Jetzt wird sich zeigen, ob der Kapitalmarkt reif genug und aufnahmebereit für das erste IPO eines fraktionalisierten Kunstwerkes sein wird. Im Laufe des Monats Juni läuft die Vorvermarktung, voraussichtlich zwischen 5. Juli und 20. Juli dann die Bookbuilding Phase. Mit der Wahl von Francis Bacons frühem Triptychon «Drei Studien für ein Portrait von George Dyer» von 1963 beweisen die Initiatoren zugleich feines Gespür und profunde Marktkenntnis.
Die Transaktion ist so strukturiert, dass zunächst 70% des Aktienkapitals für das Listing zum Handel zugelassen wird. Maximal 10% kann der bisherige Besitzer langfristig halten. Je nach Nachfrage oder Platzierungserfolg werden also maximal 70% bei interessierten neuen Bruchteils-Eigentümern liegen, mittelfristig maximal 90%, wenn der Eigentümer die 10%-Klausel ausschöpft. Die Bewertung des Triptychons soll wenigstens bei 55 Mio. USD liegen, je nach Ergebnis der Bookbuilding-Phase. Die Anzahl der Aktien wird so ausfallen, dass sich ein Nennwert von 100 USD ergibt. Der Handel wird jedoch in Euro abgewickelt.
Kosten
Die Initiatoren berechnen eine Gebühr von immerhin 3% des Wertes. Beim zukünftigen Handel an der ARTEX soll dann nur eine «kleine» Courtage fällig werden. Zu berücksichtigen ist, dass für die Erstzeichner und zukünftigen Aktionäre keine Kosten für Lagerung, Versicherung o.ä. anfallen. Zudem sollen die Werke, die als Aktien auf ARTEX emittiert und gehandelt werden, in einem Museum oder einer Galerie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das ist ein wichtiger Pluspunkt des Konzepts.
Das Künstler Francis Bacon
Es hätte kaum einen besseren Künstler für das Auftakt-IPO an der Kunstbörse ARTEX geben können als Francis Bacon. Sein Werk ist einmalig, einzigartig, unverwechselbar und auch rar gesät. Der 1909 in Dublin geborene Brite ist ein direkter Nachfahre des gleichnamigen Philosophen und Staatsmanns aus dem frühen 17. Jahrhundert. Als Kind erlebte er den Osteraufstand der Sinn Fein Bewegung 1916 in Irland. Weitere Gewalterfahrungen im Elternhaus und in Internaten waren für das Leben und Werk prägend. «Es gab viel Krieg in meinem Leben», sagte Bacon in seinem letzten Interview. Nachdem er mit 16 Jahren vom Vater des Hauses verwiesen worden war, folgten wechselhafte Bohème-Jahre u.a. in Berlin und Paris. Das erste Werk wurde bereits 1933 ausgestellt, das zweite jedoch erst 1944. Die erste Einzelausstellung fand 1949 statt. 1959 nahm Bacon an der documenta II in Kassel teil. Sein Werk wurde in zahlreichen Ausstellungen weltweit gezeigt. 1971 war Bacon unter den Top 10 der lebenden Künstler. 1992 starb er.
Beschränkte Anzahl von Bacon-Werken
Zeit seines Lebens hat Bacon eigene Werke vernichtet, die er als hinter seinem Anspruch bleibend erkannt hatte. Somit sind nur 580 Objekte dokumentiert. Von den wirklich bekannten ca. 90 Werken sind 54 Teil von privaten Sammlungen und 36 im Besitz von Museen und Galerien. Die Wahrscheinlichkeit, dass unbekannte Gemälde auftauchen, ist nahe null anzusiedeln. Auch Fälschungen dürften am Kunstmarkt kaum eine Chance haben. Zwischen 1986 und Ende 2021 wurden insgesamt 191 Werke auf Auktionen angeboten, von denen einige Rekordpreise erzielten.
Physis und Psyche statt Abstraktion
Im Gegensatz zu den meisten Künstlern des 20. Jahrhunderts widmete sich der Autodidakt Bacon nicht der fortschreitenden Abstraktion, sondern konzentrierte sich auf das, was nach seiner existenzialistischen Philosophie das «Dasein zum Tode» ausmacht. Bekannt sind seine Papstbilder und Kreuzigungsvariationen sowie Portraits des Freundeskreises. Die Bilder zeigen Körper, Fleisch und Verfall sowie starke Emotionen wie Wut, Angst, Schmerz und Lust. Bacon sagt: «Körperlicher Schmerz – Leiden ohne Sinn.»
