Die Träume waren immer gross – doch in der Umsetzung tat sich Evolva jeweils schwer. Das Biotech-Unternehmen verschwand in den vergangenen Jahren in der Bedeutungslosigkeit. Nun liegt ein vielversprechender Businessplan vor. Der neue CEO muss nicht nur diesen erfolgreich umsetzen, sondern auch das schlechte Image der Firma überwinden – das Geld reicht noch bis Ende Jahr.
Das in Reinach beheimatete Unternehmen Evolva entwickelt mit derzeit rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf einer Fermentationsplattform Moleküle im industriellen Rahmen in konstanter Qualität und Reinheit, die in der Natur nur mit hohem Aufwand gewonnen werden können oder in ihrer Verfügbarkeit knapp sind. Bereits vor einigen Jahren wurden die Investoren mit einer Kooperation mit Coca-Cola geködert. Der Süssgetränkehersteller setze auf EverSweet, ein Evolva-Produkt auf Basis von Stevia. Im Coca-Cola Life werde der US-Konzern etwa die Hälfte des Zuckers durch Steviolglycoside ersetzen. Zu diesem Zweck ging das kleine Schweizer Biotech-Unternehmen eine Kooperation mit dem US-Agrarkonzern Cargill ein.
Mittlerweile wird der Süssstoff durch das Joint Venture Avansya (Cargill und DSM) weiterentwickelt. Die Partner geben keine Auskunft über den Stand des Projekts. Die enttäuschende Entwicklung soll unter anderem auch mit Corona zusammenhängen – die Ingenieure konnten lange Zeit nicht im Labor arbeiten. Bekannt ist jedoch, dass bei der Überarbeitung von Coke Zero auf Stevia-Süssstoffe verzichtet wurde.
«Die Vergangenheit klebt wie Teer»
In den vergangenen Jahren wechselte das Management und die Strategien bei Evolva mehrmals. Seit Anfang 2022 ist Christian Wichert als CEO am Ruder. «Ich bin etwas mehr als ein Jahr im Amt – es fühlt sich aber an wie drei Jahre.» Er hätte mit seinem Team auch ein Transformationsprogramm durchgezogen, das eigentlich drei Jahre benötigen würde, sagt Wichert. «Manchmal habe ich das Gefühl, die Vergangenheit klebt wie Teer an uns.» Bei der Weiterentwicklung des Unternehmens gehe es aber auch immer darum, den Start-up-Charakter und die Evolva-Kultur zu erhalten.
«Ich habe vom neuen CEO einen guten Eindruck, er ist ein Marketing-Profi und hat die Zahlenvorgaben für das erste Halbjahr und das Geschäftsjahr 2022 erfüllt oder sogar übertroffen», sagt Daniel Bürki, Analyst für die Zürcher Kantonalbank. Er verfolgt das Unternehmen seit zwei Jahren und schätzt es mit «Marktgewichten» ein. «Das Geschäftsmodell ist jedoch fragil, und ein Engagement ist riskant». Der Aktienkurs zeige in der Regel die Wahrheit über ein Unternehmen, und der Kurs sei innerhalb von zwei Jahren von 20 auf 7 Rappen gesunken. Das DCF-Modell attestiere der Aktie mehr als eine Kursverdoppelung. Allerdings seien die Annahmen mit einer überdurchschnittlichen Unsicherheit behaftet, schreibt die ZKB in ihrem aktuellen Bericht zu Evolva.
Evolva könnte man als eine Art Brauerei bezeichnen. Der wichtigste Wirkstoff ist Hefe. Mittels veränderter Hefe werden in Bio-Reaktoren zahlreiche Ingredienzien produziert, die auch in der Natur vorkommen. Die veränderte Hefe wird bei diesem Vorgang nicht Teil des produzierten Stoffes. Der Produktionsvorgang ist aufwendig und wird an Auftragsproduzenten weitergegeben. Evolva verkauft seine Wirkstoffe nicht direkt an Konsumenten, sondern an Hersteller von Inhaltsstoffen für die Gesundheitsprävention und an die Aromen- und Duftstoffindustrie.
