es in einer besseren Verfassung ist. Kleinere Marktteilnehmer haben es schwer, und die hohen Investitionen von KN in die Digitalisierung tragen dazu bei, Marktanteilsgewinne zu beschleunigen.
Gibt es noch weitere Beispiele, die Sie uns hier nennen könnten?
Picard: Ipsos ist eines der führenden Marktforschungsunternehmen der Welt. Was gefällt uns also?
Erstens ist die Nachfrage stärker, als die Investoren im Allgemeinen denken. Das liegt daran, dass die Welt immer komplexer und unvorhersehbarer wird und der Bedarf an einem echten Verständnis des Verhaltens der Verbraucher und des Einzelnen steigt. Ipsos verzeichnet wieder ein Umsatzwachstum von +5 % und könnte sich noch weiter steigern.
Wir erwarten auch eine bessere Widerstandsfähigkeit im Falle eines wirtschaftlichen Abschwungs. Der Investment Case ist nicht von Energie-, Rohstoff- oder Lieferkettenproblemen betroffen. Was die Rentabilität betrifft, so ist Digital dabei, den operativen Leverage strukturell zu verbessern, und wir sehen ein erhebliches Margensteigerungspotenzial, das über den Konsenserwartungen liegt.
Und schliesslich ist die Bewertung sehr attraktiv: Trotz seiner robusten Outperformance wird Ipsos mit einer FCF-Rendite von 10 % und einem KGV von 10 gehandelt, was ein gutes Sicherheitspolster darstellt.
Lassen Sie uns das Thema der Wiedereröffnung ansprechen, welches für einige Sektoren vor dem Hintergrund des insgesamt geringeren Wirtschaftswachstums durchaus relevant ist. Wo stehen wir hier?
Keusch: Ja, nach mehr als zwei Jahren weltweiter Schliessung ist das Thema der Wiedereröffnung natürlich ein wichtiges und sehr starkes Thema.
Gleichzeitig ist es aber auch ein heikles Thema, da viele der Segmente bereits durchgespielt oder sogar überspielt wurden, wie z. B. E-Commerce-Aktien, die in diesem Jahr stark korrigiert haben. Man muss selektiv vorgehen, und die Bewertung ist für uns entscheidend. Einige Themen haben noch Potenzial.
So zum Beispiel der Tourismus, da der Urlaub für die Verbraucher zu einer neuen wichtigen Ausgabepriorität wird. Die Hotel- und Flugbuchungen für den Sommer, die bereits über dem Niveau vor der Pandemie liegen, zeugen davon.
LastMinute.com ist ein gutes Beispiel für dieses Thema. Das Small-Cap-Unternehmen ist börsentechnisch noch relativ unbekannt, profiliert sich aber als wichtiger Akteur in der Nische der Online-Pauschalreisedienste. LastMinute.com dürfte sowohl von der allmählichen Normalisierung der Nachfrage nach Freizeitreisen als auch von der zunehmenden Durchdringung des Online-Vertriebskanals profitieren, die derzeit erst bei 50% liegt.
LastMinute verfügt über eine exzellente Technologie-Plattform, die die Beschaffung und Preisgestaltung in Echtzeit ermöglicht, wodurch das Unternehmen Marktanteile gewinnen kann. Dieses starke Wachstum ermöglicht eine starke operative Hebelwirkung, und die Margen dürften in diesem Jahr höher sein als vor der Pandemie. Da die Aktie mit einem erheblichen Abschlag gegenüber ihren Konkurrenten gehandelt wird, erwarte ich eine deutliche Neubewertung der Aktie.
Abschliessend noch die wichtigen Themen Energie und ESG, die sicherlich auch zusammengehören. Wo schauen Sie hier nach Unternehmen?
Olsen: Angesichts explodierender Energiekosten und hoher geopolitischer Risiken bleibt die Energiewende ein zentrales Thema. Sowohl aus politischer als auch aus gesellschaftlicher Sicht. Trotz des herausfordernden makroökonomischen Umfelds wird ESG also weiterhin für Unternehmen und Investoren von grosser Bedeutung sein.
Wir suchen nach potenziellen Lösungsanbietern mit einem intakten ESG-Profil: Beispiele sind Lundin Energy, SBO, Prysmian und Nexans, Burckhardt Compression, Wärtsilä oder Stora Enso. Oder auch die mittelfristig sehr stark abgeschwächten erneuerbaren Titel Gurit, Nordex und Vestas.
Meine Lieblingsaktie, die diese beiden Kriterien erfüllt, ist Subsea7. Subsea besitzt Schiffe und Ingenieure und hat sich von einem Öl- und Gasserviceunternehmen zu einem erfolgreichen EPCI-Spezialisten für Offshore-Windkraftanlagen entwickelt.
In beiden Segmenten ist eine starke Beschleunigung der Aktivitäten zu beobachten, und das Kapazitätsangebot wird bald knapp werden. Die Investitionen in Offshore-Anlagen sind 2022 so hoch wie seit 2013 nicht mehr, nachdem 10 Jahre lang zu wenig investiert wurde. Die Bedingungen verbessern sich, und die Verträge können mit höherer Rentabilität abgeschlossen werden. Dieser Zyklus steht erst am Anfang und wird in seinem Ausmass und seiner Dauer noch unterschätzt.