Die Schweizer Tourismusbranche scheint die Corona-Pandemie hinter sich gelassen zu haben. Nach der BVZ-Gruppe, der SGV Holding und den Rigi Bahnen präsentierte auch die Jungfraubahn einen überraschend guten Jahresabschluss. Ein Gewinn von 44.4 Mio. CHF für das Jahr 2022 stellt das drittbeste Ergebnis in der Geschichte dar und reicht fast wieder an das Vor-Pandemie-Niveau heran. Noch fehlten 2022 die für die Jungfraubahn so wichtigen Gäste aus China. Reisen diese wie erwartet ab Oktober 2023 wieder vermehrt an, würden die 2022er Zahlen rasch egalisiert.
Grösster Bergbahnbetreiber der Schweiz
Mit einem Umsatz von 214.1 Mio. CHF ist die Jungfraubahn Holding der grösste Bergbahnbetrieb in der Schweiz. Das Geld verdient das Berner Oberländer Unternehmen vor allem mit dem Jungfraujoch auf 3’545 M.ü.M, das unter dem Namen «Top of Europe» weltweit vermarktet wird. 84.3 Mio. CHF bzw. mehr als 60% steuerte das Segment Jungfraujoch zum gesamten Verkehrsertrag der Gruppe im letzten Jahr bei. Der Verkehrsertrag lag bei 139.2 Mio. CHF. Zu den weiteren Segmenten gehören das Wintersportgeschäft mit 30.6 Mio. CHF (ca. 22%) sowie die Erlebnisberge mit 27.3 Mio. CHF (ca. 20%). Zu den Erlebnisbergen gehören die Firstbahn in Grindelwald, die Harderbahn in Interlaken und die Bergbahn von Lauterbrunnen nach Mürren. Zu den Verkehrserträgen hinzu kommen Abgeltungen der öffentlichen Hand in Höhe von knapp 14 Mio. CHF sowie Erträge aus den Souvenirshops (8.0 Mio. CHF), Dienstleistungen (9.4 Mio. CHF), Mieterträgen u.a. aus den Parkhäusern (9.6 Mio. CHF) sowie aus der Gastronomie (12.4 Mio. CHF) und dem eigenen Laufwasserkraftwerk (9.5 Mio. CHF). Seit Ende 2019 werden die Gastrobetriebe von der Jungfraubahnen-Gruppe in Eigenregie geführt. Vorher waren sie verpachtet.
Umsatz nur 4,1% unter dem 2019er Rekordwert
Der Gesamtumsatz der Jungfraubahn Gruppe lag im Jahr 2022 nur noch um 4,1% unter dem Rekordwert von 223.3 Mio. CHF, der im Jahr 2019 vor der Pandemie erzielt wurde. «Wir haben einen grossen Schritt in Richtung Normalität gemacht», sagte CEO Urs Kessler daher auch an der Bilanzmedienkonferenz Anfang April. Treiber hinter dem Umsatz waren im vergangenen Jahr jedoch nicht das Flaggschiff Jungfraujoch, sondern die Segmente Wintersport und Erlebnisberge. Beide Segmente wiesen 2022 Rekordumsätze aus, während das Jungfraujoch noch weit von den Vor-Pandemie-Werten entfernt ist. Im Jahr 2019 besuchten 1’055’950 Gäste den «Top of Europe», im Jahr 2022 waren es mit 624’921 Gästen noch 40,8% weniger. Die Besucherzahlen auf dem Joch zeigen deutlich, dass die wichtigen Gäste aus den Fernmärkten, insbesondere China, im letzten Jahr noch fehlten. Urs Kessler ist allerdings zuversichtlich, dass die Gäste aus Asien in diesem Jahr wieder zurückkehren werden. Bereits am Valentinstag begrüsste die Jungfraubahn die ersten Touristen aus China wieder auf dem Joch. «Der Reisehunger ist extrem gross», so das Feedback des Jungfraubahn-CEOs nach einer Verkaufsreise in Südostasien.