Lebensmittelzusatz und Körperpflege
Die wichtigsten Produkte von Evolva sind im Moment Resveratrol, eine Rotwein-Substanz, der lebensverlängernde Wirkung attestiert wird, der Aromastoff Vanillin, Nootkatone und Valencene, die Geruchsstoffe der Grapefruit und der Orange sowie der natürliche Zuckerblocker L-Arabinose. Die Wirkstoffe werden jeweils in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt. Nootkatone etwa auch als Mittel gegen Insekten. An der Fachmesse «in-cosmetics» in Barcelona vom 28. bis 30. März stellte Evolva ihr «Responsible-Care-Progamm» für die Körperpflegeindustrie vor. Die bereits bewährten Moleküle Resveratrol und L-Arabinose sollen dabei ihren Nutzen im Bereich der Körperpflege zeigen. Der Hoffnungsträger, um die Umsatzziele zu erreichen, ist gemäss Bürki Vanillin, das eine gute Akzeptanz aufweist, das sowohl als Lebensmittelzusatz als auch im Bereich Fragrance zum Einsatz kommt und für das es Verträge mit einem globalen Partner gibt.
Anfangs März 2023 gab Evolva zudem eine Partnerschaft mit der israelischen Grace Breeding bekannt, die an der Börse von Tel Aviv kotiert ist. Die Israelis sind auf Biodünger spezialisiert und wollen chemischen Stickstoffdünger durch solchen, der auf pflanzlicher Basis hergestellt wird, ersetzen. Dieser Stickstoff soll umweltfreundlicher sein, da er den Boden nicht schädigt und nicht in die Gewässer gelangt.
Viel heisse Luft aus den vergangenen Jahren
Rückblickend hat bei Evolva bisher die Substanz bei vielen Projekten gefehlt, und oft hat das Management in die Prognosen viel Luft reingepackt. Die «neue Evolva» verfolgt gemäss Wichert einen anderen Weg: «Potenziale werden mit konkreten Massnahmen unterlegt und externe Ziele so gesetzt, dass diese auch erreicht – und noch lieber übertroffen – werden können.“ Entsprechend basiere das Unternehmen bei seinen Prognosen auf den bereits im Markt kommerzialisierten Produkten. «Wir haben daraus realistische Schätzungen für die Jahre bis 2025 abgeleitet», sagt Wichert.
Vom Markt höre aber nun das Unternehmen: «Das ist ja nicht neu, die gleichen Zahlen hat schon das alte Management vorgelegt.» Der Unterschied sei aber, dass dahinter nun durchkalkulierte Geschäftspläne mit klaren Aktionen und Verantwortlichkeiten stecken, so der Evolva-CEO. Man habe neue Partnerschaften abgeschlossen, die nicht mehr nur auf dem Verkauf eines Moleküls basierten. Evolva zeige den Kunden, wie sie ihre Substanzen mit Hilfe von Evolva-Ingredienzen verbessern könnten und welchen Zusatznutzen und welche Verkaufsargumente sich daraus ergeben würden. Das komme bei der Kundschaft gut an.
Deckungsbeitrag wird positiv
Im Geschäftsjahr 2022 hat das Unternehmen die Einnahmen um 57% auf 15.5 Mio. CHF erhöht. Die Produkte-bezogenen Einnahmen kletterten um 62% auf 14,8 Mio. CHF. Der CEO lenkt aber das Augenmerk auf die Bruttobeitragsmarge, die 2022 in den positiven Bereich geklettert ist. Betrug sie im zweiten Halbjahr 2021 noch negative 34%, so stieg sie auf positive 11% im ersten Halbjahr 2022 und auf 22% im zweiten Halbjahr 2022. Hier zeigten sich vor allem die Anstrengungen des neuen Managements. Denn was nütze es, zweistellig mit einem negativen Deckungsbeitrag zu expandieren, so Wichert. Die Vorgabe eines Umsatzziels von 45 bis 50 Mio. CHF für das Jahr 2025 sei realistisch und eher konservativ. Alle Produkte von Evolva würden dazu beitragen.