Limitierte Anzahl von Triptychen
Der Schrei ist ein wiederkehrendes Motiv und Ausdruck des Verlangens nach Erlösung. Rund 25% aller dargestellten Gestalten haben offene Münder. Die Gemälde sind meist polyperspektivisch und laut Bacon als Serien zu verstehen. Sie schaffen jeweils einen eigenen Raum, in dessen spezifischen Dimensionen der Protagonist gefangen ist, wobei der Betrachter davon getrennt ist und den vielschichtigen Raum verschoben und unscharf von aussen wahrnimmt. Ziel von Bacon ist, die «Ausstrahlung» einzufangen. Triptychen sind daher seit 1963 ein häufig wiederkehrendes Format. Er schuf 40 kleine Triptychen, von denen nur 19 bislang den Besitzer gewechselt haben.
Bewertung
Der Gegenstand des ersten ARTEX-IPOs ist das erste von fünf Triptychen, die Bacons Geliebten George Dyer darstellen und zwischen 1963 und 1969 entstanden sind. Zunächst war es im Besitz des englischen Schriftstellers Roald Dahl, der 1990 verstarb. Der nachfolgende anonyme Eigentümer versteigerte das Werk 2017, wobei ein Preis von 51.8 Mio. USD erzielt wurde. Insofern erscheint die Bewertung des Kunstwerkes mit 55 Mio. USD, oder mehr, gut in den Kunstmarkt zu passen.
Preisentwicklung von Bacon-Werken
Ein Blick auf die Preisentwicklung von relevanten Bacon-Werken zeigt das Wertsteigerungspotenzial. Am 16.05.2019 wurde «Study of a Head» nach einem Schätzwert von 20-30 Mio. USD und einem ersten Gebot von 15 Mio. USD in einer Auktion innerhalb weniger Minuten auf den Zuschlagspreis von 50.3 Mio. USD gesteigert. 2014 wurde «Portrait of George Dyer» für 42 Mio. USD ersteigert. Der Besitzer hatte das Werk im Jahr 2000 für 4 Mio. USD erworben.
Spitzenpreise erzielten «Three studies for a Portrait of John Edwards» 2014 für 80.8 Mio. USD durch einen asiatischen Käufer sowie 2013 «Three Studies of Lucian Freud» für 142.4 Mio. USD. Zu diesem Zeitpunkt war es der höchste Preis, der jemals für ein Gemälde bezahlt wurde. 2008 hatte das «Triptych 76» mit 86.3 Mio. USD den höchsten Preis für einen Künstler der Nachkriegszeit erzielt. Der Käufer war der russische Multi-Milliardär Roman Abramowitsch
Fazit
Mehr an Hintergrundinformation zu ARTEX findet sich in dem im Februar auf schweizeraktien.net publizierten Artikel zur ersten Kunstbörse. Für die Platzierung der Aktien hat ARTEX Banken und Broker als Agenten ernannt. Bis Jahresende sollen es 40 Adressen sein. Nur über die Placement Agents ist der Zugang zum IPO möglich. Das dürfte für vermögende Anleger keinen grossen Unterschied machen, aber für interessierte Anleger mit kleineren «Tickets» könnten die Zugangshürden zu hoch ausfallen. Das Experiment wird in der Kunstwelt mit wachen Augen verfolgt. Kritiker haben zwar gute Argumente, doch die Vorteile scheinen zu überwiegen.
Bacon war nie ein gefälliger Künstler, sondern ging einen ganz eigenen Weg. Das macht die Originalität seiner Kunst aus. Die unmissverständliche Botschaft der Sterblichkeit und Vergänglichkeit hat angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen eher noch mehr an Relevanz gewonnen. Die «Letzte Generation» sieht das Ende der Welt gekommen. Das Tempo des Artensterbens und des Klimawandels ist beispiellos. Krieg und Gewalt beherrschen die Schlagzeilen, die Nuklear-Katastrophe ist wieder sehr real geworden, und eine wachsende Anzahl von rationalen Köpfen warnt vor den potenziell tödlichen Folgen der enthusiastisch entfesselten KI-Entwicklung.
Die Entscheidung zur Zeichnung ist für Anleger abzuwägen. Die Auktions- und Transaktionshistorie von Bacon-Werken lässt eine langfristige Wertsteigerung erwarten, wobei die Preisrisiken angesichts der Nachfragetrends beschränkt erscheinen.