Dort konnte er auch mit der neuen V-Bahn, die während der Pandemie fertiggestellt wurde, punkten. Nicht ohne Stolz weist er darauf hin, dass es im Nachhinein richtig gewesen sei, das Projekt trotz Unsicherheiten durch die Pandemie nicht zu stoppen. Immerhin lagen die Investitionen in das neue Terminal in Grindelwald Grund mit Parkhaus, die Gondelbahnen auf den Eigergletscher und den Männlichen allein für die Jungfraubahn bei 354 Mio. CHF. Insgesamt wurden in das Projekt V-Bahn, das auch neues Rollmaterial für die Berner-Oberland-Bahnen umfasste, 510 Mio. CHF investiert. Dank der guten Geschäftsentwicklung im Jahr 2022 sei das V-Bahn-Projekt «bezahlt», machte Kessler deutlich. Konkret bedeutet dies, dass die Bankkredite, die zur Finanzierung des Projektes aufgenommen wurden, bis Ende 2022 bereits wieder zurückbezahlt werden konnten.
Während der Pandemie eisern gespart
Dies war nur möglich, da die Jungfraubahn Gruppe kostenbewusst während der Pandemiejahre gehandelt hat. «Es war Gold wert, dass wir in dieser Zeit nicht mehr Geld ausgegeben haben, als wir eingenommen haben», so Finanzchef Christoph Seiler. Auch in den schwierigen Jahren 2020 und 2021 erzielte die Jungfraubahn jeweils ein positives Betriebsergebnis vor Abschreibungen (EBITDA). 2022 verfielfachte sich das EBITDA von 28.7 Mio. CHF auf 93.8 Mio. CHF. Der Personalaufwand fiel aufgrund der wegfallenden Kurzarbeitsentschädigung mit 63.9 Mio. CHF um 13,8% höher als im Vorjahr aus. Auch der Sachaufwand stieg kräftig um 23,0% auf 56.4 Mio. CHF, was auf zusätzliche Kosten u.a. im Zusammenhang mit dem neuen Parkhaus zurückzuführen ist. Doch trotz der Eröffnung der V-Bahn liegen die Personal- und Sachkosten auf dem Niveau von 2019. Urs Kessler verweist auf Produktivitätsgewinne, die man «auch in die Zukunft mitnehmen» wolle. Trotz höherer Abschreibungen von 42.3 Mio. CHF (+6,8%) resultierten unter dem Strich ein EBIT von 51.5 Mio. CHF und ein Jahresgewinn von 44.4 Mio. CHF.
Sowohl die EBITDA-Marge von 43,8% als auch die Umsatzrendite von 20,7% liegen nur knapp unter den 2019er Werten, aber bereits wieder über den finanziellen Zielsetzungen des Verwaltungsrates. Aufgrund der guten Geschäftsentwicklung wird der Generalversammlung vom 15. Mai 2023 nach zwei Jahren ohne Dividende wieder eine Ausschüttung in Höhe von 3.60 CHF je Aktie vorgeschlagen.
Eigenkapitalquote weiter gestärkt
Die Bilanz der Jungfraubahn Holding präsentiert sich nach der Rückzahlung der Bankkredite für das V-Bahn-Projekt grundsolide. Die Eigenkapitalquote liegt bei hohen 76,0%. Bei den Finanzverbindlichkeiten in Höhe von 102.5 Mio. CHF handelt es sich um Darlehen von Bund und Kantonen, die im Zusammenhang mit der Finanzierung von ÖV-Projekten gewährt wurden. Insgesamt wurden 2022 nochmals 28.9 Mio. CHF in den Wengen Shuttle und die Erneuerung der Bergbahn Lauterbrunnen-Mürren investiert. Bei beiden Projekten läuft die Finanzierung allerdings vorwiegend über die öffentliche Hand, da diese Bahnen eine Erschliessungsfunktion für die autofreien Orte Wengen und Mürren haben.