«Bei so vielen Projekten, mit keinem oder wenig Umsatz in so einem kleinen Unternehmen, wird der Erfolg jedes Produktes matchentscheidend», sagt Daniel Bürki. Es stelle sich auch die Frage, ob sich das Unternehmen bezüglich Produkten, aber auch geografisch mit Südamerika, Asien, USA und Europa nicht verzettle.
Der ZKB-Analyst betrachtet die Evolva-Zahlen mit gewissen Vorbehalten. Mit der «Contribution Margin» weise das Unternehmen eine Marge aus, die nicht der üblichen Bruttogewinnmarge entspreche. «Das Unternehmen stellt dabei die Einkaufskosten im Verhältnis zu den Verkaufskosten dar – ohne dass die eigenen direkten Kosten berücksichtigt werden.» Ebenfalls untypisch sei, dass der Break-Even 2024 für den Betriebsgewinn (Ebitda) und den Free-Cash-flow gleichzeitig angestrebt werde. Normalerweise baue ein Unternehmen in dieser Phase den Lagerbestand auf, was den Free-Cash-Flow reduziere.
Verzögerungen bei EverSweet
Bis man Wichert darauf anspricht, kommt der einstige Hoffnungsträger EverSweet nicht zu Sprache. «Mein Team und ich konzentrieren uns auf die Produkte, die wir direkt beeinflussen können», sagt der CEO. Den kalorienfreien Süssstoff hat Evolva schon vor Jahren an das Joint-Venture Avansya auslizenziert. Evolva erhalte jedes Jahr einen Check, habe aber sonst keinen Einfluss auf das Geschäft. Das Ausmass der Lizenz-Zahlungen sei bisher unter den Erwartungen geblieben.
«Aber verstehen Sie mich nicht falsch, EverSweet verfügt über viel Potenzial», sagt Wichert. Es brauche allerdings deutlich mehr Zeit als ursprünglich eingeplant. Der CEO-Wechsel bei Avansya, ein DSM-Manager ist durch einen aus dem Haus Cargill abgelöst worden, könnte ein Hinweis sein, dass der US-Konzern mit der Entwicklung des Joint-Ventures nicht zufrieden ist. Die Analysten des Brokers Octavian rechnen für das Jahr 2027 mit einem Umsatz von 100 Mio. USD für EverSweet, wovon 5% an Evolva gehen würden. Dies entspricht dem ursprünglich von DSM bereits für 2025 in Aussicht gestellten Umsatzes. Es ist gemäss Daniel Bürki schwer zu sagen, wieso es EverSweet bisher nicht geschafft habe. Ein substanzieller Teil der Wertberichtigung auf dem immateriellen Vermögen des vergangenen Jahres (17 Mio. CHF) sei auf Wertberichtigungen auf Geistigem Eigentum an diesem Produkt begründet.
Reverse-Split und Kapitalbeschaffung
Eine entscheidende Frage bleibt die Finanzierung. Trotz des hohen Umsatzwachstums im vergangenen Jahr schreibt Evolva weiterhin Verluste. Der Ebitda-Verlust konnte von 22.6 Mio. CHF im Vorjahr auf 13.3 Mio. CHF in 2022 reduziert werden. Im vergangenen Jahr fielen wegen «Bereinigungsarbeiten» ausserordentliche Abschreibungen von 19 Mio. CHF an. Ende Jahr verfügte das Biotechunternehmen noch über 5.1 Mio. CHF in liquiden Mitteln und Kreditlinien von 16 Mio. CHF. Damit ist das Unternehmen bis Ende Q1 2024 finanziert. Für die Anschlussfinanzierung ist Evolva im Austausch mit verschiedenen möglichen industriellen Partnern.
