Meistens sind es die Börsengänge von privat gehaltenen Unternehmen, die für Schlagzeilen sorgen, bei Bobst hingegen soll es andersherum laufen. Im Fachjargon wird das «Going Private» genannt. Börsenkotierten Unternehmen wird von den Investoren in aller Regel eine höhere Bewertung zugestanden als privaten. Das ist sogar meistens ein wichtiges Motiv der Altaktionäre, wenn ein Unternehmen an die Börse gebracht wird. Aber welchen Sinn macht im aktuellen Umfeld der Rückzug von der Börse? Und haben die Hauptaktionäre überhaupt noch die gleichen Interessen wie die freien Aktionäre?
Ein einigermassen gutes Börsenumfeld vorausgesetzt, wird ein privat gehaltenes, gutes und profitables Unternehmen durch den Börsengang ohne Weiteres 20% bis 40% mehr wert sein. Hauptgründe sind die Fungibilität der Anteile, der verbesserte Zugang zum Kapitalmarkt und die dadurch verbesserte Wachstumsprognose sowie die erhöhte Visibilität des Unternehmens.
Public-to-Private Equity
In den meisten Perioden funktioniert die Arbitrage Private-to-Public Equity gut, weil die Aktienmärkte meist von Optimismus geprägt und die Investoren bereit sind, die Prämie für Public Equity zu bezahlen. Das ist nicht zuletzt das lukrative Geschäftsfeld der Private Equity Industrie. Doch in Zeiten von Inflations- und Zinsanstieg sowie grassierenden Rezessionsängsten wandelt sich die Prämie, die für Anteile an börsenkotierten Unternehmen bezahlt wird, nahezu regelmässig in einen Discount. So, wie in der laufenden Baisse des Jahres 2022.
Bewertung und Performance
Auf Basis des für 2022 prognostizierten Gewinns und des aktuellen Aktienkurses errechnet sich bei Bobst ein KGV von lediglich 11. Das ist wenig. Allerdings hat auch die Aktie in den vergangenen Jahren, abgesehen von Schwankungen, wenig Performance gebracht. Selbst in der Langfristbetrachtung liegt der aktuelle Kurs nicht höher als der in den Jahren 2000 und 2001.
Ein guter Preis?
Daher mag es für manche der freien Aktionäre durchaus Sinn machen, ihre Bobst-Aktien zu 78 CHF entsprechend dem Angebot anzudienen und damit für sich einen Schlussstrich unter das Engagement zu ziehen. Das ist verständlich und nachvollziehbar. Und auch nicht falsch, denn der Durchschnittspreis der letzten drei Jahre liegt deutlich unter dem Angebotspreis. Eine andere Sichtweise hat Adrian Lechthaler vom Vermögensverwalter Peter J. Lehner & Partner. Er sagt: «Bobst hat in den letzten Jahren den Maschinenpark digitalisiert und stark im neuen Geschäftsfeld Digitaldruck oder im Bereich der Nachhaltigkeit investiert. Dieser unternehmerisch richtige Entscheid lastet kurzfristig auf der Profitabilität, wird sich jedoch mittelfristig auszahlen und hält die Konkurrenten fern. Der innere Wert von Bobst liegt deutlich über CHF 78.»
Fairness Opinion von KPMG
Der Angebotspreis von 78 CHF liegt indes am untersten Ende der bis 86 CHF reichenden Spanne, die KPMG in einer «Fairness Opinion»für angemessen hält. Das Dokument ist auf der Homepage von Bobst abrufbar. Es wurde im Auftrag des Verwaltungsrates erstellt. Und der Verwaltungsrat empfiehlt die Annahme des Angebots.
Ziel: Privatisierung
Das Angebot stammt von Hauptaktionär JBF, der 53% der Aktien hält. Dort sind die Interessen von rund 60 Familienaktionären gebündelt. Die Jüngeren repräsentieren die fünfte Generation des 1890 gegründeten Unternehmens. Ziel des Angebots ist das Taking-Private und somit die Dekotierung der Aktie von der SIX.
