Nach dem Ende der Tiefzins-Phase und dem Aufkommen von Inflation ist auch die Party-Stimmung an den Aktienbörsen fürs Erste einem ausgeprägten Kater gewichen. Die meisten Sektoren bleiben an der Börse im Korrekturmodus. Doch der richtungsweisende Nasdaq Biotech-Index hat sein Doppel-Tief in den letzten vier Wochen erst einmal kraftvoll überwunden. Eine Chance für versierte Investoren?
Auch wenn es heutzutage oft heisst, dass gutes „Timing“ reine Glückssache sei und es deshalb besser wäre, einfach immer investiert zu bleiben, so bleibt doch unbestreitbar, dass das Ausmass des Gewinns stets vom mehr oder weniger günstigen Einkauf abhängt. Das ist sogar das Wesentliche im Investment-Geschäft.
Vakzin-Hersteller werden in 1 Jahr zu Haushaltsnamen
Mit dem Aufkommen der Covid-Pandemie 2020 und der fast verzweifelten Suche nach Lösungen zur Eindämmung stieg die Biotechnologie ganz allgemein und insbesondere an der Börse zu einer nie gekannten Prominenz auf. Auch wenn zunächst niemand, abgesehen von wenigen Experten, mit Namen wie Moderna, Biontech oder Novavax etwas anzufangen wusste, spätestens 2021 waren die genannten Unternehmen zu regelrechten „Haushaltsnamen“ geworden, die jedes Kind und jeder Rentner kannte.
Die Covid-Hausse im Rückblick
Diese plötzliche Popularität übertrug sich auch auf das Börsengeschehen. Nicht nur die Impfstoffentwickler aus der Biotechnologie, sondern auch Unternehmen aus den Bereichen Diagnostika und Therapeutika sowie Zulieferer und Contract Manufacturer hatten an der Börse einen guten Lauf. Bei manchen Aktien war die euphorische Einschätzung der Anleger durchaus begründet, bei anderen weniger. Die sich entwickelnde Spekulationsblase verschaffte auch Hoffnungswerten die Gelegenheit, mit einer passenden „Equity Story“ die Fantasie der Investoren zu entzünden und beim IPO beachtliche Summen einzuwerben. Viele konnten die hohen Erwartungen allerdings nicht, oder manchmal noch nicht, erfüllen.
Risiken und Wahrscheinlichkeiten
Egal ob Biotech oder Big Pharma, viele Impf- und Wirkstoffkandidaten zeigten in den klinischen Studien keine bedeutende Wirksamkeit oder brachten zu viele oder starke Nebenwirkungen mit sich. Es liegt in der Natur der Sache, dass im Geschäft der forschenden Arzneimittelhersteller Wahrscheinlichkeiten eine grosse Rolle spielen. Nicht jeder Kandidat schafft es bis zur Zulassung und nicht jeder Kandidat wird zum Blockbuster!
Spreu und Weizen
Schlechte Studienergebnisse oder die nicht erfolgte Zulassung durch FDA und EMA lösten grossenteils dramatische Kurskorrekturen aus, vor allem bei den Aktien derjenigen Unternehmen, die keine sonstigen Umsatzerlöse erzielen, weil sie noch keine Produkte am Markt haben. Angesichts der veränderten Zinslandschaft werden die erwarteten zukünftige Unternehmensgewinne mit einem höheren Zinssatz diskontiert, was zu einer tieferen Bewertung in der Gegenwart führt.
Opfer des irrationalen Überschwangs
Es ist eben immer das Problem, dass euphorische Wellen an den Börsen nachdem eine Technologie ihren Durchbruch erlebt hat, auch viele Trittbrettfahrer und Etikettenschwindler anlocken. Da sich die meisten Anleger bis heute nicht wirklich mit der Viruspandemie beschäftigt haben, aber bei „heissen“ Aktien unbedingt dabei sein wollten, forderte der „irrationale Überschwang“ eben auch Opfer.
NBI dreht nach oben
Das Gute an der Börse ist, dass Über- und Unterbewertungen zwar zeitweilig fortdauern können, doch über kurz oder lang funktionieren die Selbstreinigungskräfte der Börse immer. Der NBI erreichte sein historisches Hoch im August 2021 bei 5’517 Punkten. Das Doppeltief unter 3’400 Punkten wurde im Mai und Juni 2022 ausgelotet. Bis Anfang Juli folgte eine starke Trendwende, die den Index bis über 4’000 Punkte anhob.
