Digitale Firmenbeteiligungen gehen auf Distanz zu Kryptowährungen. Spricht man mit Personen, die sich mit der Tokensierung von Eigenkapital beschäftigen, fällt auf, wie sie sich konsequent von Bitcoin, Ethereum & Co. abgrenzen. Obwohl digitales Eigenkapital und Kryptowährungen nicht gleichzusetzen sind, beruht doch beides auf der Blockchain-Technologie. Wollen die «Tokenisierer» nicht mit der jüngsten Schwäche der Kryptowährungen in Verbindung gebracht werden?
KMU erfahren zahlreiche Vorteile, wenn sie Eigen- oder Fremdkapital digital aufnehmen, statt auf die traditionellen Finanz- und Kreditmärkte zu vertrauen. Bei der Tokenisierung von Aktien entfällt der teure IPO-Prozess mit hohen Kosten für Investmentbanken, Berater und Anwälte. Das beläuft sich für eine Kotierung an der Schweizer Börse SIX oft auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Nach der Aktienerstemission fallen zudem jährlich Kosten für Kotierung und Aktienhandel an. Kleinere Unternehmen erhalten im Gegenzug an der Börse aber oft eine bescheidene Handelsliquidität.
Erster Token-Handel 2019
Der Handel mit Token ist dagegen kostengünstig. Die digitalen Vermögenswerte lassen sich einfach übertragen. Sämtliche Transaktionen sind in der Blockchain permanent öffentlich einsehbar. So wird die Führung des Aktienbuchs effizient und günstig. Die Ausschüttung der Dividende wird automatisch gewährleistet, zudem können die Generalversammlungen einfach und virtuell durchgeführt werden. Die Mitsprache der Aktionäre ist dabei nicht nur auf die Generalversammlung beschränkt.
Trotz dieser zahlreichen Vorteile ist die Tokenisierung von Vermögenswerten, insbesondere Eigenkapital nur zögerlich angelaufen. Bereits im Jahr 2019 hatten die Deutsche Börse, Swisscom und drei Partner (Falcon Private Bank, Vontobel, Zürcher Kantonalbank) gemeinsam Wertpapiergeschäfte mit tokenisierten Aktien mit Distributed Ledger Technologie (DLT) erfolgreich abgewickelt. Doch die Tokenisierung von richtigen Unternehmensaktien harzt. Es gibt erst wenige Dutzend Projekte, obwohl in der Schweiz weit über 100’000 Aktiengesellschaften bestehen und einige Tausend zur Tokenisierung prädestiniert wären.
Es fehlt der Leuchtturm
Der Tokenisierungsdienstleister daura listet auf seiner Website 66 registrierte Kunden auf. Doch nur ein Teil davon sind Unternehmen, die ihre Aktien tokenisiert haben. Daura offeriert auch digitale Privatplatzierungen, GV-Organisation, Aktienregister sowie Mitarbeiterbeteiligungsprogramme. Die Genfer Taurus Group nimmt gemäss Website 15 Tokenisierungsprojekte in Anspruch. Diese umfassen Aktien, Anleihen und strukturierte Produkte in der Schweiz und in Europa. Unter den tokenisierten Aktien fehlt bisher ein Prestigeprojekt, das bekannt ist und grosse Emissions- und Handelsvolumen generiert. Meistens waren es bisher in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannte KMU, die digitale Dividendenpapiere bei Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten platzierten.
«Vor einigen Jahren haben einige Start-ups versucht, mittels eines Security Token Offering unreife Geschäftsideen zu finanzieren – dies teilweise auch mit Erfolg», sagt Matthias Müller, Geschäftsleitungsmitglied der Börse BX Swiss. Mittlerweile seien diejenigen Firmen, welche sich für eine Tokenisierung entscheiden, reifer und präsentierten qualitativ überzeugendere Geschäftsmodelle.
Aktien mit Bitcoin verwechselt
Ist der «Krypto-Winter» des vergangenen Jahres dafür verantwortlich, dass die Digitalisierung von Eigenkapital nicht so vorankommt wie gewünscht? Der Bitcoin ist seit dem Höchst von über 67’000 $ im November 2021 innert Jahresfrist auf unter 16’000 $ gefallen. In der Zwischenzeit hat sich der Urvater der Kryptowährungen wieder über 20’000 $ etwas stabilisiert. Andere Kryptowährungen haben im gleichen Umfang oder gar noch mehr verloren. Insbesondere jene, die mit Skandalen in Verbindung gebracht wurden, wie etwa mit dem Konkurs der Kryptobörse FTX von Sam Bankman-Fried oder dem Zusammenbruch des Ökosystems von Terra (Luna) mitsamt des algorithmischen Stablecoins UST.