Der Generalversammlung vom 18. April wird der Verwaltungsrat einen Reverse Stock Split von 250:1 beantragen. Dieser Schritt hat weder einen Einfluss auf die Marktkapitalisierung noch auf den Wert der Aktienportfolios der Anleger. Die Aktie, die aktuell um die 0.076 CHF notiert, hätte an der Börse einen Wert von 19 CHF – wobei sich die Anzahl der Aktien, die sich im Besitz des Investors befindet, um den Faktor 250 verkleinert. «Der Aktien Reverse-Split ist taktisch und psychologisch gesehen ein guter Schachzug – aber schlussendlich erhöht es den Wert des Unternehmens nicht», sagt Bürki.
Ungünstige Bedingungen am Kapitalmarkt
«Wir brauchen insgesamt noch 25 bis 30 Mio. CHF bis zum Cash-Break-even und um Evolva zum Fliegen zu bringen», sagt Wichert zum Kapitalbedarf. Das Umfeld an den Finanzmärkten habe sich eingetrübt. Der CEO hat aber keine Bedenken, dass seinem Unternehmen bald das Geld ausgeht. «Das Unternehmen verfügt über rund 20 Mio. CHF an liquiden Mitteln und braucht nach eigenen Angaben bis zum Break-Even 30 Mio. CHF. Der zusätzliche Kapitalbedarf – unter Berücksichtigung der üblichen Reserven von 5 bis 10 Mio. – dürfte ungefähr 10 bis 15 Mio. CHF betragen», rechnet Daniel Bürki vor. Der Kapitalmarkt sei aber im Moment schwierig anzuzapfen. Evolva bräuchte einen Investor, der hinsteht und sich verpflichtet, wie es in der Vergangenheit Veraison gemacht hat. «Ein logischer Investor wäre der industrielle Partner, mit welchem Evolva bereits zusammenarbeitet.»
In der Vergangenheit hat Evolva für die Kapitalbeschaffung mehrfach mit der Finanzgesellschaft Nice & Green zusammengearbeitet. Diese stellte über Wandelanleihen Gelder zur Verfügung. Durch diese Vereinbarung wird das Aktienkapital kontinuierlich verwässert. Nach Ansicht von Marktbeobachtern werden dadurch auch Leerverkäufer angezogen, die den Aktienkurs weiter drücken. Die Finanzgesellschaft wandelt regelmässig Aktien und verkauft diese – angeblich möglichst kursschonend.
Genmanipuliert?
In den vergangenen Jahren kam teilweise Kritik auf, da man die Produkte von Evolva als genmanipuliert einschätzte. Das sind sie aber nicht und müssen auch nicht derart gekennzeichnet werden. Alle Produkte dürfen als «natürlich» angepriesen werden. Nur mit Nootkatone hätte es diesbezüglich in der Vergangenheit in Europa Probleme gegeben. Weil in der letzten Produktionsstufe ein Katalysator mit chemischem Ursprung verwendet werde. Mit Natural Nootkatone, das neu von Evolva angeboten wird, ist dieses Problem aus dem Weg geräumt worden.
Evolva kam im Jahr 2009 an die Schweizer Börse – durch einen Reverse-Takeover. Das Unternehmen übernahm die Börsenhülle von Arpida. Dieses Biotech-Unternehmen war mit einem Medikamentenkandidaten in den USA gescheitert. Die Investoren mussten zusehen, wie sich ihr Einsatz grösstenteils in Luft auflöste. Die Titel, die einst deutlich über 40 CHF notiert hatten, starteten unter dem neuen Namen Evolva auf 1.30 CHF. Die Titel hoben aber nie wirklich ab und notieren seit rund acht Jahren im Penny-Stock-Bereich (unter 1 CHF-Kurswert).
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