Merck will Seagen
Einer der Gründe ist, dass die angekündigte Übernahme der auf Onkologie spezialisierten Seagen, vormals Seattle Genetics, durch den Pharmariesen Merck auf die hohe Attraktivität von im Zuge der Korrektur günstig gewordenen Biotech-Unternehmen aufmerksam gemacht hat. Nach Höchstkursen von knapp über 200 USD war die Aktie im Mai bis auf 108 USD abgestürzt. Eine Rolle spielte dabei auch, dass der CEO wegen angeblicher häuslicher Gewalt verhaftet worden war und schliesslich von dem Posten zurücktrat. Der Kurs erholte sich nach dem Ende der Ära Siegall schnell auf 130/140 USD bevor dann Gespräche zwischen Merck und dem aktuellen Management bekannt wurden, was den Kurs nochmals anschob. Im Gespräch sind 40 Mrd. USD, gegenwärtig liegt die Market Cap noch bei rund 33 Mrd. USD.
Die Zielgesellschaft
Seagen hat vier zugelassene Antikörper-Therapeutika am Markt, die im ersten Quartal für Umsätze von 383 Mio. USD sorgten, ein Wachstum von 27%. Für das Gesamtjahr werden 1.7 Mrd. USD erwartet. Die vier Antikörper lassen sich unterschiedlich kombinieren und gegen verschiedene Krebsarten einsetzen. Hierzu laufen Studien, nach deren Abschluss wohl Zulassungen weiterer Indikationen folgen. Weiterhin hat Seagen rund ein Dutzend weiterer Antikörper in den klinischen Studien.
Wenn der Patentschutz abläuft
Merck ist ein Riese im Pharmageschäft und ist deshalb auch mit riesigen Herausforderungen konfrontiert. Mehrere Blockbuster, also Medikamente mit Milliardenumsätzen, werden in den nächsten Jahren den Patentschutz verlieren. Insgesamt sind durch den Patentablauf von Mega-Blockbustern laut FDA Umsätze von über 250 Mrd. USD p.a. betroffen.
Übernahme mit Signalwirkung
Bereits im Mai hatte Pfizer für 11.6 Mrd. USD das auf Neurologie spezialisierte Unternehmen Biohaven übernommen. Das Unternehmen hat die Zulassung für ein innovatives Migräne-Therapeutikum mit grossem Marktpotential erhalten. Die Prämie lag bei 80% zum Börsenkurs und zeigt, welches Potenzial in der gegenwärtigen relativen Unterbewertung der Branche liegt. HBM Healthcare war mit 0.6% an Biohaven beteiligt und profitierte vom Takeover.
Profil guter Zielgesellschaften
Allerdings sind nicht alle Unternehmen auch Übernahmekandidaten. Big Pharma ist zwar in geringem Umfang auch in früheren Phasen involviert, bevor jedoch Milliardenbeträge in innovative Technologien und Wirkstoffkandidaten investiert werden, müssen möglichst alle oder zumindest viele der Hürden auf dem Weg zur Zulassung schon genommen sein. Beispielsweise war Merck bereits 2020 bei Seagen mit einer kleineren Beteiligung eingestiegen. Und auch Pfizer hatte sich bei Biohaven bereits 2021 mit 2,6% eingekauft. Die Übernahmen folgen jeweils der industriellen Logik, dass die Biotech-Unternehmen Innovationen hervorbringen, die erst mit der Verkaufspower der Big Pharma-Unternehmen auch den Weg zu den Patienten finden. BB Biotech profitiert von der am 23. Juni bekanntgegebenen Übernahme von Radius Health durch die Finanzinvestoren Gurnet Point Capital und Patient Square Capital. Die Prämie betrug 63,8%.
Evolution und Finanzierungsbedingungen
Dieser Zyklus der Übernahme von Biotech-Unternehmen durch Big Pharma ist nicht neu. Neu sind aber die Marktbedingungen. Big Pharma Repräsentanten wie Merck und Pfizer haben reichlich Cash und die Blockbuster generieren auch weiterhin einen starken Cash-Flow. Den gilt es so einzusetzen, dass Wachstum und Gewinn auch zukünftig positiv ausfallen und so die Aktionäre bei der Stange halten. Umgekehrt sind die meisten reiferen Biotechs heute in einer viel besseren Verfassung als in früheren Phasen der Evolution der Industrie. Während es beispielsweise in den 1990er Jahren, nachdem sich die erste Euphorie gelegt hatte, über weite Strecken für Biotechunternehmen kaum Finanzierungsmöglichkeiten gab, sind diese heute in aller Regel gut finanziert.
Das zeigt sich auch daran, dass sie die teuren klinischen Studien und die Zulassungsanträge überwiegend selbst bezahlen. Sie haben die exzellenten Kapitalmarktbedingungen und die blendende Stimmung der Investoren während der vergangenen Jahre genutzt, um sich bei geringer Verwässerung für die Aktionäre mit reichlich Kapital zu versorgen. Offensichtlich wurden die Lektionen der wechselhaften Geschichte der Biotechnologie während der letzten drei Dekaden gelernt.