Der Krypto-Winter sei definitiv nicht für die Entwicklung des tokenisierten Aktiengeschäfts verantwortlich, sagt der Sprecher der Schweizer Börse SIX, die mit der SDX einen Handelsplatz für digitale Wertrechte aufgebaut hat. «Es mag aber tatsächlich sein, dass Kryptowährungen wie zum Beispiel der Bitcoin nach wie vor mit tokenisierten Aktien verwechselt werden», fügt der SDX-Sprecher an.
Matthias Müller ergänzt: «Wir sehen in der Schweiz ein grosses Interesse und konkrete Anwendung der Technologie». Die Zahl der Tokenisierungen werde weiter zunehmen, sobald die ersten DLT-Handelssysteme durch die Finanzmarktaufsicht (Finma) zugelassen und regulierte Schweizer Handelsplätze für sogenannte Registerwertrechte zur Verfügung stehen werden. Bei den Investoren könnte es aber sein, dass sich wegen der Preisentwicklung in den Krypotwährungen und einer generellen Verunsicherung wegen oben erwähnter Skandale eine gewisse generelle Zurückhaltung bezüglich tokenisierten Vermögensanlagen ergeben habe. «Das könnte sich auch auf Emittenten ausgewirkt haben, wenn sie wiederum ein Zögern bei ihren Investoren vermuten», so der BX-Manager. Allerdings werde diese These durch die positive Entwicklung bei den Tokenisierungsplattformen im letzten Jahr nicht gestützt.
Zurückhaltung bei Emittenten
Die SIX Digital Exchange (SDX) verwahre Aktien als Bucheffekten basierend auf Distributed Ledger Technology – umgangssprachlich tokenisierte Aktien. «Aktien, ob sie nun tokenisiert geführt werden oder nicht, sind Aktien, und nicht zu vergleichen mit einer Kryptowährung wie beispielsweise Bitcoin», sagt der Sprecher. «Wir können uns jedoch gut vorstellen, dass dies der breiten Öffentlichkeit nach wie vor nicht voll bewusst ist».
Besteht eine Korrelation?
Ob der Aktienmarkt und Kryptowährungsmarkt korrelieren, ist gemäss SDX-Sprecher eine umstrittene Frage. Wenn insgesamt mehr Kapital zur Verfügung stehe, zum Beispiel in Zeiten tiefer Zinsen, werde auch mehr investiert. Wenn mehr angelegt werde, fliesse ein Teil dieses zusätzlichen Kapitals in den Aktienmarkt, vermehrt aber auch in Kryptowährungen wie beispielsweise Bitcoin. Theoretisch könne die Nachfrage damit den Preis sowohl der Aktienmärkte als auch der Kryptowährungen nach oben treiben.
Obwohl sowohl bei tokenisierten Aktien als auch bei Kryptowährungen die darunterliegende Technologie dieselbe ist (Distributed Ledger Technology), sind die Konzepte fundamental anders. Bei tokenisierten Aktien wird man Eigentümer eines Unternehmens – wie dies auch bei klassischen Aktien in Papierformat der Fall ist. Kryptowährungen haben hingegen andere Zwecke. Daraus folgt auch, dass eine Investition in eine Kryptowährung fundamental anders ist als eine Investition in eine tokenisierte Aktie.
Zu Beginn zu euphorisch
«Das Tokenisierungsthema ist in der Tat etwas komplex: Ich denke an die Jahre ab 2019, 2020, als wir alle noch positiv und euphorisch über die vielen Use Cases für Tokenisierungen waren: Aktien, Immobilien, Gold, Luxusuhren, Rohstoffe, Energie, etc.» sagt Daniel Diemers Partner bei SNGLR Group und Venture Investor. In der Praxis habe sich immer wieder gezeigt, dass es doch nicht ganz so einfach sei. Nicht das Tokenisieren im technischen Sinne, aber was dann mit dem Token passiere und die ganzen administrativen, juristischen und regulatorischen Ebenen.
