Viel war in den vergangenen Jahren über die Demokratisierung des internationalen und doch immer noch exklusiven Kunstmarktes durch die Blockchain-Technologie spekuliert worden. 2021 wurde erstmals ein Gemälde tokenisiert, ein Picasso, und in 4’000 Bruchteilen handelbar gemacht. Doch dem folgte bislang nichts nach. Umso überraschender ist jetzt, dass die liechtensteinische ARTEX MTF AG eine Börsenlizenz erhalten hat und mit dem Partner SIX «… Investment-Opportunitäten in zeitlosen Vermögenswerten demokratisieren und die Landschaft des Kunstmarktes ändern» will.
Bemerkenswert ist, dass in der Medienmitteilung nicht einmal weiter auf die Technologie eingegangen wird, also, ob nun Blockchain-basiert oder nicht! Nur in der kurzen offiziellen Mitteilung von Liechtenstein wird hervorgehoben, dass es die «bisher einzige auf der Blockchain basierenden Kunst-Investment-Plattform» sei.
Kunst als Anlage für jeden
Die SIX ist für Clearing und Settlement zuständig. Das Innovative an der neuen «Kunst-Börse» ist, dass die einzelnen Kunstwerke jeweils von einer AG erworben werden, die danach durch ein IPO an den Markt geht und deren Aktien dann auf ARTEX handelbar sind. Das ist offensichtlich ein anderer Weg als die Tokenisierung, der sich allerdings als Kapitalmarkt-konform darstellt und deshalb wohl bessere Voraussetzungen bietet, um den Kunstmarkt tatsächlich einer grossen Anzahl von Investoren innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens zu erschliessen.
Eckdaten und Zeitplan
Dazu soll auch die anlegerfreundliche Gestaltung und das Pricing beitragen. Der Preis pro Aktie soll jeweils beim IPO durch eine entsprechende Fraktionalisierung bei 100 USD liegen. Für Anleger fallen keine Gebühren für Lagerung, Versicherung, o.ä. an. Beim IPO-Prozess berät Rothschild & Co. Die Lizenz zum Betrieb der «Mulitlateral Trading Facility» (MTF) wurde von der Finanzmarktaufsicht respektive Financial Market Authority von Liechtenstein (FMA) erteilt und steht im Einklang mit der MiFID II Richtlinie für Finanzinstrumente an europäischen Märkten.
Noch im ersten Quartal 2023 sollen bis zu 15 Banken für das Netzwerk gewonnen werden, vor allem Privatbanken mit Erfahrung im Art-Banking. Bis Ende 2024 sollen 40 Bankpartner für die erste Kunst-Börse mit an Bord sein. Das erste IPO eines «Kunstwerks» ist schon für die kommenden Wochen geplant. In den nächsten Quartalen sollen Kunstwerke im Wert von 1 Mrd. Euro via IPO an den Markt kommen.
Renaissance bis Moderne
Auf der Homepage von ARTEX werden beeindruckende Beispiele für die Wertsteigerung von ausgesuchten Gemälden von u.a. Tizian, van Gogh, Modigliani und O`Keeffe genannt. Der Fokus bei der «Securitization» von Gemälden wird auf die Zeitspanne von Renaissance bis 20. Jahrhundert liegen.
Vom Kunstwerk zur Aktie
Der Prozess bis zum IPO ist strukturiert. Wer ein «Masterpiece» verkaufen will, tritt in Kontakt mit ARTEX. Bei Interesse folgt ein Due-Diligence-Prozess, in dem Echtheit und Provenienz geprüft werden, was sechs Monate in Anspruch nehmen kann. Besteht Einvernehmen über den Preis, kann der Verkauf bei positivem Untersuchungsergebnis abgeschlossen werden. Das Kunstwerk wird dann von einer eigens zu diesem Zweck gegründeten Luxemburger AG übernommen, deren Aktien anschliessend via IPO auf ARTEX gehandelt werden können. Sympathisch ist, dass so die Werke auch in dem Sinn demokratisiert werden, als sie in Museen und Galerien der Öffentlichkeit als Kulturerbe zugänglich gemacht werden sollen, anstatt in Tresoren oder dem Zollfreilager Genf verstaut zu bleiben.
Korrelationen und Performance
Auf der Homepage sind durchaus zutreffende Postulate zur Wertentwicklung von Kunst zu finden, wie dass sie sich über 500 Jahre als werterhaltend erwiesen hat oder dass die Wertentwicklung in Zeiten makroökonomischer Unsicherheiten resilient blieb. Die Korrelation zu Aktien ist gering und wird für den Zeitraum 2000 bis 2022 gemessen am S&P 500 mit -0.37 angegeben. Nach dem Vergleich hat der S&P 500 einen jährlichen Return von 5,5% gebracht, Gold von 8,6% und Kunst, gemessen am zitierten Artprice 100 Index, 9,2%.
Artprice 100 Index ist Picasso-lastig
Der Artprice Index war im Jahr 2000 ins Leben gerufen worden. Es gibt zwei davon, der General Index deckt den breiten Markt ab, doch der Artprice 100 beschränkt sich auf die 100 Top-Künstler. Eine Voraussetzung für die Aufnahme in den Artprice 100 ist, dass eine hinreichende Anzahl von Werken in den jeweils letzten fünf Jahren den Besitzer gewechselt hat. Das klingt zwar plausibel, führt jedoch gleichzeitig zu einer Marktverzerrung. So ist Picasso im Index mit 16,3% gewichtet, Monet mit 7,8% und Giacometti mit 1,3%, doch Munch und Bacon nur mit 0,5% und Heckel, Dix und Beckmann mit 0,2%.