Plausible Argumente wie aus dem Lehrbuch
Die Begründung ist ebenso so plausibel wie stereotyp bei Going-Private-Transaktionen. Neben den Kosten und dem erhöhten regulatorischen und administrativen Aufwand als börsenkotiertes Unternehmen fällt aus Unternehmenssicht vor allem ins Gewicht, dass die unternehmerische Freiheit als privat gehaltenes Unternehmen zunimmt, beispielsweise müssen M&A-Transaktionen nicht mehr angekündigt werden. Ein weiterer Punkt ist der Schutz der Wettbewerbsposition, da viel Relevantes bei einem privaten Unternehmen einfach Interna ist und kein Grund mehr für eine Veröffentlichung besteht. Marktkenner Lechthaler ergänzt: «Bobst könnte auf eine Segmentberichterstattung verzichten und damit mit anderen kotieren Midcaps gleichziehen, die gewisse Profitabilitätszahlen aus Wettbewerbsgründen nicht ausweisen möchten.»
Generationenwechsel
Abgesehen von den in perfektem «Financial Speak» formulierten Gründen drängen sich bei der strukturalen Analyse weitere Motive auf. Die günstige Bewertung mit 68 CHF je Aktie vor Abgabe des Angebots ist bestimmt für das Timing ausschlaggebend gewesen. Die Entscheidung, das Taking Private konkret in die Tat umzusetzen, ist nicht über Nacht gefallen, sondern im Rahmen eines Prozesses der Willensbildung von 60 Familienmitgliedern. Im Vordergrund steht der Generationenwechsel zu der fünften Generation, die rund 25 der 60 Familienaktionäre stellt.
Die Sonderdividende
Ein Hinweis auf die Planung der Transaktion ist auch die Ausschüttung einer Sonderdividende von 6 CHF je Aktie zuzüglich den regulären 2 CHF vor einigen Monaten. Die gesamte Dividendensumme belief sich auf 135 Mio. CHF, wovon über die Hälfte an JBF floss. Der damals als Grund genannte Hinweis auf Negativzinsen war jedoch angesichts der Zinswende infolge der steigenden Inflationsraten bereits wenig überzeugend. Dazu meint Adrian Lechthaler: «Umso mehr, da Bobst bis anhin nicht für eine grosszügige Dividendenpolitik bekannt war und bei der Kapitalallokation erhöhte Investitionen in die Digitalisierung und Nachhaltigkeit bevorzugte.»
Free-Float und Dekotierung
Sollten jetzt alle Aktien angedient werden, würde sich der Aufwand für JBF auf rund 610 Mio. CHF belaufen. Werden nicht alle Aktien zu 78 CHF angedient, könnte das Angebot erhöht werden. Der höhere Preis wäre dann aber auch für die bereits angedienten Aktien massgeblich. Die Differenz müsste nachvergütet werden. Laut Reglement der SIX könnte der Verwaltungsrat von Bobst bis Ende Jahr über die Dekotierung entscheiden, sofern der Free-Float auf um die 20% abgesunken ist. Die GV könnte dann bereits Anfang 2023 mit zwei Drittel Mehrheit die Dekotierung beschliessen, die dann bis Ende des ersten Quartals umgesetzt werden kann.
Der Verlauf bleibt offen
Da das Übernahmeangebot an keine Bedingungen geknüpft ist, bleibt der weitere Verlauf offen. JBF wäre wohl auch zufrieden, wenn nicht alle Aktien angedient werden. Ein Squeeze-out-Verfahren ist allerdings erst ab der Schwelle von 98% Anteilsbesitz möglich. Theoretisch würde die Schwelle auf 90% sinken, wenn eine Fusion von Bobst mit JBF durchgeführt werden würde, doch das ist explizit nicht das Ziel.
Andienen oder nicht?
Wahrscheinlicher ist, dass 10% bis 20% der Anteile bei Minderheitsaktionären bleiben, weil sie sich zu 78 CHF oder auch zu einem möglicherweise verbesserten Preis nicht von ihren Bobst-Aktien trennen wollen. Dazu können auch langfristig orientierte institutionelle Value-Investoren wie der SaraSelect Small- und Midcap Fonds gehören. Der SaraSelect Fonds hält 3% der Bobst-Aktien und war damit bis vor kurzem nach JBF der zweitgrösste Anteilseigner. Erst Anfang September hat sich mit Samson Rock Capital ein Hedge Fund aus London mit 3,43% eingekauft. Ziel dieses Engagements könnte ein höherer Angebotspreis sein.