Mehrwert der Beteiligungsgesellschaften
Das gilt nicht nur für industrielle Käufer von Biotech-Beteiligungen, sondern auch für die spezialisierten Beteiligungsgesellschaften wie BB Biotech und HBM Healthcare, die beide an der SIX kotiert sind. Ihr Geschäft besteht darin, die richtigen Technologien, Indikationsgebiete und Unternehmen zu identifizieren, in die sie dann, meist langfristig, investieren. Die Strategien sind unterschiedlich, beide Beteiligungsgesellschaften sind aber schwerpunktmässig in den USA engagiert.
Bei HBM wird bevorzugt schon in frühen Phasen mit dem Aufbau von Positionen begonnen, die manchmal aber noch nach dem IPO gehalten werden. BB Biotech ist zwar auch im vorbörslichen Bereich engagiert, doch der Focus liegt auf börsenkotierten Aktien. Weiterhin ist das Beteiligungsportfolio eher konzentriert. Auf die 10 Top-Positionen entfallen Ende Juni 2022 volle 68,8% der Aktiva. Mehr zu den Feinheiten und Unterschieden findet sich in einem Vorgängerbeitrag von Februar 2021.
Performance der Beteiligungsgesellschaften
Worauf es den versierten Beteiligungsgesellschaften ankommt, ist für ihre Aktionäre durch eine gute Auswahl der Investments und gute Kauf- und Verkaufspreise, also Timing, eine überdurchschnittliche Wertsteigerung des Portfolios zu erzielen. Und das ist sowohl BB Biotech wie auch HBM Healthcare in der Betrachtung über längere Zeiträume gut gelungen. So hat die Aktie von BB Biotech zwar im letzten Jahr per 30. Juni 31,2% verloren, aber über einen 10 Jahreszeitraum dennoch eine Performance von 19,6% p.a. gebracht. Und auch seit dem Start 1993 errechnet sich eine beachtliche Wertsteigerung von 2’380%, oder 11,9% p.a.
HBM Healthcare ist seit 2008 an der SIX und verlor seit Jahresbeginn 21,8%, doch in der 10 Jahresbetrachtung beträgt die Performance dennoch 23% p.a. Beide Aktien dürften zu den Top-Performern der letzten 10 Jahre an der SIX zählen!
Beeindruckende Dividendenhistorie
Ein Grund hierfür ist auch die kontinuierlich erhöhte Dividende in den vergangenen Jahren. Auf aktuellem Kursniveau liegt sie bei 3,5% im Fall HBM Healthcare und 5% bei BB Biotech. Die üppigen Ausschüttungen resultieren aus den steigenden Gewinnen bei der Realisierung der Investments. Das kann im Rahmen von Börsengängen der Beteiligungsgesellschaften sein, bei und nach denen Altaktionäre schrittweise Aktien abgeben. Es können Akquisitionen von Beteiligungen durch industrielle Käufer sein oder auch Finanzinvestoren. Auch wertstiftende Merger kommen vor.
Kaufsignal nach NBI-Trendwende
Die Korrektur der zuvor heiss gelaufenen Biotechs scheint mit der Trendwende des NBI abgeschlossen. Wenn es auch noch dauern mag, bis das IPO-Fenster für Biotech wieder weit geöffnet ist, für professionelle Käufer, die rechnen können, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um wie Merck und Pfizer auf ermässigtem Preisniveau solche Unternehmen zu erwerben, die erste innovative Produkte am Markt haben oder zumindest die Zulassung erhalten haben. Mit Produkten amortisieren sich die Investitionen schnell und oft steckt ja noch mehr in der Pipeline oder die Indikationsgebiete werden sukzessive ausgeweitet.
Big Pharma unter Handlungsdruck
Sowohl bei HBM Healthcare wie bei BB Biotech finden sich zahlreiche herangereifte Biotechs, die nun den Appetit von Big Pharma wecken. Der Ablauf des Patentschutzes bei den Blockbuster-Medikamenten muss kompensiert werden. Die eigenen Forschungsabteilungen sind meist auf einige Indikationsgebiete konzentriert und können nicht in jeder neuen Technologie mitmischen. Zudem hat das chemisch-pharmazeutische Zeitalter schon vor Jahren seinen Zenit überschritten, denn die Mehrheit der neu zugelassenen Wirkstoffe stammt längst aus der Biotechnologie!
Timing
Der Zeitpunkt scheint gut, denn im Gegensatz zu den meisten anderen Industrien bringen die Life Sciences immer mehr und immer schneller Innovationen hervor, die noch vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbar waren. Wichtiger noch als der medizinische Fortschritt per se ist aber die Zielsetzung: Patienten zu heilen oder zumindest den Krankheitsverlauf zu bremsen und so bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Forschung ist teuer, und daher ist es auch legitim, wenn diejenigen, die die Risiken zu tragen bereit sind, eine überdurchschnittliche Rendite erzielen.