Verschiedene Tokenisierungsprojekte in den letzten 24 Monaten waren entsprechend nicht erfolgreich und auch die Zahl der Start-ups, die sich als Tokenisierungsplattformen etablieren wollen resp. wollten, hat abgenommen. Gerade im Venture-Capital-Bereich, in dem Diemers tätig ist, sind die Abläufe mit viel Papier, Vertragswerken, Fondstrukturen mit hohem administrativem Aufwand etc. aufwendig. «Es wäre doch so einfach, alles über einen Token abzubilden, vor allem, weil in der Schweiz das Regelwerk dazu besteht», sagt Diemers.
Skeptisch gegenüber Blockchain
Aber in der Umsetzung zeige es sich, wie schwierig es sei: Investoren wollen kein Geld in derartige Fonds legen, weil sie «skeptisch gegenüber Krypto und Blockchain» sind. Aber auch Start-ups würden lieber von einem klassischen VC-Fonds betreut, da dies angeblich mehr «Prestige» hat. «Investoren, die aus dem Ausland heraus investieren wollen und etwa zwei Pässe besitzen und in mehreren Jurisdiktionen versteuern, kommen mit Tokens sehr rasch in komplexe Konstellationen, wo viel Geld für die richtige Verbuchung und Kommunikation zu Steuerbehörden anfällt», sagt der SNGLR-Partner. In vielen Ländern ist für solche Token schlicht auch keine gesetzliche Grundlage da.
Die Storyline der Tokenisierung ist gemäss Diemers zwar ansprechend, bei der Umsetzung zeige sich aber oft, dass erst viele Hürden überwunden werden müssten. Nicht überraschend könne man die erfolgreichen Tokenisierungsfälle in der Schweiz auch an zwei Händen abzählen. «Ich denke und hoffe, das ist aber kein Verdikt gegen die Tokenisierung, sondern einfach eine etwas übersteigerte Erwartungshaltung, die kurzfristig nicht erfüllt wurde», sagt er. Mit dem Krypto-Winter habe diese langsame Adoption seiner Ansicht nach in der Ursache eigentlich nichts zu tun, aber helfen tue es natürlich auch nicht – respektive spiele es den Kritikern und Zögerern in die Hände.
Wer kann tokenisieren?
Prinzipiell kann jede Aktiengesellschaft ihre Beteiligungspapiere tokenisieren. Doch gibt es Unternehmen, die dafür speziell prädestiniert sind. «Am meisten profitieren KMU mit mehr als einem Aktionär, die sich im Wachstum befinden und deren Aktionariat sich verändert», sagt der SDX-Sprecher. Auch Unternehmen, die über Beteiligungsprogramme für Ihre Mitarbeiter verfügen, sind prädestiniert. Die SDX sieht typischerweise Interesse von Unternehmen aus dem IT- oder Biotech-Sektor, die von Haus auf technologieaffin sind und sich mit der Technologie befassen. «Aus praktischen Gründen nicht geeignet sind Unternehmen, welche die eigenen Aktien bereits börsenkotiert haben», sagt Müller. Eine zweigleisige Emission und Verwaltung derselben Aktien sei nicht zu empfehlen.
Wichtig ist gemäss Müller, dass sich Standards wie der Schweizer CMTAT Tokenstandard weiter durchsetzen können und im Markt auf breite Akzeptanz stossen. Die sukzessive Ausweitung des DLT-Ökosystems werde der Tokenisierung auch Flügel verleihen. Das Zusammenspiel von unterschiedlichen auf der Blockchain basierten Komponenten schafft für alle Marktakteure Mehrwert. Der BX-Manager glaubt: «Dazu gehört auch ein verlässlicher Blockchain basierter Kapitalmarkt.»
NFT zeigt den Weg
Auf der positiven Seite ist es gemäss Diemers aber sicher so, dass der Use Case von NFT demonstriere, dass viel Potenzial in der Tokenisierung stecke. Bei NFT handelt es sich auch um Tokenisierung, einfach mit einem leicht anderen Blockchain-Protokoll. «Gerade bei NFT Kunst, digitalen Sammelgegenständen oder bei Anwendungen im Metaverse – NFT als Avatar, bei Spielen, Play-to-Earn-Anwendungen – geht es deutlich schneller voran als bei der Tokenisierung von Aktien oder physischen Immobilien.»
Mehr zum Thema Tokenisierung von Aktien und zu digitalen Finanzierungen von KMU & Start-ups gibt es am Fundament-Event vom 2. März 2023 in Zug.
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