Ausserbörslicher Handel auf OTC-X?
Einen weiteren Grund nennt Lechthaler: «Auch rund 80 Führungskräfte von Bobst sind durch Beteiligungs- und Anreizprogramme Aktionäre oder werden es noch. Folglich sollte es nach dem Rückzug von der Börse auch aus Unternehmenssicht noch einen Exit-Kanal geben.» Und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass Bobst zwar die SIX verlässt, die Handelbarkeit der nicht angedienten Aktien aber ausserbörslich, wie auf OTC-X, erhalten bleibt. Schon bisher ist die geringe Liquidität der Bobst-Aktie ein wiederkehrender Kritikpunkt gewesen.
Aktienumsatz hat sich erhöht
Auch im Fall des ausserbörslichen Aktienhandels wird das Unternehmen wohl weiterhin Finanzresultate veröffentlichen. Bobst hat zwei börsenkotierte Obligationen ausstehen und dürfte auch in Zukunft Fremdkapital benötigen. Etliche Small- und MidCap-Fonds dürfen gemäss ihren Statuten gar keine OTC-Aktien halten und müssen deshalb das Angebot vor der Dekotierung annehmen. Darauf weist auch das über dreimal höhere Aktienhandelsvolumen der letzten Wochen im Vergleich zu der Zeit davor hin.
Pro und Kontra des Angebots
Gegen die Annahme des Angebots spricht, dass der Preis zwar für den Käufer attraktiv ist, nicht jedoch für die freien Aktionäre. So lagen die Kursziele der Analysten vor dem Angebot in einer Bandbreite von 74 CHF bis 110 CHF, im Durchschnitt bei 92 CHF. Legt man die üblichen Bewertungsmassstäbe an, entspricht der Angebotspreis einem für 2022 geschätzten KGV von 11, einem EV/EBITDA-Verhältnis um 7.5 und einem EV/EBIT-Verhältnis von 10. Es ist jedoch auch richtig, dass der Angebotspreis höher ist, als die Marktteilnehmer davor zu zahlen bereit waren.
Premium-Qualität – Premium-Preise
Da Bobst ein einzigartiges Unternehmen ist, das mit keinem anderen 1:1 vergleichbar ist, bringen Peer-Group-Analysen von börsenkotierten Unternehmen allenfalls Annährungswerte. Das Geschäftsmodell ist in der Nische der Verpackungs- und Etikettiermaschinen unique. Ebenso die Marktstellung als Premium-Anbieter, was einen Teil des Charmes in Form der Pricing Power ausmacht. Grob gesprochen liegt die Bewertung von Bobst in der gleichen Bandbreite wie die von Krones, König & Bauer, Brother Industries und Hewlett Packard. Über durchaus vergleichbare privat gehaltene Unternehmen sind während der letzten Jahre keine M&A-Transaktionen bekannt geworden, sodass sich keine Indikationen zu Marktpreisen ergeben.
Wachstumstreiber E-Commerce
Der E-Commerce hat seit Beginn der Pandemie einen Wachstumsschub erhalten, der wiederum die Kunden von Bobst zu hohen Investitionen veranlasst. Auch seit Beginn des Krieges in der Ukraine nehmen die Bestellungen zu, der Auftragsbestand bleibt hoch. Von den inflationären Tendenzen ist Bobst auch betroffen, doch haben die Preiserhöhungen in 2021 und 2022 zu einer gleichbleibend hohen Marge geführt.
Sweet Spot Digital Printing
Im heutigen Handelsumfeld ist der Digitaldruck für alle Marktteilnehmer von schnell wachsender Bedeutung. Bobst hat sich darauf ausgerichtet und die Beteiligung am Spezialisten Mouvent auf 100% erhöht. Bei dem jungen innovativen Unternehmen fallen während der Expansionsphase noch Verluste an. Die Gewinnschwelle wird wohl 2024 überschritten.