Indexkonstruktion der Benchmark
Noch verblüffender ist, dass van Gogh, Rembrandt und da Vinci gar nicht vertreten sind. Das liegt an der Indexkonstruktion. Von Picasso sind aus verschiedenen Gründen in den letzten Jahren zahlreiche Gemälde an den Markt gekommen, und die Preise sind explosionsartig gestiegen. Bei van Gogh lag zwar der Boom in den 1980er Jahren, die Bilder erzielten damals bei Auktionen die höchsten Preise, doch auch in den letzten Jahren fanden viele Besitzerwechsel im zweistelligen Millionenbereich statt, zuletzt «Orchard with Peach Trees in Blossom» im November 2022 für sogar 117 Mio. USD. Insofern ist fragwürdig, warum van Gogh nicht im Index vertreten ist. Bei da Vinci gibt es nur 16 Gemälde, die zweifelsfrei aus der Hand des Meisters stammen – und die wechseln kaum je den Besitzer. Die Ausnahme ist «Salvator Mundi», doch das ist eine andere Geschichte.
Sinnvolle Vergleiche und ihre Schwächen
Auch der angestellte Vergleich der Asset-Klassen hinkt ein wenig. Im Jahr 2000 hatten die Aktienmärkte einen steilen mehrjährigen Anstieg hinter sich, und der Goldpreis war gleichzeitig auf historischen Tiefständen angelangt. Dann kam mit 9/11 die damalige «Zeitenwende». Zudem wurde ja auch der Aktienindex bereinigt und um neue Titel ergänzt. Während im Jahr 2000 Apple und Amazon beispielsweise noch relativ unbedeutende Unternehmen waren und Facebook erst später an die Börse kam, repräsentierten die FAANG-Unternehmen während der vergangenen Jahre in der Spitze zeitweilig mehr als ein Viertel des S&P 500. Solche «hedonischen» Anpassungen von Indizes haben immer den Zweck der Verjüngung und Aktualisierung, aber eben auch der «Schönfärbung». Von den Original Index-Aktien des Dow-Jones ist heute keine einzige mehr im Index vertreten. Wäre er nicht verjüngt worden, stände er wohl nahe null. Ähnlich ist das Prinzip bei Konstruktion und Anpassung des Artprice 100 Index.
Zeitgenössische Kunst
Der Kunst-Markt hat insbesondere seit Ende des Zweiten Weltkriegs fundamentale Änderungen durchlebt. Plötzlich bestand der anlagefähige Markt nicht mehr nur aus den alten Meistern, sondern auch aus Impressionisten, Expressionisten, Kubisten und inzwischen schon lange auch aus Pop-Art wie Liechtenstein oder Warhol. Mittlerweile erleben auch lebende Künstler wie Gerhard Richter noch, dass ihre Werke für viele Millionen ersteigert oder gekauft werden. Die Vorlieben ändern sich, aber die Transparenz bleibt doch beschränkt, weil manche Künstler kaum gehandelt werden, andere nur sporadisch und Trends sowie Moden auch den Kunstmarkt erfassen.
Die Kunst der Fälschung
Bestimmt wird der Kunstmarkt durch die Börse ARTEX an Transparenz gewinnen, doch so ganz wird die Intransparenz des traditionell doch eher sehr privaten Marktes nicht verschwinden. Angesichts der hohen Preise für Kunst erleben auch kunstfertige Fälscher schon seit Jahren einen Nachfrageschub. Immer wieder entpuppen sich alte Meister als perfekte Imitationen. Alles stimmt, vom Alter der Leinwand über die Pigmente bis hin zur Pinselführung. Die aufwendige Prüfung von Gemälden lohnt sich nur bei wirklich hochkarätigen Werken, und eine wirkliche Garantie bei Bildern ohne lückenlosen und unzweifelhaften Besitzerstammbaum gibt es nicht. Ein Beispiel ist das plötzlich aufgetauchte da-Vinci-Gemälde Salvator Mundi, mit 458 Mio. USD das bislang teuerste Gemälde der Welt. Trotz aller Expertisen bleibt es fragwürdig, ob es sich tatsächlich um ein Gemälde des Meisters und nicht um eines seiner Schüler handelt.
Restitution
Ein anderer Schatten geht von der Geschichte des 20. Jahrhunderts aus. Während der Zeit der Nazi-Diktatur wurde in allen besetzten Ländern Kunst geraubt oder enteignet, die grossenteils nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges verschwunden blieb. Immer wieder tauchen Kunstwerke auf, doch Provenienzforschung kann Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nehmen – und oft am Ende zu gar nichts führen. Nach fundierten Schätzungen sind bis zu 90% dieser Werke verschwunden geblieben. Solche Werke sind auf den normalen Kanälen wie über Galerien oder Auktionshäuser nicht mehr verkäuflich. Auch Museen tun sich schwer. Ein positives Beispiel bietet das Kunstmuseum Bern durch den offenen Umgang mit der Gurlitt-Sammlung und der Rückgabe von 38 Werken an die Nachfahren der enteigneten und beraubten Eigentümer.
Picasso-Token mit positiver Wertentwicklung
Für den am Anfang genannte Picasso-Token wurde auf der Plattform von Sygnum zuletzt ein Preis von 1’132 CHF bezahlt, was zugleich der bisher höchste ist. Gestartet war der Token im Oktober 2021 mit 1’089.14 CHF. Der tiefste Preis war einmalig 920 CHF. Insgesamt wechselten rund 270 Token in den 15 Monaten den Besitzer, meist wenige Stück, einmal aber auch 140. Die Performance mag nicht berauschend sein, im Verhältnis zu der Wertentwicklung an den Wertpapiermärkten zeigt sich aber doch eindrücklich die Resilienz von Kunst.
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