Guter Start ins 2023 lässt hoffen
Nachdem die Gesellschaft die «grösste Krise der Jungfraubahn überhaupt» (Kessler) hinter sich gelassen hat, blicken die Verantwortlichen positiv auf das laufende Geschäftsjahr. Der Start in die Wintersaison 2022/23 sei der «viertbeste Saisonstart seit zehn Jahren gewesen». Auf dem Jungfraujoch konnten vom 1. Januar bis zum 31. März wieder 106’852 Gäste begrüsst werden. Das Ziel für 2023 sei es ganz klar, die Frequenzen und Erträge gegenüber dem Vorjahr zu steigern. Helfen sollen dabei auch die Gäste aus China, die ab dem Herbst 2023 wieder erwartet werden. Schweiz Tourismus-Chef Martin Nydegger erklärte 2023 erst kürzlich in einem Interview zum Jahr der asiatischen Gäste. Allerdings stellen derzeit vor allem fehlende Flugkapazitäten den Engpass dar.
Weitere Schritte hat die Bahngruppe auch in Sachen Nachhaltigkeit unternommen. Ab 2024 will das Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht nach dem Global Reporting Standard (GRI) publizieren. Erstmals wurde 2022 ein CO2-Fussabdruck für das gesamte Unternehmen erstellt. Zudem wurden aus den 17 Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen sieben Ziele ausgewählt: Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen, menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, Industrie, Innovation und Infrastruktur, nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion, Massnahmen zum Klimaschutz und das Leben an Land.
Fazit
Auch die Jungfraubahn-Gruppe hat nach dem Ende der Corona-Massnahmen im März 2022 einen fulminanten Start hingelegt. Geholfen haben hier sicherlich die gute Wintersaison 2021/22 und die Rekordfrequenzen der Ausflugsberge. Beide Segmente konnten wie schon im Vorjahr von Gästen aus der Schweiz und dem nahen europäischen Ausland profitieren. Hinzu kamen im Verlauf des Jahres 2022 Gäste aus den Fernmärkten. Es ist daher nicht überraschend, dass das Flaggschiff Jungfraujoch im letzten Jahr noch 40% weniger Besucher als vor der Pandemie zählen konnte. Doch genau darin liegt auch die Chance für das laufende und die kommenden Geschäftsjahre. Gelingt es wieder, die Marke von 1 Mio. Besuchern auf dem Jungfraujoch zu knacken, so wird sich dies überproportional in der Erfolgsrechnung niederschlagen. Ein Gewinnanstieg auf über 50 Mio. CHF wie im Rekordjahr 2019 scheint möglich. Mit der V-Bahn hat die Jungfraubahn zudem ein neues Angebot, das die Fahrtzeit auf das Jungfraujoch sowie ins Ski- und Wandergebiet Kleine Scheidegg erheblich verkürzt.
Der Aktienkurs der Jungfraubahn-Aktie hat nach der Bekanntgabe der 2022er Zahlen bereits reagiert und seit Jahresbeginn um mehr als 16% auf 145 CHF zugelegt. Derzeit werden die Titel mit einem KGV von 19 und einem Kurs-/Buchwert-Verhältnis von 1.3 bewertet. Die Dividendenrendite liegt bei 2,5%. Sofern der Jahresgewinn weiter gesteigert werden kann, wonach es derzeit aussieht, ist mit einer höheren Ausschüttung zu rechnen. Die Ausschüttungspolitik sieht ein Pay-out-Ratio von 35 bis 60% des Reingewinns vor. Auch wenn in den kommenden Jahren weitere Investitionen u.a. in die Erneuerung der Firstbahn anstehen, so dürften diese keinen allzu grossen Einfluss auf die Höhe der Ausschüttung haben.
Im Vergleich mit anderen kotierten Bergbahnunternehmen wie der BVZ Holding und der Titlis Bahn ist die Jungfraubahn-Aktie zwar nicht mehr günstig. Dennoch dürfte der Titel angesichts der soliden Bilanz und der guten Ausschüttungsperspektiven als Dividendenaktie für Value-Investoren weiterhin attraktiv sein. Aktionäre mit mindestens 250 Aktien profitieren zudem als Mitglieder des Aktionärsclubs von diversen Aktionen und Vergünstigungen.