EBIT-Marge steigt auf über 10%
Und ein ähnliches Bild zeigt sich bei genauerer Betrachtung für das ganze Unternehmen. Die letzten Jahre waren von einem Investitionskraftakt gekennzeichnet, was zu hohen Abschreibungen und damit weniger Gewinn geführt hat. Dafür wurde die Wettbewerbsposition verbessert. Gewinnbasierte Bewertungsmassstäbe greifen daher zu kurz. Für die kommenden Jahre zeichnet sich ab, dass die Investitionen geringer ausfallen und die Profitabilität steigt. Die EBIT-Marge lag 2021 bei 6,3%, soll aber gemäss der Mittelfristplanung bis 2024 auf 10,9% ansteigen.
Frankenstärke und internationale Wettbewerbsfähigkeit
Durch verschärften Wettbewerb und Einflüsse von den Rohstoff-, Energie- und Devisenmärkten ist zwar auch mit Gegenwinden zu rechnen, doch mit einer EBIT-Marge im Bereich 8% bis 9% wird ein immer noch herausragender Wert erzielt. Das grösste Risiko scheint die Frankenstärke zu sein. Der Grossteil der Produktion mit nahe 1’000 Mitarbeitenden ist in der Schweiz angesiedelt. Das bestimmt auch den Kostenblock Personalaufwand. In anderen Ländern sind allerdings kaum die Fachkräfte zu finden, die Bobst benötigt. Dennoch beeinträchtigt die fortgesetzte Frankenstärke mit der Zeit die Wettbewerbsfähigkeit.
Der Investment Case
Im Grund hat die Baisse der letzten 10 Monate für die Familie als Hauptaktionär die Opportunität geschaffen, die es erlaubt, relativ günstig die schon länger gehegte Taking-Private-Absicht in die Tat umzusetzen. Prägnant fasst Lechthaler aus seiner Sicht als langfristiger Investor zusammen: «Durch die in den Vorjahren getätigten hohen Investitionen fallen die ausgewiesenen Gewinne nicht entsprechend der zyklisch adjustierten Ertragskraft des Unternehmens aus. Die Investitionen in Sachanlagen erreichten 3,4% vom Umsatz, sollen jetzt aber auf 1,8% zurückgehen. In den Folgejahren wird das Gewinnniveau somit deutlich höher ausfallen. Das sollte sich dann auch in der Unternehmensbewertung widerspiegeln. Bereits heute dürfte der innere Wert deutlich über 78 CHF liegen, insbesondere, wenn man wie in der Sensitivitätsanalyse der Fairness Opinion den relativ hohen WACC von 10.2% reduziert und von einer normalisierten EBIT-Marge von 8% oder 8.5% ausgeht. Wir möchten weiterhin in Bobst investiert bleiben. Mit dem angestrebten Going Private würde der Schweizer Börsenplatz eine weitere Industrieperle verlieren.» Doch eine Unternehmensbewertung auf Basis des Aktienkurses wird es schon bald nicht mehr geben, sollten jetzt alle Aktien angedient werden. Im Fall des ausserbörslichen Aktienhandels sollte sich die höhere Ertragskraft jedoch in der Bewertung der Aktie niederschlagen.
Fazit
Aus Sicht des Mehrheitsaktionärs sind Angebot und Timing perfekt. Die erste Andienfrist läuft von 20. September bis 3. Oktober. Die Nachfrist von 10. bis 21. Oktober. So sehr die Motive und Zielsetzungen aus Sicht der Familie verständlich sind, die Interessen der freien Aktionäre werden bei 78 CHF nicht berücksichtigt. Immerhin haben die externen Investoren während der investitionsintensiven Durststrecke der letzten Jahre dem Unternehmen die Stange gehalten. Aus ihrer Sicht werden sie aus dem Engagement gedrängt, just bevor sich die Investitionen in steigenden Gewinnen manifestieren. Mag auch die Fairness Opinion den gebotenen Preis gerade noch abdecken, fair gegenüber den teils langfristig engagierten Investoren ist es vom Hauptaktionär nicht, diese um den wohlverdienten Hockey-Stick-Effekt des Investments zu bringen und quasi die Ernte ganz allein für sich zu vereinnahmen.